Richterswil

Märchenwelten im Schulhaus

Im Innern des Schulhauses Feld I wurde trotz Herbstferien fleissig gearbeitet: Durch Initiative der Kommission Kultur entstanden märchenhafte Bildszenen an den Wänden, welche vom Illustrator Massimo Milano farbenfroh gestaltet und in Szene gesetzt wurden.

Text & Bilder: Reni Bircher

Ersteigt man die Treppen in die oberen Stockwerke des Schulhauses Feld I, wird man von zauberhaften Feen- und Tierwesen umringt und begleitet. An fünf Wänden der Aufgänge und dem Lichthof leuchten bunte Farbwolken, auf die als Strichzeichnung Szenen mit fantasievollen Figuren gemalt sind.

Erdacht hat sie der Illustrator und Kunstschaffende Massimo Milano, der seit über vier Jahren in Richterswil wohnt und dessen Name man möglicherweise schon vernommen hat, unter anderem, weil er das Plakat für «Live im Kern» gestaltet hat.
Doch wie kam er zu diesem «Kunst am Bau»-Auftrag der Gemeinde?
Die Kommission Kultur Richterswil hat im vergangenen Jahr einen Vorstoss an den Gemeinderat gemacht und durfte drei Kunstschaffende auswählen, die einen Vorschlag unterbreiten sollten. Voraussetzung war, dass sich diese Leute schon mit ähnlichen Projekten auseinandergesetzt hatten und mit Behörden, Lehrkörper und Kindern zusammenarbeiten können. Milanos Arbeit überzeugte die Jury – zwei Kommissionsmitglieder, die Schulleitung Feld 1 und ein Mitglied der Liegenschaftenabteilung – und er erhielt den Zuschlag, die Schulhauswände ihrer Kahlheit zu entreissen.

Der kreative Geist

Massimo Milano hat über Umwege den Beruf des Illustrators erlernt, denn eine solche Ausbildung gab es früher noch nicht. Kunstinteressiert war er schon immer, vor allem im Bereich der Animation, und arbeitete an Kunstprojekten mit, die der Illustration zugewandt waren. Peter Bosshard, der zusammen mit seiner Frau dem Kunst(Zeug)Haus ihre Kunstsammlung vermachte, war bis zu seinem Tod treuer Sammler von Milanos Werken. In Rapperswil entstand durch Initiative Milanos der Verein «Raum 62», um kunstschaffenden Illustratoren eine Plattform zu bieten. Über fünf Jahre hinweg fanden dort vier bis fünf Ausstellungen pro Jahr statt. Der Verein brachte sich positiv in die Schlagzeilen mit dem Projekt «Rosa Stadt», bei dem sie das Schloss Rapperswil drei Wochen lang rosafarben ausgeleuchtet haben. Den Lebensunterhalt verdient Massimo Milano mit Illustrationen. Kunstprojekte macht er derzeit eher weniger. «Momentan ist meine Tochter mein Kunstprojekt», erklärt er sichtlich stolz.
Zu Beginn des Wettbewerbes für die Wandgestaltung im Schulhaus sahen Milanos Entwürfe ganz anders aus. Nach zwei Wochen Arbeit verwarf er alles und konzentrierte sich auf ein neues Sujet. «Ich konnte dann nicht mehr für alle geplanten Wände etwas vorweisen, aber die Jury konnte sehen, was für Szenen mir vorschweben und in welcher Art und Weise ich mir diese vorstelle.»
Die Figuren in den Bildern sind keiner eigentlichen Geschichte entsprungen, sie sind ein Werk der Phantasie. Die ausgesuchten Farben haben alle eine positive Auswirkung aufs Gemüt und sollen beruhigende, inspirierende und belebende Eigenschaften besitzen und kommen dem Wunsch seitens der Schule und der Kommission nach Farbe entgegen. Dadurch, dass die gezeichneten Figuren in diesen Farbwolken schweben, wirken die grossflächigen Bilder nicht erdrückend.
Dass Massimo Milano den Wettbewerb gewonnen hat, freut ihn sehr, auch wenn die Dimension des Auftrages ein ganz anderer war, als er es gewohnt ist. «Die Wandbilder, die ich bis jetzt geschaffen habe, waren übersichtlich», lächelt er.

Mitwirkung der Kinder

Die Schülerinnen und Schüler durften nach der Auftragserteilung dem Schulleiter ihre Wünsche mitteilen, und so wurden das eine oder andere Tier noch ins Bild integriert oder auch ersetzt. «Es wäre mir nicht in den Sinn gekommen, einen Dachs zu zeichnen. Aber ich habe ihn und auch andere Ideen der Kinder eingefügt. Das gibt ihnen das Gefühl, an diesem Werk einen Betrag geleistet zu haben», findet Milano.
«Ich denke, dass das Kreative im Schulalltag viel zu wenig zum Tragen kommt. In den ersten Jahren entwickelt sich jedes Kind ganz unterschiedlich, und dann plötzlich sollen alle in der gleichen Spur laufen und funktionieren …», sinniert er. Für die Wandbilder greift er deshalb bewusst nach der Märchenwelt.
«Ein Kind darf viel zu früh nicht mehr Kind sein», bedauert der Familienvater, denn das Leben dürfe nicht nur aus Noten, Realismus und Ernsthaftigkeit bestehen. «Die Kinder müssen das Recht haben, zu träumen. Und wir Erwachsenen sollten uns das auch viel mehr bewahren … eine Leichtigkeit, die im Weltgeschehen kaum mehr Platz hat».
Mit seinen bunten Szenen im Schulhaus will er die Phantasie der Kinder anregen, sie zum Träumen verleiten.

Handwerkskunst in grosser Dimension

Zur Bewältigung der Arbeit benötigte der Illustrator Unterstützung. Das Malerteam von Ambühl & Vogelsang arbeitet meist im Bereich historischer Bauten und hat Massimo Milano schon bei anderen Projekten unterstützt, etwa bei einem riesigen Bodenbild in Kaltbrunn. Somit war klar, dass er sie auch für Richterswil ins Boot holt.

Kurz vor Start der Arbeit stellten der Künstler und seine Malpartnerinnen fest, dass die Malerei durch die Grösse der Wände nur mit einem Gerüst zu bewerkstelligen war, und es musste im letzten Moment ein Gerüstbauer her. Damit entfiel jedoch die Möglichkeit, das Sujet mittels Projektion auf die Wände zu bannen, und die Zeichnungen mussten auf Transparentpapier in entsprechender Grösse gedruckt werden.
Mit der Spritzpistole und einem A4-Papier mit dem entsprechenden Wandsujet in der Hand, leisteten insgesamt vier Frauen innert vier Tagen ganze Arbeit. Sie übertrugen nach Vorlage sanft die ungefähre Farbgebung, bevor sie die Papierrollen auflegten und die Zeichnungen mittels Kohlepapier auf die Wand übertrugen. Dann wurde nachgefärbt. Die gezeichneten Figuren sind mit dem Pinsel aufgemalt worden, das war auch der Moment, in dem Massimo Milano Hand anlegte.

In der ersten Woche zeigte sich Milano recht unruhig. «Wir waren hier alle gefordert, weil keiner von uns je auf dieser Art und Weise gearbeitet hat», erklärt er die Nervosität. Diese neuartige Technik sei jedoch spannend, weil auch der Zufall an der Zeichnung mitarbeite. Mit fortschreitender Arbeit entspannte sich der Illustrator: «Das Team hat das wirklich super gemacht!», freut er sich.
Und das Endprodukt ist staunenswert.
Ist er stolz auf sein Werk? «Wenn ein solches Projekt entstehen darf? Ja, unbedingt!»

Am Samstag, 18. November,
09.00–12.00 Uhr, kann das Kunstwerk im Schulhaus Feld 1, ­Richterswil, besichtigt werden.

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