Kolumne

Bergträumereien

Wir sind in den Bergen, wandern. Es ist heiss, der Weg ist steil und steinig. Der Schweiss tropft nur so an uns herunter. 

Der Schweiss – so habe ich letzthin gelesen – macht uns erst zum Menschen, kühlt uns runter, verhindert einen zu grossen Energieaufwand, der nur dazu dient, die Körpertemperatur auszugleichen. Wir haben Schweissdrüsen überall am Körper. Kein Tier hat das. Man nimmt an, dass nur so unser Gehirn so gross und leistungsstark werden konnte, weil wir die meiste Energie für seinen Unterhalt verwenden können.

Der aufrechte Gang trage auch zu einer geringeren Energieverschwendung bei, habe ich an anderer Stelle mal erfahren.

Nun, das würde heissen, ich gehe aufrecht und schwitzend durch die Berge und verbrauche dafür weniger Energie als unsere drei Hunde, die doppelte Wege zurücklegen und noch fit sind, um Stöcken nachzujagen.

In Tat und Wahrheit mühe ich mich mehr schlecht als recht den Berg hoch. Die wilden Wasser, die neben mir ins Tal rauschen, vermögen mich aber tatsächlich zu faszinieren, und zudem lasse ich mich von den Murmeltieren ablenken, die sich gegenseitig mit schrillen Pfiffen warnen, dass da gerade wieder einmal Menschen durch ihr Gebiet latschen. 

Überschüssige Energie bleibt mir kaum, doch das liegt wohl eher am Alter. Immerhin reicht sie noch aus, um gewisse Gedanken zu fassen. Sie sollen mich von der Anstrengung ablenken. Es sind nicht einfache Gedanken, keine leichten, beschwingten, auch keine kühlen. Sie befassen sich zuerst mit der Sommerhitze, die dieses Jahr doch beträchtlich ist, und in diesem Zusammenhang mit der Klimaerwärmung.

Was, wenn wir es irgendwann in unseren unteren Breitengraden nicht mehr aushalten? In die Berge fliehen. Dieser Gedanke beginnt mir zu gefallen. Es gibt viel Grün hier oben. Wiesen mit vielen Kräutern, die man essen kann, wenn man sich ein wenig auskennt. Dann hat es immer frisches, kühles Wasser und es scheint auch, dass genügend davon da ist. Der Fluss tost weiss schäumend ins Tal. 

Selbstversorger werden, überleben in der rauen Bergwelt. Nicht unbedingt komfortabel, nicht luxuriös, aber irgendwie romantisch. 

Den Gedanken, dass nicht nur ich auf die Idee kommen könnte, sondern Massen von Städtern auch in die Berge flüchten würden, und wie dieses Gerangel um die besten Alpplätze dann ausgehen würde, darüber möchte ich mir dann doch nicht allzu viele Gedanken machen. Es könnte aber sein, dass es eines Tages sein muss. Schon sind viele Orte dieser Welt heillos überbevölkert, es herrscht Enge, Verkehrschaos, und die Hitze raubt den Bewohnern den Atem. Wir hatten bisher Glück. Und wenn es bei uns so weit ist – davon lasse ich mich jetzt nicht so leicht abbringen – dann flüchte ich in die Berge. Vielleicht werde ich durchkommen.

Der Mensch ist sehr anpassungsfähig … und er hat ja schliesslich diese vielen Schweissdrüsen und ein Hochleistungsgehirn.

Ingrid Eva Liedtke

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