Wie angekündigt, kommen Sie nun in den Genuss von Historischem und Überliefertem aus dem Gebiet von Schönenberg und Hütten. In den neuen «Bergquartieren» von Wädenswil hat sich in der Vergangenheit viel Spannendes ereignet. Wir wollen Ihnen diese Geschichte und Geschichten nicht vorenthalten. In den folgenden Ausgaben nehmen wir Sie, liebe Leserinnen und Leser, mit auf eine Grenzwanderung.
Jeden Morgen, jahrein, jahraus, zu jeder Jahreszeit, ob die Sonne scheint, der Himmel bedeckt ist oder gar seine schwarze Wolkenlast direkt auf die Tannwipfel des nahen Waldes zu legen scheint, wenn es regnet oder dichtes Schneegestöber den Blick in die Ferne verschleiert, und auch, wenn gleissendes Herbstlicht die Bäume in ihren kräftigsten Farben leuchten lässt, blicke ich aus meinem Schlafzimmerfenster übers Land, hinüber zum Rossberg oberhalb von Hütten, Richtung Etzel. Der Blick schweift entlang sanfter Hügelketten, die ineinander fliessen, über den Weiler Tanne zum dahinter liegenden Zürichsee. Wenn es klar ist, kann man den Seedamm nach Rapperswil und die Insel Ufenau erkennen. Dahinter erheben sich in weiter Ferne der Speer und der Säntis.
Jedes Mal, jeden einzelnen Morgen staune ich über die Schönheit dieser Landschaft und verneige mich vor der Schöpferkraft, die mir diesen gewaltigen, wunderbaren Ausblick ermöglicht.
Aber der Ausblick sagt nicht viel aus über das Leben in den Gemeinden und Kantonen, die aneinander grenzen, über Zugehörigkeitsgefühle oder gar vergangene Kriege und Händel um Landbesitz und Religionszugehörigkeit.
Doch dieses Land ist immer da in seiner Kraft und gewaltigen Schönheit.
In dieser beschaulichen, friedlichen Kulturlandschaft ist Schlachtenlärm nur schwer vorstellbar. Wir Menschen fallen auch nicht mehr plündernd übereinander her wie damals zu Zeiten der Villmergerkriege. Hütten, der südlichste Zipfel des Kantons, war mehrfach Schauplatz kriegerischer Auseinandersetzungen. Im Ersten Villmergerkrieg 1656 fielen Schwyzer Truppen plündernd und brandschatzend in die Landvogtei Wädenswil ein, und 1712 fanden während des Zweiten Villmergerkrieges im Raum Hütten Kämpfe zwischen katholischen Schwyzern und reformierten Zürcher Truppen statt. Die Verteidigungs-Schanzen prägen noch heute das Landschaftsbild – von der Hüttner Schanz geniesst man eine prächtige Aussicht.
Noch zweimal kam es im gleichen Gebiet zu kriegerischen Auseinandersetzungen. 1799, als Österreicher und Russen vergeblich versuchten, die Franzosen aus der Schweiz zu vertreiben, und während des Sonderbundkrieges 1847. Wie üblich kam die Landbevölkerung zu Schaden. Die Soldaten mussten ernährt werden, ebenso ihre Pferde und das Gerät unterhalten, dazu wurde auch so manches gestohlen. Plünderungen gehörten zum Krieg. Doch jetzt zeugt in der höchstgelegenen Gemeinde des Kantons Zürich nichts mehr von solch kriegerischen Auseinandersetzungen. Lieber erinnert man sich wohl des hohen Besuchs von Johann Wolfgang von Goethe, der während seiner ersten und seiner dritten Schweizerreise das Dorf Hütten besuchte.
Goethes Sinngedicht «Gefunden»
Ich ging im Walde
So für mich hin,
Und nichts zu suchen,
Das war mein Sinn.
Im Schatten sah ich
Ein Blümchen stehn,
Wie Sterne leuchtend,
Wie Äuglein schön.
Ich wollt es brechen,
Da sagt’s fein:
Soll ich zum Welken
Gebrochen sein?
Ich grub’s mit allen
Den Würzlein aus,
Zum Garten trug ich’s
Am hübschen Haus.
Und pflanzt’ es wieder
Am stillen Ort;
Nun zweigt es immer
Und blüht so fort.
Hütten als Kurort
Hütten war in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts ein bekannter Molkenkurort. Kurgäste, meist aus der Stadt Zürich, genossen hier Kuhmilch, später auch Ziegenmolken. Beliebt waren Spaziergänge in frischer Landluft: zum Schänzli ob der «Krone», auf das Bergli, auf die Laubegg, nach Schindellegi und über den Zittersteg auf den Rossberg. Es gab drei Gasthäuser, die den meisten Ortsansässigen noch ein Begriff sind: der «Bären», der «Löwen» und die «Krone», die mit Goethe-Zitaten geschmückt ist. Am 28. September 1797 kehrte Goethe auf seiner dritten Schweizerreise in der «Krone» zum Mittagessen ein.
Auch das Nachbardorf Schönenberg wurde von Plünderungen und Zerstörung nicht verschont. 1712, während des zweiten Villmergerkrieges, wurde der Kirchhof Schönenberg mit Kanonen und Truppen in Verteidigungsbereitschaft versetzt.
Zwischen Moränenwällen
Anfang 2019 wurden die beiden Gemeinden Schönenberg und Hütten mit der Stadt Wädenswil zusammengeschlossen. Nach über 200 Jahren der Unabhängigkeit wurde zusammengefügt, was schon einmal zusammengehörte. Es entstand eine der flächenmässig grössten Gemeinden des Kantons. Unabhängig von Zugehörigkeiten kann man hier – eingebettet in diese grandiose Landschaft – heutzutage ein gutes Leben haben, frei, reformiert oder katholisch oder keines von beidem, als Schönenbergerin, Schönenberger oder Hüttnerin, Hüttner, oder in Zukunft alle gemeinsam als Wädenswilerinnen und Wädenswiler.
Das Gemeindegebiet erstreckt sich weit, von der Halbinsel Au am Zürichsee bis hoch zum Hohen Rohnen (Höhrohnen), an die Grenzen der Kantone Schwyz und Zug und wieder hinunter an die Sihl und das Gebiet des Oberen Sihlwaldes. Die Dörfer Hütten, mit einer Fläche von 729 Hektaren, und Schönenberg, mit einer Fläche von 1100 Hektaren, finden sich in einer Moränenlandschaft, die wegen ihrer Einmaligkeit ins schweizerische Inventar der schützenswerten Landschaften aufgenommen worden ist. Hügel, sumpfige Mulden, fruchtbare Hänge und tiefeingeschnittene, waldbewachsene Bachrinnen sind Zeugen der einstigen Vergletscherung durch den Linth-Gletscher. Zwölf Moränenwälle liegen zwischen Zürichsee und Höhrohnen, fünf davon auf dem Gebiet von Hütten:
1. Kreuz (Schindellegi)–Hinterrossberg–Mistlibüel
2. Oeribüel–Schönau–Finstersee
3. Applishöhe–Bergli–Langmoos–Spitzenbüel
4. Segelweid–Arnen–Aesch–Spitzen
5. Laubegg–Wolfbüel–Humbel
Fünf Moränenwälle liegen auf dem Gebiet von Schönenberg:
1. Applishöhe –Bergli–Langmoos–Spitzenbüel – Schlossrain –Wisserlen
2. Segelweid–Arnen–Aesch–Spitzen–Senderholz
3. Laubegg–Wolfbüel–Humbel–Stollen–Rechberg–Rinderholz
4. Bellen–Bachrain–Rotenblatt–Chülpen–Muggeren
5. Weberrüti–Haslen–Egg–Tanne–Gisenrüti–Aahalden–Bachgaden
Zwischen den Moränenzügen liegen flache Mulden, die nach dem Abschmelzen des Eises der letzten Eiszeit vor rund 14 000 Jahren mit vielen kleinen Seen aufgefüllt waren. Der Hüttnersee ist ein Überbleibsel dieser Urlandschaft. Zu seiner Entstehung gibt es einiges Sagenhaftes zu berichten.
Die Sagen vom Hüttnersee
Anstelle des Seeleins befand sich vor langer Zeit ein finsterer Tannenforst. Durch ihn führte ein Pilgerpfad gegen Schindellegi nach Einsiedeln. Aus einem Holztüchel plätscherte Wasser aus einer Quelle, woran sich die Pilger laben konnten. Einmal traf ein solcher auf den «Bäselimaa», einen bärtigen Alten, der ein Bündel Riedbesen trug. Der Greis kam aus dem Einsiedler Hochtal ins Zürichbiet, um hier seine Besen zu verkaufen. Er prophezeite dem Pilger, dass dieser bei seiner Rückkehr hier keinen Wald mehr vorfinden werde. Die Voraussage erfüllte sich: Auf seinem Rückweg fand der Pilger an derselben Stelle eine dunkle, geheimnisvolle Seefläche. Darin war alles versunken, nur noch ein paar Tannspitzen lugten den Ufern nach aus dem Wasser.
Ebenfalls von einem Pilger und dem Besenmann erzählt eine andere Version. Darin gibt es einen Sodbrunnen und ein Hüttchen, worin der Besenbinder hauste. Als ein Pilger vorbeikam und um einen Trank bat, pfiff der Alte, lachte den Pilger aus und forderte ihn auf, doch selber Wasser aus der Brunnentiefe heraufzuholen, ohne ihm aber ein Gefäss dafür zu leihen. Da holte der Pilger ein Fläschen aus seinem Gewand und leerte ein paar Tropfen daraus in den Brunnen, mit den Worten: «Du sollst das Wasser höher haben, damit jeder trinken kann.» Im Sod sah man ein silbernes Kügelchen sich drehen und herumrollen und das Wasser begann anzusteigen. Die Erde wurde weich wie ein Schwamm und ringsum brachen Quellen auf. Der Pilger war verschwunden und der Besenbinder seinem Verderben preisgegeben. Die Erde bebte, und mit einem Donnerschlag versanken Wald und Hütten in den Wogen. Am Ufer des entstandenen Sees konnte man noch den Pilgerweg sehen, wie er geradewegs ins Wasser lief. Die aufsteigenden Blasen wurden gedeutet als ein Zeichen für den ertrinkenden Besenbinder, der nicht zur Ruhe kam. Manch einer meinte sogar, dessen grasgrüne Zähne heraufblecken zu sehen. Als der See im Winter zugefroren war, entdeckte man unter dem Eis die gegen die Seemitte zulaufenden Quellen. Anwohner glaubten auch, der See sei unergründlich tief und habe einen unterirdischen Abfluss, der sich bei Wädenswil in den Zürichsee ergiesse.
Die dritte Sage stammt nicht aus dem Volksmund, sondern soll eine poetische Erfindung aus der Feder eines Hüttner Kurgastes sein. In dieser Sage nun sehnt sich ein Bauernbursche aus Hütten nach einer Wasserjungfer. Er fährt auf den See, starrt ins Wasser und versucht mit Schwüren eine Seeschöne heraufzulocken. Als er eine Seerose abreisst, taucht eine Hand aus den Fluten auf und umfasst die Blume. Die Gestalt einer Wasserjungfer erscheint, erhebt sich über den Wasserspiegel und lockt den jungen Burschen in die Tiefe. Dieser ist verzaubert, springt aus dem Boot und «ward nie mehr gesehen». Seither sind die Ufer reich umsäumt mit Seerosen. An Mondscheinabenden vernimmt man das Geflüster des Paares, das aus dem Bereich der Nixen heraufwispert.
Vom Stollen zur Schlieregg
Die Sagen um Geister, Hexen, Teufel und andere Gestalten sind wie in anderen ländlichen Gegenden auch hier reich und vielfältig. Man muss bedenken, dass die einzelnen Höfe oft weit auseinanderlagen, einsam und abgelegen, nach dem Eindunkeln herrschte Finsternis. Bis Ende des 19. Jahrhunderts gab es kein elektrisches Licht. Man hatte kein Radio und keinen Fernseher. Nach getanem Tageswerk scharte man sich ums Feuer und Geschichten wurden erzählt. Noch lange konnte nicht jeder lesen und schreiben. Die Kinder gingen nur teilweise zur Schule. Das Wissen über gewisse Phänomene war nicht vorhanden und die Kirche tat ihr Übriges um die Angst vor dem Teufel zu schüren und ihre Schäfchen willfährig zu halten.
Für Missernten, Naturkatastrophen, Krankheit und Tod musste es Erklärungen geben. Gerne verbrannte man eine Hexe, wenn das feuchte Wetter die Ernte verfaulen liess oder wieder eine Seuche die Menschen zahlreich dahinraffte. So werden wir der Chrungelihexe auf unserer Grenzwanderung sicher auch noch irgendwo im dunklen Waldesdickicht begegnen. Die Topographie förderte die Einzelhofsiedlung. Sowohl Schönenberg wie auch Hütten sind Dörfer in typischer Streusiedlungslandschaft. Es ist ein aussergewöhnlich schönes, weites Land, über Jahrhunderte geschaffen durch Acker- und Viehwirtschaft.
Nun wollen wir die Grenzen der beiden Berggemeinden zu überblicken versuchen und unternehmen zu diesem Zweck eine Wanderung. Die erste Etappe beginnen wir im Stollen Schönenberg. Von da ist der Blick über das Land bis zum See weit, doch die Sich auf Schönenberg und auf Hütten bleibt uns durch den Humbel und andere kleinere Erhebungen verwehrt. Die Aussicht auf die Dörfer werden wir später noch geniessen können.
Von hier begeben wir uns zum Sihlsprung und folgen dem Ufer der Sihl, welche einen Grenzabschnitt bildet. Das typische Streusiedlungsgebiet wies früher vor allem Einzelgehöfte auf, die sich nach und nach zu Weilern vergrösserten. Zu den älteren Weilern von Schönenberg gehören Geissfeeren (das heutige Zentrum des Dorfes), Egg, Moos, Rothenblatt, Tanne und Stollen. Der Stollen ist eine Anhöhe wie Egg, Fernegg, Gubel, Hinterberg, Hohenberg, Hohenbühl (Humbel), Mittelberg, Rechberg, Chülpen (ein kolbenförmiger Hügel), Wolfbühl, Fuchsberg oder auch Stollenrain, Farbühl, Mühlebühl und Spitzenbühl. Hanglagen tragen Namen wie Rain, Finsterseehalde, Waldrain, Schlossrain, Humbelrain, Risi (steile Halde).
Auch ihren Matten gaben die Bauern Bezeichnung wie Au (wasserreiche Wiese), Bubenwies, Langwis, Matt, Neumatt, Obermatt, Sihlmatt, Stollenweid, Gschwendmatt, Hütmatt, Rietmatt, Schützenmatt. Wo besondere Bäume oder andere Pflanzen einer Gegend das Gepräge verliehen, heisst es bis heute Äsch, Wisserlen, Nussbäumen, Haslaub, Buchen, Farnbühl, Geissfeeren (Geissfarn oder kleiner Schildfarn). Der Weiler Tanne hat seinen Namen von einem Kapellchen oder einem Bildstöcklein, das in vorreformatorischer Zeit dort am Pilgerweg stand und der Patronin Anna geweiht war.
Nun aber zurück zu unserer Wanderung. Um hinunter zur Sihl zu gelangen, queren wir den Golfplatz bei der Au und die Strasse beim Aesch. Von dort geht es steil hinunter zum Suhnersteg. Die erste Abzweigung führt nach Hirzel. Auf halbem Weg dorthin lebt der bekannte Eisenplastiker Heinz Misteli. Sein Haus befindet sich schon auf Hirzler Boden, aber sein Atelier in einer Scheune steht auf Schönenberger Boden. Die Grenzlinie kommt von der Schlieregg her quer über den Golfplatz, über die Hirzelstrasse die Wiesenhänge hinunter und verläuft genau in der Mitte der beiden Gebäude, bevor sie den Wald hinab zum Sihlsprung führt.
Die Drumlins und ihre Legenden
Von der Schlieregg aus geniesst man übrigens einen atemberaubenden Blick über die hügelige Landschaft. Auf fast jeder Erhebung steht eine Linde. Die Hügel, Drumlin genannt, charakterisieren diese einzigartige, «schützenswerte» Landschaft.
Auch um die Drumlins ranken sich Legenden: Eine besagt, dass die Bauern den Teufel um mehr Land anflehten, weil die vorhandenen Anbauflächen nicht mehr ausreichten. Dies nachdem sie natürlich zuerst Gott darum gebeten hatten. Dieser aber hatte sie zu mehr Bescheidenheit ermahnt.
Nun, der Teufel wollte den Wunsch erfüllen, unter der Bedingung – der Teufel stellt immer Bedingungen – dass sich die Bauern ihm verschrieben. Als der Handel unter Dach und Fach war begann der Teufel mit seinen Gehilfen den Boden von unten her nach oben zu stemmen.
So entstanden die Hügel und somit mehr Land. Zuerst war die Freude gross, doch dann stellte man fest, dass die Bewirtschaftung der steilen Flächen sehr umständlich, wenn nicht gar schwierig war. Die Bauern fühlten sich vom Teufel betrogen. Darum stellten sie auf jeden Hügel entweder ein Kreuz oder einen Lindenbaum, der ein Symbol für Kraft und Liebe ist und somit als heilig gilt, weswegen er vom Teufel verabscheut und gemieden wird. So steht bis heute fast auf jedem der Moränenhügel ein Lindenbaum. Auch Kreuze gibt es noch vereinzelt.
Tatsächlich handelt es sich bei den Linden hauptsächlich um Erinnerungsbäume. Einige wurden zum Gedenken an politische oder historische Ereignisse gepflanzt. Andere hingegen, wenn auf einem Hof ein Stammhalter geboren wurde. Dann setzte der Landwirt einen Lindenbaum als Symbol der Kraft auf einen Hügel, in der Hoffnung, dass der Nachkomme lang lebe und bei guter Gesundheit bleibe. Andere Linden sind Überreste von verschwundenen Grenzhecken. (Text und Bild: iel)
Der Text wurde im Jahrbuch der Stadt Wädenswil 2018 veröffentlicht. Es ist erhältlich in den Wädenswiler Buchhandlungen, bei Stutz Medien und in der Kulturgarage.
Wie angekündigt, kommen Sie nun in den Genuss von Historischem und Überliefertem aus dem Gebiet von Schönenberg und Hütten. In den neuen «Bergquartieren» von Wädenswil hat sich in der Vergangenheit viel Spannendes ereignet. Wir wollen Ihnen diese Geschichte und Geschichten nicht vorenthalten. In den folgenden Ausgaben nehmen wir Sie, liebe Leserinnen und Leser, mit auf eine Grenzwanderung.
Jeden Morgen, jahrein, jahraus, zu jeder Jahreszeit, ob die Sonne scheint, der Himmel bedeckt ist oder gar seine schwarze Wolkenlast direkt auf die Tannwipfel des nahen Waldes zu legen scheint, wenn es regnet oder dichtes Schneegestöber den Blick in die Ferne verschleiert, und auch, wenn gleissendes Herbstlicht die Bäume in ihren kräftigsten Farben leuchten lässt, blicke ich aus meinem Schlafzimmerfenster übers Land, hinüber zum Rossberg oberhalb von Hütten, Richtung Etzel. Der Blick schweift entlang sanfter Hügelketten, die ineinander fliessen, über den Weiler Tanne zum dahinter liegenden Zürichsee. Wenn es klar ist, kann man den Seedamm nach Rapperswil und die Insel Ufenau erkennen. Dahinter erheben sich in weiter Ferne der Speer und der Säntis.
Jedes Mal, jeden einzelnen Morgen staune ich über die Schönheit dieser Landschaft und verneige mich vor der Schöpferkraft, die mir diesen gewaltigen, wunderbaren Ausblick ermöglicht.
Aber der Ausblick sagt nicht viel aus über das Leben in den Gemeinden und Kantonen, die aneinander grenzen, über Zugehörigkeitsgefühle oder gar vergangene Kriege und Händel um Landbesitz und Religionszugehörigkeit.
Doch dieses Land ist immer da in seiner Kraft und gewaltigen Schönheit.
In dieser beschaulichen, friedlichen Kulturlandschaft ist Schlachtenlärm nur schwer vorstellbar. Wir Menschen fallen auch nicht mehr plündernd übereinander her wie damals zu Zeiten der Villmergerkriege. Hütten, der südlichste Zipfel des Kantons, war mehrfach Schauplatz kriegerischer Auseinandersetzungen. Im Ersten Villmergerkrieg 1656 fielen Schwyzer Truppen plündernd und brandschatzend in die Landvogtei Wädenswil ein, und 1712 fanden während des Zweiten Villmergerkrieges im Raum Hütten Kämpfe zwischen katholischen Schwyzern und reformierten Zürcher Truppen statt. Die Verteidigungs-Schanzen prägen noch heute das Landschaftsbild – von der Hüttner Schanz geniesst man eine prächtige Aussicht.
Noch zweimal kam es im gleichen Gebiet zu kriegerischen Auseinandersetzungen. 1799, als Österreicher und Russen vergeblich versuchten, die Franzosen aus der Schweiz zu vertreiben, und während des Sonderbundkrieges 1847. Wie üblich kam die Landbevölkerung zu Schaden. Die Soldaten mussten ernährt werden, ebenso ihre Pferde und das Gerät unterhalten, dazu wurde auch so manches gestohlen. Plünderungen gehörten zum Krieg. Doch jetzt zeugt in der höchstgelegenen Gemeinde des Kantons Zürich nichts mehr von solch kriegerischen Auseinandersetzungen. Lieber erinnert man sich wohl des hohen Besuchs von Johann Wolfgang von Goethe, der während seiner ersten und seiner dritten Schweizerreise das Dorf Hütten besuchte.
Goethes Sinngedicht «Gefunden»
Ich ging im Walde
So für mich hin,
Und nichts zu suchen,
Das war mein Sinn.
Im Schatten sah ich
Ein Blümchen stehn,
Wie Sterne leuchtend,
Wie Äuglein schön.
Ich wollt es brechen,
Da sagt’s fein:
Soll ich zum Welken
Gebrochen sein?
Ich grub’s mit allen
Den Würzlein aus,
Zum Garten trug ich’s
Am hübschen Haus.
Und pflanzt’ es wieder
Am stillen Ort;
Nun zweigt es immer
Und blüht so fort.
Hütten als Kurort
Hütten war in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts ein bekannter Molkenkurort. Kurgäste, meist aus der Stadt Zürich, genossen hier Kuhmilch, später auch Ziegenmolken. Beliebt waren Spaziergänge in frischer Landluft: zum Schänzli ob der «Krone», auf das Bergli, auf die Laubegg, nach Schindellegi und über den Zittersteg auf den Rossberg. Es gab drei Gasthäuser, die den meisten Ortsansässigen noch ein Begriff sind: der «Bären», der «Löwen» und die «Krone», die mit Goethe-Zitaten geschmückt ist. Am 28. September 1797 kehrte Goethe auf seiner dritten Schweizerreise in der «Krone» zum Mittagessen ein.
Auch das Nachbardorf Schönenberg wurde von Plünderungen und Zerstörung nicht verschont. 1712, während des zweiten Villmergerkrieges, wurde der Kirchhof Schönenberg mit Kanonen und Truppen in Verteidigungsbereitschaft versetzt.
Zwischen Moränenwällen
Anfang 2019 wurden die beiden Gemeinden Schönenberg und Hütten mit der Stadt Wädenswil zusammengeschlossen. Nach über 200 Jahren der Unabhängigkeit wurde zusammengefügt, was schon einmal zusammengehörte. Es entstand eine der flächenmässig grössten Gemeinden des Kantons. Unabhängig von Zugehörigkeiten kann man hier – eingebettet in diese grandiose Landschaft – heutzutage ein gutes Leben haben, frei, reformiert oder katholisch oder keines von beidem, als Schönenbergerin, Schönenberger oder Hüttnerin, Hüttner, oder in Zukunft alle gemeinsam als Wädenswilerinnen und Wädenswiler.
Das Gemeindegebiet erstreckt sich weit, von der Halbinsel Au am Zürichsee bis hoch zum Hohen Rohnen (Höhrohnen), an die Grenzen der Kantone Schwyz und Zug und wieder hinunter an die Sihl und das Gebiet des Oberen Sihlwaldes. Die Dörfer Hütten, mit einer Fläche von 729 Hektaren, und Schönenberg, mit einer Fläche von 1100 Hektaren, finden sich in einer Moränenlandschaft, die wegen ihrer Einmaligkeit ins schweizerische Inventar der schützenswerten Landschaften aufgenommen worden ist. Hügel, sumpfige Mulden, fruchtbare Hänge und tiefeingeschnittene, waldbewachsene Bachrinnen sind Zeugen der einstigen Vergletscherung durch den Linth-Gletscher. Zwölf Moränenwälle liegen zwischen Zürichsee und Höhrohnen, fünf davon auf dem Gebiet von Hütten:
1. Kreuz (Schindellegi)–Hinterrossberg–Mistlibüel
2. Oeribüel–Schönau–Finstersee
3. Applishöhe–Bergli–Langmoos–Spitzenbüel
4. Segelweid–Arnen–Aesch–Spitzen
5. Laubegg–Wolfbüel–Humbel
Fünf Moränenwälle liegen auf dem Gebiet von Schönenberg:
1. Applishöhe –Bergli–Langmoos–Spitzenbüel – Schlossrain –Wisserlen
2. Segelweid–Arnen–Aesch–Spitzen–Senderholz
3. Laubegg–Wolfbüel–Humbel–Stollen–Rechberg–Rinderholz
4. Bellen–Bachrain–Rotenblatt–Chülpen–Muggeren
5. Weberrüti–Haslen–Egg–Tanne–Gisenrüti–Aahalden–Bachgaden
Zwischen den Moränenzügen liegen flache Mulden, die nach dem Abschmelzen des Eises der letzten Eiszeit vor rund 14 000 Jahren mit vielen kleinen Seen aufgefüllt waren. Der Hüttnersee ist ein Überbleibsel dieser Urlandschaft. Zu seiner Entstehung gibt es einiges Sagenhaftes zu berichten.
Die Sagen vom Hüttnersee
Anstelle des Seeleins befand sich vor langer Zeit ein finsterer Tannenforst. Durch ihn führte ein Pilgerpfad gegen Schindellegi nach Einsiedeln. Aus einem Holztüchel plätscherte Wasser aus einer Quelle, woran sich die Pilger laben konnten. Einmal traf ein solcher auf den «Bäselimaa», einen bärtigen Alten, der ein Bündel Riedbesen trug. Der Greis kam aus dem Einsiedler Hochtal ins Zürichbiet, um hier seine Besen zu verkaufen. Er prophezeite dem Pilger, dass dieser bei seiner Rückkehr hier keinen Wald mehr vorfinden werde. Die Voraussage erfüllte sich: Auf seinem Rückweg fand der Pilger an derselben Stelle eine dunkle, geheimnisvolle Seefläche. Darin war alles versunken, nur noch ein paar Tannspitzen lugten den Ufern nach aus dem Wasser.
Ebenfalls von einem Pilger und dem Besenmann erzählt eine andere Version. Darin gibt es einen Sodbrunnen und ein Hüttchen, worin der Besenbinder hauste. Als ein Pilger vorbeikam und um einen Trank bat, pfiff der Alte, lachte den Pilger aus und forderte ihn auf, doch selber Wasser aus der Brunnentiefe heraufzuholen, ohne ihm aber ein Gefäss dafür zu leihen. Da holte der Pilger ein Fläschen aus seinem Gewand und leerte ein paar Tropfen daraus in den Brunnen, mit den Worten: «Du sollst das Wasser höher haben, damit jeder trinken kann.» Im Sod sah man ein silbernes Kügelchen sich drehen und herumrollen und das Wasser begann anzusteigen. Die Erde wurde weich wie ein Schwamm und ringsum brachen Quellen auf. Der Pilger war verschwunden und der Besenbinder seinem Verderben preisgegeben. Die Erde bebte, und mit einem Donnerschlag versanken Wald und Hütten in den Wogen. Am Ufer des entstandenen Sees konnte man noch den Pilgerweg sehen, wie er geradewegs ins Wasser lief. Die aufsteigenden Blasen wurden gedeutet als ein Zeichen für den ertrinkenden Besenbinder, der nicht zur Ruhe kam. Manch einer meinte sogar, dessen grasgrüne Zähne heraufblecken zu sehen. Als der See im Winter zugefroren war, entdeckte man unter dem Eis die gegen die Seemitte zulaufenden Quellen. Anwohner glaubten auch, der See sei unergründlich tief und habe einen unterirdischen Abfluss, der sich bei Wädenswil in den Zürichsee ergiesse.
Die dritte Sage stammt nicht aus dem Volksmund, sondern soll eine poetische Erfindung aus der Feder eines Hüttner Kurgastes sein. In dieser Sage nun sehnt sich ein Bauernbursche aus Hütten nach einer Wasserjungfer. Er fährt auf den See, starrt ins Wasser und versucht mit Schwüren eine Seeschöne heraufzulocken. Als er eine Seerose abreisst, taucht eine Hand aus den Fluten auf und umfasst die Blume. Die Gestalt einer Wasserjungfer erscheint, erhebt sich über den Wasserspiegel und lockt den jungen Burschen in die Tiefe. Dieser ist verzaubert, springt aus dem Boot und «ward nie mehr gesehen». Seither sind die Ufer reich umsäumt mit Seerosen. An Mondscheinabenden vernimmt man das Geflüster des Paares, das aus dem Bereich der Nixen heraufwispert.
Vom Stollen zur Schlieregg
Die Sagen um Geister, Hexen, Teufel und andere Gestalten sind wie in anderen ländlichen Gegenden auch hier reich und vielfältig. Man muss bedenken, dass die einzelnen Höfe oft weit auseinanderlagen, einsam und abgelegen, nach dem Eindunkeln herrschte Finsternis. Bis Ende des 19. Jahrhunderts gab es kein elektrisches Licht. Man hatte kein Radio und keinen Fernseher. Nach getanem Tageswerk scharte man sich ums Feuer und Geschichten wurden erzählt. Noch lange konnte nicht jeder lesen und schreiben. Die Kinder gingen nur teilweise zur Schule. Das Wissen über gewisse Phänomene war nicht vorhanden und die Kirche tat ihr Übriges um die Angst vor dem Teufel zu schüren und ihre Schäfchen willfährig zu halten.
Für Missernten, Naturkatastrophen, Krankheit und Tod musste es Erklärungen geben. Gerne verbrannte man eine Hexe, wenn das feuchte Wetter die Ernte verfaulen liess oder wieder eine Seuche die Menschen zahlreich dahinraffte. So werden wir der Chrungelihexe auf unserer Grenzwanderung sicher auch noch irgendwo im dunklen Waldesdickicht begegnen. Die Topographie förderte die Einzelhofsiedlung. Sowohl Schönenberg wie auch Hütten sind Dörfer in typischer Streusiedlungslandschaft. Es ist ein aussergewöhnlich schönes, weites Land, über Jahrhunderte geschaffen durch Acker- und Viehwirtschaft.
Nun wollen wir die Grenzen der beiden Berggemeinden zu überblicken versuchen und unternehmen zu diesem Zweck eine Wanderung. Die erste Etappe beginnen wir im Stollen Schönenberg. Von da ist der Blick über das Land bis zum See weit, doch die Sich auf Schönenberg und auf Hütten bleibt uns durch den Humbel und andere kleinere Erhebungen verwehrt. Die Aussicht auf die Dörfer werden wir später noch geniessen können.
Von hier begeben wir uns zum Sihlsprung und folgen dem Ufer der Sihl, welche einen Grenzabschnitt bildet. Das typische Streusiedlungsgebiet wies früher vor allem Einzelgehöfte auf, die sich nach und nach zu Weilern vergrösserten. Zu den älteren Weilern von Schönenberg gehören Geissfeeren (das heutige Zentrum des Dorfes), Egg, Moos, Rothenblatt, Tanne und Stollen. Der Stollen ist eine Anhöhe wie Egg, Fernegg, Gubel, Hinterberg, Hohenberg, Hohenbühl (Humbel), Mittelberg, Rechberg, Chülpen (ein kolbenförmiger Hügel), Wolfbühl, Fuchsberg oder auch Stollenrain, Farbühl, Mühlebühl und Spitzenbühl. Hanglagen tragen Namen wie Rain, Finsterseehalde, Waldrain, Schlossrain, Humbelrain, Risi (steile Halde).
Auch ihren Matten gaben die Bauern Bezeichnung wie Au (wasserreiche Wiese), Bubenwies, Langwis, Matt, Neumatt, Obermatt, Sihlmatt, Stollenweid, Gschwendmatt, Hütmatt, Rietmatt, Schützenmatt. Wo besondere Bäume oder andere Pflanzen einer Gegend das Gepräge verliehen, heisst es bis heute Äsch, Wisserlen, Nussbäumen, Haslaub, Buchen, Farnbühl, Geissfeeren (Geissfarn oder kleiner Schildfarn). Der Weiler Tanne hat seinen Namen von einem Kapellchen oder einem Bildstöcklein, das in vorreformatorischer Zeit dort am Pilgerweg stand und der Patronin Anna geweiht war.
Nun aber zurück zu unserer Wanderung. Um hinunter zur Sihl zu gelangen, queren wir den Golfplatz bei der Au und die Strasse beim Aesch. Von dort geht es steil hinunter zum Suhnersteg. Die erste Abzweigung führt nach Hirzel. Auf halbem Weg dorthin lebt der bekannte Eisenplastiker Heinz Misteli. Sein Haus befindet sich schon auf Hirzler Boden, aber sein Atelier in einer Scheune steht auf Schönenberger Boden. Die Grenzlinie kommt von der Schlieregg her quer über den Golfplatz, über die Hirzelstrasse die Wiesenhänge hinunter und verläuft genau in der Mitte der beiden Gebäude, bevor sie den Wald hinab zum Sihlsprung führt.
Die Drumlins und ihre Legenden
Von der Schlieregg aus geniesst man übrigens einen atemberaubenden Blick über die hügelige Landschaft. Auf fast jeder Erhebung steht eine Linde. Die Hügel, Drumlin genannt, charakterisieren diese einzigartige, «schützenswerte» Landschaft.
Auch um die Drumlins ranken sich Legenden: Eine besagt, dass die Bauern den Teufel um mehr Land anflehten, weil die vorhandenen Anbauflächen nicht mehr ausreichten. Dies nachdem sie natürlich zuerst Gott darum gebeten hatten. Dieser aber hatte sie zu mehr Bescheidenheit ermahnt.
Nun, der Teufel wollte den Wunsch erfüllen, unter der Bedingung – der Teufel stellt immer Bedingungen – dass sich die Bauern ihm verschrieben. Als der Handel unter Dach und Fach war begann der Teufel mit seinen Gehilfen den Boden von unten her nach oben zu stemmen.
So entstanden die Hügel und somit mehr Land. Zuerst war die Freude gross, doch dann stellte man fest, dass die Bewirtschaftung der steilen Flächen sehr umständlich, wenn nicht gar schwierig war. Die Bauern fühlten sich vom Teufel betrogen. Darum stellten sie auf jeden Hügel entweder ein Kreuz oder einen Lindenbaum, der ein Symbol für Kraft und Liebe ist und somit als heilig gilt, weswegen er vom Teufel verabscheut und gemieden wird. So steht bis heute fast auf jedem der Moränenhügel ein Lindenbaum. Auch Kreuze gibt es noch vereinzelt.
Tatsächlich handelt es sich bei den Linden hauptsächlich um Erinnerungsbäume. Einige wurden zum Gedenken an politische oder historische Ereignisse gepflanzt. Andere hingegen, wenn auf einem Hof ein Stammhalter geboren wurde. Dann setzte der Landwirt einen Lindenbaum als Symbol der Kraft auf einen Hügel, in der Hoffnung, dass der Nachkomme lang lebe und bei guter Gesundheit bleibe. Andere Linden sind Überreste von verschwundenen Grenzhecken. (Text und Bild: iel)
Der Text wurde im Jahrbuch der Stadt Wädenswil 2018 veröffentlicht. Es ist erhältlich in den Wädenswiler Buchhandlungen, bei Stutz Medien und in der Kulturgarage.