Als in der Ukraine der Krieg ausbrach, waren wir alle geschockt. Als wir die Bilder der flüchtenden Menschen sahen – es waren vor allem Frauen und Kinder –, da fühlten wir uns verbunden, so, als ob Freunde oder Verwandte, als ob Schweizer betroffen wären.
Warum, so tauchte die Frage schon mehrfach auf, warum ist da so eine grosse Hilfsbereitschaft in der Bevölkerung, warum diese Betroffenheit? Und warum war oder ist dies bei Flüchtlingen aus Syrien oder Afghanistan nicht so gewesen? Ich bin sicher, der Erklärungen gibt es viele. Ich habe sie in mir selber gesucht, habe zuerst nicht beim Verstand nachgefragt, sondern bei den Gefühlen. Dabei bin ich auf den Instinkt gestossen. Meine ersten Eindrücke, gleichen einem Affekt, scheinen mir ziemlich banal. Ich bin wohl nicht die Einzige!
Als ich die erwähnten ersten Bilder sah – es war noch winterlich und viele Flüchtlinge in Daunenjacken und Wintermäntel gekleidet – dachte ich: «Die sehen ja aus wie wir! Die sind angezogen wie Schweizerinnen! Die eine oder andere hatte, meiner Meinung nach, einen ausgesucht guten modischen Geschmack. Und sie sahen nicht arm aus, gepflegt und gut frisiert, dem Mittelstand angehörig, wie ich, wie mein Umfeld. Ich schämte mich ein wenig für meine Gedanken, die sich aber immer wieder hervordrängten und sich natürlich auch mit meinem Mitgefühl verbanden. Das könnte ich sein, die da mit zwei Kindern auf der Flucht ist, nur das Nötigste mitnehmen konnte, die alles zurücklassen musste, den geliebten Mann, Familienangehörige, Freunde, Haus und Dinge, die ich mag oder die mit Erinnerungen verbunden sind, einfach alles, das mein Leben ausmacht.
Für diese Kriegsopfer, aus welcher gesellschaftlichen Schicht sie auch kommen mögen, spielt das Materielle womöglich momentan eine sehr untergeordnete Rolle. Sie sind froh mit dem Leben davongekommen zu sein. Trotzdem sind es vielleicht gerade diese Oberflächlichkeiten, die an das einstige Leben erinnern. mit denen sich auch Flüchtlinge, sind sie mal angekommen, gerne beschäftigen. So liesse es sich erklären, dass ich in der ersten Woche, als ukrainische Flüchtlinge in Wädenswil angekommen sind, zwei ukrainische Damen dabei beobachten konnte, wie sie in einer Parfümerie grosszügig Kosmetika einkauften. Wieder könnte man kritisieren, dass es Wichtigeres gebe in dieser schweren Zeit. Interessant dabei war, wie sich Geduld und Verständnis einer wartenden Kundin rasant aufbrauchte. Die Damen konnten kein Deutsch und nur bruchstückhaft Englisch. Der Verkauf zögerte sich hinaus, man liess sich beraten, wie zuhause wohl, wie wir das vielleicht ab und an auch tun. Doch sehr schnell war die Willkommenskultur vergessen und die wartende Dame tat ihren Unmut hörbar kund.
So schnell kann es gehen, dachte ich. So schnell sind wir nach dem ersten «Erkennen» keine Schwestern mehr. Wenn es um das Eigene geht, das eingeschränkt wird und sind es nur zehn Minuten Zeit, verkriecht sich manch guter Wille ganz schnell wieder.
Ist das auch ein Instinkt? Ich weiss es nicht. Auf jeden Fall ist nicht zu erwarten, dass jeder Flüchtende unser Freund wird und dass auch unter ihnen Typen sind, die nicht unseren Vorstellungen entsprechen und unsere Geduld strapazieren. Es wäre in jedem Fall menschlich, ihnen trotzdem zu helfen.
In der Gemeinschaft mit anderen Menschen braucht es eine Anpassungsleistung und ein Miteinander. Es ist die Gemeinschaft, die uns schlussendlich schützt, weil wir alle miteinander verbunden sind. Das Erkennen mündet im Kennen, und was man kennt, anerkennt man oft auch. In Seinesgleichen kann man sich einfühlen, und man hilft sich gegenseitig.
Wenn man bedenkt, dass die Welt immer wieder auf Wanderschaft ist und sich Völker vermischen. Wenn man weiss, dass auch wir «privilegierten» Weissen in Urzeiten einst dunkelhäutig waren und dass es wissenschaftlich gesehen gar keine Rassen gibt, dann steht dem «Erkennen aller» nicht mehr so viel im Wege.
Sobald wir uns dem «Fremden» nähern, sobald wir Syrer und Afghanen kennen, gehören auch sie zu uns.
Herzlich, Ihre Ingrid Eva Liedtke
Als in der Ukraine der Krieg ausbrach, waren wir alle geschockt. Als wir die Bilder der flüchtenden Menschen sahen – es waren vor allem Frauen und Kinder –, da fühlten wir uns verbunden, so, als ob Freunde oder Verwandte, als ob Schweizer betroffen wären.
Warum, so tauchte die Frage schon mehrfach auf, warum ist da so eine grosse Hilfsbereitschaft in der Bevölkerung, warum diese Betroffenheit? Und warum war oder ist dies bei Flüchtlingen aus Syrien oder Afghanistan nicht so gewesen? Ich bin sicher, der Erklärungen gibt es viele. Ich habe sie in mir selber gesucht, habe zuerst nicht beim Verstand nachgefragt, sondern bei den Gefühlen. Dabei bin ich auf den Instinkt gestossen. Meine ersten Eindrücke, gleichen einem Affekt, scheinen mir ziemlich banal. Ich bin wohl nicht die Einzige!
Als ich die erwähnten ersten Bilder sah – es war noch winterlich und viele Flüchtlinge in Daunenjacken und Wintermäntel gekleidet – dachte ich: «Die sehen ja aus wie wir! Die sind angezogen wie Schweizerinnen! Die eine oder andere hatte, meiner Meinung nach, einen ausgesucht guten modischen Geschmack. Und sie sahen nicht arm aus, gepflegt und gut frisiert, dem Mittelstand angehörig, wie ich, wie mein Umfeld. Ich schämte mich ein wenig für meine Gedanken, die sich aber immer wieder hervordrängten und sich natürlich auch mit meinem Mitgefühl verbanden. Das könnte ich sein, die da mit zwei Kindern auf der Flucht ist, nur das Nötigste mitnehmen konnte, die alles zurücklassen musste, den geliebten Mann, Familienangehörige, Freunde, Haus und Dinge, die ich mag oder die mit Erinnerungen verbunden sind, einfach alles, das mein Leben ausmacht.
Für diese Kriegsopfer, aus welcher gesellschaftlichen Schicht sie auch kommen mögen, spielt das Materielle womöglich momentan eine sehr untergeordnete Rolle. Sie sind froh mit dem Leben davongekommen zu sein. Trotzdem sind es vielleicht gerade diese Oberflächlichkeiten, die an das einstige Leben erinnern. mit denen sich auch Flüchtlinge, sind sie mal angekommen, gerne beschäftigen. So liesse es sich erklären, dass ich in der ersten Woche, als ukrainische Flüchtlinge in Wädenswil angekommen sind, zwei ukrainische Damen dabei beobachten konnte, wie sie in einer Parfümerie grosszügig Kosmetika einkauften. Wieder könnte man kritisieren, dass es Wichtigeres gebe in dieser schweren Zeit. Interessant dabei war, wie sich Geduld und Verständnis einer wartenden Kundin rasant aufbrauchte. Die Damen konnten kein Deutsch und nur bruchstückhaft Englisch. Der Verkauf zögerte sich hinaus, man liess sich beraten, wie zuhause wohl, wie wir das vielleicht ab und an auch tun. Doch sehr schnell war die Willkommenskultur vergessen und die wartende Dame tat ihren Unmut hörbar kund.
So schnell kann es gehen, dachte ich. So schnell sind wir nach dem ersten «Erkennen» keine Schwestern mehr. Wenn es um das Eigene geht, das eingeschränkt wird und sind es nur zehn Minuten Zeit, verkriecht sich manch guter Wille ganz schnell wieder.
Ist das auch ein Instinkt? Ich weiss es nicht. Auf jeden Fall ist nicht zu erwarten, dass jeder Flüchtende unser Freund wird und dass auch unter ihnen Typen sind, die nicht unseren Vorstellungen entsprechen und unsere Geduld strapazieren. Es wäre in jedem Fall menschlich, ihnen trotzdem zu helfen.
In der Gemeinschaft mit anderen Menschen braucht es eine Anpassungsleistung und ein Miteinander. Es ist die Gemeinschaft, die uns schlussendlich schützt, weil wir alle miteinander verbunden sind. Das Erkennen mündet im Kennen, und was man kennt, anerkennt man oft auch. In Seinesgleichen kann man sich einfühlen, und man hilft sich gegenseitig.
Wenn man bedenkt, dass die Welt immer wieder auf Wanderschaft ist und sich Völker vermischen. Wenn man weiss, dass auch wir «privilegierten» Weissen in Urzeiten einst dunkelhäutig waren und dass es wissenschaftlich gesehen gar keine Rassen gibt, dann steht dem «Erkennen aller» nicht mehr so viel im Wege.
Sobald wir uns dem «Fremden» nähern, sobald wir Syrer und Afghanen kennen, gehören auch sie zu uns.
Herzlich, Ihre Ingrid Eva Liedtke