Im Rahmen der von der Historischen Gesellschaft Wädenswil kuratierten Ausstellung «Prost!» in der Kulturgarage Wädenswil werden verschiedene Führungen angeboten. Eine davon nimmt Interessierte mit auf eine historische Beizentour und besucht ehemalige Orte oder noch erhaltene Gebäude, wo sich die städtische Beizen- beziehungsweise Trinkkultur abspielte.
Text: Ingrid Eva Liedtke
Bilder: iel / stb / zvg
Gestartet wird – natürlich zu Fuss – beim Ticino, enden wird der Marsch, der quer durch die innere Stadt führt, bei der Kulturgarage, wo derzeit die obengenannte Ausstellung läuft.
Das 1879 erbaute und heute als «Ticino» bekannte Gebäude war ehemals das Restaurant Morgensonne, das sogar über einen Tanzsaal verfügte. Ab 1960 konnte man, wie Christian Winkler, Historiker und Präsident der Historischen Gesellschaft Wädenswil, erzählt, in eben diesem Tanzsaal an legendären Veranstaltungen teilhaben. Das Programm sei bunt gemischt gewesen: Vom Discoabend bis zum Ländlerschunkeln war vieles dabei. Ende der 70er-Jahre war dann Schluss, bis das Ticino als Theater wiedereröffnet wurde. Den heutigen Namen erhielt das Ticino von seinem letzten Wirt, der ein Tessiner gewesen ist.
Trinkgewohnheiten und verschiedene Patente
Christian Winkler weiss zahlreiche Histörchen von den städtischen Trinkgewohnheiten zu berichten. Darum fokussiert sich diese Führung auf die Orte der Stadt, wo getrunken wurde, wohingegen die Ausstellung sich mit der Getränkekultur an sich befasst. Erste Eckdaten dazu stammen aus dem 19. Jahrhundert. 1814 soll es laut Statistik in Wädenswil 23 Beizen gegeben haben, sowie drei in Hütten und vier in Schönenberg. Schon fünf Jahre später waren es 32!
Es existierten verschiedene Patente. Es wurde unterschieden, ob einer eine Herberge betrieb, also Leute auch über Nacht aufnehmen durfte und sie mit Speis und Trank bediente, oder ob man nur Getränke ausschenken durfte.
Blütejahre
Die 1880er-Jahre waren Blütejahre für die Beizenkultur in Wädenswil. 1884 gab es sage und schreibe 53 Beizen!
Die Beizen waren Orte, wo man viel Zeit verbrachte, oft auch Versammlungsorte für Parteien oder Vereine. Im Gambrinus zum Beispiel gab es eine Kegelbahn, und darum war da auch der Kegelclub beheimatet.
Im Restaurant Eintracht versammelte sich einst einer der ältesten Vereine von Wädenswil, der Männerchor Eintracht. Er war wohl namensgebend. 1851 gegründet, wurde er 2021 aufgelöst, die Beiz gibt es schon seit 1968 nicht mehr.
Viele der historischen Gebäude haben eine bewegte Geschichte hinter sich. Eine stattliche Anzahl wurde im Zuge der Modernisierung abgerissen, andere Gebäude wurden anderweitig genutzt. Ein Beispiel ist das ehemalige Restaurant Einsiedlerhof an der heutigen Seestrasse. Die Beiz in dem behäbigen Riegelhaus wurde 1884 eröffnet und war lange Zeit ein beliebter Treffpunkt. In den 1990ern beherbergte es das Restaurant China Garden, jetzt ist der Türkische Verein Wädenswil darin untergebracht.
Brauerei und OWG
Eine zentrale Rolle spielte in Wädenswil immer auch die Brauerei, die Bier in sämtliche Schankstuben lieferte, sowie die Obst- und Weingenossenschaft Wädenswil OWG.
Anhand von historischen Fotografien zeigt Christian Winkler die Wichtigkeit des Obstanbaus für Wädenswil auf. Eine Aufnahme zeigt eine lange Schlange von Bauern mit ihren Fahrzeugen, die sich bei der Sust, wo sich – übrigens noch heute – eine Brückenwaage befindet, ihre Obstladungen wiegen lassen wollten und so einen Stau auf der Seestrasse verursachten. Die Waage war bis 2013 in Betrieb.
Legendäre Beizen und die Schnapswelle
Namen von legendären Beizen und ihren Wirten werden genannt, Namen, die sich wie Legenden durch die Geschichten und Erzählungen der Stadt ziehen. Da ist etwa der Hirschen, der als erste Beiz einen Fernseher hatte. Oder der Ochsen, wo die Luft zu dick wurde, sodass ein neues Wirtepatent nur mit der Auflage einer neuen Lüftung zu bekommen war.
Das Rössli hat eine 200-jährige Tradition, hatte eine Weintrotte und war auch ein Vereinslokal für die Fasnächtler.
Im Frohsinn ging es oft hoch her. Eine spezielle Wirtin, Emmeli Litschi, wirtete im Wirtshaus mit den zwei Stockwerken, oben tranken die noblen Herren und unten Lehrer, Beamte und die einfachen Leute. Man sagt, dass das Essen gut gewesen sei, aber sonst alles ein wenig schmuddelig.
In den 1870-/1880er-Jahren kam es zu einer regelrechten Schnapswelle. Als Folge davon formierte sich die Temperenzbewegung, die gegen den Alkoholkonsum kämpfte. Ihre Anhänger trafen sich zu Beginn des 20. Jahrhunderts in einem anderen legendären Wirtshaus, dem Café Central, am Bahnhof.
Im Central wirtete auch der legendäre Köbi Elsener. Er wollte seine Beiz immer möglichst lange offen haben, sodass die, die sich vor allem im Central zuhause fühlten, auch möglichst dableiben konnten. Elsener war eine Art Sozialarbeiter, der am liebsten rund um die Uhr für «seine» Leute da war und eine warmherzige Beizenstimmung zu schaffen vermochte. Später führte er die Giessbach-Ranch im 24-Stunden Betrieb.
Die Sonne war ein weiteres altehrwürdiges Haus mit einer langen Tradition. 1821 wurde sie neu gebaut und ab 1911 sorgte der Wirt Robert Matzinger dafür, dass sein Restaurant alkoholfrei war. Er war der erste Alkoholfürsorger und Anhänger des Blauen Kreuzes.
Es gäbe sicher noch viele Geschichten zu erzählen über das Beizenleben von Wädenswil, das im 19. und angehenden 20. Jahrhundert um einiges lebhafter zu sein schien als heute. Ein Besuch der Ausstellung «Prost!» in der Kulturgarage kann sicher ergänzende Informationen liefern.
Die Ausstellung läuft noch bis am 23. April.
Im Rahmen der von der Historischen Gesellschaft Wädenswil kuratierten Ausstellung «Prost!» in der Kulturgarage Wädenswil werden verschiedene Führungen angeboten. Eine davon nimmt Interessierte mit auf eine historische Beizentour und besucht ehemalige Orte oder noch erhaltene Gebäude, wo sich die städtische Beizen- beziehungsweise Trinkkultur abspielte.
Text: Ingrid Eva Liedtke
Bilder: iel / stb / zvg
Gestartet wird – natürlich zu Fuss – beim Ticino, enden wird der Marsch, der quer durch die innere Stadt führt, bei der Kulturgarage, wo derzeit die obengenannte Ausstellung läuft.
Das 1879 erbaute und heute als «Ticino» bekannte Gebäude war ehemals das Restaurant Morgensonne, das sogar über einen Tanzsaal verfügte. Ab 1960 konnte man, wie Christian Winkler, Historiker und Präsident der Historischen Gesellschaft Wädenswil, erzählt, in eben diesem Tanzsaal an legendären Veranstaltungen teilhaben. Das Programm sei bunt gemischt gewesen: Vom Discoabend bis zum Ländlerschunkeln war vieles dabei. Ende der 70er-Jahre war dann Schluss, bis das Ticino als Theater wiedereröffnet wurde. Den heutigen Namen erhielt das Ticino von seinem letzten Wirt, der ein Tessiner gewesen ist.
Trinkgewohnheiten und verschiedene Patente
Christian Winkler weiss zahlreiche Histörchen von den städtischen Trinkgewohnheiten zu berichten. Darum fokussiert sich diese Führung auf die Orte der Stadt, wo getrunken wurde, wohingegen die Ausstellung sich mit der Getränkekultur an sich befasst. Erste Eckdaten dazu stammen aus dem 19. Jahrhundert. 1814 soll es laut Statistik in Wädenswil 23 Beizen gegeben haben, sowie drei in Hütten und vier in Schönenberg. Schon fünf Jahre später waren es 32!
Es existierten verschiedene Patente. Es wurde unterschieden, ob einer eine Herberge betrieb, also Leute auch über Nacht aufnehmen durfte und sie mit Speis und Trank bediente, oder ob man nur Getränke ausschenken durfte.
Blütejahre
Die 1880er-Jahre waren Blütejahre für die Beizenkultur in Wädenswil. 1884 gab es sage und schreibe 53 Beizen!
Die Beizen waren Orte, wo man viel Zeit verbrachte, oft auch Versammlungsorte für Parteien oder Vereine. Im Gambrinus zum Beispiel gab es eine Kegelbahn, und darum war da auch der Kegelclub beheimatet.
Im Restaurant Eintracht versammelte sich einst einer der ältesten Vereine von Wädenswil, der Männerchor Eintracht. Er war wohl namensgebend. 1851 gegründet, wurde er 2021 aufgelöst, die Beiz gibt es schon seit 1968 nicht mehr.
Viele der historischen Gebäude haben eine bewegte Geschichte hinter sich. Eine stattliche Anzahl wurde im Zuge der Modernisierung abgerissen, andere Gebäude wurden anderweitig genutzt. Ein Beispiel ist das ehemalige Restaurant Einsiedlerhof an der heutigen Seestrasse. Die Beiz in dem behäbigen Riegelhaus wurde 1884 eröffnet und war lange Zeit ein beliebter Treffpunkt. In den 1990ern beherbergte es das Restaurant China Garden, jetzt ist der Türkische Verein Wädenswil darin untergebracht.
Brauerei und OWG
Eine zentrale Rolle spielte in Wädenswil immer auch die Brauerei, die Bier in sämtliche Schankstuben lieferte, sowie die Obst- und Weingenossenschaft Wädenswil OWG.
Anhand von historischen Fotografien zeigt Christian Winkler die Wichtigkeit des Obstanbaus für Wädenswil auf. Eine Aufnahme zeigt eine lange Schlange von Bauern mit ihren Fahrzeugen, die sich bei der Sust, wo sich – übrigens noch heute – eine Brückenwaage befindet, ihre Obstladungen wiegen lassen wollten und so einen Stau auf der Seestrasse verursachten. Die Waage war bis 2013 in Betrieb.
Legendäre Beizen und die Schnapswelle
Namen von legendären Beizen und ihren Wirten werden genannt, Namen, die sich wie Legenden durch die Geschichten und Erzählungen der Stadt ziehen. Da ist etwa der Hirschen, der als erste Beiz einen Fernseher hatte. Oder der Ochsen, wo die Luft zu dick wurde, sodass ein neues Wirtepatent nur mit der Auflage einer neuen Lüftung zu bekommen war.
Das Rössli hat eine 200-jährige Tradition, hatte eine Weintrotte und war auch ein Vereinslokal für die Fasnächtler.
Im Frohsinn ging es oft hoch her. Eine spezielle Wirtin, Emmeli Litschi, wirtete im Wirtshaus mit den zwei Stockwerken, oben tranken die noblen Herren und unten Lehrer, Beamte und die einfachen Leute. Man sagt, dass das Essen gut gewesen sei, aber sonst alles ein wenig schmuddelig.
In den 1870-/1880er-Jahren kam es zu einer regelrechten Schnapswelle. Als Folge davon formierte sich die Temperenzbewegung, die gegen den Alkoholkonsum kämpfte. Ihre Anhänger trafen sich zu Beginn des 20. Jahrhunderts in einem anderen legendären Wirtshaus, dem Café Central, am Bahnhof.
Im Central wirtete auch der legendäre Köbi Elsener. Er wollte seine Beiz immer möglichst lange offen haben, sodass die, die sich vor allem im Central zuhause fühlten, auch möglichst dableiben konnten. Elsener war eine Art Sozialarbeiter, der am liebsten rund um die Uhr für «seine» Leute da war und eine warmherzige Beizenstimmung zu schaffen vermochte. Später führte er die Giessbach-Ranch im 24-Stunden Betrieb.
Die Sonne war ein weiteres altehrwürdiges Haus mit einer langen Tradition. 1821 wurde sie neu gebaut und ab 1911 sorgte der Wirt Robert Matzinger dafür, dass sein Restaurant alkoholfrei war. Er war der erste Alkoholfürsorger und Anhänger des Blauen Kreuzes.
Es gäbe sicher noch viele Geschichten zu erzählen über das Beizenleben von Wädenswil, das im 19. und angehenden 20. Jahrhundert um einiges lebhafter zu sein schien als heute. Ein Besuch der Ausstellung «Prost!» in der Kulturgarage kann sicher ergänzende Informationen liefern.
Die Ausstellung läuft noch bis am 23. April.