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Das Bühl zu Corona-Zeiten

Stiftung Bühl (Bild: zvg)

Wie geht die Stiftung Bühl mit der momentanen Coronakrise um? Diese Frage kommt spätestens dann auf, wenn wir am geschlossenen Laden und Bistro vorbeifahren.

Text: Ingrid Eva Liedtke, Bilder: Stiftung Bühl

Alles ist zu! Immerhin sind gewisse Produkte online zu bestellen und werden innerhalb von Wädenswil gratis geliefert, wie auf der Homepage informiert wird. Die geschlossenen Verkaufsstellen sind das eine, aber wie gehen die Schülerinnen und Schüler, die Bewohner der Wohngruppen, Lehrlinge, sowie Lehrpersonen und Betreuende des Bühls mit dieser speziellen Situation um?

Brigitte Steimen, Direktorin der Stiftung Bühl, beantwortet die Fragen des Wädenswiler Anzeigers:

Wie für alle Menschen ist diese Zeit für uns eine Herausforderung. Es sind gewisse Verunsicherungen spürbar, sowohl bei den Mitarbeitenden wie bei gewissen Kindern und Jugendlichen. Es ist aber auch eine grosse Hilfsbereitschaft spürbar.

Welche Massnahmen wurden ergriffen?

Wir setzen sämtliche Richtlinien und Vorgaben der Bundesbehörden und der kantonalen Behörden um: Betriebsschliessungen (Bühl-Laden), Distanzregel, Hygienevorschriften, Besuchsverbote usw. 

Die externen Schüler sind wohl zuhause. Können sie auch mit homeschooling weiter gefördert werden?

Falls ja, wie geht das vor sich und wie ist das mit einer individuellen Förderung vereinbar? Oder gibt es andere Möglichkeiten, die Kinder und Jugendlichen zuhause zu unterrichten oder fördern? Wie werden Eltern darin unterstützt?

Wie alle Schulen sind auch wir verpflichtet, ein Betreuungsangebot zu machen. Dies wird für einzelne Kinder genutzt.

Die Lehrpersonen stehen mit den Schülerinnen und Schüler, sowie mit den Eltern in Kontakt. Dort, wo es möglich ist, werden Lernaufträge erteilt. Dies ist aber nicht bei allen Kindern mit Behinderungen möglich.

Wie gehen die betroffenen Eltern damit um? Ich habe schon gehört, dass einige an Grenzen stossen. Sind Schwierigkeiten allenfalls auch abhängig von der Art der Beeinträchtigung?

Die Wohngruppen sind auch jetzt regulär geöffnet. Da haben wir einen klaren Auftrag des Kantons. Entsprechend stehen für diese Kinder Betreuungsangebote zu Verfügung. Durch den engen Kontakt mit den Eltern hören wir gut, wo der Schuh drückt. Zudem stehen die Beratungsangebote des KJZ (Kinder- und Jugendhilfzentrum) zur Verfügung.

Es gibt Kinder mit einem hohen Bewegungsdrang. Regelungen wie «zuhause bleiben» sind schwer umsetzbar. Homeoffice mit einem Kind mit Behinderung ist nahezu unmöglich. 

Ist das Distanzhalten nicht ein grosses Problem im Kontakt, in der Förderung und Arbeit mit speziellen Menschen? Ich erinnere mich, wie gerne meine Tochter (Trisomie 21) Leute umarmt. Das ist jetzt ja nicht mehr möglich.

Es gibt jetzt eine klare gesellschaftliche Regelung des Distanzhaltens. Alle machen es überall gleich. Für Kinder mit Behinderung sind die Normen jetzt einfacher umzusetzen, als wenn es viele verschiedene Arten von Distanzhalten gibt. Zum Beispiel, wenn jemand mit 16 Jahren wildfremde Personen umarmt, so ist das nie ein adäquates Verhalten. Vor der Corona-Zeit gab es aber Menschen, welche das bei behinderten Menschen zulassen – jetzt springen diese weit davon. 

Wie sieht es mit den Lehrbetrieben aus? Wie wird gearbeitet?

Es wird überall gearbeitet, teilweise – beispielsweise in der Montagewerkstatt – reduziert aufgrund der einbrechenden Auftragslage. Der Bühl-Laden ist geschlossen, die Lernenden werden aber nach Bedarf betreut. Wir haben teilweise Kurzarbeit beantragt. 

Wie ist es auf den Wohngruppen? 

Die Wohngruppen schützen sich, indem sie die Hygienemassnahmen einhalten. Zudem haben wir ein Besuchsverbot und achten darauf, dass sich die Gruppen möglichst nicht durchmischen. 

Die Gärtnerei wie auch der Bühlladen sind zu, und weitere Dienstleistungen des Bühls sind sicher auch nicht möglich momentan. Ist schon absehbar, wie sich dies wirtschaftlich auswirken wird?

Es wird sicher wirtschaftliche Auswirkungen haben. Wie gesagt, wir haben teilweise in den Betrieben Kurzarbeit beantragt. Die Folgen sind aber zurzeit noch nicht abschätzbar. Es hängt auch davon ab, wie lange der Lockdown dauern wird. 

Hat sich die Stiftung Bühl mit den anderen Institutionen abgesprochen auf ein einheitliches Verhalten? Richtlinien?

Wir erhalten vom Volksschulamt, vom kantonalen Sozialamt und von der Invalidenversicherungen Handlungsrichtlinien, die wir umsetzen. Grundlage für alles sind die Entscheide des Bundesrates und des BAG. Entsprechend haben alle Institutionen die gleichen Richtlinien. Wir pflegen, wo es hilfreich erscheint, unter den Institutionen den Erfahrungsaustausch. 

Wie arbeiten Sie, Frau Steimen, und die Verwaltung momentan? 

Ich und auch die Kadermitarbeitenden arbeiten in ihren Büros in der Stiftung Bühl und sind präsent für all die Mitarbeitenden, die bei uns auf den Wohngruppen und in den Betrieben arbeiten.  Die übrige Verwaltung ist teilweise vor Ort, teilweise wird auch Homeoffice gemacht. Selbstverständlich haben wir alle Vorkehrungen getroffen, damit die Distanz- und Hygieneregeln eingehalten werden können.  

Gibt es Prognosen, die Sie machen können, welche Auswirkungen diese Krise auf das Bühl haben wird?

Gibt es dabei allenfalls auch positive Aspekte?

Es wird wirtschaftliche Konsequenzen haben und wir wissen zurzeit nicht, wie das dann alles gelöst werden kann. Ansonsten gehen wir davon aus, dass sich die Dinge wieder normalisieren, sobald auch die Schule wieder öffnen kann. 

Gibt es im Bühl Corona-Erkrankungen? 

Wir haben bei den Mitarbeitenden vereinzelte Fälle, Hospitalisierungen waren aber bis jetzt glücklicherweise bei niemandem nötig. Die Kinder und Jugendlichen sind wohlauf. 

Zu der Situation auf den Wohngruppen äusserte sich Markus Betschart, Abteilungsleiter Schule + Wohnen:

Wie sieht das Leben auf den Wohngruppen zu Zeiten der Coronakrise aus? 

Die Eltern konnten entscheiden, ob die Kinder auf den Wohngruppen bleiben. Inzwischen sind rund zwei Drittel bei uns. Wir sind uns gewohnt, schwierige Situationen gut zu strukturieren. Bei manchen Wohngruppen ist es so, dass sicherlich morgens ein «schulähnliches» Programm stattfindet. Dabei werden wir von den Lehrpersonen unterstützt.

Wie schützt man sich? 

Wir halten die üblichen Hy­gie­ne­massnahmen ein und empfangen keine Besuche auf den Wohngruppen. Alle gruppenübergreifenden Aktionen sind abgesagt.

Werden die Schutzmassnahmen und das Abstandhalten gut eingehalten?

Manchen Kindern gelingt das sehr gut, andere haben mehr Mühe. Die Regeln sind aber klar. Wir leben aber auf einer Wohngruppe, wir schützen uns auch als Gruppe.

Was sind Schwierigkeiten?

Sind diese verschieden gelagert, je nach Person?

Im Vergleich zu Familien haben wir viel mehr Platz. Wir können auch mal mit einigen Kindern in die Turnhalle und unsere Sportplätze sind privat. Wir nutzen diese als «erweiterten Garten» und achten darauf, dass sich keine Gruppen von mehr als 4–5 Personen bilden und sich Gruppen möglichst nicht durchmischen.

Leiden die Kinder und Jugendlichen unter der Isolation? Sie dürfen ja keinen Besuch empfangen und wohl auch nicht nach Hause gehen übers Wochenende? Keine Berührungen mehr?

Manche geniessen den Zustand, keine Schule zu haben, andere vermissen ihre Schulkollegen und das Schulprogramm. Es ist etwas ruhiger. Als Leiden würde ich es nicht bezeichnen.

Die Kinder und Jugendlichen gehen in der Regel jedes zweite Wochenende wie üblich nach Hause, ausser es sei etwas anderes vereinbart.

Wie beschäftigen sich die Kinder, die jugendlichen Bewohnerinnen und Bewohner und die Betreuenden? 

Wir sind wie alle in der Bewegungsfreiheit eingeschränkt. Zwischenzeitlich haben wir eine gute Struktur. Die Wohngruppen kochen viel mehr selber, sind etwas grosszügiger im Umgang mit Medien, schauen, dass sie ihre Aufgaben erledigen, und auf manchen Wohngruppen kommt eine Lehrperson, um mit einzelnen Kindern zu arbeiten.

Wie viele Kinder und Jugendliche sind auf den Gruppen geblieben, respektive ganz nach Hause zu den Eltern gereist? 

Wie kommen die Familien klar mit der Zusatz-

belastung?

Die jüngeren Kinder sind mehrheitlich im Bühl. Total sind rund zwei Drittel der Kinder und Jugendlichen hier.

Arbeiten die Jugendlichen der Wohngruppen noch?

Die Jugendlichen, die bei uns eine Berufsausbildung machen, gehen in den Betrieben ihrer Tätigkeit nach.

Was sind die besonderen Herausforderungen für die Betreuenden? Wie geht es ihnen?

Wir arbeiten unsere Dienste. Alle Mitarbeitenden, welche zur Risikogruppe gehören, arbeiten nicht. So individuell wie die Mitarbeitenden sind, so individuell ist die Reaktion auf diese aussergewöhnliche Zeit. Unsere Sorge ist es, dass alle gesund bleiben.

Ja, und so individuell die Menschen sind, in dieser Krise sind die Anforderungen, die dieses Virus an sie stellt, für alle gleich: Möglichst viele sollen gesund bleiben! Doch in der Bewältigung und Gestaltung des Alltags, um diese wichtigen Regeln zum Schutz des Mitmenschen und sich selber herum, bleibt doch ein gewisser Gestaltungsspielraum, auch für die Menschen in der Stiftung Bühl in Wädenswil. 

Hier, wie in allen Institutionen, die Menschen betreuen, ist der Einsatz des Personals dabei von grosser Bedeutung. Es ist zu hoffen, dass diesen Menschen zukünftig von der Gesellschaft die verdiente Wertschätzung entgegengebracht wird.

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