Es gibt Berufe, die – glücklicherweise – (noch) nicht aus dem dörflichen Bild verschwunden sind, zumindest in Richterswil oder Wädenswil. Etwa der Bäcker. Seit Ulrich Tanner 1870 als gelernter Konditor in Richterswil sein Geschäft eröffnete, mit dem er wenige Jahre später an den Spielhof umzog, wird in der Backstube der Dorfstrasse 39 Teig geknetet – bis heute.
Text: Reni Bircher
Tanner, der einer langen Linie entstammt, welche sich schon früh in Richterswil niedergelassen hat, war gelernter Konditor, auch Zuckerbäcker genannt. Als erster der Familie mit diesem Beruf, folgten ihm jedoch Sohn und Enkel nach und hielten den Familienbetrieb am Leben. Ernst Tanner-Isler (1879–1954) war ein Meister seines Fachs, der wahrhaft kunstfertig die schönsten Gebilde aus Zucker herstellte, wie beispielsweise die architektonisch genaue Nachbildung der reformierten Kirche zu deren Einweihung 1905. Später nahm er mit seinen Schaustücken und Produkten an Ausstellungen teil und errang mehrere Goldmedaillen.
Nebst der Bäckerei wird ein Café betrieben, welches damals noch als Erfrischungsraum bezeichnet wird. Das gut laufende Geschäft erfährt einen Ausbau: mehr Fenster und eine Marmorfassade, welche alten Zeitungsberichten zufolge jedoch eine magische Anziehungskraft auf Autofahrer ausgeübt haben muss …
Mit einer künstlerischen Begabung gesegnet, erlernte der einziger Sohn von Tanner-Isler – nach dem Vater Ernst benannt – ebenfalls den Beruf des Konditors, im berühmten Huguenin in Zürich. Nach einigen Wanderjahren im In- und Ausland trat er in den väterlichen Betrieb ein.
Der Tradition verpflichtet
In diese Zeit fiel auch der vorgängig erwähnte Umbau (ca. 1933), nach dessen Fertigstellung Vater Tanner-Isler als einer der ersten Anrainer entlang der Räbechilbi-Strecke 100 Räben von Hand aushöhlte und das Haus damit für den Umzug schmückte. Sohn Ernst Tanner
(-Gattiker) kreierte eigens eine Räbenchilbi-Torte, welche für manches Jahr wiederkehrend im Herbst feilgeboten wurde. Er war es auch, der die «Richterswilerli» erfunden hat, welche bis zum heutigen Tag noch immer verkauft werden.
Trotz Rationierung und Arbeitsknappheit übernahm Ernst Tanner-Gattiker 1944 vom Vater die Konditorei mit Café, obwohl schon in frühen Jahren Confiseriewaren eher in den Luxusbereich gehörten. Zudem war er mehrere Jahre Fachlehrer an der Berufsschule und bildete Schüler zunächst in seiner Backstube, später dann in Männedorf und Uster in der Kunst des Dekorierens aus.
Bäckerei wechselt Besitzer
Ein hartnäckiges Rücken- und Hüftleiden zwang den Süsswarenspezialisten und Familienvater 1968 zum Verkauf des Geschäftes, denn von den Kindern war keines in den Betrieb eingestiegen.
Hans «Hasse» Schärer übernahm den Laden mit Backstube an der Dorfstrasse und eröffnete eine Bäckerei-Konditorei. Dieser liess eines der Schaufenster zum Zugang für das Café umbauen, so wie man es heute noch kennt.
Bei seinem Tageswerk unterstützte Schärer der junge Klaus Dobler, der ursprünglich aus Benken kam. Bereits 1979 übernahm Dobler die Bäckerei von seinem Chef, der sich anderweitig verwirklichen wollte und das Café Batze an der Freiestrasse eröffnete. Infolgedessen zog Dobler mit seiner Frau und einem Fünfjährigen in die Wohnung über dem Laden. Kurz danach erblickte Pascal Dobler das Licht der Welt, und – möglicherweise – hat damals niemand damit gerechnet, dass das Kind mit den Sommersprossen und den seegrünen Augen eine unzerstörbare Leidenschaft für das Bäckerleben entwickelt und nach all den Jahren noch immer glücklich in der Backstube agiert. Vor sieben Jahren übernahm Pascal das Geschäft von seinem Vater, und seit ein paar Wochen hängen Bilder von den Arbeiten der Bäckerei-Vorgänger im Cafe.
Der Richterswiler Anzeiger hat mit dem heutigen Besitzer ein Interview geführt:
Pascal, Du lebst und arbeitest im Familienbetrieb …
Das ist so. Ich kenne jede Ecke, jeden Winkel seit meiner frühesten Kindheit, habe im Café gespielt und meinen Vater bei der Arbeit beobachtet – und Teig stibitzt.
Meine Mutter, Yvonne, hat eine Verkäuferlehre in einem Musikgeschäft in St. Gallen gemacht. Ein Onkel beschaffte ihr danach einen Job bei Bäckerkollege Baggenstoss. So lernte sie meinen Vater kennen. Sie war wohl sehr gut im Dorfleben integriert. Mein Vater war in mehreren Vereinen, war sogar Trainer beim Fussballclub.
Mein Bruder ist fünf Jahre älter und wäre beinahe Profisportler geworden, hat sich dann aber dagegen entschieden und wurde Sportlehrer.
Wo hast Du Deine Ausbildung gemacht?
In Wädenswil als Bäcker-Konditor beim «Chilebeck» an der Schönenbergstrasse, also bei Leo Gantner. Ich glaube, seine Tochter hat inzwischen das Geschäft übernommen …
Ja, hat sie!
Die habe ich noch als Kind gekannt, wir haben immer zusammen gefrühstückt! Das ist auch so ein typischer Familienbetrieb. Da war ich wirklich gern. Aber ich war damals sehr verschlossen, weil das eine persönlich schwierige Zeit war für mich …
In der Freizeit spielst Du Schlagzeug …
Ja, ich glaube, ich habe so mit 10, 11 damit angefangen. Ständig habe ich irgendwo herumgetrommelt, auf Töpfe, Pfannen, Tischkanten … Vielleicht kam es daher, dass ich Legastheniker bin, einen Ausgleich brauchte – keine Ahnung. Ich habe zwar gelernt, die Noten zu lesen, aber es fällt mir sehr viel leichter, über Gehör und Gefühl zu lernen.
Als mein Vater ein Fest mit Musik organisiert hat, schenkte mir der Drummer seine Sticks. Von da an hatte ich die immer dabei, aber kein Schlagzeug. Also ging das Getrommle weiter. Damit trieb ich meine Mutter fast in den Wahnsinn, bis sie mir unten im Güterschuppen jemanden fand, der ein Schlagzeug hatte, mir Zugang dafür gewährte und mir ausserdem noch ein paar Stunden gab. Da hat es mir den Ärmel total reingezogen!
Ich fand ziemlich schnell heraus, wie ich rhythmisch variieren kann, und vermutlich war es dieses Gespür für die Musik, das mich so beflügelt und begeistert hat.
Du warst in einer Band?
Mit einem Bassspieler stellte ich eine fünfköpfige Band zusammen. Da war ich noch in der Oberstufe. Wir haben sogar Konzerte gegeben! Mit einem guten Sänger, und jemanden aus der Band verstand auch was von Marketing.
Ich war nie der, der sich exponiert, war hinter dem Schlagzeug auch gut «versteckt». Aber die anderen haben eine rechte Show abgezogen mit ihren Tattoos, den Piercings, Farblinsen und wilden Frisuren. Das war total spannend, und ich fand den Stil einfach gut! Finanziell hat sich das nie rentiert, aber darum ging es uns nicht.
Aufgehört hat das erst, als der Bassist eine Familie gründete und plötzlich alle anderweitig eingespannt waren. Vielleicht hätten wir ein paar Jahre zuvor die Weichen anders stellen müssen, dann wäre das wirklich was geworden. Doch so standen wir an einem Scheideweg und lösten die Band auf.
Das war sehr schwer für mich, denn Musik ist für mich Muse, ich kann sie gar nicht ignorieren oder verbannen aus meinem Leben. Es treibt mich auch heute noch zur Musik, ich kann das nicht sein lassen.
Du hast aber mit einem Duo, Jirojo, bei «Live im Kern» gespielt …
Das stimmt, und das war wirklich super! Ich wurde von den Organisatoren gefragt, ob ich mitmachen will bei diesem Event, und ich sagte, dass sie mir einfach jemanden vorstellen sollen, der gerne mit einem Schlagzeuger spielen will. Da hat Jirojo zugesagt, und ihr Repertoire hat sehr gut gepasst.
Ich war nie stilbezogen, ich kann eigentlich alles umsetzen, mochte es aber, so eine Mischung aus Rock, Blues und Funk zu spielen, härter als Jazz. Meine Aufgabe, mein Ziel ist, dass sich die Menschen vor der Bühne zur Musik bewegen.
Ich mochte die Zusammenarbeit mit den beiden, die sind richtig gut. Und ich geniesse die absolute Freiheit, dass ich mich inzwischen entscheiden kann, ob ich an einem Projekt mitmachen will oder nicht. Es ist kein Muss, nur noch Leidenschaft.
Die Rückmeldungen auf Deinen Einsatz am «Live» waren positiv; es waren wohl viele überrascht von Deinem Können …
Das war wirklich toll *lächelt verlegen*. Ich treffe Jirojo seitdem regelmässig zu Proben, das macht Spass.
Du bist also Bäcker geblieben.
Objektiv betrachtet habe ich mir nie die Frage gestellt, ob ich Bäcker werde, mir war klar, dass ich die Lehre machen will. Ob ich dabei bleibe, wusste ich allerdings nicht. Aber nachdem ich den Entscheid gefällt hatte, dass die Musik nicht mein Weg sein würde, um meinen Lebensunterhalt zu bestreiten, war es einfacher für mich, und ich kann mit diesem Entscheid sehr gut leben. Ich liebe meine Arbeit, und das Schlagzeug ist jetzt mein Hobby.
Ein Geschäft zu übernehmen ist dann aber schon noch was anderes.
Vermutlich wäre ich anderswo in einer Anstellung nicht zufrieden gewesen *überlegt*, nein, das hätte mich nicht glücklich gemacht. Vielleicht hätte ich nach der Lehre nicht gleich in den Familienbetrieb zurückkommen sollen, aber damals war meine Mutter schon krank, und ich geriet in einen Gewissenskonflikt, weil mein Vater allein im Betrieb war. Ich habe gespürt, dass es ihm nicht gut geht und ihm alles über den Kopf wächst. Mein Bruder lebte da schon in Zürich und schlug eine ganz andere Berufsrichtung ein.
Irgendwann überbordete die Situation derart, dass wir einen Entscheid fällen mussten, um das Geschäft zu retten. So trennten sich meine Eltern leider. Danach wurde es etwas besser – tragischerweise, wie ich sagen muss.
Vor sieben Jahren übernahmst Du das Geschäft, Dein Vater hilft aber noch immer fleissig mit …
Menschen, die einander verbunden sind, das hilft schon sehr bei der Arbeit. Dass mein Vater noch immer alles mögliche für die Produktion vorbereitet, ist Gold wert. Er wird das aber nicht ewig machen können, immerhin wäre er schon länger pensioniert. Nebst ihm arbeitet jemand mit körperlicher Beeinträchtigung in einer 30-Prozent-Anstellung.
Wann beginnt Dein Arbeitstag?
Etwa um 2.30 Uhr, am Wochenende stehe ich meist zwischen Mitternacht und ein Uhr auf. Wir haben dann so viele Sachen im Angebot, dass ich es nicht schaffen würde, dass spätestens um sieben Uhr die Ware parat ist für den Verkauf.
Zuerst müssen die Brote und Brötchen gemacht werden, so um 4 Uhr starte ich mit der Patisserie und Snacks, damit ich nach 8 Uhr mit den Vorbereitungen für den Abend oder den nächsten Tag starten kann.
Gegen 13, 14 Uhr muss ich mich hinlegen und ein paar Stunden schlafen, bevor ich am Abend nochmals in die Backstube gehe und Teig vorbereite.
Es stört mich nicht, viel zu arbeiten. Allerdings wäre es schön, jemanden zu haben, auf den man sich verlassen und die Aufgaben teilen kann, um die Abwechslung zu garantieren. Das würde mir sicher gut tun. Aber es fehlt eine Person, die einen Teil der Arbeit übernehmen kann, damit die Produktion weiterläuft.
Was ist es, was den Bäckerberuf attraktiv für Dich macht?
Mit Lebensmitteln zu arbeiten finde ich enorm schön, auch wenn es heutzutage manchmal recht schwierig wird mit all den Allergien, wie beispielsweise auf Weizen. Mit dem Urdinkel kann ich jetzt einiges machen für den Kunden, und letzthin habe ich mich an einem Sauerteigbrot versucht, auch weil Kunden danach fragten. Was für eine spannende Sache! Ich bin immer wieder runter in die Backstube, weil ich unsicher war, ob der Teig wirklich «arbeitet». Auch mein Vater staunte, wie der Teig aufging in diesen 24 Stunden – faszinierend! *freut sich extrem über das Gelingen* Neuerdings steht das Sauerteigbrot einmal wöchentlich in unserem Angebot.
Generell arbeite ich mit sehr wenig Hefe, weil die Teige sehr lange ruhen dürfen. Das macht das Brot für den Menschen verträglicher. Jedoch dürfte ein Sauerteigbrot für diesbezüglich sensiblere Menschen durchaus interessant sein.
Leider scheint Zeit heute ein rares Gut, aber die müssen wir uns eben zurückholen, wenn es uns gut gehen soll. So wie ich dem Teig Zeit gebe.
Ein weiterer Punkt ist, dass ich es liebe, den Weg des Produktes zu verfolgen, ein Endprodukt in Händen zu halten, von dem ich überzeugt bin. Ist vielleicht wie beim Schreiben eines Liedes. Nur dass das länger Bestand hat als ein Brot *zwinkert*.
Am Ende unterliegt es meiner Entscheidung, was vorne an der Theke verkauft wird, und es ist mir ein grosses Anliegen, meinen Kunden gute Ware zu präsentieren.
Die Wertschätzung von Menschen für dein Produkt hat einen ganz eigenen Wert – ein Brot, das lange frisch bleibt, dessen Geschmack die Kundinnen und Kunden mögen … und es ihnen hoffentlich auch gut tut. Ich will hinter meinen Produkten stehen könnten.
Hast Du beim Produzieren ein Lieblingsgebäck, oder auch etwas, womit Du nicht gerne arbeitest?
Ich probiere gerne Sachen aus, kreiere Neues. Ich mag das sehr, vor allem, wenns im Laden gut ankommt.
Was ich nicht ausstehen kann, ist die Arbeit mit Schoggi. Das ist gar nicht meine Ding! Ich esse sie gerne, und die Pralinen für den Laden kaufe ich ein, das reicht. Da habe ich keine Geduld dafür. Oder solche Zuckerkreationen, wie es Tanner früher gemacht hat *zeigt auf ein Foto an der Wand* – der muss eine unglaubliche Leidenschaft für dieses «Nifelizeug» gehabt haben! Keine Ahnung, wie lange er an einer solchen Kreation gearbeitet hat … Bei mir würde alles wohl unweigerlich irgendwann an der Wand landen. Ich habe schon Ehrgeiz, aber alles hat Grenzen.
Die traditionellen «Richterswilerli» von Tanners, die mache ich aber schon noch selber.
Lebensmittelverschwendung ist derzeit in aller Munde. Wie sieht das bei Dir aus?
Über das Jahr hinweg würde ich sagen, dass wir im Verbrauch sehr gut aufgestellt sind und ich den Überblick habe über den tatsächlichen Produkteverkauf. Wenn ich am Mittag merke, dass Sandwiches gut weggehen oder Brot ausgeht, dann mache ich noch ein paar davon.
Übrig gebliebenes Kleingebäck mahle ich zu Paniermehl, das uns ein Restaurant abnimmt. Ansonsten biete ich an den verkaufsärmeren Tagen auf der Plattform «To good to go» meine Waren an. Das wird gern genutzt.
Und der Kaffeesatz aus dem Café kommt in den Kompost.
Wie würdest Du die Stimmung im sanierten Dorfkern beschreiben?
Ich empfinde die Stimmung im Dorf jetzt ganz anders, und ich glaube, das geht auch denen so, die zuvor nicht von RED überzeugt waren. Wenn ich jetzt aus dem Fenster sehe, dann sind da Kinder, die auf der Strasse spielen, Menschen, die draussen sitzen, gemütlich ein Schwätzchen halten. Einfach toll.
Möglicherweise hat man manchmal einfach Angst vor dem Neuen. Aber ich bin nicht der Typ, der Überzeugungsarbeit leistet, will keine Leute angreifen und lasse den Leuten ihre Meinung.
Dass ich jetzt die Leute sehe, die den beruhigten Dorfkern geniessen, dann freut mich das. Einstellungssachen brauchen manchmal einfach Zeit.
Momentan hängen Collagen aus dem Dorf in Deinem Schaufenster und Postkarten gleichen Sujets liegen im Laden auf. Was hat es damit auf sich?
Die sind von einer Klassengruppe aus der HFTG, der Höheren Fachschule für Technik und Gestaltung in Zug. Die sind an Umgestaltungs-Projekten interessiert für die Abschlussprüfungen. Dank eines wertvollen Tipps habe ich mich dort beworben und wurde als Bäckerei mit Café akzeptiert. So kam eine ganze Klasse aus Zug zu mir, die hat sich alles zeigen lassen, mir wurden x Fragen gestellt, und Hans Preisig hat sogar eine Dorfführung für sie gemacht. Dabei ging es darum zu erfahren, wie alles zusammenhängt, was für ein Geschäft es ist, und was für eine Person ich bin. Total spannend! Das hat mir richtig gut getan mit diesen jungen Menschen im Austausch zu sein.
Die Klasse wurde danach in fünf Gruppen aufgeteilt, und jede von ihnen wird ein Konzept erarbeiten, was man gestalterisch und einrichtungstechnisch mit den Räumlichkeiten machen kann. Die Präsentation sollte im November sein. Dazu will ich den Hausbesitzer einladen, denn er soll auch in den Prozess integriert sein, das ist mir wichtig. Ich bin wirklich sehr gespannt, was bei den Arbeiten herauskommen wird!
Es gibt Berufe, die – glücklicherweise – (noch) nicht aus dem dörflichen Bild verschwunden sind, zumindest in Richterswil oder Wädenswil. Etwa der Bäcker. Seit Ulrich Tanner 1870 als gelernter Konditor in Richterswil sein Geschäft eröffnete, mit dem er wenige Jahre später an den Spielhof umzog, wird in der Backstube der Dorfstrasse 39 Teig geknetet – bis heute.
Text: Reni Bircher
Tanner, der einer langen Linie entstammt, welche sich schon früh in Richterswil niedergelassen hat, war gelernter Konditor, auch Zuckerbäcker genannt. Als erster der Familie mit diesem Beruf, folgten ihm jedoch Sohn und Enkel nach und hielten den Familienbetrieb am Leben. Ernst Tanner-Isler (1879–1954) war ein Meister seines Fachs, der wahrhaft kunstfertig die schönsten Gebilde aus Zucker herstellte, wie beispielsweise die architektonisch genaue Nachbildung der reformierten Kirche zu deren Einweihung 1905. Später nahm er mit seinen Schaustücken und Produkten an Ausstellungen teil und errang mehrere Goldmedaillen.
Nebst der Bäckerei wird ein Café betrieben, welches damals noch als Erfrischungsraum bezeichnet wird. Das gut laufende Geschäft erfährt einen Ausbau: mehr Fenster und eine Marmorfassade, welche alten Zeitungsberichten zufolge jedoch eine magische Anziehungskraft auf Autofahrer ausgeübt haben muss …
Mit einer künstlerischen Begabung gesegnet, erlernte der einziger Sohn von Tanner-Isler – nach dem Vater Ernst benannt – ebenfalls den Beruf des Konditors, im berühmten Huguenin in Zürich. Nach einigen Wanderjahren im In- und Ausland trat er in den väterlichen Betrieb ein.
Der Tradition verpflichtet
In diese Zeit fiel auch der vorgängig erwähnte Umbau (ca. 1933), nach dessen Fertigstellung Vater Tanner-Isler als einer der ersten Anrainer entlang der Räbechilbi-Strecke 100 Räben von Hand aushöhlte und das Haus damit für den Umzug schmückte. Sohn Ernst Tanner
(-Gattiker) kreierte eigens eine Räbenchilbi-Torte, welche für manches Jahr wiederkehrend im Herbst feilgeboten wurde. Er war es auch, der die «Richterswilerli» erfunden hat, welche bis zum heutigen Tag noch immer verkauft werden.
Trotz Rationierung und Arbeitsknappheit übernahm Ernst Tanner-Gattiker 1944 vom Vater die Konditorei mit Café, obwohl schon in frühen Jahren Confiseriewaren eher in den Luxusbereich gehörten. Zudem war er mehrere Jahre Fachlehrer an der Berufsschule und bildete Schüler zunächst in seiner Backstube, später dann in Männedorf und Uster in der Kunst des Dekorierens aus.
Bäckerei wechselt Besitzer
Ein hartnäckiges Rücken- und Hüftleiden zwang den Süsswarenspezialisten und Familienvater 1968 zum Verkauf des Geschäftes, denn von den Kindern war keines in den Betrieb eingestiegen.
Hans «Hasse» Schärer übernahm den Laden mit Backstube an der Dorfstrasse und eröffnete eine Bäckerei-Konditorei. Dieser liess eines der Schaufenster zum Zugang für das Café umbauen, so wie man es heute noch kennt.
Bei seinem Tageswerk unterstützte Schärer der junge Klaus Dobler, der ursprünglich aus Benken kam. Bereits 1979 übernahm Dobler die Bäckerei von seinem Chef, der sich anderweitig verwirklichen wollte und das Café Batze an der Freiestrasse eröffnete. Infolgedessen zog Dobler mit seiner Frau und einem Fünfjährigen in die Wohnung über dem Laden. Kurz danach erblickte Pascal Dobler das Licht der Welt, und – möglicherweise – hat damals niemand damit gerechnet, dass das Kind mit den Sommersprossen und den seegrünen Augen eine unzerstörbare Leidenschaft für das Bäckerleben entwickelt und nach all den Jahren noch immer glücklich in der Backstube agiert. Vor sieben Jahren übernahm Pascal das Geschäft von seinem Vater, und seit ein paar Wochen hängen Bilder von den Arbeiten der Bäckerei-Vorgänger im Cafe.
Der Richterswiler Anzeiger hat mit dem heutigen Besitzer ein Interview geführt:
Pascal, Du lebst und arbeitest im Familienbetrieb …
Das ist so. Ich kenne jede Ecke, jeden Winkel seit meiner frühesten Kindheit, habe im Café gespielt und meinen Vater bei der Arbeit beobachtet – und Teig stibitzt.
Meine Mutter, Yvonne, hat eine Verkäuferlehre in einem Musikgeschäft in St. Gallen gemacht. Ein Onkel beschaffte ihr danach einen Job bei Bäckerkollege Baggenstoss. So lernte sie meinen Vater kennen. Sie war wohl sehr gut im Dorfleben integriert. Mein Vater war in mehreren Vereinen, war sogar Trainer beim Fussballclub.
Mein Bruder ist fünf Jahre älter und wäre beinahe Profisportler geworden, hat sich dann aber dagegen entschieden und wurde Sportlehrer.
Wo hast Du Deine Ausbildung gemacht?
In Wädenswil als Bäcker-Konditor beim «Chilebeck» an der Schönenbergstrasse, also bei Leo Gantner. Ich glaube, seine Tochter hat inzwischen das Geschäft übernommen …
Ja, hat sie!
Die habe ich noch als Kind gekannt, wir haben immer zusammen gefrühstückt! Das ist auch so ein typischer Familienbetrieb. Da war ich wirklich gern. Aber ich war damals sehr verschlossen, weil das eine persönlich schwierige Zeit war für mich …
In der Freizeit spielst Du Schlagzeug …
Ja, ich glaube, ich habe so mit 10, 11 damit angefangen. Ständig habe ich irgendwo herumgetrommelt, auf Töpfe, Pfannen, Tischkanten … Vielleicht kam es daher, dass ich Legastheniker bin, einen Ausgleich brauchte – keine Ahnung. Ich habe zwar gelernt, die Noten zu lesen, aber es fällt mir sehr viel leichter, über Gehör und Gefühl zu lernen.
Als mein Vater ein Fest mit Musik organisiert hat, schenkte mir der Drummer seine Sticks. Von da an hatte ich die immer dabei, aber kein Schlagzeug. Also ging das Getrommle weiter. Damit trieb ich meine Mutter fast in den Wahnsinn, bis sie mir unten im Güterschuppen jemanden fand, der ein Schlagzeug hatte, mir Zugang dafür gewährte und mir ausserdem noch ein paar Stunden gab. Da hat es mir den Ärmel total reingezogen!
Ich fand ziemlich schnell heraus, wie ich rhythmisch variieren kann, und vermutlich war es dieses Gespür für die Musik, das mich so beflügelt und begeistert hat.
Du warst in einer Band?
Mit einem Bassspieler stellte ich eine fünfköpfige Band zusammen. Da war ich noch in der Oberstufe. Wir haben sogar Konzerte gegeben! Mit einem guten Sänger, und jemanden aus der Band verstand auch was von Marketing.
Ich war nie der, der sich exponiert, war hinter dem Schlagzeug auch gut «versteckt». Aber die anderen haben eine rechte Show abgezogen mit ihren Tattoos, den Piercings, Farblinsen und wilden Frisuren. Das war total spannend, und ich fand den Stil einfach gut! Finanziell hat sich das nie rentiert, aber darum ging es uns nicht.
Aufgehört hat das erst, als der Bassist eine Familie gründete und plötzlich alle anderweitig eingespannt waren. Vielleicht hätten wir ein paar Jahre zuvor die Weichen anders stellen müssen, dann wäre das wirklich was geworden. Doch so standen wir an einem Scheideweg und lösten die Band auf.
Das war sehr schwer für mich, denn Musik ist für mich Muse, ich kann sie gar nicht ignorieren oder verbannen aus meinem Leben. Es treibt mich auch heute noch zur Musik, ich kann das nicht sein lassen.
Du hast aber mit einem Duo, Jirojo, bei «Live im Kern» gespielt …
Das stimmt, und das war wirklich super! Ich wurde von den Organisatoren gefragt, ob ich mitmachen will bei diesem Event, und ich sagte, dass sie mir einfach jemanden vorstellen sollen, der gerne mit einem Schlagzeuger spielen will. Da hat Jirojo zugesagt, und ihr Repertoire hat sehr gut gepasst.
Ich war nie stilbezogen, ich kann eigentlich alles umsetzen, mochte es aber, so eine Mischung aus Rock, Blues und Funk zu spielen, härter als Jazz. Meine Aufgabe, mein Ziel ist, dass sich die Menschen vor der Bühne zur Musik bewegen.
Ich mochte die Zusammenarbeit mit den beiden, die sind richtig gut. Und ich geniesse die absolute Freiheit, dass ich mich inzwischen entscheiden kann, ob ich an einem Projekt mitmachen will oder nicht. Es ist kein Muss, nur noch Leidenschaft.
Die Rückmeldungen auf Deinen Einsatz am «Live» waren positiv; es waren wohl viele überrascht von Deinem Können …
Das war wirklich toll *lächelt verlegen*. Ich treffe Jirojo seitdem regelmässig zu Proben, das macht Spass.
Du bist also Bäcker geblieben.
Objektiv betrachtet habe ich mir nie die Frage gestellt, ob ich Bäcker werde, mir war klar, dass ich die Lehre machen will. Ob ich dabei bleibe, wusste ich allerdings nicht. Aber nachdem ich den Entscheid gefällt hatte, dass die Musik nicht mein Weg sein würde, um meinen Lebensunterhalt zu bestreiten, war es einfacher für mich, und ich kann mit diesem Entscheid sehr gut leben. Ich liebe meine Arbeit, und das Schlagzeug ist jetzt mein Hobby.
Ein Geschäft zu übernehmen ist dann aber schon noch was anderes.
Vermutlich wäre ich anderswo in einer Anstellung nicht zufrieden gewesen *überlegt*, nein, das hätte mich nicht glücklich gemacht. Vielleicht hätte ich nach der Lehre nicht gleich in den Familienbetrieb zurückkommen sollen, aber damals war meine Mutter schon krank, und ich geriet in einen Gewissenskonflikt, weil mein Vater allein im Betrieb war. Ich habe gespürt, dass es ihm nicht gut geht und ihm alles über den Kopf wächst. Mein Bruder lebte da schon in Zürich und schlug eine ganz andere Berufsrichtung ein.
Irgendwann überbordete die Situation derart, dass wir einen Entscheid fällen mussten, um das Geschäft zu retten. So trennten sich meine Eltern leider. Danach wurde es etwas besser – tragischerweise, wie ich sagen muss.
Vor sieben Jahren übernahmst Du das Geschäft, Dein Vater hilft aber noch immer fleissig mit …
Menschen, die einander verbunden sind, das hilft schon sehr bei der Arbeit. Dass mein Vater noch immer alles mögliche für die Produktion vorbereitet, ist Gold wert. Er wird das aber nicht ewig machen können, immerhin wäre er schon länger pensioniert. Nebst ihm arbeitet jemand mit körperlicher Beeinträchtigung in einer 30-Prozent-Anstellung.
Wann beginnt Dein Arbeitstag?
Etwa um 2.30 Uhr, am Wochenende stehe ich meist zwischen Mitternacht und ein Uhr auf. Wir haben dann so viele Sachen im Angebot, dass ich es nicht schaffen würde, dass spätestens um sieben Uhr die Ware parat ist für den Verkauf.
Zuerst müssen die Brote und Brötchen gemacht werden, so um 4 Uhr starte ich mit der Patisserie und Snacks, damit ich nach 8 Uhr mit den Vorbereitungen für den Abend oder den nächsten Tag starten kann.
Gegen 13, 14 Uhr muss ich mich hinlegen und ein paar Stunden schlafen, bevor ich am Abend nochmals in die Backstube gehe und Teig vorbereite.
Es stört mich nicht, viel zu arbeiten. Allerdings wäre es schön, jemanden zu haben, auf den man sich verlassen und die Aufgaben teilen kann, um die Abwechslung zu garantieren. Das würde mir sicher gut tun. Aber es fehlt eine Person, die einen Teil der Arbeit übernehmen kann, damit die Produktion weiterläuft.
Was ist es, was den Bäckerberuf attraktiv für Dich macht?
Mit Lebensmitteln zu arbeiten finde ich enorm schön, auch wenn es heutzutage manchmal recht schwierig wird mit all den Allergien, wie beispielsweise auf Weizen. Mit dem Urdinkel kann ich jetzt einiges machen für den Kunden, und letzthin habe ich mich an einem Sauerteigbrot versucht, auch weil Kunden danach fragten. Was für eine spannende Sache! Ich bin immer wieder runter in die Backstube, weil ich unsicher war, ob der Teig wirklich «arbeitet». Auch mein Vater staunte, wie der Teig aufging in diesen 24 Stunden – faszinierend! *freut sich extrem über das Gelingen* Neuerdings steht das Sauerteigbrot einmal wöchentlich in unserem Angebot.
Generell arbeite ich mit sehr wenig Hefe, weil die Teige sehr lange ruhen dürfen. Das macht das Brot für den Menschen verträglicher. Jedoch dürfte ein Sauerteigbrot für diesbezüglich sensiblere Menschen durchaus interessant sein.
Leider scheint Zeit heute ein rares Gut, aber die müssen wir uns eben zurückholen, wenn es uns gut gehen soll. So wie ich dem Teig Zeit gebe.
Ein weiterer Punkt ist, dass ich es liebe, den Weg des Produktes zu verfolgen, ein Endprodukt in Händen zu halten, von dem ich überzeugt bin. Ist vielleicht wie beim Schreiben eines Liedes. Nur dass das länger Bestand hat als ein Brot *zwinkert*.
Am Ende unterliegt es meiner Entscheidung, was vorne an der Theke verkauft wird, und es ist mir ein grosses Anliegen, meinen Kunden gute Ware zu präsentieren.
Die Wertschätzung von Menschen für dein Produkt hat einen ganz eigenen Wert – ein Brot, das lange frisch bleibt, dessen Geschmack die Kundinnen und Kunden mögen … und es ihnen hoffentlich auch gut tut. Ich will hinter meinen Produkten stehen könnten.
Hast Du beim Produzieren ein Lieblingsgebäck, oder auch etwas, womit Du nicht gerne arbeitest?
Ich probiere gerne Sachen aus, kreiere Neues. Ich mag das sehr, vor allem, wenns im Laden gut ankommt.
Was ich nicht ausstehen kann, ist die Arbeit mit Schoggi. Das ist gar nicht meine Ding! Ich esse sie gerne, und die Pralinen für den Laden kaufe ich ein, das reicht. Da habe ich keine Geduld dafür. Oder solche Zuckerkreationen, wie es Tanner früher gemacht hat *zeigt auf ein Foto an der Wand* – der muss eine unglaubliche Leidenschaft für dieses «Nifelizeug» gehabt haben! Keine Ahnung, wie lange er an einer solchen Kreation gearbeitet hat … Bei mir würde alles wohl unweigerlich irgendwann an der Wand landen. Ich habe schon Ehrgeiz, aber alles hat Grenzen.
Die traditionellen «Richterswilerli» von Tanners, die mache ich aber schon noch selber.
Lebensmittelverschwendung ist derzeit in aller Munde. Wie sieht das bei Dir aus?
Über das Jahr hinweg würde ich sagen, dass wir im Verbrauch sehr gut aufgestellt sind und ich den Überblick habe über den tatsächlichen Produkteverkauf. Wenn ich am Mittag merke, dass Sandwiches gut weggehen oder Brot ausgeht, dann mache ich noch ein paar davon.
Übrig gebliebenes Kleingebäck mahle ich zu Paniermehl, das uns ein Restaurant abnimmt. Ansonsten biete ich an den verkaufsärmeren Tagen auf der Plattform «To good to go» meine Waren an. Das wird gern genutzt.
Und der Kaffeesatz aus dem Café kommt in den Kompost.
Wie würdest Du die Stimmung im sanierten Dorfkern beschreiben?
Ich empfinde die Stimmung im Dorf jetzt ganz anders, und ich glaube, das geht auch denen so, die zuvor nicht von RED überzeugt waren. Wenn ich jetzt aus dem Fenster sehe, dann sind da Kinder, die auf der Strasse spielen, Menschen, die draussen sitzen, gemütlich ein Schwätzchen halten. Einfach toll.
Möglicherweise hat man manchmal einfach Angst vor dem Neuen. Aber ich bin nicht der Typ, der Überzeugungsarbeit leistet, will keine Leute angreifen und lasse den Leuten ihre Meinung.
Dass ich jetzt die Leute sehe, die den beruhigten Dorfkern geniessen, dann freut mich das. Einstellungssachen brauchen manchmal einfach Zeit.
Momentan hängen Collagen aus dem Dorf in Deinem Schaufenster und Postkarten gleichen Sujets liegen im Laden auf. Was hat es damit auf sich?
Die sind von einer Klassengruppe aus der HFTG, der Höheren Fachschule für Technik und Gestaltung in Zug. Die sind an Umgestaltungs-Projekten interessiert für die Abschlussprüfungen. Dank eines wertvollen Tipps habe ich mich dort beworben und wurde als Bäckerei mit Café akzeptiert. So kam eine ganze Klasse aus Zug zu mir, die hat sich alles zeigen lassen, mir wurden x Fragen gestellt, und Hans Preisig hat sogar eine Dorfführung für sie gemacht. Dabei ging es darum zu erfahren, wie alles zusammenhängt, was für ein Geschäft es ist, und was für eine Person ich bin. Total spannend! Das hat mir richtig gut getan mit diesen jungen Menschen im Austausch zu sein.
Die Klasse wurde danach in fünf Gruppen aufgeteilt, und jede von ihnen wird ein Konzept erarbeiten, was man gestalterisch und einrichtungstechnisch mit den Räumlichkeiten machen kann. Die Präsentation sollte im November sein. Dazu will ich den Hausbesitzer einladen, denn er soll auch in den Prozess integriert sein, das ist mir wichtig. Ich bin wirklich sehr gespannt, was bei den Arbeiten herauskommen wird!