Wer etwas in den Annalen wühlt, wird schnell gewahr, dass Richterswil eine erstaunliche Anzahl ungewöhnlicher Köpfe hervorgebracht hat – hier geboren oder zugezogen. Einfallsreich, vorausschauend, draufgängerisch, innovativ und eigenwillig prägten sie die Geschichte oft weit über die Dorfgrenzen hinaus.
Text: Reni Bircher
Wer auf eine Mitfahrgelegenheit wartet oder das tierische und menschliche Treiben auf dem Wasser beobachtet, dem ist sicher schon die gusseiserne Schiffsglocke aufgefallen, welche mittig platziert die Richterswiler Schifflände schmückt. Sie wurde 1840 von Jakob Keller in Unterstrass gegossen und trägt den Namen «Republikaner», versah einst den Dienst auf dem Dampfboot dieses Namens und diente unter anderem als Warnsignal bei schlechter Sicht und Nebel. Bis die Schiffsglocke ihrem Ruhestand am heutigen Standort frönte, ging ein weitreichender Prozess voraus.
Nach einer abenteuerlichen Reise – von der Werft
im englischen Manchester über Rotterdam, Köln und Mainz – durchpflügte im Sommer 1835 das erste eiserne Dampfschiff auf dem europäischen Kontinent die Wasseroberflächen des Zürichsees: die «Minerva». Ihr folgte bald die «Linth-Escher».
Die Route der Dampfschiffe verlief mittig des Sees zwischen Zürich und Rapperswil. Anleger gab es bis dato an keinem der beiden Seeufer, nur so genannte Haaben, kleine Schiffshäfen, an denen Weidlinge, Kielschiffe und Flachboote landeten. Mit diesen wurden (Quer-)Fahrten für Marktfahrer und Pilger getätigt, bedeutende Erwerbszweige für Richterswil. Die Beförderung der jährlich hunderttausenden Pilgerreisenden führte hin und wieder zu Piraterie ähnlichen Zuständen, wenn etwa die Richterswiler Schiffer der Schwyzer Konkurrenz vor den Mühlenen auflauerten und die Pilger mit vorgehaltener Waffe auf ihr eigenes Schiff bugsierten. Auch Vandalenakte an Booten benachbarter Anlegestellen waren keine Seltenheit, und mit den Wädenswilern legten sie sich sowieso ständig an.
Zusteigen als Herausforderung
Auf den täglichen Längsfahrten der «Minerva» und «Linth-Escher» mussten sich Bewohner, die mitgenommen werden wollten, von Kahnführern in Schaluppen hinausrudern lassen, wo das Dampfschiff auf ein Signal hin einen Halt einlegte. Für Richterswil, Wädenswil, Stäfa und Männedorf wurde ein bestimmter Punkt im See festgelegt, um Personen und Güter ein- und auszuladen. Dies war nicht nur unkomfortabel, sondern auch kompliziert und bei heftigem Wellengang schwierig und gefährlich.
Die Möglichkeit, mit dem Schiff nach Zürich zu fahren, bedeutete jedoch eine immense Zeitersparnis: zwei Stunden dauerte die Fahrt mit dem Dampfboot, im Gegensatz zur Postkutsche, die auf den schlecht unterhaltenen Strassen für den Weg mindestens vier Stunden benötigte, oder die mehrstündige nächtliche Fahrt auf einem Kahn.
Unmut am linken Seeufer führt zu neuem Dampfschiff
Die Umstände des Ein- und Aussteigens jedoch liess die Betroffenen nicht unbedingt frohlocken, und vor allem am linken Seeufer fühlte man sich gegenüber der Stadt benachteiligt. Die Industrie hatte sich in dieser Gegend bereits stark etabliert, deshalb sollte nicht nur der Personenverkehr, sondern auch der Transport von Gütern rascher und rentabler vonstattengehen. War Richterswil von jeher stark von Pilgern frequentiert, die nach Einsiedeln wollten, so war es ebenso Umladestation von zahlreichen Gütern. Die Ledischiffe benötigten für eine Fahrt von Zürich nach Richterswil und umgekehrt je nach Windverhältnissen acht bis neun Stunden. Die Überlegung, sich die Dampfkraft auch für den Güterverkehr zunutze zu machen, war somit nicht mehr weit.
Die «Dampfschifffahrts-Gesellschaft des Republikaners» wurde 1838 unter Führung des Richterswiler Industriellen J.J. Hürlimann-Landis, dem Wädenswiler Präsident Theiler, Kantonsrat Stünzi (Horgen) und dem Ingenieur Sulzberger gegründet. Diese liess den «Republikaner» bei der Zürcher Maschinenbaufirma «Escher, Wyss und Comp.» bauen, den dritten Raddampfer auf dem Zürichsee. Finanziert wurde er durch Aktien, welche grösstenteils von Wädenswilern gekauft wurden, allerdings auch von Stadtzürchern. Richterswiler Aktionäre fanden sich vor allem unter den Gastronomen, Industriellen, Händlern und Schiffsleuten. Letztere hatten berufliches Interesse daran, denn laut den Statuten musste der «Republikaner» mit «tauglichen Schiffsleuten vom linken Ufer, die Aktionäre sind» bemannt werden.
Die Gesellschaft hatte ihren Sitz in Richterswil – damals noch Richtersweil benannt –, wo das Schiff seinen Heimathafen hatte und jeweils nächtigte. Eine grosse Schifflände wurde jedoch erst 1846 gebaut, eine Sust für die Lagerung und den Umschlag von Waren kam erstaunlicherweise nicht zustande.
Holzfressender Riese
Der «Republikaner» hatte eine Länge von 35,4 Metern und war 4,5 Meter breit und vermochte 500 Passagiere aufzunehmen. Mit ihren zwei englischen Niederdruckmaschinen von 36 PS erreichte das Schiff rund 18 Stundenkilometer und frass während einer einzigen Fahrt 7,5 Kubikmeter Brennholz. Bereits zu dieser Zeit gab es eine 1. und eine 2. Klasse, sowie eine Kajüte mit Wirtschaft, in der Speis und Trank serviert wurde.
Das Dampfboot versah seinen Dienst ganzjährig mehrmals täglich zwischen Richterswil und Zürich. Bis zu sechs voll beladene Schleppkähne vermochte das Schiff zu ziehen, zusätzlich zu den Passagieren, die ihre Waren auf dem Stadtmarkt anbieten, Kommissionen besorgen oder ein Fest besuchen wollten. Touristen wurden ebenfalls befördert, vor allem Richtung Horgen, wo diese ihre Weiterreise zur Rigi antraten.
Besitzerwechsel
Die beiden Schifffahrtsgesellschaften des Zürichsees waren nicht nur Konkurrenten, sondern halfen sich bei Notlagen auch aus. Bald kam es zu Absprachen bezüglich der Fahrpläne, und am 1. Januar 1842 kam es zur Fusion und die «Dampfschifffahrts-Gesellschaft auf dem Zürich- und Walensee» übernahm den «Republikaner» nicht nur zu einem übersteigerten Preis, sondern musste sich zu diversen Auflagen verpflichten. So etwa, bei allen Kursen in Richterswil, Wädenswil und Horgen anzuhalten, die Taxen für die Linksufrigen nicht zu erhöhen und auf Verlangen ab jedem Ort Güterboote von und nach Zürich zu schleppen.
1869 umfasste die Flotte der «Dampfschifffahrts-Gesellschaft» 13 Schiffe, als dienstältestes Schiff diente der «Republikaner» ab diesem Zeitpunkt jedoch nur noch als Reserveboot. Nach 40 Dienstjahren kam es nochmals zu einem Besitzerwechsel, als die «Schweizerische Nordostbahn» (NOB) den gesamten Schiffspark aufkaufte, und der Raddampfer wurde ausser Betrieb gesetzt.
Nach heftigen Schneefällen im Dezember 1878 versank der Riese in seinem Winterquartier vor Richterswil im Wasser. Vermutungen legen nahe, dass es wegen der drei Monate zuvor – aus finanziellen Gründen – eingestellten Wartungen durch einen Heizer zu dieser Tragödie kam.
Eine Hebung war erst im darauffolgenden Frühling möglich. Mit Hilfe von Tauchern und dem Schraubendampfer «Taube» gelang dies unter grössten Bemühungen. Nachdem das Wasser ausgepumpt worden war, brachte man ihn nach Zürich. Nach Entfernung von Maschine und Kessel fristete das ehemals stolze Dampfschiff sein Dasein als Schleppkahn.
Übrigens: der Klöppel der Schiffsglocke fehlt. Ob ins Wasser oder einem Lausbubenstreich zum Opfer gefallen, ist nicht bekannt. Vielleicht kann die Leserschaft weiterhelfen? Hinweise sind herzlich willkommen. n
Quellen:
Grenzpost: Karl Kuprecht, 1985; Kurt Wild, 1989 + 1990.
«Aus der Richterswiler Verkehrsgeschichte», Adolf Attinger, 1977.
«Zwischen See und Berg – Chronik der Gemeinde Richterswil», Nicole Billeter & Hans Peter Treichler, 2015.
Wer etwas in den Annalen wühlt, wird schnell gewahr, dass Richterswil eine erstaunliche Anzahl ungewöhnlicher Köpfe hervorgebracht hat – hier geboren oder zugezogen. Einfallsreich, vorausschauend, draufgängerisch, innovativ und eigenwillig prägten sie die Geschichte oft weit über die Dorfgrenzen hinaus.
Text: Reni Bircher
Wer auf eine Mitfahrgelegenheit wartet oder das tierische und menschliche Treiben auf dem Wasser beobachtet, dem ist sicher schon die gusseiserne Schiffsglocke aufgefallen, welche mittig platziert die Richterswiler Schifflände schmückt. Sie wurde 1840 von Jakob Keller in Unterstrass gegossen und trägt den Namen «Republikaner», versah einst den Dienst auf dem Dampfboot dieses Namens und diente unter anderem als Warnsignal bei schlechter Sicht und Nebel. Bis die Schiffsglocke ihrem Ruhestand am heutigen Standort frönte, ging ein weitreichender Prozess voraus.
Nach einer abenteuerlichen Reise – von der Werft
im englischen Manchester über Rotterdam, Köln und Mainz – durchpflügte im Sommer 1835 das erste eiserne Dampfschiff auf dem europäischen Kontinent die Wasseroberflächen des Zürichsees: die «Minerva». Ihr folgte bald die «Linth-Escher».
Die Route der Dampfschiffe verlief mittig des Sees zwischen Zürich und Rapperswil. Anleger gab es bis dato an keinem der beiden Seeufer, nur so genannte Haaben, kleine Schiffshäfen, an denen Weidlinge, Kielschiffe und Flachboote landeten. Mit diesen wurden (Quer-)Fahrten für Marktfahrer und Pilger getätigt, bedeutende Erwerbszweige für Richterswil. Die Beförderung der jährlich hunderttausenden Pilgerreisenden führte hin und wieder zu Piraterie ähnlichen Zuständen, wenn etwa die Richterswiler Schiffer der Schwyzer Konkurrenz vor den Mühlenen auflauerten und die Pilger mit vorgehaltener Waffe auf ihr eigenes Schiff bugsierten. Auch Vandalenakte an Booten benachbarter Anlegestellen waren keine Seltenheit, und mit den Wädenswilern legten sie sich sowieso ständig an.
Zusteigen als Herausforderung
Auf den täglichen Längsfahrten der «Minerva» und «Linth-Escher» mussten sich Bewohner, die mitgenommen werden wollten, von Kahnführern in Schaluppen hinausrudern lassen, wo das Dampfschiff auf ein Signal hin einen Halt einlegte. Für Richterswil, Wädenswil, Stäfa und Männedorf wurde ein bestimmter Punkt im See festgelegt, um Personen und Güter ein- und auszuladen. Dies war nicht nur unkomfortabel, sondern auch kompliziert und bei heftigem Wellengang schwierig und gefährlich.
Die Möglichkeit, mit dem Schiff nach Zürich zu fahren, bedeutete jedoch eine immense Zeitersparnis: zwei Stunden dauerte die Fahrt mit dem Dampfboot, im Gegensatz zur Postkutsche, die auf den schlecht unterhaltenen Strassen für den Weg mindestens vier Stunden benötigte, oder die mehrstündige nächtliche Fahrt auf einem Kahn.
Unmut am linken Seeufer führt zu neuem Dampfschiff
Die Umstände des Ein- und Aussteigens jedoch liess die Betroffenen nicht unbedingt frohlocken, und vor allem am linken Seeufer fühlte man sich gegenüber der Stadt benachteiligt. Die Industrie hatte sich in dieser Gegend bereits stark etabliert, deshalb sollte nicht nur der Personenverkehr, sondern auch der Transport von Gütern rascher und rentabler vonstattengehen. War Richterswil von jeher stark von Pilgern frequentiert, die nach Einsiedeln wollten, so war es ebenso Umladestation von zahlreichen Gütern. Die Ledischiffe benötigten für eine Fahrt von Zürich nach Richterswil und umgekehrt je nach Windverhältnissen acht bis neun Stunden. Die Überlegung, sich die Dampfkraft auch für den Güterverkehr zunutze zu machen, war somit nicht mehr weit.
Die «Dampfschifffahrts-Gesellschaft des Republikaners» wurde 1838 unter Führung des Richterswiler Industriellen J.J. Hürlimann-Landis, dem Wädenswiler Präsident Theiler, Kantonsrat Stünzi (Horgen) und dem Ingenieur Sulzberger gegründet. Diese liess den «Republikaner» bei der Zürcher Maschinenbaufirma «Escher, Wyss und Comp.» bauen, den dritten Raddampfer auf dem Zürichsee. Finanziert wurde er durch Aktien, welche grösstenteils von Wädenswilern gekauft wurden, allerdings auch von Stadtzürchern. Richterswiler Aktionäre fanden sich vor allem unter den Gastronomen, Industriellen, Händlern und Schiffsleuten. Letztere hatten berufliches Interesse daran, denn laut den Statuten musste der «Republikaner» mit «tauglichen Schiffsleuten vom linken Ufer, die Aktionäre sind» bemannt werden.
Die Gesellschaft hatte ihren Sitz in Richterswil – damals noch Richtersweil benannt –, wo das Schiff seinen Heimathafen hatte und jeweils nächtigte. Eine grosse Schifflände wurde jedoch erst 1846 gebaut, eine Sust für die Lagerung und den Umschlag von Waren kam erstaunlicherweise nicht zustande.
Holzfressender Riese
Der «Republikaner» hatte eine Länge von 35,4 Metern und war 4,5 Meter breit und vermochte 500 Passagiere aufzunehmen. Mit ihren zwei englischen Niederdruckmaschinen von 36 PS erreichte das Schiff rund 18 Stundenkilometer und frass während einer einzigen Fahrt 7,5 Kubikmeter Brennholz. Bereits zu dieser Zeit gab es eine 1. und eine 2. Klasse, sowie eine Kajüte mit Wirtschaft, in der Speis und Trank serviert wurde.
Das Dampfboot versah seinen Dienst ganzjährig mehrmals täglich zwischen Richterswil und Zürich. Bis zu sechs voll beladene Schleppkähne vermochte das Schiff zu ziehen, zusätzlich zu den Passagieren, die ihre Waren auf dem Stadtmarkt anbieten, Kommissionen besorgen oder ein Fest besuchen wollten. Touristen wurden ebenfalls befördert, vor allem Richtung Horgen, wo diese ihre Weiterreise zur Rigi antraten.
Besitzerwechsel
Die beiden Schifffahrtsgesellschaften des Zürichsees waren nicht nur Konkurrenten, sondern halfen sich bei Notlagen auch aus. Bald kam es zu Absprachen bezüglich der Fahrpläne, und am 1. Januar 1842 kam es zur Fusion und die «Dampfschifffahrts-Gesellschaft auf dem Zürich- und Walensee» übernahm den «Republikaner» nicht nur zu einem übersteigerten Preis, sondern musste sich zu diversen Auflagen verpflichten. So etwa, bei allen Kursen in Richterswil, Wädenswil und Horgen anzuhalten, die Taxen für die Linksufrigen nicht zu erhöhen und auf Verlangen ab jedem Ort Güterboote von und nach Zürich zu schleppen.
1869 umfasste die Flotte der «Dampfschifffahrts-Gesellschaft» 13 Schiffe, als dienstältestes Schiff diente der «Republikaner» ab diesem Zeitpunkt jedoch nur noch als Reserveboot. Nach 40 Dienstjahren kam es nochmals zu einem Besitzerwechsel, als die «Schweizerische Nordostbahn» (NOB) den gesamten Schiffspark aufkaufte, und der Raddampfer wurde ausser Betrieb gesetzt.
Nach heftigen Schneefällen im Dezember 1878 versank der Riese in seinem Winterquartier vor Richterswil im Wasser. Vermutungen legen nahe, dass es wegen der drei Monate zuvor – aus finanziellen Gründen – eingestellten Wartungen durch einen Heizer zu dieser Tragödie kam.
Eine Hebung war erst im darauffolgenden Frühling möglich. Mit Hilfe von Tauchern und dem Schraubendampfer «Taube» gelang dies unter grössten Bemühungen. Nachdem das Wasser ausgepumpt worden war, brachte man ihn nach Zürich. Nach Entfernung von Maschine und Kessel fristete das ehemals stolze Dampfschiff sein Dasein als Schleppkahn.
Übrigens: der Klöppel der Schiffsglocke fehlt. Ob ins Wasser oder einem Lausbubenstreich zum Opfer gefallen, ist nicht bekannt. Vielleicht kann die Leserschaft weiterhelfen? Hinweise sind herzlich willkommen. n
Quellen:
Grenzpost: Karl Kuprecht, 1985; Kurt Wild, 1989 + 1990.
«Aus der Richterswiler Verkehrsgeschichte», Adolf Attinger, 1977.
«Zwischen See und Berg – Chronik der Gemeinde Richterswil», Nicole Billeter & Hans Peter Treichler, 2015.