Die grösste Glocke im 75 Meter hohen Turm der reformierten Kirche wiegt satte drei Tonnen. Weil der Klöppel den Schlagrand stark ausgeschlagen hat, musste die Glocke gedreht werden, um die betagte Dame zu schützen und um ihr den
ursprünglichen Klang zurückzugeben.
Im Turm der 1905 eingeweihten reformierten Kirche wurde der Glockenstuhl der alten Kirche eingebaut, ebenso das alte Uhrwerk samt neuen Zifferblättern von 3,5 Meter Durchmesser sowie das Kirchengeläut. Dieses wurde im Sommer 1904 durch eine 591-köpfige Schülerschaft nach oben gehisst. Beim Aufzug der grossen so genannten Mittagsglocke, bewirkte ein Seilriss den Sturz derselben. Der Schaden ist heute noch am Rand des Klangkörpers anhand des abgesplitterten Materials sehr gut sichtbar. Klanglich erfuhr sie jedoch keine Einbussen.
Die Glocke wurde 1873 gegossen und stammt von Rotgiesser (Schwer-metallgiesser) Konrad Bodmer, der eine eher kleine Giesserei in Neftenbach betrieb. Dieser stellte auch zahlreiche Feuerlöschspritzen für Feuerwehren im In- und Ausland her. Bodmer und seine Söhne gossen zahlenmässig jedoch eine überschaubare Anzahl Kirchengeläute.
Das grosse Geheimnis der Glockengiesser ist die Glockenform, sogenannte Rippe; diese entscheidet über den Ton einer Glocke. Es war eine Kunst, die Glockenbronze – ein Gemisch aus 78% Kupfer und 22% Zinn – sorgfältig zu erwärmen und dann die Glockenspeise möglichst ohne abzukühlen in die Glockengussform einzufüllen. Bei der Befüllung von grösseren Glockengussformen ist die Gefahr gross, dass die Masse im untersten Bereich schon stark abgekühlt ist und sich verschiedene Schichten formen, die keine richtige «Einheit» mehr bilden. Mit dieser «Materialschwäche» lassen sich auch die starken Absplitterungen an der Glocke beim vorgängig erwähnten Sturz erklären.
Die gewichtige Dame hat nun 80 Jahre in gleicher Position gehangen. «Diese Stelle wurde im Laufe der Zeit richtiggehend ‹ausgeschlagen›, wo der Klöppel den Klangkörper berührt hat», erläutert Servicetechniker Thomas Burkart von der Muff Kirchturmtechnik AG aus dem Luzerner Hinterland. Zusammen mit Roy Schmid, welcher auch als Sicherheitstechniker agiert, hat er im Auftrag der reformierten Kirche eine Drehung der Mittagsglocke bewirkt.
Die grosse Mittagsglocke
«Der zugezogene Glockensachver-ständige sprach sich gegen die Schleifung der Glocke aus und befürwortete eine 90-Grad-Drehung der Glocke», sagt Burkart. 1873 hing die Glocke noch genau andersherum, allerdings nur für kurze Zeit, da wurde sie um 90 Grad weitergedreht; für den Fachmann ist dieser Akt ein Rätsel. Nach einer genauen Abklärung wurde die ‹alte› Stelle ermittelt, an die der Klöppel vormals für max. 20 Jahre angeschlagen hat, und für gut befunden.
Eine Kirchenglocke ist an der sogenannten Krone aufgehängt, die im Fall der beiden grossen Richterswiler Glocken Köpfe von bärtigen Männern zieren. Zwischen den Köpfen verbirgt sich einer der zwei Riegel, die durch das Jochband führen, das wiederum am massiven Glockenjoch aus Eiche aufgehängt ist, welches die Glocke trägt und zum Läuten hin und her schwingt.
Die Drehung erfolgt mittels zwei Kettenzügen mit je einer Tragkraft von 3000 Kilogramm. Wenige Zentimeter unter der Glocke sind dicke Balken unterbaut, um sie darauf abzusetzen.
In mehreren kleinen Schritten und mit Hilfe der Physik gelangt die Kirchenglocke in die gewollte Position und kann wieder ans Glockenjoch hochgezogen werden.
Vormals hat je einer der Kronen-Köpfe nach vorne und hinten geschaut, nun sind es nach der Drehung deren zwei. Das wiederum bedingte die Einpassung am Eichenjoch, denn die Köpfe sind teilweise darin eingelassen. Für diese Vorarbeit war Roy Schmid zuständig. Der Holzkünstler hat im Turm das Negativ der Krone millimetergenau am Eichenjoch eingelassen, damit die Krone wieder leicht im Joch versenkt werden kann.
Der Klöppel
Ein Klöppel muss die Glocke an der dicksten Stelle, dem sogenannten Schlagrand, berühren, damit er alle Grundtöne erregen kann. Zur Demonstration klopft Thomas Burkart an Stellen weiter oben, und der Klang wird heller, feiner. Nun wird ein neuer Klöppel angebracht, mit grosser Kugel und kurzem Vorschwung. Wie es der Name schon andeutet, ist dieser unterste Teil des Klöppels für den Schwung verantwortlich, er gibt dem ganzen Gebilde die Energie. Durch die konzentrierte Masse des Vorschwungs bringt er mehr Ruhe in die Kugel. «Die alten Klöppel krachten richtiggehend gegen den Klangkörper und haben diesen dadurch beschädigt», erklärt Burkart. «Mit der neuen Geometrie erreichen wir mit weniger Gewicht den gleichen Takt, aber die Kugel schlägt nur noch sanft und kurz an.» Mit anderen Worten: Glocke und Klöppel schwingen beinahe mit der gleichen Geschwindigkeit, nur mit so viel Unterschied, dass der Klangkörper für ein paar tausendstel Sekunden berührt wird.
Für das Glockengeläut schwingt die Glocke, für den Stundenschlag ist jedoch der Schlaghammer verantwortlich, der seitlich im Gebälk befestigt ist und von aussen auf den Schlagrand trifft.
Abschliessende Arbeiten
Die Glocke musste noch seitlich um drei, vier Millimeter abgekippt werden, damit sie absolut waagrecht hängt und der Schlaghammer wieder schön auftrifft. «Dafür verwenden wir dieses Schiftholz, um die Glocke auszuschiften», erklärt Thomas Burkart und zeigt auf mehrere dünne Hölzer, die bereitliegen. Dafür lösen die beiden Männer die Schrauben am Joch leicht, denn ein so dünnes zusätzliches Holz oben am Balken angebracht, kann die Schieflage der Glocke unten bereits um einen ganzen Zentimeter verändern. «Das ganze Gewicht muss gleichmässig an den Jochbändern hängen, damit das Holzjoch die Kraft gleichmässig übernimmt», sagt Roy Schmid.
Die beiden erfahrenen Servicetechniker haben zwei Tage im Kirchturm gearbeitet. Zum Schluss haben sie das Antriebswerk justiert und das grosse Uhrwerk einen Stock tiefer einem Service unterzogen. Die erste Elektrifizierung von Kirchenglocken in der Schweiz fand in den 1920er Jahren statt. Richterswil war eine der ersten und liess 1935 eine elektrische Läutmaschine installieren. Die Bodenöffnungen für die Läuteseile sind aber noch immer vorhanden.
Die Fachkräfte
In der Schweiz gibt es noch drei Firmen, die einen solchen Service machen. Die Muff Kirchturmtechnik AG betreut an die 2500–3000 Kirchtürme. Eine Glockendrehung kommt eher selten vor, vielleicht einmal pro Jahr. Klöppel ersetzen oder nur deren Vorschwung kürzen, schon öfter.
Nebst der Arbeit an sich gefällt den beiden Mitarbeitern, dass damit die ganze Schweiz zu ihrem Arbeitsplatz wird. Sie gelangen an Orte, die anderen normalerweise verborgen bleiben: Klöster und Kirchen, Burgen, Schlösser, Privatvillen. «Das dürfte vielen erstaunliche Einblicke bieten, wenn sie das erleben könnten», ist sich Schmid sicher, und der Stolz auf seinen Beruf ist deutlich zu hören.
Video von Thomas Burkart zum Vergleichen des Glockenschlages der Mittagsglocke in Richterswil vor und nach der Sanierung: https://1drv.ms/v/s!AuN
ReRFBC7BAhb5fyTD4Kb2j-BW5xQ?e=auDFeh
Kurzfilm im Zeitraffer von den Arbeiten an der grössten Glocke
im Kloster Einsiedeln: youtu.be/V-ZhsIbnpuE
Steckbrief Mittagsglocke
Herstellungsjahr: 1873
Gewicht Glocke: 3000 Kilogramm
Durchmesser: 1,76 Meter
Klang: A0
Gewicht Klöppel: 120 Kilogramm
Die grösste Glocke im 75 Meter hohen Turm der reformierten Kirche wiegt satte drei Tonnen. Weil der Klöppel den Schlagrand stark ausgeschlagen hat, musste die Glocke gedreht werden, um die betagte Dame zu schützen und um ihr den
ursprünglichen Klang zurückzugeben.
Im Turm der 1905 eingeweihten reformierten Kirche wurde der Glockenstuhl der alten Kirche eingebaut, ebenso das alte Uhrwerk samt neuen Zifferblättern von 3,5 Meter Durchmesser sowie das Kirchengeläut. Dieses wurde im Sommer 1904 durch eine 591-köpfige Schülerschaft nach oben gehisst. Beim Aufzug der grossen so genannten Mittagsglocke, bewirkte ein Seilriss den Sturz derselben. Der Schaden ist heute noch am Rand des Klangkörpers anhand des abgesplitterten Materials sehr gut sichtbar. Klanglich erfuhr sie jedoch keine Einbussen.
Die Glocke wurde 1873 gegossen und stammt von Rotgiesser (Schwer-metallgiesser) Konrad Bodmer, der eine eher kleine Giesserei in Neftenbach betrieb. Dieser stellte auch zahlreiche Feuerlöschspritzen für Feuerwehren im In- und Ausland her. Bodmer und seine Söhne gossen zahlenmässig jedoch eine überschaubare Anzahl Kirchengeläute.
Das grosse Geheimnis der Glockengiesser ist die Glockenform, sogenannte Rippe; diese entscheidet über den Ton einer Glocke. Es war eine Kunst, die Glockenbronze – ein Gemisch aus 78% Kupfer und 22% Zinn – sorgfältig zu erwärmen und dann die Glockenspeise möglichst ohne abzukühlen in die Glockengussform einzufüllen. Bei der Befüllung von grösseren Glockengussformen ist die Gefahr gross, dass die Masse im untersten Bereich schon stark abgekühlt ist und sich verschiedene Schichten formen, die keine richtige «Einheit» mehr bilden. Mit dieser «Materialschwäche» lassen sich auch die starken Absplitterungen an der Glocke beim vorgängig erwähnten Sturz erklären.
Die gewichtige Dame hat nun 80 Jahre in gleicher Position gehangen. «Diese Stelle wurde im Laufe der Zeit richtiggehend ‹ausgeschlagen›, wo der Klöppel den Klangkörper berührt hat», erläutert Servicetechniker Thomas Burkart von der Muff Kirchturmtechnik AG aus dem Luzerner Hinterland. Zusammen mit Roy Schmid, welcher auch als Sicherheitstechniker agiert, hat er im Auftrag der reformierten Kirche eine Drehung der Mittagsglocke bewirkt.
Die grosse Mittagsglocke
«Der zugezogene Glockensachver-ständige sprach sich gegen die Schleifung der Glocke aus und befürwortete eine 90-Grad-Drehung der Glocke», sagt Burkart. 1873 hing die Glocke noch genau andersherum, allerdings nur für kurze Zeit, da wurde sie um 90 Grad weitergedreht; für den Fachmann ist dieser Akt ein Rätsel. Nach einer genauen Abklärung wurde die ‹alte› Stelle ermittelt, an die der Klöppel vormals für max. 20 Jahre angeschlagen hat, und für gut befunden.
Eine Kirchenglocke ist an der sogenannten Krone aufgehängt, die im Fall der beiden grossen Richterswiler Glocken Köpfe von bärtigen Männern zieren. Zwischen den Köpfen verbirgt sich einer der zwei Riegel, die durch das Jochband führen, das wiederum am massiven Glockenjoch aus Eiche aufgehängt ist, welches die Glocke trägt und zum Läuten hin und her schwingt.
Die Drehung erfolgt mittels zwei Kettenzügen mit je einer Tragkraft von 3000 Kilogramm. Wenige Zentimeter unter der Glocke sind dicke Balken unterbaut, um sie darauf abzusetzen.
In mehreren kleinen Schritten und mit Hilfe der Physik gelangt die Kirchenglocke in die gewollte Position und kann wieder ans Glockenjoch hochgezogen werden.
Vormals hat je einer der Kronen-Köpfe nach vorne und hinten geschaut, nun sind es nach der Drehung deren zwei. Das wiederum bedingte die Einpassung am Eichenjoch, denn die Köpfe sind teilweise darin eingelassen. Für diese Vorarbeit war Roy Schmid zuständig. Der Holzkünstler hat im Turm das Negativ der Krone millimetergenau am Eichenjoch eingelassen, damit die Krone wieder leicht im Joch versenkt werden kann.
Der Klöppel
Ein Klöppel muss die Glocke an der dicksten Stelle, dem sogenannten Schlagrand, berühren, damit er alle Grundtöne erregen kann. Zur Demonstration klopft Thomas Burkart an Stellen weiter oben, und der Klang wird heller, feiner. Nun wird ein neuer Klöppel angebracht, mit grosser Kugel und kurzem Vorschwung. Wie es der Name schon andeutet, ist dieser unterste Teil des Klöppels für den Schwung verantwortlich, er gibt dem ganzen Gebilde die Energie. Durch die konzentrierte Masse des Vorschwungs bringt er mehr Ruhe in die Kugel. «Die alten Klöppel krachten richtiggehend gegen den Klangkörper und haben diesen dadurch beschädigt», erklärt Burkart. «Mit der neuen Geometrie erreichen wir mit weniger Gewicht den gleichen Takt, aber die Kugel schlägt nur noch sanft und kurz an.» Mit anderen Worten: Glocke und Klöppel schwingen beinahe mit der gleichen Geschwindigkeit, nur mit so viel Unterschied, dass der Klangkörper für ein paar tausendstel Sekunden berührt wird.
Für das Glockengeläut schwingt die Glocke, für den Stundenschlag ist jedoch der Schlaghammer verantwortlich, der seitlich im Gebälk befestigt ist und von aussen auf den Schlagrand trifft.
Abschliessende Arbeiten
Die Glocke musste noch seitlich um drei, vier Millimeter abgekippt werden, damit sie absolut waagrecht hängt und der Schlaghammer wieder schön auftrifft. «Dafür verwenden wir dieses Schiftholz, um die Glocke auszuschiften», erklärt Thomas Burkart und zeigt auf mehrere dünne Hölzer, die bereitliegen. Dafür lösen die beiden Männer die Schrauben am Joch leicht, denn ein so dünnes zusätzliches Holz oben am Balken angebracht, kann die Schieflage der Glocke unten bereits um einen ganzen Zentimeter verändern. «Das ganze Gewicht muss gleichmässig an den Jochbändern hängen, damit das Holzjoch die Kraft gleichmässig übernimmt», sagt Roy Schmid.
Die beiden erfahrenen Servicetechniker haben zwei Tage im Kirchturm gearbeitet. Zum Schluss haben sie das Antriebswerk justiert und das grosse Uhrwerk einen Stock tiefer einem Service unterzogen. Die erste Elektrifizierung von Kirchenglocken in der Schweiz fand in den 1920er Jahren statt. Richterswil war eine der ersten und liess 1935 eine elektrische Läutmaschine installieren. Die Bodenöffnungen für die Läuteseile sind aber noch immer vorhanden.
Die Fachkräfte
In der Schweiz gibt es noch drei Firmen, die einen solchen Service machen. Die Muff Kirchturmtechnik AG betreut an die 2500–3000 Kirchtürme. Eine Glockendrehung kommt eher selten vor, vielleicht einmal pro Jahr. Klöppel ersetzen oder nur deren Vorschwung kürzen, schon öfter.
Nebst der Arbeit an sich gefällt den beiden Mitarbeitern, dass damit die ganze Schweiz zu ihrem Arbeitsplatz wird. Sie gelangen an Orte, die anderen normalerweise verborgen bleiben: Klöster und Kirchen, Burgen, Schlösser, Privatvillen. «Das dürfte vielen erstaunliche Einblicke bieten, wenn sie das erleben könnten», ist sich Schmid sicher, und der Stolz auf seinen Beruf ist deutlich zu hören.
Video von Thomas Burkart zum Vergleichen des Glockenschlages der Mittagsglocke in Richterswil vor und nach der Sanierung: https://1drv.ms/v/s!AuN
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Kurzfilm im Zeitraffer von den Arbeiten an der grössten Glocke
im Kloster Einsiedeln: youtu.be/V-ZhsIbnpuE
Steckbrief Mittagsglocke
Herstellungsjahr: 1873
Gewicht Glocke: 3000 Kilogramm
Durchmesser: 1,76 Meter
Klang: A0
Gewicht Klöppel: 120 Kilogramm