Feuilleton History Wädenswil

Autorin Hanna Steinegger – schreiben aus Leidenschaft

Hier oben auf dem Berg läuft immer noch die Zeit der persönlichen Geschichten. Aber sind es nicht diese persönlichen Schilderungen von Leben, die uns besonders berühren? Und manchmal geben sie uns sogar neue Anstösse, eine andere Perspektive und eine Idee, wie man gewisse Themen im eigenen Leben ein wenig anders anpacken könnte. Diesmal möchte ich aus dem Leben von Hanna Steinegger, Autorin aus Schönenberg, berichten.

Text & Bild: Ingrid Eva Liedtke

Am ersten Julimorgen habe ich mich mit Hanna Steinegger verabredet. Noch dieses Jahr wird ihr neuer historischer Roman «Theres» erscheinen, wieder eine Frauengeschichte. Diesmal spielt sie 1914, anfangs des 20. Jahrhunderts. Eine Frau aus einfachsten Verhältnissen kämpft sich durch und geht ihren Weg. Das Buch erscheint voraussichtlich Ende August. Dann mehr dazu.

Rückzug und Krankheit

Heute liegt mein Fokus auf dem Mensch Hanna Steinegger. Wie geht es Ihr? Wie hat sie die vergangene Zeit des Rückzugs erlebt?
«Momentan geht es mir gut. Meine Autoimmunerkrankung, die mich letztes Jahr für lange Zeit ans Spitalbett gefesselt hat, ist nun unter Kontrolle. Es war eine harte Zeit, aber nun schaue ich vorwärts. Ich will auch nicht viel darüber reden, mich nicht allzu sehr damit beschäftigen. Das ist mir lästig. All diese Themen um die Krankheit sollen raus aus meinem Kopf. Ich will die Konzentration auf Dinge lenken, die mir wichtig sind, mir etwas bedeuten. Das treibt mich an und macht mich gesund. Ich will mich auf den gesunden Teil in mir fokussieren.
Die Krankheit habe ich, das ist nicht zu ändern – basta – damit werde ich fertig.»

Hanna Steinegger wirkt überzeugend, kräftig und stark. Sie strahlt. Corona sei Dank. Diese Zeit hat ihr ermöglicht sich ganz auf sich und auch auf ihre Genesung zu konzentrieren.
2019 hat sie noch das Lesejahr zu ihrem letzten Buch «Die Frauen vom Zieblinger­haus» abgeschlossen, was sich gegen den Schluss als sehr anstrengend erwies. «Die letzte Lesung ging kaum noch.» Dann wurde sie krank und musste alles gehen lassen.
«Ich war ziemlich schwach, konnte kaum lesen. Ich lag da wie eine ‹blinde Kuh›, wegen der Nebenwirkungen der Medikamente. Manchmal hatte ich sogar Halluzinationen. Ich musste mich auf meine Gesundheit konzentrieren und habe einfach an die Bücher gedacht, die ich schon geschrieben habe und mich daran erfreut. Der Gedanke, dass die ‹Frauen vom Zieblingerhaus› so erfolgreich ist und auch die Tatsache, dass ich ‹Theres›, meinen neuen Roman, schon abgegeben hatte, haben mich gestärkt. Man beschäftigt sich dann auch noch eine Zeit lang mit Fragen zu den herausgegebenen oder schon abgeschlossenen Geschichten und ist irgendwie noch besetzt. Der Kopf ist noch nicht frei für etwas Neues. Das passte.

Loslassen in Dankbarkeit

Doch Angst, sagt sie, habe sie nie gehabt. Gegen ihre Krankheit habe sie den Kampf aufgenommen. Und sich auch noch vor Corona fürchten? Nein!
Loslassen, das sei generell die Herausforderung des Altwerdens.
Ihr Gymnastikstudio hat sie aufgegeben – schweren Herzens. Doch es sei hilfreich, wenn man mit Dankbarkeit auf sein Leben schauen könne.
«Ich schaue jetzt gut für mich. Ich habe mein Leben genossen und tue es noch, bin dankbar dafür, was ich alles machen konnte, meine Familie, die Kinder, aber auch immer mein eigenes eigenständiges Leben, das ich mir parallel dazu geschaffen habe!
Ich hatte Glück, bin 45 Jahre verheiratet. Diese Ehe ist zu einer guten wertvollen Freundschaft und tiefer Verbundenheit geworden. Ich konnte mich immer auf meinen Mann verlassen, auch während der Krankheit.»
Ob das vielleicht auch mit dieser Eigenständigkeit zu tun hat? «Ja, sicher, man muss auch in der Ehe und der Familie einen gesunden Egoismus leben!»

Gedanken zum Ende

«An das Ende denke ich nicht», sagt sie. «Natürlich kommen manchmal Gedanken – in meinem Alter ist das so, aber irgendwie fühle ich mich gar noch nicht soweit, um darüber nachzudenken.»
Hanna Steinegger hat noch viele Projekte und tolle Enkelkinder, sehr viel, das sie noch tun will.
Doch als sie dann doch noch ein wenig nachdenkt wird ihr bewusst, dass sie sich schon intensiv mit dem Tod befasst hat, als sie ihre Eltern betreut und begleitet hat. «Sie hatten ein gutes Leben und wurden 94 und 96. Doch die letzte Zeit mit ihnen war für mich fordernd. Psychisch und körperlich. Ich habe mich sehr eingesetzt, dass sie in ihrer Wohnung bleiben konnten. Sie sind völlig von mir abhängig gewesen – das war belastend. Ihre Ängste und ihr Abbau, das war ein langsamer Prozess, den ich sehr intensiv miterlebt habe. Danach ist meine Krankheit ausgebrochen.»

Die Tierliebhaberin will im Jetzt leben

Die Kraft nimmt ab. Man ist nicht mehr so vital wie mit Zwanzig. Annehmen, was man hat und möglichst im Jetzt leben. Dann geht es gut, das Leben im und mit dem Alter. So sieht sie das, die mutige und agile Frau.
Von dieser Weisheit haben schon die Jungen gehört, und so mancher schwört auf das Sein im Moment. Doch es zeigt sich, dass der Blick zurück auch seine Qualitäten hat und uns hilft an der Vergangenheit zu wachsen.
«Den wahren Sinn erfasst man oft erst im Alter», davon ist Hanna Steinegger überzeugt. «Das Leben ist wie ein Rosenkranz, zusammengesetzt aus den einzelnen Episoden und man schaut ihn an, betet ihn herunter, um bestenfalls zu lernen. Trotzdem sollte man nicht zu lange dabei verweilen. Ein gutes Gleichgewicht ist alles. Im Moment leben heisst für mich die schönen Momente geniessen.»
Schöne Momente bedeuten für die Tierliebhaberin auch das Zusammensein mit ihrer Hündin Stella. Hunde bedeuten ihr viel, früher auch Pferde und Katzen. Doch Hunde seien Begleiter durch ganze Lebensepisoden, treu und zugewandt, und doch hat jeder Hund seinen eigenen Charakter. Ein Gefühl von Geborgenheit, Wärme und natürlich Liebe verbindet Hanna mit ihrem Hund. «Mit Bruscia, einer Fila Brasileiro-Hündin, verband mich sogar eine Art Seelenverwandtschaft. Sie war ein spezieller Charakter, nicht sehr menschenfreundlich, aber mit mir ein zärtlicher Schmusehund und dann irgendwann, nach langem Buhlen, auch mit meinem Mann.»
Doch die Abschiede seien hart. Auch Stella ist schon vierzehn Jahre alt, und es wird wohl ihr letzter Hund sein, denn einen weiteren Abschied könne sie wohl nicht mehr verkraften.

Schreiben ist immer persönlich

Widerspiegelt sich das Alter, die persönliche Entwicklung, die Lebenserfahrung und Menschenkenntnis im Schreiben, in den Figuren und Geschichten?
Ja, da ist sich Hanna Steinegger sicher. Ihre ersten Bücher hätten diesen frechen «Frauenstil», ein bisschen zynisch, männerkritisch, ganz anders in den Themen. Mit zunehmendem Alter und auch grösserer Erfahrung gewannen ihre Bücher an Tiefe. «Andere Themen sind wichtig, und die Charaktere sind differenzierter. Viele sagen, ich schreibe über starke Frauen. Doch dieser Ausdruck gefällt mir nicht – zu abgenutzt. Ich schreibe über mutige Frauen, aktive Frauen, über Frauen, die etwas wagten.»
Und so zeigt sich einmal mehr, wie viel das Schreiben immer auch mit der Identität der Autorin zu tun hat. Auch Schreiben braucht Mut, gerade weil man so viel preisgibt und verletzlich wird.
«Doch man muss einfach machen, wie ein Pferd mit Scheuklappen, nicht zu viel auf andere hören, den eigenen Weg finden. Wir Frauen leiden oft unter der Gefallsucht, und natürlich möchte man auch sofort Erfolg haben. Heute schreibe ich einfach drauflos, entwickle Freude, schwelge.
Doch es ist schön, wenn man zugewandte Briefe von begeisterten Lesern bekommt. Das hat mir immer sehr geholfen, dass es Menschen gibt, die meine Bücher lieben.»

Was bedeutet ihr das Schreiben?

«Anfangs war es wohl ein Hobby, wie für andere malen und töpfern. Aber dann, wenn man ein Buch herausgebracht hat, ist man öffentlich – auch ausgeliefert – dann verspürt man den Drang wieder zu schreiben. Das Schreiben gibt mir Befriedigung, Freude, immer ein Stück von mir, dass ich geben kann, zeigen kann, wie ich zu den Menschen stehe. Dies, verwoben in eine Geschichte, gedruckt zu sehen, das macht mich glücklich! Schreiben ist zu meiner Leidenschaft geworden!»

Zufrieden mit sich selber sein – Muss man dafür 77 werden?
«Nein, nein! Ich weiss nicht genau, wie man dazu kommt. Bei mir war das schon früher, hat aber schon auch mit Anerkennung zu tun. Angenommen werden ist eine Anerkennung. Das hilft, ist ein Türöffner. Doch erst nach dem 5. Buch hatte ich das Gefühl ich sei Autorin. Typisch Frau? Ja, das ist gut möglich, dass wir uns immer schlechter machen, zu wenig Selbstbewusstsein haben, um hinzustehen und zu sagen: ‹Das bin ich, das kann ich›. Aber wenn man nicht angenommen wird, heisst das nicht, dass man nicht gut ist. Es braucht auch Glück, diesen Moment, wo man zur richtigen Zeit am richtigen Ort ist.
Unterdessen fühle ich mich ziemlich komfortabel mit mir und muss mich nicht mehr vergleichen.»

Was gibst Du dem Schreiben?
«Mich! ich bringe mich vollumfänglich ein. Anders geht das nicht. Das bin ich, jedes Buch ist Ich, auch wenn ich über andere schreibe. Das Schreiben braucht Liebe und Hingabe. Man sollte keine Angst haben von sich selber zu schreiben, sich einzubringen, mit der Angst vor Kritik muss man leben.
Zeitlich gebe ich jeder Geschichte, jedem Buch, ein gutes Jahr. Ich lasse mir gerne Zeit. Ich gebe so viel in ein Buch, sodass ich mindestens ein Jahr brauche. Ich schreibe, wenn ich Lust habe. Dazwischen recherchiere ich. Der historische Rahmen muss stimmen. Dieses Forschen gefällt mir auch. Ich gehe ins Staatsarchiv, lese Literatur und konsultiere das Internat.»

Was ist wichtig?
«Meine Familie, Gesundheit, Freundschaften, mein Hund, Bücher: Schreiben, Lesen.
Die Familie ist wohl das Wichtigste. Aber man kann diese Dinge nicht werten. Alles ist mir sehr wichtig, auch die Gesundheit! Sie wurde erst mit 69 zum Thema.»

Ein Wunsch für die Zukunft?
«Vor allem gesund bleiben und dass es meiner Familie gut geht. Ich habe keine Höhenflüge im Kopf. Noch ein paar gute Jahre leben. Wenn ich gesund bin und fit und es mir gut geht, dann kommt auch der Drang zu schaffen und zu schreiben.
Eigentlich ist das Alter einer der schönsten Zeiten, man kann die Kinder und Enkel geniessen, man hat keinen Stress mehr. Man muss nichts mehr, man darf.
Klar muss man Loslassen, der Körper tut nicht mehr wie früher. Immer wieder dieses Loslassen, das ist schon eine Herausforderung! Nehmen was ist, nicht mehr partout gefallen – das geniesse ich!»

Vita
Hanna Steinegger, 1944 in Horgen geboren und in Wädenswil aufgewachsen.
Mit der Ausbildung zur Kleintierpflegerin erfüllte sich ein Traum. Später arbeitete sie mangels Stellenangebote als Arztgehilfin.
1967 wanderte sie nach Kanada aus, verbrachte zwei Jahre auf einer Ranch, trampte anschliessend durch Nordamerika und hielt sich mit Gelegenheitsjobs über Wasser. Dann kehrte sie zurück in die Schweiz, lernte ihren Mann kennen, heiratete, bekam zwei Söhne und mittlerweile fünf Enkelkinder, die ihr Leben bereichern.
In den achtziger Jahren machte sie eine dreijährige Gymnastikausbildung in Zürich und später eine Weiterbildung zur Fitnessinstruktorin in Orlando. Sie eröffnete ein Gymnastikstudio in ihrem Haus in Schönenberg.
2009 dokumentierte sie ihre Zeit auf der kanadischen Ranch in einem Buch. Es kam unter dem Titel «Unter Cowboys» im Zytgloggeverlag heraus.
Schliesslich folgten drei Unterhaltungsromane (epubli.de).
Mit dem ersten historischen Buch «Kein gewöhnliches Leben» wagte sich Hanna Steinegger 2011 auf Neuland. Das Buch erhielt eine zweite Auflage. 2014 schrieb sie «Agnes und Rudolf», ebenfalls historisch, 2016 «Der unheilvolle Kuss». Bei allen drei historischen Büchern wurde sie von Prof. Dr. h.c. Peter Ziegler, Historiker und ehemaliger Verlagsleiter des Th. Gut Verlags, unterstützt. 2019 veröffentlichte der Th. Gut Verlag, der zur Bäschlin Verlagsgrupe gehört, den historischen Roman «Die Frauen vom Zieblingerhaus.»
Ende August 2021 erscheint das Buch «Theres, die Tochter der Dienstmagd», das im ersten Weltkrieg spielt. Auch da sind die Menschen erfunden, doch der historische Rahmen stimmt.

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1 Kommentar zu “Autorin Hanna Steinegger – schreiben aus Leidenschaft

  1. Ein sehr schönes Porträt über eine interessante Frau. Danke.

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