Aktuell Allgemein Wädenswil

Der halb virtuelle, halb reale Ratsausflug

Ernst Grand, Gemeinderatspräsident von Wädenswil, hat für den diesjährigen Ratsausflug einen virtuellen Anfang gewählt: Anstelle der geplanten Besichtigung des IBM-Forschungslabors konnten die Ratsmitglieder interessante Vorträge von Referenten der IBM per Video-Übertragung im Restaurant «Boccia» live erleben, und sie machten auch rege Gebrauch von der Möglichkeit, den Referenten direkt Fragen zu stellen.

Text und Bild: Susi Klausner

In den Vorträgen wurde ein Einblick in drei Forschungsprojekte der IBM gegeben: Es ging um die neue Quantum-Computer-Generation mit ihrer unvorstellbar riesigen Rechenleistung und um eine Möglichkeit, Künstliche Intelligenz in Gesprächen als sprechende Diskussionspartner einzusetzen, die garantiert kein Argument verpassen und alle jemals im Internet gespeicherten Informationen zu den gestellten Fragen kennen, analysieren und wiedergeben. Zudem wurde das noch junge Forschungsprojekt der Mirai Foods AG vorgestellt, die es bereits geschafft hat, aus wenigen Stammzellen von Rindern eine unermesslich grosse Menge (Tonnen!) zellbasiertes Fleisch herzustellen, ohne dass ein Tier geschlachtet werden muss. Ausserdem konnte virtuell eine kritische Betrachtung der finanziellen Massnahmen des Kantons Zürich zur Unterstützung von Start-ups während der Corona-Krise mitverfolgt werden, die später bei den anwesenden Ratsmitgliedern beim ganz realen Apéro sicher für viel Gesprächsstoff gesorgt hat.

Im Gespräch mit Gemeinderatspräsident Ernst Grand

WA: Ernst Grand, seit dem 18. Mai, seit über 150 Tagen und doch eigentlich 2 Monate später als normal, sind Sie der «höchste Wädenswiler». Wie fühlt sich das Amt an?
Ernst Grand: Sehr gut. Die neue Aufgabe und die intensivere Interaktion mit den Ratskollegen sowie die Leitung des Büro Gemeinderat macht mir Spass. Ich lerne jede Woche etwas dazu – das ist gut.

Was hat sich seit der Wahl für Sie verändert?
Mit dem Büro Gemeinderat bereiten wir die Gemeinderatssitzungen vor. Da ist es wichtig, die verschiedenen Geschäfte im Auge zu behalten und einzuplanen. In der Planung der Sitzungen bin ich viel aktiver eingebunden als vorher. Das Sekretariat, namentlich Roger Kempf, ist dabei eine grosse Stütze. Schliesslich ist das Sekretariat schon länger im Amt und bringt dadurch viel Erfahrung mit. Das erleichtert mir die Arbeit sehr.

Die Gemeinderatssitzungen finden zurzeit alle in der Kulturhalle Glärnisch statt. Weshalb hat sich das Büro Gemeinderat für die weiteren Durchführungen der Ratssitzung in der Kulturhalle entschieden? Theoretisch wäre doch eine Sitzung auch im Gemeinderatssaal möglich gewesen?
Theoretisch und praktisch wäre es möglich gewesen, die Ratssitzungen im Gemeinderatssaal durchzuführen. Quasi, wie wenn nichts gewesen wäre. Das ist aber nicht so. Wir dürfen die Corona-Situation nicht auf die leichte Schulter nehmen. Wir müssen eine vernünftige Vorsicht walten lassen. Eine Ratssitzung in der Kulturhalle ist vermutlich etwas umständlicher, als eine Sitzung im Gemeinderatssaal. Aber für mich hat die Gesundheit der Stadt- und Gemeinderatsmitglieder eine höhere Priorität, als ein etwas einfacherer Ratsbetrieb. Aus meiner Sicht sind viele Menschen zu leichtsinnig mit den Corona-Lockerungsmassnahmen umgegangen. Solange es nicht exorbitant viel mehr kostet, ist ein vernünftiges Mass Vorsicht sicher angemessen. Schliesslich läuft man vernünftigerweise auch nicht ohne zu schauen über einen Fussgängerstreifen, nur weil man theoretisch als Fussgänger den Vortritt hat.

Was ist Ihnen wichtig in Ihrer Rolle als Ratspräsident?
Ich finde einen angemessenen Umgang unter den Ratskollegen wichtig. Obwohl mich gewisse Ideen und Vorstösse manchmal auch etwas «stressen». Aber wir sind alle gewählte Volksvertreter, die unsere Wähler vertreten. So ist das System und das ist nicht schlecht. Manchmal ist unsere direkte Demokratie etwas langsam, dafür relativ ausgewogen, was einen grösseren sozialen Frieden mit sich bringt. Wir haben auch Demos in unseren Städten. Ich glaube aber, es gibt bei uns weniger ungebändigten Frust als in anderen Ländern (etwa USA). Das hat sicher auch mit unserem Wohlstand zu tun, aber eben auch damit, dass wir nach Lösungen suchen, welche viele Gewinner hat.

Was wünschen Sie sich für Ihre Amtszeit?
Ich wünsche mir mehr Engagement von freisinnig gesinnten Mitmenschen. Wir müssen die liberalen Anliegen aktiver und lauter vertreten. Die Extremen links wie rechts sind sehr laut, kreieren viel Stress ins System, bringen in der Regel aber ausser Unruhe wenig zustande. Wir Liberalen übernehmen Verantwortung und führen viele Initiativen zum Erfolg. Noch mehr freisinniges Engagement wäre deshalb sehr wünschenswert. (wa)

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