Am Montag, 25. Januar, hat im «Heimetli mit Herz» an der Dorfstrasse eine von den Grünliberalen (GLP) organisierte Informationsveranstaltung stattgefunden. Mit Nationalrat Patrick Hässig und Lui Biele konnten zwei Referenten gewonnen werden, die aus erster Hand erzählen konnten, wo in den heutigen Strukturen der Schuh drückt.
Text & Bilder: Reni Bircher
Wie Raffael Grütter, Co-Präsident der GLP Richterswil, erklärte, haben die steigenden Gesundheitskosten bei einer herbstlichen Parteisitzung für viel Gesprächsstoff gesorgt. Deshalb wurde das Event «Gesundheit – wie weiter?» organisiert, um von zwei Persönlichkeiten direkt aus der Praxis zu erfahren, wo die Probleme, aber auch mögliche Lösungen, liegen.
Nach der Begrüssung aller Anwesenden berichtete als erster Referent Lui Biele von seinem Werdegang und wie es zur Gründung vom «Heimetli» vor fünf Jahren kam. Lui hat in leitender Funktion viele Jahre in Zürich in leistungsorientierten Betrieben gearbeitet, wo er immer wieder feststellen musste, dass Menschen, die aus komplexen, schwierigen Familienverhältnissen kommen, innert kürzester Zeit aus dem Angebot ausgeschlossen wurden, da deren Angebot zu hochschwellig war. «Eine Klinik ist eine gute Option, aber keine, um wiederholt dorthin zurückzukehren, weil das Angebot nicht darauf ausgerichtet ist, stark traumatisierte Menschen bedürfnisgerecht zu betreuen und es keine Alternativen gibt», ist Lui überzeugt.
Seine Suche nach Institutionen für Menschen, die psychische und/oder sexuelle Gewalt oder Verwahrlosung erlebt haben, blieb erfolglos. Eine normale, leistungsorientierte Tagesstruktur, wie eine Schule, ist für traumatisierte junge Menschen aufgrund ihrer Leidens- und/oder Lebensgeschichte nicht zu bewältigen.
Deshalb gründete Lui Biele eine Institution, welche sich um die erwähnte Gesellschaftsgruppe kümmert. Seit vielen Jahren nahmen Lui und seine Lebensgefährtin Pflegekinder bei sich auf – und lernten schnell, was es bedeutet, traumatisierte Jugendliche 24 Stunden an sieben Wo-chentagen zu begleiten. Aus diesen beruflichen und privat ergänzten Erfahrungen kristallisierte sich das Konzept der pädagogischen Tagesstruktur heraus, und so entstand das «Heimetli mit Herz» am oberen Dorfrand von Richterswil – ein Ort, wo die Jugendlichen zwischen 14 und 22 Jahren aufgefangen werden, um mit ihnen niederschwellig einen Weg zurück ins Leben und die Gesellschaft zu finden.
Suche nach geschütztem Rahmen
Corona bzw. der Lockdown hat ganz vieles bei Beziehungsstrukturen, die schon zuvor suboptimal waren, ausgelöst bzw. verschlechtert.
Die Zuspitzung, dass die mentale Gesundheit vor allem bei jungen Menschen immer häufiger in Schieflage gerät, sieht Lui unter anderem in den digitalen Medien: Eltern wie Kinder sind oftmals überfordert mit der Geschwindigkeit, die diese Entwicklung nimmt. Der gesellschaftliche Druck lässt zu, dass bereits Zehnjährige ein Smartphone besitzen. Die Überforderung passiert ebenso bei den Sicherheitsvorkehrungen, was an Medien konsumiert werden kann. «Was für ‹Dreck› an diese jungen Menschen herangetragen wird, können diese kaum verarbeiten», weiss Lui aus Erfahrung.
Die Kumulierung und Komplexität von Traumatisierung, der allgemeinen Überforderung und dem für Jugendliche «normale» Zustand von Noch-nicht-Wissen, wer sie sind und wohin sie im Leben wollen, führt zur absoluten Orientierungslosigkeit.
Von grosser Bedeutung im «Heimetli»-Alltag sind die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, welche für die Jugendlichen da sind. Der Umgang mit Traumatisierten und die permanente Präsenz verlange dem Personal viel ab. «Die Arbeitstage unserer Leute sind intensiv, und da müssen Grenzen gezogen werden, um das Personal und ihre Gesundheit zu schützen», ist sich der Arbeitgeber dieser Verantwortung bewusst.
Festgefahrene Strukturen aufbrechen
In diesem Bereich der Sozialarbeit scheint das System nicht nachhaltig zu greifen, was für alle Beteiligten frustrierend ist, viel Energie und wertvolle Zeit kostet, die für weitere Patientinnen und Patienten eingesetzt werden könnte, und massive Kosten verursacht.
Lui erklärt den Anwesenden, dass in der Praxis zu kurzzeitig und ein Konzept nicht allumfassend gedacht werde. Eine Klinik habe den Auftrag, den Menschen so weit zu stabilisieren, dass er entlassen werden kann. Danach tritt eine Es-geht-uns-nichts-mehr-an-Haltung ein und es gibt ein Beziehungsabbruch. «Möglicherweise kommt der Jugendliche in eine nächste Institution, und wenn er erneut eine schlechte Phase durchmacht, dann beginnt das ganze Prozedere von vorn: Klinikaufenthalt, der zu Lasten der Krankenkasse geht, die nächste Institution muss von Kostenträgern übernommen werden, und wenn es dem Jugendlichen nicht gelingt, drei bis sechs Monate einer geregelten Struktur nachgehen zu können, beginnt die meist lange andauernde Abwärtsspirale. Wenn diese ‹Massnahmen› nicht greifen können, wird der betroffene Mensch zum Sozialfall», bedauert Lui zutiefst.
Die Gefühle, welche diese Rückschritte bei den Menschen auslösen, sind Verzweiflung, Unzulänglichkeit und Wertlosigkeit. Dies gälte es mit einem nachhaltigen, durchdachten System zu verhindern. Für jedes Raster würde jemand Geld bezahlen, aber es sei anscheinend unmöglich, gemeinsam ein sinnvolles und nachhaltiges System zu erarbeiten: «Jeder denkt für sich, aber selten für den Menschen».
Wenn die Arbeit nach diesen neuen Grundsätzen gemacht würde, könnte neben viel Geld gespart auch viel Leid erspart werden.
Neue Wege
In der pädagogischen Tagesstruktur am Berg finden 10 bis 14 Jugendliche Platz, 9 bis 12 Angestellte werden beschäftigt. Einige arbeiten im Hintergrund, denn die ganzen Abläufe, die Bürokratie und die «Kämpfe» mit den Ämtern sind enorm zeitraubend.
Subventionszahlungen finden keine statt: «Dadurch, dass ich mit dem ‹Heimetli› einen ganz neuen Weg beschreite, gibt es noch keine Gesetzgebung», erklärt Lui die Umstände. Von der fachlichen Kompetenz her sei es kein Thema, aber weil seine Institution weder Schule noch Integrationszentrum oder leistungsorientiert arbeite, sondern nach der Klinik der Zwischenschritt zur Integration sei, ist es kein Thema. «Ich bin im Gespräch mit dem Kanton, aber wie man weiss, dauern Anpassungen im Gesetz immer sehr lange.»
Raffael Grütter möchte von Lui wissen, ob es die Jugendlichen aus dem «Heimetli» schaffen würden, diese vorgängig erläuterte Spirale zu durchbrechen: «Ja, bis jetzt schaffen wir es».
Sozialarbeit kann nie wirtschaftlich sein
Auf die Zuhörerfrage, ob die Institution finanzierbar sei, lautet die Antwort: keine Jugendlichen, kein Geld. «Natürlich könnte ich das Haus füllen ‹bis zum Dach›, das wäre aber niemandem dienlich», antwortet der «Heimetli»-Gründer. Sie sind auf Spendengelder von Stiftungen angewiesen und Menschen, die sie in ihrer Arbeit unterstützen. Mehr als dankbar sind sie für die Möglichkeit, ihre Liegenschaften zu einen sehr fairen Preis mieten zu dürfen.
Der Tagesstätte angehängt ist der Laden im Dorf, wo auch das Event stattfand. Dort werden grösstenteils Waren verkauft, welche in den Werkstätten vom «Heimetli» entstanden sind. Er dient nicht nur als Einnahmequelle, sondern auch als Werbeplattform für die Institution. «Wir möchten unsere Arbeitsweise, Beweggründe und Ideen in die Gesellschaft tragen, damit das nicht irgendwo im Hintergrund passiert. Hier kann ein Austausch stattfinden mit den Menschen, die sich im Laden umsehen oder einfach an der Bar etwas trinken wollen», erläutert Lui das Ladenkonzept.
Alltag eines Pflegefachmannes
Als nächster Referent durfte Patrick Hässig von seinem Werdegang und seinen Erfahrungen aus dem Kindernotfall im Stadtspital Zürich berichten. Seine berufliche Laufbahn begann mit einer KV-Lehre, später eiferte er seinem Vater nach und war 18 Jahre als Radiomoderator bei diversen Sendern angestellt. Die Umstände brachten ihn mit 34 Jahren während seines Zivildienst-Einsatzes ins Zürcher Waidspital, wo er Spitalbetten reinigte und interne Patiententransporte durchführte. Die Arbeiten der Pflegefachleute und Ärzte beeindruckten ihn nachhaltig, das ganze Umfeld fand er spannend.
Zurück beim Sender machte sich bei Patrick die «Zukunftsfrage» breit: «Ich habe am Radio für Zehntausende die Morgensendung gemacht, sass aber allein in meinem Studio – und ich spürte, dass mir die direkte Arbeit mit Menschen fehlt». Dieses Gefühl liess ihn vier Jahre lang nicht los, und so machte er die Ausbildung zum Dipl. Pflegefachmann HF und arbeitete seit 2018 im Stadtspital Zürich auf der Inneren Medizin und nun seit einem Jahr auf der Kinder-Notfallstation im Triemli.
«Pflege ‹sieht› man nicht, solange man sie nicht benötigt», beobachtete Patrick, «dabei gehört der Pflegeberuf zu einer der grössten Berufsgruppen unseres Landes, mit über 200 000 Menschen.» In den sozialen Medien begann er über den Alltag eines Pflegenden zu berichten, was auf grosses Interesse stiess. Etwa zur selben Zeit kam die Pflegeinitiative vors Volk – und Corona. Augenscheinlich war dieses «Gesamtpaket» Grund genug, im Herbst 2021 einen Nicht-Politiker in die SRF-Arena-Sendung einzuladen. «Dort habe ich von meinen Erlebnissen im Spital erzählt – ungefiltert, wohlgemerkt», erinnerte sich der Redner amüsiert.
Nach Ausstrahlung der Sendung füllten hunderte Nachrichten sein Mail- und Instagramkonto und den Briefkasten. «Das zeigte mir, dass es in der Bevölkerung ein grosses Vakuum gab, denn die Leute waren dankbar, dass endlich mal jemand die Tatsachen auf den Tisch gelegt hat.» Und: da ist noch Luft nach oben. Und die Pflegeinitiative wurde mit 61% samt Ständemehr angenommen.
Der Wunsch, etwas zu bewegen
Diese Erlebnisse brachten Patrick Hässig zur Überzeugung, dass mit politischem Engagement – vor allem mit einem Alleinstellungsmerkmal, also einzigartigen Vorzügen und Eigenschaften – möglicherweise etwas erreicht und die Leute auch «abgeholt» und motiviert werden können. So wurde er 2022 Gemeinderat (GLP) in der Stadt Zürich, im Mai 2023 Zürcher Kantonsrat und nach den Wahlen vergangenen Herbst Nationalrat. In dieser Position versucht er, die Probleme, Defizite, und Geschichten aus der Praxis zu schildern und Lösungsvorschläge zu denken. «Als Mann aus der Praxis und als einziger Pflegefachmann im Parlament, der noch direkt am Bett mit den Patienten arbeitet, kann ich die Ist-Situation schildern», erklärte Patrick. «Es geht darum, die Bedürfnisse des Personals – nicht nur Pflege, sondern auch Assistenzärzteschaft usw. – aufs Parkett zu bringen.»
Die Publikumsfrage, wie er als Nationalrat die Politik zu prägen gedenke, beantwortet der Referent pragmatisch: «Leider bin ich nicht in der Gesundheitskommission, was am Anciennitätsprinzip liegt. Es ist aber sicher ein Ziel von mir.»
Ob dort denn «geeignete» Personen drin wären, wurde weiter nachgefragt. «Die Präsidentin des Spitalverbandes H+ und ein Verwaltungsrat einer grossen Krankenkasse sind z.B. drin. Eine neu gewählte Pflegfachfrau aus Solothurn sowie eine Oberärztin des Kantons Zürich, die Spitexpräsidentin des Kantons Bern und ich als Pflegefachmann, sind nicht in dieser Kommission. Also eigentlich alle, die eine fachkundige Expertise einbringen könnten …». Spannenderweise werden in der Rechtskommission diverse Sitze von Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälten belegt – diese Information liess die Anwesenden nur leer schlucken.
Defizite und Unwissen
Inzwischen arbeitet Patrick Hässig noch 40% im Kinder-Notfallspital und schildert den Anwesenden, was dort an einem normalen Arbeitstag alles los ist: «Es fängt schon damit an, dass viele Krankheiten oder Vorkommnisse keine Notfälle sind: Muskelkater, Mückenstiche, aufgeschlagene Lippe von der Tischkante, Regelbeschwerden und dergleichen. Alles Sachen, die nichts auf der Notfallstation eines Akutspitals zu suchen haben, sondern das Personal daran hindern, sich um die wirklichen Notfälle zu kümmern, für die wir ausgebildet und angestellt sind.»
Das habe ihm die Augen geöffnet. «Es geht um Gesundheitskompetenz* (Wer macht heute noch Essigsocken?) und darum, dass die Medizin gewissermassen zu einem Selbstbedienungsladen verkommt.»
Wenn man ehrlich sein wolle, so sei das auch ein kulturelles Problem: «Andere Länder kennen das System mit einem Hausarzt nicht», erläutert Patrick Hässig. «Die gehen direkt ins Spital. Es gibt auch Leute, die ‹vorsorglich› vor dem Wochenende ihr Kind durchchecken lassen wollen, unerheblich, wie es ihm geht.» Die heutigen Tages- oder Familienstrukturen würden durch eine Erkrankung völlig aus der Bahn geworfen. Auch die Erwartungshaltung vieler Menschen ist überdurchschnittlich hoch und in ähnlichem Ausmass die Unselbständigkeit, sich um Kleinigkeiten – wie ein Schnitt im Finger oder ein Zäpfchen verabreichen – selbst zu kümmern.
Ein Triagesystem wurde im Notfall bereits eingeführt. Das jedoch führe manchmal zu unschönen Szenen und verbalen Angriffen (vor allem bei weiblichem Personal) durch Wartende.
An eine Senkung der Kosten mag der Nationalrat nicht glauben, auch wenn es Leute gibt, welche das propagieren. Denn eine gute Versorgung kostet. Dann spricht die Demografie eine andere Sprache: «Wir haben immer mehr Menschen im Land, diese werden immer älter. Personen über 90 Jahren kosten am meisten, wenn sie erkranken. Und wir haben nach wie vor Personalmangel.»
Dieser wird umso schwieriger, weil es an einer einheitlichen Digitalisierung fehlt, die einzelnen IT-Systeme nicht einmal untereinander kompatibel sind. So muss vieles wieder neu dokumentiert und bei Ärzten die Medikamentenliste nachgefragt werden, das kostet Zeit und Geld. Als Grund für diesen Unsinn wird immer wieder der Datenschutz vorgeschoben.
Personal nicht nur ausbilden, sondern auch halten
Die jährlichen Gesundheitskosten der Schweiz liegen bei 90 Milliarden Franken. Patrick Hässig wirft die Frage auf, ob es wirklich nötig ist, dass mehrere Spitäler in umliegendem Gebiet wirklich einen 24-Stunden-Betrieb aufrecht erhalten müssen. «Von dreien könnte sicher eines zum Tagesspital werden.» Das spart Kosten, und das Personal muss nicht mehr in drei, sondern zwei Schichten arbeiten. «Schichtarbeit darf man nicht unterschätzen: sie macht die Leute kaputt, je älter sie werden. Das merke ich bereits jetzt mit 44 Jahren», gestand der Pflegefachmann. Und über Schichtarbeit müsse geredet werden, wenn das Personal entlastet und im Beruf gehalten werden soll. «Es werden sicher alle lieber von motivierten und ausgeschlafenen Pflegenden und Ärzten behandelt.»
Es reiche nicht, viel Pflegepersonal auszubilden, wenn die Arbeitsbedingungen nicht stimmen. Obwohl der Lohn nicht schlecht sei, fehle es an Flexibilität und es herrsche oftmals eine negative Einstellung gegenüber Teilzeitarbeit. «Ich bewundere die Menschen, die 100% in der Pflege arbeiten, aber das sind meistens Leute unter 30 Jahren, die das noch schaffen können.»
In der Stadt Zürich hat Patrick inzwischen mit einer Motion erreicht, dass Assistenz-Ärztinnen und -Ärzte in Stadtzürcherischen Institutionen zukünftig in einer 42- und nicht mehr in einer 50-Stunden-Woche arbeiten müssen. Dieser Vorstoss ist nun auch im Kantonsrat hängig. «Ich hoffe, wir können mit Zürich eine Vorbildfunktion ausüben und Nachahmer gewinnen».
Änderungen – aber wo?
Klar scheint, dass sich Patrick Hässig seiner Aufgabe bewusst ist, sowohl als Nationalrat wie im Pflegeberuf, den er nach wie vor überaus gerne ausübt. Herausfordernd empfindet er die zahlreichen Partikularinteressen: «Alle wollen Geld verdienen, unter anderem mit Menschen. Und da komme ich gerne auf Lui Bieles Sichtweise zurück: Muss das Gesundheitswesen oder eine Gesundheitsinstitution überhaupt Geld verdienen? Ich sage: Nein. Eine schwarze Null unter dem Strich muss genügen.»
Die Referenten wurden mit viel Applaus und einer Tasche voller Ovomaltine-Produkten durch den GLP-Co-Präsident Raffael Grütter herzlichst verdankt.
Wie sich an diesem Abend zeigte, ist der Weg ein langer, um das Gesundheitswesen nachhaltig zu verändern und die Kostenexplosion zu stoppen. Gefragt sind dabei sicher die Politik, die an einem Strang ziehen sollte und das Datenchaos in einem einheitlichen System bündeln muss, damit sich das Personal im Gesundheitswesen vornehmlich um das Wesentliche – nämlich die Patienten – kümmern kann. Dann fehlt es an sachlicher und breitgefächerter Information, vor allem bei Menschen mit Immigrationshintergrund, welche Schritte und Möglichkeiten bei einer Erkrankung tatsächlich nötig und sinnvoll sind. Und es liegt an jedem Einzelnen in der Bevölkerung, sich bei «einfachen Gebrechen», wie Halsschmerzen, leichtem Fieber usw. selbstverantwortlich bei Fachpersonen in Drogerien und Apotheken über mögliche Abhilfen zu informieren. n
* Menschen mit höherer Gesundheitskompetenz erkranken weniger oft und werden im Falle einer Erkrankung schneller wieder gesund. In der Schweiz hat über 50% der Bevölkerung eine ungenügende Gesundheitskompetenz, was Studien und der Expertenbericht des Bundes bestätigen. Dies verursacht jährliche Mehraufwendungen (häufigere Arztkonsultationen, Notfallaufnahmen, nicht sachgemässes Verhalten bei Therapien und vermehrte stationäre Behandlungen) von CHF 2,2–3,3 Milliarden Franken. (gesundheitskompetentschweiz.ch)
Im Dezember 2021 erschien im Richterswiler Anzeiger ein Porträt über Lui Biele: «Begegnungen mit Menschen – mein Lebenselixier», zu lesen auf unserer Homepage.
Ebenso erschien im September 2023 ein Interview mit dem Wädenswiler Rheumatologen
Dr. Andreas Wüest, über die Mängel und Möglichkeiten im Schweizer Gesundheitswesen: «Krankenkassenprämien: Ein Fass ohne Boden».
Am Montag, 25. Januar, hat im «Heimetli mit Herz» an der Dorfstrasse eine von den Grünliberalen (GLP) organisierte Informationsveranstaltung stattgefunden. Mit Nationalrat Patrick Hässig und Lui Biele konnten zwei Referenten gewonnen werden, die aus erster Hand erzählen konnten, wo in den heutigen Strukturen der Schuh drückt.
Text & Bilder: Reni Bircher
Wie Raffael Grütter, Co-Präsident der GLP Richterswil, erklärte, haben die steigenden Gesundheitskosten bei einer herbstlichen Parteisitzung für viel Gesprächsstoff gesorgt. Deshalb wurde das Event «Gesundheit – wie weiter?» organisiert, um von zwei Persönlichkeiten direkt aus der Praxis zu erfahren, wo die Probleme, aber auch mögliche Lösungen, liegen.
Nach der Begrüssung aller Anwesenden berichtete als erster Referent Lui Biele von seinem Werdegang und wie es zur Gründung vom «Heimetli» vor fünf Jahren kam. Lui hat in leitender Funktion viele Jahre in Zürich in leistungsorientierten Betrieben gearbeitet, wo er immer wieder feststellen musste, dass Menschen, die aus komplexen, schwierigen Familienverhältnissen kommen, innert kürzester Zeit aus dem Angebot ausgeschlossen wurden, da deren Angebot zu hochschwellig war. «Eine Klinik ist eine gute Option, aber keine, um wiederholt dorthin zurückzukehren, weil das Angebot nicht darauf ausgerichtet ist, stark traumatisierte Menschen bedürfnisgerecht zu betreuen und es keine Alternativen gibt», ist Lui überzeugt.
Seine Suche nach Institutionen für Menschen, die psychische und/oder sexuelle Gewalt oder Verwahrlosung erlebt haben, blieb erfolglos. Eine normale, leistungsorientierte Tagesstruktur, wie eine Schule, ist für traumatisierte junge Menschen aufgrund ihrer Leidens- und/oder Lebensgeschichte nicht zu bewältigen.
Deshalb gründete Lui Biele eine Institution, welche sich um die erwähnte Gesellschaftsgruppe kümmert. Seit vielen Jahren nahmen Lui und seine Lebensgefährtin Pflegekinder bei sich auf – und lernten schnell, was es bedeutet, traumatisierte Jugendliche 24 Stunden an sieben Wo-chentagen zu begleiten. Aus diesen beruflichen und privat ergänzten Erfahrungen kristallisierte sich das Konzept der pädagogischen Tagesstruktur heraus, und so entstand das «Heimetli mit Herz» am oberen Dorfrand von Richterswil – ein Ort, wo die Jugendlichen zwischen 14 und 22 Jahren aufgefangen werden, um mit ihnen niederschwellig einen Weg zurück ins Leben und die Gesellschaft zu finden.
Suche nach geschütztem Rahmen
Corona bzw. der Lockdown hat ganz vieles bei Beziehungsstrukturen, die schon zuvor suboptimal waren, ausgelöst bzw. verschlechtert.
Die Zuspitzung, dass die mentale Gesundheit vor allem bei jungen Menschen immer häufiger in Schieflage gerät, sieht Lui unter anderem in den digitalen Medien: Eltern wie Kinder sind oftmals überfordert mit der Geschwindigkeit, die diese Entwicklung nimmt. Der gesellschaftliche Druck lässt zu, dass bereits Zehnjährige ein Smartphone besitzen. Die Überforderung passiert ebenso bei den Sicherheitsvorkehrungen, was an Medien konsumiert werden kann. «Was für ‹Dreck› an diese jungen Menschen herangetragen wird, können diese kaum verarbeiten», weiss Lui aus Erfahrung.
Die Kumulierung und Komplexität von Traumatisierung, der allgemeinen Überforderung und dem für Jugendliche «normale» Zustand von Noch-nicht-Wissen, wer sie sind und wohin sie im Leben wollen, führt zur absoluten Orientierungslosigkeit.
Von grosser Bedeutung im «Heimetli»-Alltag sind die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, welche für die Jugendlichen da sind. Der Umgang mit Traumatisierten und die permanente Präsenz verlange dem Personal viel ab. «Die Arbeitstage unserer Leute sind intensiv, und da müssen Grenzen gezogen werden, um das Personal und ihre Gesundheit zu schützen», ist sich der Arbeitgeber dieser Verantwortung bewusst.
Festgefahrene Strukturen aufbrechen
In diesem Bereich der Sozialarbeit scheint das System nicht nachhaltig zu greifen, was für alle Beteiligten frustrierend ist, viel Energie und wertvolle Zeit kostet, die für weitere Patientinnen und Patienten eingesetzt werden könnte, und massive Kosten verursacht.
Lui erklärt den Anwesenden, dass in der Praxis zu kurzzeitig und ein Konzept nicht allumfassend gedacht werde. Eine Klinik habe den Auftrag, den Menschen so weit zu stabilisieren, dass er entlassen werden kann. Danach tritt eine Es-geht-uns-nichts-mehr-an-Haltung ein und es gibt ein Beziehungsabbruch. «Möglicherweise kommt der Jugendliche in eine nächste Institution, und wenn er erneut eine schlechte Phase durchmacht, dann beginnt das ganze Prozedere von vorn: Klinikaufenthalt, der zu Lasten der Krankenkasse geht, die nächste Institution muss von Kostenträgern übernommen werden, und wenn es dem Jugendlichen nicht gelingt, drei bis sechs Monate einer geregelten Struktur nachgehen zu können, beginnt die meist lange andauernde Abwärtsspirale. Wenn diese ‹Massnahmen› nicht greifen können, wird der betroffene Mensch zum Sozialfall», bedauert Lui zutiefst.
Die Gefühle, welche diese Rückschritte bei den Menschen auslösen, sind Verzweiflung, Unzulänglichkeit und Wertlosigkeit. Dies gälte es mit einem nachhaltigen, durchdachten System zu verhindern. Für jedes Raster würde jemand Geld bezahlen, aber es sei anscheinend unmöglich, gemeinsam ein sinnvolles und nachhaltiges System zu erarbeiten: «Jeder denkt für sich, aber selten für den Menschen».
Wenn die Arbeit nach diesen neuen Grundsätzen gemacht würde, könnte neben viel Geld gespart auch viel Leid erspart werden.
Neue Wege
In der pädagogischen Tagesstruktur am Berg finden 10 bis 14 Jugendliche Platz, 9 bis 12 Angestellte werden beschäftigt. Einige arbeiten im Hintergrund, denn die ganzen Abläufe, die Bürokratie und die «Kämpfe» mit den Ämtern sind enorm zeitraubend.
Subventionszahlungen finden keine statt: «Dadurch, dass ich mit dem ‹Heimetli› einen ganz neuen Weg beschreite, gibt es noch keine Gesetzgebung», erklärt Lui die Umstände. Von der fachlichen Kompetenz her sei es kein Thema, aber weil seine Institution weder Schule noch Integrationszentrum oder leistungsorientiert arbeite, sondern nach der Klinik der Zwischenschritt zur Integration sei, ist es kein Thema. «Ich bin im Gespräch mit dem Kanton, aber wie man weiss, dauern Anpassungen im Gesetz immer sehr lange.»
Raffael Grütter möchte von Lui wissen, ob es die Jugendlichen aus dem «Heimetli» schaffen würden, diese vorgängig erläuterte Spirale zu durchbrechen: «Ja, bis jetzt schaffen wir es».
Sozialarbeit kann nie wirtschaftlich sein
Auf die Zuhörerfrage, ob die Institution finanzierbar sei, lautet die Antwort: keine Jugendlichen, kein Geld. «Natürlich könnte ich das Haus füllen ‹bis zum Dach›, das wäre aber niemandem dienlich», antwortet der «Heimetli»-Gründer. Sie sind auf Spendengelder von Stiftungen angewiesen und Menschen, die sie in ihrer Arbeit unterstützen. Mehr als dankbar sind sie für die Möglichkeit, ihre Liegenschaften zu einen sehr fairen Preis mieten zu dürfen.
Der Tagesstätte angehängt ist der Laden im Dorf, wo auch das Event stattfand. Dort werden grösstenteils Waren verkauft, welche in den Werkstätten vom «Heimetli» entstanden sind. Er dient nicht nur als Einnahmequelle, sondern auch als Werbeplattform für die Institution. «Wir möchten unsere Arbeitsweise, Beweggründe und Ideen in die Gesellschaft tragen, damit das nicht irgendwo im Hintergrund passiert. Hier kann ein Austausch stattfinden mit den Menschen, die sich im Laden umsehen oder einfach an der Bar etwas trinken wollen», erläutert Lui das Ladenkonzept.
Alltag eines Pflegefachmannes
Als nächster Referent durfte Patrick Hässig von seinem Werdegang und seinen Erfahrungen aus dem Kindernotfall im Stadtspital Zürich berichten. Seine berufliche Laufbahn begann mit einer KV-Lehre, später eiferte er seinem Vater nach und war 18 Jahre als Radiomoderator bei diversen Sendern angestellt. Die Umstände brachten ihn mit 34 Jahren während seines Zivildienst-Einsatzes ins Zürcher Waidspital, wo er Spitalbetten reinigte und interne Patiententransporte durchführte. Die Arbeiten der Pflegefachleute und Ärzte beeindruckten ihn nachhaltig, das ganze Umfeld fand er spannend.
Zurück beim Sender machte sich bei Patrick die «Zukunftsfrage» breit: «Ich habe am Radio für Zehntausende die Morgensendung gemacht, sass aber allein in meinem Studio – und ich spürte, dass mir die direkte Arbeit mit Menschen fehlt». Dieses Gefühl liess ihn vier Jahre lang nicht los, und so machte er die Ausbildung zum Dipl. Pflegefachmann HF und arbeitete seit 2018 im Stadtspital Zürich auf der Inneren Medizin und nun seit einem Jahr auf der Kinder-Notfallstation im Triemli.
«Pflege ‹sieht› man nicht, solange man sie nicht benötigt», beobachtete Patrick, «dabei gehört der Pflegeberuf zu einer der grössten Berufsgruppen unseres Landes, mit über 200 000 Menschen.» In den sozialen Medien begann er über den Alltag eines Pflegenden zu berichten, was auf grosses Interesse stiess. Etwa zur selben Zeit kam die Pflegeinitiative vors Volk – und Corona. Augenscheinlich war dieses «Gesamtpaket» Grund genug, im Herbst 2021 einen Nicht-Politiker in die SRF-Arena-Sendung einzuladen. «Dort habe ich von meinen Erlebnissen im Spital erzählt – ungefiltert, wohlgemerkt», erinnerte sich der Redner amüsiert.
Nach Ausstrahlung der Sendung füllten hunderte Nachrichten sein Mail- und Instagramkonto und den Briefkasten. «Das zeigte mir, dass es in der Bevölkerung ein grosses Vakuum gab, denn die Leute waren dankbar, dass endlich mal jemand die Tatsachen auf den Tisch gelegt hat.» Und: da ist noch Luft nach oben. Und die Pflegeinitiative wurde mit 61% samt Ständemehr angenommen.
Der Wunsch, etwas zu bewegen
Diese Erlebnisse brachten Patrick Hässig zur Überzeugung, dass mit politischem Engagement – vor allem mit einem Alleinstellungsmerkmal, also einzigartigen Vorzügen und Eigenschaften – möglicherweise etwas erreicht und die Leute auch «abgeholt» und motiviert werden können. So wurde er 2022 Gemeinderat (GLP) in der Stadt Zürich, im Mai 2023 Zürcher Kantonsrat und nach den Wahlen vergangenen Herbst Nationalrat. In dieser Position versucht er, die Probleme, Defizite, und Geschichten aus der Praxis zu schildern und Lösungsvorschläge zu denken. «Als Mann aus der Praxis und als einziger Pflegefachmann im Parlament, der noch direkt am Bett mit den Patienten arbeitet, kann ich die Ist-Situation schildern», erklärte Patrick. «Es geht darum, die Bedürfnisse des Personals – nicht nur Pflege, sondern auch Assistenzärzteschaft usw. – aufs Parkett zu bringen.»
Die Publikumsfrage, wie er als Nationalrat die Politik zu prägen gedenke, beantwortet der Referent pragmatisch: «Leider bin ich nicht in der Gesundheitskommission, was am Anciennitätsprinzip liegt. Es ist aber sicher ein Ziel von mir.»
Ob dort denn «geeignete» Personen drin wären, wurde weiter nachgefragt. «Die Präsidentin des Spitalverbandes H+ und ein Verwaltungsrat einer grossen Krankenkasse sind z.B. drin. Eine neu gewählte Pflegfachfrau aus Solothurn sowie eine Oberärztin des Kantons Zürich, die Spitexpräsidentin des Kantons Bern und ich als Pflegefachmann, sind nicht in dieser Kommission. Also eigentlich alle, die eine fachkundige Expertise einbringen könnten …». Spannenderweise werden in der Rechtskommission diverse Sitze von Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälten belegt – diese Information liess die Anwesenden nur leer schlucken.
Defizite und Unwissen
Inzwischen arbeitet Patrick Hässig noch 40% im Kinder-Notfallspital und schildert den Anwesenden, was dort an einem normalen Arbeitstag alles los ist: «Es fängt schon damit an, dass viele Krankheiten oder Vorkommnisse keine Notfälle sind: Muskelkater, Mückenstiche, aufgeschlagene Lippe von der Tischkante, Regelbeschwerden und dergleichen. Alles Sachen, die nichts auf der Notfallstation eines Akutspitals zu suchen haben, sondern das Personal daran hindern, sich um die wirklichen Notfälle zu kümmern, für die wir ausgebildet und angestellt sind.»
Das habe ihm die Augen geöffnet. «Es geht um Gesundheitskompetenz* (Wer macht heute noch Essigsocken?) und darum, dass die Medizin gewissermassen zu einem Selbstbedienungsladen verkommt.»
Wenn man ehrlich sein wolle, so sei das auch ein kulturelles Problem: «Andere Länder kennen das System mit einem Hausarzt nicht», erläutert Patrick Hässig. «Die gehen direkt ins Spital. Es gibt auch Leute, die ‹vorsorglich› vor dem Wochenende ihr Kind durchchecken lassen wollen, unerheblich, wie es ihm geht.» Die heutigen Tages- oder Familienstrukturen würden durch eine Erkrankung völlig aus der Bahn geworfen. Auch die Erwartungshaltung vieler Menschen ist überdurchschnittlich hoch und in ähnlichem Ausmass die Unselbständigkeit, sich um Kleinigkeiten – wie ein Schnitt im Finger oder ein Zäpfchen verabreichen – selbst zu kümmern.
Ein Triagesystem wurde im Notfall bereits eingeführt. Das jedoch führe manchmal zu unschönen Szenen und verbalen Angriffen (vor allem bei weiblichem Personal) durch Wartende.
An eine Senkung der Kosten mag der Nationalrat nicht glauben, auch wenn es Leute gibt, welche das propagieren. Denn eine gute Versorgung kostet. Dann spricht die Demografie eine andere Sprache: «Wir haben immer mehr Menschen im Land, diese werden immer älter. Personen über 90 Jahren kosten am meisten, wenn sie erkranken. Und wir haben nach wie vor Personalmangel.»
Dieser wird umso schwieriger, weil es an einer einheitlichen Digitalisierung fehlt, die einzelnen IT-Systeme nicht einmal untereinander kompatibel sind. So muss vieles wieder neu dokumentiert und bei Ärzten die Medikamentenliste nachgefragt werden, das kostet Zeit und Geld. Als Grund für diesen Unsinn wird immer wieder der Datenschutz vorgeschoben.
Personal nicht nur ausbilden, sondern auch halten
Die jährlichen Gesundheitskosten der Schweiz liegen bei 90 Milliarden Franken. Patrick Hässig wirft die Frage auf, ob es wirklich nötig ist, dass mehrere Spitäler in umliegendem Gebiet wirklich einen 24-Stunden-Betrieb aufrecht erhalten müssen. «Von dreien könnte sicher eines zum Tagesspital werden.» Das spart Kosten, und das Personal muss nicht mehr in drei, sondern zwei Schichten arbeiten. «Schichtarbeit darf man nicht unterschätzen: sie macht die Leute kaputt, je älter sie werden. Das merke ich bereits jetzt mit 44 Jahren», gestand der Pflegefachmann. Und über Schichtarbeit müsse geredet werden, wenn das Personal entlastet und im Beruf gehalten werden soll. «Es werden sicher alle lieber von motivierten und ausgeschlafenen Pflegenden und Ärzten behandelt.»
Es reiche nicht, viel Pflegepersonal auszubilden, wenn die Arbeitsbedingungen nicht stimmen. Obwohl der Lohn nicht schlecht sei, fehle es an Flexibilität und es herrsche oftmals eine negative Einstellung gegenüber Teilzeitarbeit. «Ich bewundere die Menschen, die 100% in der Pflege arbeiten, aber das sind meistens Leute unter 30 Jahren, die das noch schaffen können.»
In der Stadt Zürich hat Patrick inzwischen mit einer Motion erreicht, dass Assistenz-Ärztinnen und -Ärzte in Stadtzürcherischen Institutionen zukünftig in einer 42- und nicht mehr in einer 50-Stunden-Woche arbeiten müssen. Dieser Vorstoss ist nun auch im Kantonsrat hängig. «Ich hoffe, wir können mit Zürich eine Vorbildfunktion ausüben und Nachahmer gewinnen».
Änderungen – aber wo?
Klar scheint, dass sich Patrick Hässig seiner Aufgabe bewusst ist, sowohl als Nationalrat wie im Pflegeberuf, den er nach wie vor überaus gerne ausübt. Herausfordernd empfindet er die zahlreichen Partikularinteressen: «Alle wollen Geld verdienen, unter anderem mit Menschen. Und da komme ich gerne auf Lui Bieles Sichtweise zurück: Muss das Gesundheitswesen oder eine Gesundheitsinstitution überhaupt Geld verdienen? Ich sage: Nein. Eine schwarze Null unter dem Strich muss genügen.»
Die Referenten wurden mit viel Applaus und einer Tasche voller Ovomaltine-Produkten durch den GLP-Co-Präsident Raffael Grütter herzlichst verdankt.
Wie sich an diesem Abend zeigte, ist der Weg ein langer, um das Gesundheitswesen nachhaltig zu verändern und die Kostenexplosion zu stoppen. Gefragt sind dabei sicher die Politik, die an einem Strang ziehen sollte und das Datenchaos in einem einheitlichen System bündeln muss, damit sich das Personal im Gesundheitswesen vornehmlich um das Wesentliche – nämlich die Patienten – kümmern kann. Dann fehlt es an sachlicher und breitgefächerter Information, vor allem bei Menschen mit Immigrationshintergrund, welche Schritte und Möglichkeiten bei einer Erkrankung tatsächlich nötig und sinnvoll sind. Und es liegt an jedem Einzelnen in der Bevölkerung, sich bei «einfachen Gebrechen», wie Halsschmerzen, leichtem Fieber usw. selbstverantwortlich bei Fachpersonen in Drogerien und Apotheken über mögliche Abhilfen zu informieren. n
* Menschen mit höherer Gesundheitskompetenz erkranken weniger oft und werden im Falle einer Erkrankung schneller wieder gesund. In der Schweiz hat über 50% der Bevölkerung eine ungenügende Gesundheitskompetenz, was Studien und der Expertenbericht des Bundes bestätigen. Dies verursacht jährliche Mehraufwendungen (häufigere Arztkonsultationen, Notfallaufnahmen, nicht sachgemässes Verhalten bei Therapien und vermehrte stationäre Behandlungen) von CHF 2,2–3,3 Milliarden Franken. (gesundheitskompetentschweiz.ch)
Im Dezember 2021 erschien im Richterswiler Anzeiger ein Porträt über Lui Biele: «Begegnungen mit Menschen – mein Lebenselixier», zu lesen auf unserer Homepage.
Ebenso erschien im September 2023 ein Interview mit dem Wädenswiler Rheumatologen
Dr. Andreas Wüest, über die Mängel und Möglichkeiten im Schweizer Gesundheitswesen: «Krankenkassenprämien: Ein Fass ohne Boden».