Wädenswil

«Grüezi-Graben»-Konzerte in sämtlichen politischen Gemeinden des Kantons Zürich

Im Projekt «Grüezi-Graben» wollen die Pianistin Simone Keller und der Posaunist Michael Flury sämtlichen Gemeinden des Kantons Zürich – es sind 160 – innerhalb von drei Jahren einen Besuch abstatten und an speziellen Orten ein Konzert spielen. Am Freitag, 28. Februar, spielten die beiden in der Brocken­stube Au auf.

Text: Ingrid Eva Liedtke
Bilder: Arthur Bondar *

Grüezi-Graben wird der Stadt-Land-Gegensatz genannt. Dies, weil man sich in ländlichen Gegenden häufiger grüsst als in urbanen Zentren.
«Grüezi-Graben» ist ein Projekt, der Pianistin Simone Keller, des Posaunisten Michael Flury und von Philip Bartels, der die Arrangements gemacht hat. Die beiden Musiker wohnen in Mietwohnungen in der Stadt Zürich, aber beide sind auf dem Land aufgewachsen: Sie auf einem Bauernhof in Weinfelden im Thurgau, und er in Otelfingen im Zürcher Unterland.

20 Gemeinden

160 Gemeinden wurden angeschrieben, ob sie Interesse hätten, ein Konzert durchzuführen – mit einer anschliessenden Diskussion über Wünsche und Bedürfnisse an kulturellen Veranstaltungen, bei der der Fokus auf den Interessensunterschieden zwischen Stadt und lang liegt und auf die Frage, wo welche Musik gehört werden möchte.
Simone Keller berichtet: «Von den 160 angefragten Gemeinden, waren zwar nur rund 20 interessiert mit uns eine Veranstaltung zu planen, aber wir bemerken bereits nach den ersten Konzerten, dass sich ganz viel über Mund-zu-Mund-Propaganda weiterentwickelt und sich eines aus dem anderen ergibt, weshalb wir zuversichtlich sind, dass wir in den nächsten Monaten und Jahren irgendwann auch die abgelegendsten Gemeinden des Kantons Zürich besuchen werden.»

Liederabend ohne Worte

Michael Flury und Simone Keller spielen einen «Liederabend ohne Worte». Der Posaunist und die Pianistin spielen Lieder vom unsterblichen Franz Schubert und von Komponistinnen, die bis heute zu wenig Anerkennung für ihr Schaffen erhalten: Lil Hardin Armstrong, die bis heute im Schatten ihres Mannes steht, oder Irene Higginbotham, die einen weltberühmten Jazz-Standard geschrieben hat («Good morning heartache»), der bis heute nicht mit ihrem Namen in Verbindung gebracht wird. Die Musikzusammenstellung möchte einerseits zeigen, wie mühelos sich stilistische Gräben zwischen Klassik und Jazz überwinden lassen, ohne in ein simples «Cross-Over» zu verfallen und andererseits einem breiten Publikum etwas Neues und Unerwartetes zu präsentieren, das dennoch durchaus zugänglich ist.
Das Konzert ist also einerseits ein freundliches «Grüezi» ans Publikum und andererseits ein Ohröffner für etwas bisher Unbekanntes.
Die «Liederabende ohne Worte» werden bewusst ohne Text vorgetragen und lassen erstmal nur die Musik sprechen. Für das anschliessende gemeinsame Gespräch mit dem Publikum ist aber jeweils genug Zeit reserviert.
So entstehen Begegnungsräume auch da, wo bisher noch wenig oder gar keine kulturellen Veranstaltungen stattgefunden haben, wie eben in einem Brockenhaus.
Sämtliche Konzerte werden filmisch begleitet und dokumentiert. So entsteht eine sehr persönliche und sehr spezifische Evaluation des kulturellen Lebens der Zürcher Gemeinden, aus der, je nachdem, ab 2026 ein Musik(theater)-Folgeprojekt entstehen kann.

«Grüezi-Graben» in der Brockenstube Au

«Cheese» Hochstrasser, Inhaber der Brockenstube Au, ist beeindruckt: «Es war toll!», ruft er begeistert aus. «Das sind musikalisch zwei Riesennummern! Michael Flury hat schon mit Sophie Hunger gespielt, und auch Simone Keller hat schon eine Menge Preise gewonnen!»
Sein Sohn Köbi Hochstrasser bestätigt ebenso begeistert, und auch die anderen Angestellten der Brockenstube Au wissen nur Gutes über das spezielle Freitag-Feierabend-Konzert zu berichten.
Köbi Hochstrasser: «Das war etwas Besonderes, das hatten wir hier noch nie! Wir machen sonst keine Konzerte im Brocki. ‹Grüezi-Graben› ist auf uns zugekommen. Sie wollen in allen Zürcher Gemeinden, an speziellen Orten ein Konzert spielen. In den Brockis kommt das gut an. Es hat ja auch immer Leute und somit ein Publikum. Sie haben vorher Flyer aufgelegt, aber es gab keinen Billettverkauf – es war gratis. Die Musiker haben augenscheinlich einen kleinen Kreis von harten Fans, die offenbar immer dabei sind.»

Eigenes Equipment

Die Musiker von «Grüezi-Graben» brachten ihr Equipment, ein Klavier und eine Posaune, mit. «Sie haben einen Lieferwagen mit Hebebühne, aber es braucht natürlich einen Zugang oder einen grossen Warenlift», sagt Köbi Hochstrasser.
Er denkt, dass viele Leute mit dieser Art Musik in Kontakt kommen, die sie sonst nicht hören würden.
«Die Stimmung war super. Es sind sehr sympathische Menschen, diese Musiker! Sie kamen zwei Stunden vorher zum Aufbauen, und so wurden schon einige Kunden auf sie aufmerksam und sind geblieben. Insgesamt waren etwa 30 Leute da. Die Hälfte kam, machten ihre Runde im Brocki, hörten ein wenig zu und gingen dann wieder. Es ist mir aber aufgefallen, wie ruhig das ablief. Es war viel ruhiger als sonst. Man wollte wohl der Musik zuhören. Einige haben aber doch auch etwas gekauft, ein super Nebeneffekt!», freut sich Hochstrasser.

Erfolg für «Grüezi-Graben»

«Ja, das war ein wunderbares Konzert im Brocki Au», bestätigt Simone Keller, die Pianistin von «Grüezi-Graben». «Die Familie Hochstrasser ist ein grossartiger Gastgeber und hat uns und das Publikum total offen empfangen. Das Publikum bewegt sich teilweise mit uns durch den Kanton und kommt mehrmals zu Konzerten. Zwei Frauen, die in Hettlingen mit dabei waren, sind zum Beispiel noch einmal in die Au gekommen und haben mir erzählt, dass sie vorher noch nie über den ‹Grüezi-Graben› nachgedacht hätten, aber seither mehr Initiative ergreifen würden, sich auf der Strasse zu grüssen und sich darüber gefreut hätten, wie positiv das aufgenommen wird. Besonders schön ist für uns auch, wenn sich Menschen ganz zufällig auf unsere Musik einlassen, weil sie gerade zufällig im Brocki stöbern und dann Gefallen daran finden, was sie hören. Wir spielen ja einerseits ganz bekannte Lieder von Franz Schubert und dann aber auch ganz unbekannte Musik von Komponistinnen, die zu wenig Beachtung bekommen. Wir spielen meistens einfach mal drauf los und schauen, wie sich die Stimmung im Raum entwickelt. Erst im Laufe des Konzertes erzählen wir ein bisschen über diese ‹Lieder ohne Worte›, die wir spielen, und freuen uns immer sehr darüber, wenn das Publikum ganz offen mit uns auf diese Entdeckungsreise geht und auch mit uns über den Graben zwischen Klassik und Jazz hüpft.»
Simone Keller erinnert sich auch an einen Bauern, der während eines Konzertes direkt neben dem Klavier sass und immer leise mitsang. «Er hat dann danach erzählt, dass er in seinem Berufsalltag keine Zeit habe, ein Instrument zu spielen, aber Musik sehr gerne mag. Für mich, die ich auf einem Bauernhof aufgewachsen bin und da auch viel mithelfen musste, aber dennoch die Musik zu meinem Beruf machen durfte, sind das besonders berührende Begegnungen», so Simone Keller.
Als Zuschauerin kann man sich Simone Keller anschliessen, die berichtet: «So kann ich zusammenfassend berichten, dass wir rundum glücklich sind, wenn wir so über den ‹Grüezi-Graben› hüpfen dürfen und auf allen Seiten freundliche Menschen vorfinden, die uns Mut machen, gerade in der aktuell schwierigen Weltlage einfach ein bisschen mehr aufeinander zuzugehen und einander zuzuhören. Unsere Initiative ist ein ganz kleiner Tropfen auf den heissen Stein, aber wir spüren, dass wir zumindest im Kleinen etwas bewirken können und werden diesen Weg weiter gehen.»

* Die Fotos vom Konzert sind von Arthur Bondar. Er ist ein Fotograf aus der Ukraine, der nach Georgien geflohen ist und aktuell in Norddeutschland lebt, wo er an einem Künstler-Programm teilnehmen darf.

Teilen mit: