Feuilleton Wädenswil

Von Belgien nach Wädenswil

Als im Februar in Belgien die Vier-Tage-Woche gesetzlich eingeführt wurde, hat so mancher Freund gemeint: «Ich kündige sofort und suche mir einen Job in Belgien!» Doch seine Heimat für den Job zu verlassen ist nicht ganz so leicht. Vor allem, wenn auch noch eine neue Sprache gelernt werden muss. Die Belgierin Chloe Claes hat vor rund 17 Jahren zusammen mit ihrem Mann und ihren zwei Söhnen den Umzug von Belgien in die Schweiz gewagt, da die Firma ihres Mannes den Firmensitz von Brüssel nach Zürich verlegt hat. Zuerst wollte Chloe höchstens zwei Jahre in der Schweiz verbringen, doch Chloe gefällt es mittlerweile hier so sehr, dass für sie Wädenswil ihr neues Zuhause ist. Hier will sie bleiben.

Interview und Bild: Noëmi Lea Hermann

Was ist Dir als Erstes aufgefallen, als Du in die Schweiz gezogen bist?
Ich habe rasch gemerkt, dass die meisten Frauen hier nicht arbeiten, wenn sie Kinder haben, und das wird als normal angeschaut. Das hat mich sehr irritiert. Ich finde die Gesellschaft wirkt so männlich dominiert, nicht darauf ausgerichtet, dass Mütter arbeiten. Ich bin doch keine schlechte Mutter, wenn ich arbeite. Es ist doch wichtig, als Frau seine berufliche Ausbildung zu nutzen und zu arbeiten, auch wenn man Mutter ist.

Zudem ist mir damals frisch in der Schweiz aufgefallen, dass, obwohl ich bereits in den ersten paar Wochen einen Intensiv-Kurs in Deutsch besucht habe, ich die Leute auf der Strasse oder in den Geschäften nicht verstanden habe, da man hier Schweizerdeutsch und nicht Deutsch spricht. Einmal fragte mich jemand: «Händ Sii zwei Buebe?» Ich wusste nicht, was er damit meint. Oder auf der Karte im Restaurant fragte ich mich: Was sind Rüebli? Überall stand dieses Wort. Als mir jemand erklärte, dass das Karotten sind, war ich total überrascht, da man auf Deutsch Karotte sagt.

Schweizerdeutsch zu lernen ist schwer, vor allem, weil nur selten Schweizerdeutschkurse angeboten werden. Da die Schweizer so hilfsbereit und nett sind, ist es als Ausländerin beinahe unmöglich im Alltag Schweizerdeutsch lernen zu können. Die Leute wechseln nach kürzester Zeit auf Englisch, wenn sie merken, dass man nicht so gut Deutsch spricht. Doch ich finde es sehr wichtig die Landessprache zu lernen, wenn man in ein fremdes Land zieht. Ich möchte mich doch verständigen können und die Kultur kennenlernen. Ich kann das nicht verstehen, dass es Leute gibt, die Jahrzehnte am Zürichsee leben und kein Wort Deutsch können und Schweizerdeutsch sowieso nicht.

Was schätzt Du am Leben in der Schweiz?
Ich finde es schön hier in Wädenswil am See zu wohnen und liebe es am See zu spazieren. Die Strassen in der Schweiz sind viel sauberer, das schätze ich. Alles wirkt hier so perfekt. Auch die Züge kommen meist ganz pünktlich, und wenn hier der Zug doch mal eine Minute zu spät kommt, entschuldigen sie sich über Lautsprecher für die Verspätung, das ist für mich typisch schweizerisch, sehr höflich.
Wie hat sich durch den Umzug nach Wädenswil der Alltag Deiner beiden Söhne verändert?
Meine Kinder waren 11 Jahre und 6 Jahre alt, als wir hierhin gezogen sind. Da wir dachten, dass wir nach zwei Jahren wieder nach Belgien ziehen, haben wir uns dafür entschieden die Jungs an die International School zu schicken, anstatt in die öffentliche Schule.
Wenn ich nun zurückblicke, hätten sie es jedoch wohl einfacher gehabt sich im Dorf zu integrieren, wenn sie mit den Kindern aus der Nachbarschaft die öffentliche Schule besucht hätten. Es ist für beide Jungs sicher gut, dass sie in der Schule so gut Englisch gelernt haben und dadurch auch im Ausland ohne Probleme studieren und arbeiten können. Für sie war es jedoch nicht leicht ausserhalb der Zurich International School Freundschaften zu schliessen, da die Kinder im Dorf untereinander Schweizerdeutsch sprechen.

Was machst Du, wenn Du ­Belgien vermisst?
Es ist nicht immer leicht so weit weg vom Rest meiner Familie zu sein. Meine Mutter vermisse ich schon sehr, daher telefoniere ich mit ihr oft online. Und ich höre immer belgisches Radio und schaue mir täglich die belgischen Nachrichten im Fernsehen an. Am Anfang habe ich bei den Besuchen in Belgien auch immer viele heimische Produkte mit in die Schweiz gebracht, nun vermisse ich eigentlich nur noch die belgische Mayonnaise und belgische Pralinen. Belgische Schokolade bringe ich auch sehr gerne vorbei, wenn ich bei Freunden eingeladen bin.

Was raten Sie anderen Eltern, die sich im Dorf integrieren wollen?
Ich empfehle allen Eltern ihre Kinder in einen Verein im Dorf zu schicken, sei es ins Fussball oder in den Musikverein. Mein jüngerer Sohn wollte unbedingt in den Fussball-Verein von Wädenswil, da er sehr gerne Fussball spielt. Er ist nun der in der Familie, der fliessend Schweizerdeutsch sprechen kann, da er die Sprache spielerisch beim Fussballtraining durch die neugewonnenen Bekanntschaften mit den Kindern vom Dorf gelernt hat. Mein älterer Sohn spricht hingegen kaum Schweizerdeutsch, da er nur die Freizeitangebote der Zurich International School genutzt hat und so in der Blase der Zurich International School und der Englisch sprechenden Kindern geblieben ist.

Das ich meine beiden Hunde Dino und Csikos habe, hilft mir auch sehr neue Leute kennen zu lernen. Vor allem jetzt, seitdem ich einen jungen Hund habe. Viele Leute in Wädenswil kennen ihn. Ein guter Rat ist sicher auch, sich als Mutter durch freiwillige Arbeit im Dorf zu engagieren. So lässt es sich gut Kontakte knüpfen, und man lernt die Bräuche und Feste des Dorfes kennen. Ich bin mich gerade am erkundigen, wo ich im Dorf ehrenamtlich mitarbeiten kann.  n

Das Interview mit Chloe Claes fand im Rahmen der Ausstellung «eingewandert ausgewandert Wädenswiler Migrationsgeschichten» statt. Die Ausstellung ist noch bis am 24. April 2022 in der Kulturgarage Wädenswil. In unserer letzten Ausgabe haben wir über das Podiumsgespräch zum Thema: «In Wädenswil zuhause?» berichtet und bei der Gesprächsrunde Chloe Claes kennengelernt.

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