Eigentlich hätte es einfach eine Küchenerneuerung werden sollen. Bis im ersten Stock des Ortsmuseums unter dem Wandverputz zwischen Küche und Toilette wunderschönes Fachwerk aus der Bauzeit des Hauses freigelegt wurde.
Text & Bilder: Reni Bircher
Die Küche im ersten Stock des Bären wird vom Trägerverein Ortsmuseum Richterswil genutzt, um bei Veranstaltungen den Apéro anzurichten, aber auch von den Kunstschaffenden, welche im Hochparterre eine Ausstellung durchführen. Leider war sie sehr klein und unpraktisch eingerichtet: das Fenster konnte selbst von gross gewachsenen Personen kaum erreicht und wegen des Radiators darunter gar nicht richtig geöffnet werden, die Anrichten und Kästchen waren unverhältnismässig tief, der Kühlschrank viel zu klein. Dieser schlechten Raumaufteilung wollte der Verein entgegenwirken und stellte bei der Gemeinde einen Antrag für den Umbau.
Während einer Begehung durch den Küchenbauer und einer Vertretung der Liegenschaftenabteilung der Gemeinde, kam die Idee auf, die Wand durchzubrechen und einen Teil des überlangen Toilettenraumes nebenan für den Küchenausbau zu nutzen. Klar war der Besuch des «längsten WCs der Welt» recht amüsant, der sechs Meter lange und knapp ein Meter breite «Schlauch» mit einer einzigen WC-Schüssel und einem Waschbecken aber recht unnütz. So wurden die Umbaupläne entsprechend angepasst, der Abtritt «verkürzt» und mehr Stauraum geschaffen für das Ortsmuseum, welches sowieso schon aus allen Nähten platzt.
Beim Durchbruch stiessen die Handwerker auf eine tragende Wand mit originalem Fachwerk. Erneut fand eine Begehung statt, denn mit dieser Entdeckung hatte niemand gerechnet. Und erneut wurden die Baupläne optimiert, damit die gesäuberten Holzbalken mit der neuen Küchenkombination präsentiert werden können. «Ich glaube, wir haben nun die bestmögliche Variante bekommen», freut sich Vereinspräsident Ruedi Weber. Eine moderne (Kaffee-)Küche mit nostalgischem Flair. «Jetzt kann auch richtig gelüftet und geputzt werden».
«Die Kosten für einen Umbau in einem historischen Gebäude sind immer schwierig abzuschätzen», meint Anita Pfister, langjähriges Vorstandsmitglied des Vereins. «Man kann nie mit Sicherheit sagen, was sich in oder unter einem so alten Gebäude alles findet.» Meistens werden Gebäude nur bei einem Verkauf im Register beschrieben; welche Veränderungen über die Jahrzehnte oder gar Jahrhunderte stattgefunden haben, wird selten dokumentiert.
Eine Möglichkeit, die neue Küche samt antiker Wand zu besichtigen, bietet sich möglicherweise am nächsten Tag der Offenen Türen, an welchem auch Dorfführungen angeboten werden. «Es möchten ja nicht immer alle mit auf den Rundgang, da könnten wir vielleicht einen Besucher nach dem anderen durch die renovierten Räume schleusen», meint Ruedi Weber abschliessend.
Wie es zum Bären wurde
Das herrliche Fachwerkhaus im Dorfkern – damals hiess es noch Richterschwyl – wurde 1749 von Bruchmeister* Heinrich Schmid erbaut. Im Grundprotokoll wird es erstmals 1756 erwähnt. Zu jener Zeit war der Dorfbach noch offen und drei Brücken führten darüber hinweg. Weil die Liegenschaft nahe der dritten Brücke stand, wurde es schlicht «Haus an der obern Brücke» genannt. Im Laufe der Jahrhunderte veränderte sich sowohl das Innenleben wie auch die Aussenfassade. Das ehemalige Einfamilienhaus wandelte sich zum Doppel-Einfamilienhaus. Später kamen weitere Wohnungen dazu, und allein im ersten Stock befanden sich vor dem Umbau (1975–1978) drei Wohnungen.
Das Erdgeschoss, welches heute den Bärenkeller beherbergt, wurde vielfältig genutzt: als Krämerladen, Hutmacherei, Werkstatt eines Schiffsbauers, Käserei oder Weinlager. Ebenso vielfältig waren die Hausbewohner. 1771 wird die Liegenschaft am Bärenplatz von den Schmidt-Erben an Jacob Bär verkauft. Dieser schien ein Gutmensch zu sein und gewährte einigen Leuten Kleinkredite. Da er über entsprechende finanzielle Mittel verfügte, verlangte er unter gewissen Umständen keine Rückzahlung. Wenn die Menschen einen guten Rat oder Geld benötigten, so sagte man: «Ich geh zum Bär», aber eben auch wegen des Krämerladens hiess es, man würde «bi’s Bäre» einkaufen gehen. Erst als das Riegelhaus 1845 verkauft wurde, wechselte die Besitzerfamilie, der Name «Bären» jedoch blieb ihm bis heute erhalten.
Äusserlich waren die markantesten baulichen Veränderungen beispielsweise die Verlegung des Haupteinganges vom heutigen Garten zum Bach hin, nachdem dieser 1873 abgedeckt wurde. Somit befand sich das Haus nicht mehr bei der «oberen Brücke», sondern an der Dorfbachstrasse. Auch die beiden Familienwappen des Ehepaars Bär-Hüni wurden nach vorne verlegt und im Portalrahmen eingelassen. Die doppelarmige Freitreppe zur Haustüre hinauf wurde zwischenzeitlich einseitig abgebrochen, damit der Bootsbauer die Kähne in seine Werkstatt hieven konnte. Später wurde diese wieder ursprungsgetreu nachgebaut, samt schmiedeeisernem Geländer.
Vorwärts in die Vergangenheit
1975 begann nämlich die Gemeinde Richterswil, zusammen mit der kantonalen Denkmalpflege, mit der Wiederherstellung des anfänglichen Erscheinungsbildes des prächtigen Riegelhauses. An den Proportionen – ganze und halbe «Würfel» – war nie etwas verändert worden, so dass die Fassade nahezu intakt war. Auch das Muschelmotiv auf den Fensterläden entspringt keineswegs einer spontanen Eingebung der Denkmalpflege oder des Bauamtes, sondern prangte schon zu Anfangszeiten an dem stattlichen Haus, was aufgrund von entsprechenden Ladenfunden im Dachgeschoss entdeckt wurde.
Vier Jahre später wurde der erste Stock restauriert, für Ausstellungen und Archive eingerichtet, so dass dieses Geschoss der heimatkundlichen Sammlung zur Verfügung stand. 1985 ging der Bären endgültig in den Besitz der politischen Gemeinde über. 1998 erfolgte der Ausbau der Kellerräume – heute bekannt als «Bärenkeller» – durch den Verein Ortsmuseum. Er konnte dieses Projekt, mit Baukosten von rund 500 000 Franken, dank Eigenleistungen, privaten Spenden und Beiträgen von Institutionen finanzieren.
Eine kleine Anekdote zum Schluss: Der Bären war zu keiner Zeit ein Gasthof oder Restaurant, trotzdem werden Postkarten verkauft, welche dem Betrachter genau das weismachen wollen.n
Offene Türen und Dorfführung:
2. Mai, 10.00–12.00 Uhr, Start Führung: 10.15 Uhr beim Museum
* Bruchmeister leiteten den Stadtzürcher Steinbruch in Bäch. Der Bruchmeisterplatz in Richterswil befindet sich übrigens nur wenige Meter vom Bären entfernt.
Eigentlich hätte es einfach eine Küchenerneuerung werden sollen. Bis im ersten Stock des Ortsmuseums unter dem Wandverputz zwischen Küche und Toilette wunderschönes Fachwerk aus der Bauzeit des Hauses freigelegt wurde.
Text & Bilder: Reni Bircher
Die Küche im ersten Stock des Bären wird vom Trägerverein Ortsmuseum Richterswil genutzt, um bei Veranstaltungen den Apéro anzurichten, aber auch von den Kunstschaffenden, welche im Hochparterre eine Ausstellung durchführen. Leider war sie sehr klein und unpraktisch eingerichtet: das Fenster konnte selbst von gross gewachsenen Personen kaum erreicht und wegen des Radiators darunter gar nicht richtig geöffnet werden, die Anrichten und Kästchen waren unverhältnismässig tief, der Kühlschrank viel zu klein. Dieser schlechten Raumaufteilung wollte der Verein entgegenwirken und stellte bei der Gemeinde einen Antrag für den Umbau.
Während einer Begehung durch den Küchenbauer und einer Vertretung der Liegenschaftenabteilung der Gemeinde, kam die Idee auf, die Wand durchzubrechen und einen Teil des überlangen Toilettenraumes nebenan für den Küchenausbau zu nutzen. Klar war der Besuch des «längsten WCs der Welt» recht amüsant, der sechs Meter lange und knapp ein Meter breite «Schlauch» mit einer einzigen WC-Schüssel und einem Waschbecken aber recht unnütz. So wurden die Umbaupläne entsprechend angepasst, der Abtritt «verkürzt» und mehr Stauraum geschaffen für das Ortsmuseum, welches sowieso schon aus allen Nähten platzt.
Beim Durchbruch stiessen die Handwerker auf eine tragende Wand mit originalem Fachwerk. Erneut fand eine Begehung statt, denn mit dieser Entdeckung hatte niemand gerechnet. Und erneut wurden die Baupläne optimiert, damit die gesäuberten Holzbalken mit der neuen Küchenkombination präsentiert werden können. «Ich glaube, wir haben nun die bestmögliche Variante bekommen», freut sich Vereinspräsident Ruedi Weber. Eine moderne (Kaffee-)Küche mit nostalgischem Flair. «Jetzt kann auch richtig gelüftet und geputzt werden».
«Die Kosten für einen Umbau in einem historischen Gebäude sind immer schwierig abzuschätzen», meint Anita Pfister, langjähriges Vorstandsmitglied des Vereins. «Man kann nie mit Sicherheit sagen, was sich in oder unter einem so alten Gebäude alles findet.» Meistens werden Gebäude nur bei einem Verkauf im Register beschrieben; welche Veränderungen über die Jahrzehnte oder gar Jahrhunderte stattgefunden haben, wird selten dokumentiert.
Eine Möglichkeit, die neue Küche samt antiker Wand zu besichtigen, bietet sich möglicherweise am nächsten Tag der Offenen Türen, an welchem auch Dorfführungen angeboten werden. «Es möchten ja nicht immer alle mit auf den Rundgang, da könnten wir vielleicht einen Besucher nach dem anderen durch die renovierten Räume schleusen», meint Ruedi Weber abschliessend.
Wie es zum Bären wurde
Das herrliche Fachwerkhaus im Dorfkern – damals hiess es noch Richterschwyl – wurde 1749 von Bruchmeister* Heinrich Schmid erbaut. Im Grundprotokoll wird es erstmals 1756 erwähnt. Zu jener Zeit war der Dorfbach noch offen und drei Brücken führten darüber hinweg. Weil die Liegenschaft nahe der dritten Brücke stand, wurde es schlicht «Haus an der obern Brücke» genannt. Im Laufe der Jahrhunderte veränderte sich sowohl das Innenleben wie auch die Aussenfassade. Das ehemalige Einfamilienhaus wandelte sich zum Doppel-Einfamilienhaus. Später kamen weitere Wohnungen dazu, und allein im ersten Stock befanden sich vor dem Umbau (1975–1978) drei Wohnungen.
Das Erdgeschoss, welches heute den Bärenkeller beherbergt, wurde vielfältig genutzt: als Krämerladen, Hutmacherei, Werkstatt eines Schiffsbauers, Käserei oder Weinlager. Ebenso vielfältig waren die Hausbewohner. 1771 wird die Liegenschaft am Bärenplatz von den Schmidt-Erben an Jacob Bär verkauft. Dieser schien ein Gutmensch zu sein und gewährte einigen Leuten Kleinkredite. Da er über entsprechende finanzielle Mittel verfügte, verlangte er unter gewissen Umständen keine Rückzahlung. Wenn die Menschen einen guten Rat oder Geld benötigten, so sagte man: «Ich geh zum Bär», aber eben auch wegen des Krämerladens hiess es, man würde «bi’s Bäre» einkaufen gehen. Erst als das Riegelhaus 1845 verkauft wurde, wechselte die Besitzerfamilie, der Name «Bären» jedoch blieb ihm bis heute erhalten.
Äusserlich waren die markantesten baulichen Veränderungen beispielsweise die Verlegung des Haupteinganges vom heutigen Garten zum Bach hin, nachdem dieser 1873 abgedeckt wurde. Somit befand sich das Haus nicht mehr bei der «oberen Brücke», sondern an der Dorfbachstrasse. Auch die beiden Familienwappen des Ehepaars Bär-Hüni wurden nach vorne verlegt und im Portalrahmen eingelassen. Die doppelarmige Freitreppe zur Haustüre hinauf wurde zwischenzeitlich einseitig abgebrochen, damit der Bootsbauer die Kähne in seine Werkstatt hieven konnte. Später wurde diese wieder ursprungsgetreu nachgebaut, samt schmiedeeisernem Geländer.
Vorwärts in die Vergangenheit
1975 begann nämlich die Gemeinde Richterswil, zusammen mit der kantonalen Denkmalpflege, mit der Wiederherstellung des anfänglichen Erscheinungsbildes des prächtigen Riegelhauses. An den Proportionen – ganze und halbe «Würfel» – war nie etwas verändert worden, so dass die Fassade nahezu intakt war. Auch das Muschelmotiv auf den Fensterläden entspringt keineswegs einer spontanen Eingebung der Denkmalpflege oder des Bauamtes, sondern prangte schon zu Anfangszeiten an dem stattlichen Haus, was aufgrund von entsprechenden Ladenfunden im Dachgeschoss entdeckt wurde.
Vier Jahre später wurde der erste Stock restauriert, für Ausstellungen und Archive eingerichtet, so dass dieses Geschoss der heimatkundlichen Sammlung zur Verfügung stand. 1985 ging der Bären endgültig in den Besitz der politischen Gemeinde über. 1998 erfolgte der Ausbau der Kellerräume – heute bekannt als «Bärenkeller» – durch den Verein Ortsmuseum. Er konnte dieses Projekt, mit Baukosten von rund 500 000 Franken, dank Eigenleistungen, privaten Spenden und Beiträgen von Institutionen finanzieren.
Eine kleine Anekdote zum Schluss: Der Bären war zu keiner Zeit ein Gasthof oder Restaurant, trotzdem werden Postkarten verkauft, welche dem Betrachter genau das weismachen wollen.n
Offene Türen und Dorfführung:
2. Mai, 10.00–12.00 Uhr, Start Führung: 10.15 Uhr beim Museum
* Bruchmeister leiteten den Stadtzürcher Steinbruch in Bäch. Der Bruchmeisterplatz in Richterswil befindet sich übrigens nur wenige Meter vom Bären entfernt.