Wädenswil

Die «Tage der Agrarökologie» begannen in Wädenswil

Nach einer ersten Austragung im vergangenen Jahr fanden und finden 2022 während des ganzen Oktobers schweizweit Veranstaltungen zum Thema Agrarökologie statt. Organisiert wurde die Veranstaltungsreihe vom Verein «Agroecology Works!», dem 24 Mitglieder aus den Bereichen Ernährung, Produktion und Forschung angehören. Darunter ist auch die Zürcher Hochschule für angewandte Wissenschaften (ZHAW) vertreten , deren Institut für Umwelt und Natürliche Ressourcen (IUNR) als Co-Organisatorin des Startevents auftrat. Dieser fand im Campus Grüental statt.

Text & Bilder: Stefan Baumgartner

Als Wissenschaft ist die Agrarökologie ein Teil der Ökologie oder Landschaftsökologie. Sie befasst sich mit den ökologischen Zuständen und Prozessen der Agrarökosysteme und dem Ökosystem­komplex Agrarlandschaft als Ganzes. Agrarökologische Konzepte gründen auf traditionellem und lokalem Wissen und seinen Kulturen und verbinden sie mit Erkenntnissen und Methoden moderner Wissenschaft. Ihre Stärke liegt in der Verbindung von Ökologie, Biologie und Agrarwissenschaften, aber auch von Ernährungskunde, Medizin und Sozialwissenschaften. Agrarökologie setzt auf die Einbeziehung des Wissens aller Beteiligten.

Die erste Version der «Tage der Agrarökologie» fand im vergangenen Jahr statt und war ein Erfolg: Während einer Woche führten 45 Organisationen in der ganzen Schweiz 33 Veranstaltungen online und offline durch. Dieses Jahr wurde die Reihe bereits von 101 Partnern mitorganisiert und -getragen, die fast ebenso viele Veranstaltungen durchführten. Die Abschlussveranstaltung am 31. Oktober in Bern geht der Frage nach, was die agrarökologische Bewegung in der Schweiz von der globalen Bewegung, insbesondere aus dem Süden, lernen kann.

Verschiedene Perspektiven und Lösungsansätze

An der Eröffnungsveranstaltungen im Grüental fand – nach der Begrüssungsrunde – eine Podiumsdiskussion statt, deren Ziel es war, aufzuzeigen, wie die verschiedenen Akteure Agrarökologie leben.
Für die verschiedenen Perspektiven und Lösungsansätze sorgten die Teilnehmenden mit ihrer unterschiedlichen Herkunft. So vertrat Madeleine Kaufmann vom Bundesamt für Landwirtschaft die Sichtweise des Bundes, während Simon Degelo von Swissaid internationale Zusammenhänge aufzeigte. Frank Meissner gab Einblicke in die urbane Agrarökologie, also in die Entwicklung von Agrarflächen in städtischen Gebieten. Matthias Diener von der Berg­solawi Surselva und als lokale Vertreterin Karin Hüppi Fankhauser vom Schluchtalhof sorgten für die landwirtschaftliche Perspektive. Geleitet wurde das Podium von Johanna Jacobi, Professorin für agrarökologische Transition an der ETH Zürich und Vorstandsmitglied von «Agroecology works!».

Auf dem Podium waren sich alle einig, dass es eine Veränderung in der Produktion von Lebensmitteln braucht, dass ein Wandel des Ernährungssystems notwendig ist. Doch wer leistet welchen Beitrag dazu?
Matthias Diener von der Berggenossenschaft Solawi Surselva sieht den Weg, der gegangen werden muss, in der Verringerung von Distanzen, in der Produktion wie in der Weiterverarbeitung. Er findet auch, dass die Menschen wieder mehr realisieren müssten, wo was herkommt. Auch Frank Meissner erkannte «wir brauchen regionale, lokale Perspektiven». Simon Degelo von Swissaid bemerkte, dass die grösste Herausforderung in unseren Köpfen steckt: «Wir stehen uns oft selbst im Weg, den Paradigmenwechsel zu vollziehen. Hinderlich dazu sind auch die herrschenden Machtstrukturen!»
Madeleine Kaufmann sieht aus der Sicht des Bundesamtes für Landwirtschaft auch eine grosse Herausforderung aufgrund der verschiedenen Krisen weltweit – wie Klima und Energie –, und deren Komplexität und Einfluss auf die Ernährungssicherheit. Karin Hüppi Fankhauser machte auf die Lohnstruktur in der Landwirtschaft aufmerksam: Eine 55-Stunden-Woche bei einem Mindestlohn von 14 Franken – da sei es interessanter, woanders Arbeit zu suchen. Sie sieht aber in der agrarökologischen Bewegung den Vorteil, dass man in der Gruppe auf mehr und vor allem auch verschiedene Ressourcen zurückgreifen kann. Sie, die zusammen mit ihrem Mann einen Biohof betreibt, weiss: «Bio allein reicht nicht. Es braucht auch die Biodiversität!» Und auch sie bestätigt: Die kurzen Wege und die direkte Resonanz der Kunden in ihrem Hofladen seien ihr Motor. Zu den kurzen Wegen pflichtete Simon Degelo bei, dass Ernährungsökologie nicht ohne Ernährungssouveränität gehe, was wieder für die kurzen Wege, lokalen Anbau und ebenso lokale Wertschöpfung spricht.

Ausbildungs- und Lehrpläne müssen reformiert werden

Auch die Forschung und vor allem der Austausch dazu sei wichtig, wurde auf dem Podium besprochen. Madeleine Kaufmann bekräftigte: «Es braucht mehr Austausch; die interdisziplinäre Forschung ist ganz wichtig!» Frank Meissner fand, es brauche ein Innovationszentrum – und die Forschenden wie die Menschen auf dem Feld müssen sich auf Augenhöhe begegnen. Schliesslich befand das Podium auch, dass Ausbildungs- und Lehrpläne reformiert werden müssten. Ein gewichtiges Wort sprach Karin Hüppi Fankhauser: «Jeder, der hier sitzt, hat die Macht über sein Essen!» Sprich: Jeder Konsument, jede Konsumentin kann selbst entscheiden, wie nachhaltig – lokal – sozialverträglich – biologisch – die eigene Ernährung ist.
Ob es auch Argumente gegen die Agrarökologie gäbe – oder wieso der Begriff Agrarökologie noch nicht allen Menschen ein Begriff sei, wollte Jacobi zum Schluss wissen. Simon Degelo vermutet den Grund im der Komplexität: Das Thema sei sehr wissensintensiv und kompliziert – «und wir haben’s gerne einfach!» Treffend sagte es Matthias Diener: «Der Mut, etwas Neues zu tun, ist die grösste Herausforderung.»
Im Anschluss an das Podium konnten sich alle Gäste selbst einbringen: An drei Tischen wurden verschiedene Esskulturen, -gewohnheiten und -traditionen beleuchtet. Ein spannender Aspekt befasste sich etwa mit der italienischen Migration und wie diese die Küche in der Schweiz beeinflusste. In einem «Design Thinking Workshop» wurde künstlerisch und träumerisch der Frage nachgegangen, wie eine agrarökologische Schweiz aussehen könnte.

Forschungsspaziergang mit den Besuchern

Und schliesslich begaben sich die Teilnehmerinnen und Teilnehmer auf einen Forschungsspaziergang durch die Grüental-Gärten, wo konkrete agrarökologische Projekte vorgestellt wurden.
So stellte Emilia Schmitt von der ZHAW das Projekt «Moving» vor, das zum Ziel hat, die Nachhaltigkeit und Widerstandskraft von Bergregionen zu steigern. Als Beispiel nannte sie den Getreideanbau und dessen Herausforderungen. So wird zum Beispiel aktuell eher zu viel Roggen angebaut, der zwar aufgrund seiner Widerstandskraft auch in höheren Lagen gute Erträge bringen würde, aber eben zu wenig nachgefragt wird – im Gegensatz zur Braugerste, die schon vor der Aussaat verkauft ist.
Bei Petra Köchli, ebenfalls vom Institut für Umwelt und Natürliche Ressourcen, wurde sichtbar, mit wie viel Herzblut sich Projektleiterinnen für den agrarökologischen Wandel einsetzen: Sie erzählte vom Projekt der urbanen Gärten in der Stadtzürcher Siedlung Hirzenbach. Dort wurde der Wohnaussenraum der Genossenschaftssiedlung wohnlicher und vielfältig nutzbarer gestaltet, was zu mehr Möglichkeiten für Begegnung, Austausch und Integration geführt hat.
Jürg Boos leitet den Forschungsbereich Biologische Landwirtschaft und stellte den auf dem Campus Grüental liegenden Sortengarten vor, eine Schweizer Apfelsorten-Kollektion von über 420 Apfelsorten. Eine wichtige Demonstrations- und Versuchsfläche für Studium und Forschung, werden doch in der Schweiz 4000 Hektar konventionell oder biologisch angebaut. Der Apfel ist die Lieblingsfrucht der Schweizer Bevölkerung – rund 18 Kilogramm verspeisen wir durchschnittlich pro Jahr.
Den Schlusspunkt unter diese Eröffnungsveranstaltung setzte Angelika Hilbeck (Swissaid / ETH). Ihr Projekt geht der Frage nach, ob agrarökologische Anbaumethoden (etwa Ausbringung von Tiermist anstatt synthetischer Dünger) in Tansania wirkungsvoll sind und einen Beitrag zur Ernährungssicherheit leisten können. Zudem stellte sie die eine Mobiltelefon-App als Wissensplattform vor, mit denen Bauern in Tansania untereinander mit Wissenschaftern ihres Landes und der Schweiz verbunden werden– die Landwirte erhalten Antworten auf ihre Fragen und Lösungen für ihre Probleme.

Agrarökologie ist noch nicht in allen Köpfen präsent. Aber wie Karin Hüppi Fankhauser erkannte: Jeder hat Macht über sein Essen. Nutzen wir sie!

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