«Ruäch» von Andreas Müller, Simon Guy Fässler und Marcel Bächtiger ist ein Film, der eine magische Reise ins jenische Europa zeigt. Der Dokumentarfilm ist das Porträt einer verborgenen Kultur, geprägt von Freiheitsdrang und gezeichnet von alten Wunden – und es ist auch eine Selbstbesinnung. Das Schlosscinema Wädenswil hat zu seiner Premiere eingeladen. Dazu hat Sabrina Lejeune, Betreiberin des Kinos, die drei Regisseure und zwei Fahrende eingeladen.
Text & Bild: Ingrid Eva Liedtke
Zigeuner nannte man sie und meinte Fahrende, Heimatlose. Solche, die nicht ins System passen, solche, denen man nicht trauen kann, die stehlen, gar Kinder klauen, Wohnungen ausrauben; solche, die faul sind, in noch früherer Zeit gar Hexen, dem Teufel verpflichtet, Menschen, die man nicht haben wollte, nicht mal am Rande unserer Gesellschaft. Zigeunern war nicht zu trauen – die fürchtete man, die Fremden. Noch heute tut man sich schwer, ihnen einen Platz einzuräumen.
Zwangsmassnahmen
Man wollte sie weghaben. Da es nicht möglich war, sie auszulöschen, versuchte man sie zwangsanzupassen, nahm ihnen die Kinder weg, steckte diese in Kinderheime, gab ihnen neue Namen, wollte sie umerziehen und sterilisieren, wenn irgendwie möglich. Und man verwehrte ihnen die Standplätze für ihre Wohnwagen.
All diese Zwangsmassnahmen
und die damit geschlagenen Wunden tauchen im Film «Ruäch» immer wieder als Erinnerungen auf. Der Schmerz, der die Jenischen begleitet, ist manchmal nur schwer auszuhalten. Er liegt im Blick des kleinen Jungen, der in die Ferne schaut – und auch in Lisbeths Worten. Sie erzählt von ihrer einstigen Diagnose, Unterleibskrebs im Endstadium. Erst, als es zu spät war, erfuhr sie, dass sie gesund war. Man hatte sie zwangssterilisiert! «Ich hätte gerne Kinder gehabt, zwei, drei. Ich hätte sie auch gut alleine grossgezogen. Das wäre für mich kein Problem gewesen. Aber, nun ist es halt anders gekommen.»
Ruäch nennen sie uns
«Ruäch» nennen sie uns. Wir sind «Die», vor denen man sich hüten soll, vor denen man die Kinder beschützen muss, denen man nicht zu viel erzählen darf, denen man nicht trauen kann.
Es war nicht einfach, wie die Filmemacher anschliessend an den Film erzählen, in die Nähe der Jenischen zu gelangen und ihr Vertrauen zu gewinnen.
Wir nennen sie jetzt übrigens nicht mehr Zigeuner. Wir versuchen bewusster und wertschätzender mit Minderheiten umzugehen – wenigstens sprachlich. Doch manche Fahrende verwenden den Begriff weiter für sich und sehen dies als eine Form der Selbstermächtigung.
Dieser Film handelt auch von uns und unserem Blick auf andere. Er entlarvt sofort die eigenen Vorurteile und nimmt uns gleichzeitig mit auf die Reise mit dem unvoreingenommenen Blick der Filmemacher. Sie besuchen die Jenischen immer wieder, verbringen Zeit mit ihnen, nehmen an Festen teil, hören den Erzählungen zu, der Musik, und schliesslich wagen sie auch die schwierigen Fragen zu stellen.
Dies alles geschah in einem Zeitraum von insgesamt neun Jahren, und der Film brauchte viele –
90 – Drehtage! «Wir waren mit der Frage unterwegs, was einen jenischen Menschen ausmacht», sagt Andreas Müller. «Wir können sie aber auch heute nicht einfach so beantworten.»
Der Film zeichnet ein facettenreiches Bild
Die Jenischen in diesem Film handeln mit Alteisen, schleifen Messer, fangen Fische mit blossen Händen, meditieren. Sie arbeiten so viel wie nötig und haben dafür Zeit für die Kinder und Zeit, um zu leben.
Neuerdings fragen auch wir uns ja manchmal, ob das nicht ein besseres Lebenskonzept wäre.
Der Betrachter lernt: Das fahrende Volk hat eine Identität, hat einen Stolz, lebt in Sippen, hat einen Zusammenhalt, pflegt Traditionen, hat und pflegt seine Geschichte und seine Überlieferungen, hat vielleicht eine Bestimmung. Alles nicht auszulöschen, nicht anzugleichen – anders und doch stark.
Der Film wird dem gerecht, weil er ein Dokument darüber ist, wie diese Menschen leben und ist nicht ein Statement: «So sind sie!».
Austausch mit dem Publikum
Im Anschluss an den Vorführung beantworteten die anwesenden Regisseure und zwei Leute aus der Gemeinschaft der Fahrenden in Adliswil Fragen aus dem Publikum und freuten sich über das rege Interesse der Wädenswiler.
Die Frage nach dem Grund für diesen Film beantworte Andrea Müller folgendermassen: «Ich war dabei, einen historischen Spielfilm zu realisieren, mit einer jenischen Frau als Hauptfigur, und musste dazu recherchieren. Serge, ein Kontakt bei den Jenischen – im Film hört man ihn nur durchs Telefon – hat dann vorgeschlagen, doch einen aktuellen Film über sie zu machen. Ich wäre selber nicht darauf gekommen, weil es wirklich schwierig ist Kontakte herzustellen.»
Dazu Simon Guy Fässler: «Serge hat uns viele Türen aufgestossen. So konnten wir Vertrauen schaffen. Wir haben versprochen ihnen das Endprodukt zu zeigen und sie darüber befinden zu lassen. Mit diesem Film konnten wir ihnen etwas geben, das sie auch stolz machte.»
Was beim Betrachter des Films bleibt, ist eine grosse Achtung gegenüber diesen Menschen. Für die Filmemacher ergaben sich Freundschaften.
Die Nachricht der Regisseure ans Wädenswiler Publikum: «Das einzigartige Publikum zeigte mit den vielen tollen Fragen ein grosses Interesse. Wir befanden einstimmig, dass es bis anhin der schönste Premiere-Abend war!»
Dieser Abend zeigt einmal mehr auch, wie wichtig es ist, unser kleines Stadtkino mit seinem qualitativ auserlesenen Programm zu unterstützen. Dazu gibt es auch den Verein SchlossCinema, oder man kann das Kino zusätzlich mit einer Spende unterstützen.
Alle weiteren Informationen, sowie das Kinoprogramm findet man auf schlosscinema.ch
«Ruäch» von Andreas Müller, Simon Guy Fässler und Marcel Bächtiger ist ein Film, der eine magische Reise ins jenische Europa zeigt. Der Dokumentarfilm ist das Porträt einer verborgenen Kultur, geprägt von Freiheitsdrang und gezeichnet von alten Wunden – und es ist auch eine Selbstbesinnung. Das Schlosscinema Wädenswil hat zu seiner Premiere eingeladen. Dazu hat Sabrina Lejeune, Betreiberin des Kinos, die drei Regisseure und zwei Fahrende eingeladen.
Text & Bild: Ingrid Eva Liedtke
Zigeuner nannte man sie und meinte Fahrende, Heimatlose. Solche, die nicht ins System passen, solche, denen man nicht trauen kann, die stehlen, gar Kinder klauen, Wohnungen ausrauben; solche, die faul sind, in noch früherer Zeit gar Hexen, dem Teufel verpflichtet, Menschen, die man nicht haben wollte, nicht mal am Rande unserer Gesellschaft. Zigeunern war nicht zu trauen – die fürchtete man, die Fremden. Noch heute tut man sich schwer, ihnen einen Platz einzuräumen.
Zwangsmassnahmen
Man wollte sie weghaben. Da es nicht möglich war, sie auszulöschen, versuchte man sie zwangsanzupassen, nahm ihnen die Kinder weg, steckte diese in Kinderheime, gab ihnen neue Namen, wollte sie umerziehen und sterilisieren, wenn irgendwie möglich. Und man verwehrte ihnen die Standplätze für ihre Wohnwagen.
All diese Zwangsmassnahmen
und die damit geschlagenen Wunden tauchen im Film «Ruäch» immer wieder als Erinnerungen auf. Der Schmerz, der die Jenischen begleitet, ist manchmal nur schwer auszuhalten. Er liegt im Blick des kleinen Jungen, der in die Ferne schaut – und auch in Lisbeths Worten. Sie erzählt von ihrer einstigen Diagnose, Unterleibskrebs im Endstadium. Erst, als es zu spät war, erfuhr sie, dass sie gesund war. Man hatte sie zwangssterilisiert! «Ich hätte gerne Kinder gehabt, zwei, drei. Ich hätte sie auch gut alleine grossgezogen. Das wäre für mich kein Problem gewesen. Aber, nun ist es halt anders gekommen.»
Ruäch nennen sie uns
«Ruäch» nennen sie uns. Wir sind «Die», vor denen man sich hüten soll, vor denen man die Kinder beschützen muss, denen man nicht zu viel erzählen darf, denen man nicht trauen kann.
Es war nicht einfach, wie die Filmemacher anschliessend an den Film erzählen, in die Nähe der Jenischen zu gelangen und ihr Vertrauen zu gewinnen.
Wir nennen sie jetzt übrigens nicht mehr Zigeuner. Wir versuchen bewusster und wertschätzender mit Minderheiten umzugehen – wenigstens sprachlich. Doch manche Fahrende verwenden den Begriff weiter für sich und sehen dies als eine Form der Selbstermächtigung.
Dieser Film handelt auch von uns und unserem Blick auf andere. Er entlarvt sofort die eigenen Vorurteile und nimmt uns gleichzeitig mit auf die Reise mit dem unvoreingenommenen Blick der Filmemacher. Sie besuchen die Jenischen immer wieder, verbringen Zeit mit ihnen, nehmen an Festen teil, hören den Erzählungen zu, der Musik, und schliesslich wagen sie auch die schwierigen Fragen zu stellen.
Dies alles geschah in einem Zeitraum von insgesamt neun Jahren, und der Film brauchte viele –
90 – Drehtage! «Wir waren mit der Frage unterwegs, was einen jenischen Menschen ausmacht», sagt Andreas Müller. «Wir können sie aber auch heute nicht einfach so beantworten.»
Der Film zeichnet ein facettenreiches Bild
Die Jenischen in diesem Film handeln mit Alteisen, schleifen Messer, fangen Fische mit blossen Händen, meditieren. Sie arbeiten so viel wie nötig und haben dafür Zeit für die Kinder und Zeit, um zu leben.
Neuerdings fragen auch wir uns ja manchmal, ob das nicht ein besseres Lebenskonzept wäre.
Der Betrachter lernt: Das fahrende Volk hat eine Identität, hat einen Stolz, lebt in Sippen, hat einen Zusammenhalt, pflegt Traditionen, hat und pflegt seine Geschichte und seine Überlieferungen, hat vielleicht eine Bestimmung. Alles nicht auszulöschen, nicht anzugleichen – anders und doch stark.
Der Film wird dem gerecht, weil er ein Dokument darüber ist, wie diese Menschen leben und ist nicht ein Statement: «So sind sie!».
Austausch mit dem Publikum
Im Anschluss an den Vorführung beantworteten die anwesenden Regisseure und zwei Leute aus der Gemeinschaft der Fahrenden in Adliswil Fragen aus dem Publikum und freuten sich über das rege Interesse der Wädenswiler.
Die Frage nach dem Grund für diesen Film beantworte Andrea Müller folgendermassen: «Ich war dabei, einen historischen Spielfilm zu realisieren, mit einer jenischen Frau als Hauptfigur, und musste dazu recherchieren. Serge, ein Kontakt bei den Jenischen – im Film hört man ihn nur durchs Telefon – hat dann vorgeschlagen, doch einen aktuellen Film über sie zu machen. Ich wäre selber nicht darauf gekommen, weil es wirklich schwierig ist Kontakte herzustellen.»
Dazu Simon Guy Fässler: «Serge hat uns viele Türen aufgestossen. So konnten wir Vertrauen schaffen. Wir haben versprochen ihnen das Endprodukt zu zeigen und sie darüber befinden zu lassen. Mit diesem Film konnten wir ihnen etwas geben, das sie auch stolz machte.»
Was beim Betrachter des Films bleibt, ist eine grosse Achtung gegenüber diesen Menschen. Für die Filmemacher ergaben sich Freundschaften.
Die Nachricht der Regisseure ans Wädenswiler Publikum: «Das einzigartige Publikum zeigte mit den vielen tollen Fragen ein grosses Interesse. Wir befanden einstimmig, dass es bis anhin der schönste Premiere-Abend war!»
Dieser Abend zeigt einmal mehr auch, wie wichtig es ist, unser kleines Stadtkino mit seinem qualitativ auserlesenen Programm zu unterstützen. Dazu gibt es auch den Verein SchlossCinema, oder man kann das Kino zusätzlich mit einer Spende unterstützen.
Alle weiteren Informationen, sowie das Kinoprogramm findet man auf schlosscinema.ch