Kolumne

Ärger schafft Ärger – Freude bringt Freude

Wenn ich durch Schönenberg fahre, sind da immer mehr von diesen Plakaten. Diese breite Hand mit ausgestrecktem Zeigefinger und die fettroten Slogans haben etwas Aggressives, das in mir sogleich Ärger verursacht.
Die Energie ist negativ. Ärger bildet Abwehr, daraus entstehen Fronten.
Ich realisiere, dass ich von Menschen, die Verschwörungstheorien bezüglich Corona vertreten, irgendwie enttäuscht bin. Unter meinen Freunden auf Facebook und auch in meinem Bekanntenkreis gibt es einige, mit denen ich nicht einer Meinung bin.
Nun spaltet die Frage über die Corona-Impfung die Menschen und das Land, mein Land.
Ich frage mich: Reicht es nicht, dass Corona uns durchseucht, Menschen leiden, Menschen sterben lässt, dass es viele kleine Betriebe ruiniert hat, dass viele Kulturschaffende immer noch um ihre Existenz bangen und manche Menschen einsam, deprimiert oder erschöpft sein lässt? Lassen wir es jetzt tatsächlich zu, dass es unsere Gesellschaft auch noch spaltet?
Warum kämpfen wir nicht Schulter an Schulter gegen dieses Virus und tun alles, um es zu besiegen? Warum sind nicht alle froh um die lang ersehnte Impfung? Können wir nicht zufrieden sein, in einem solch freien Land zu leben und vertrauen auf unsere Politiker, die wir selber gewählt haben? Warum glauben jetzt einige Leute unsere Bundesräte wollten die Macht an sich reissen, über uns bestimmen? Um dann was zu tun? Warum werden Daten und Statistiken nicht beachtet oder so fatal missgedeutet?
Warum fühlen sich Menschen in der Schweiz gegängelt und kontrolliert? Und wo ist da der Gemeinschaftsgedanke, die Solidarität, die Überzeugung, dass wir gemeinsam handeln müssen um uns und andere zu schützen?
Ja, es ist so, dass auch die, die es am ehesten wissen könnten, noch nicht alles wissen über dieses Virus. Ja, es gibt immer wieder Überraschungen und Unbekannte und Prozentsätze – kleine zwar – die beweisen, dass die Impfung nicht 100-prozentig schützt, dass es Durchbrüche gibt, neue Virusvarianten, einiges, das nicht vorhersehbar ist, nicht abzuschätzen war und so weiter und so fort. Doch wir können doch wenigstens alles, was möglich ist tun, um uns gemeinsam gegen diese Seuche zu stellen, anstatt uns in Grabenkämpfen aufzureiben, uns gegenseitig zu misstrauen und der Landesregierung ein Ansinnen zu unterstellen, das diktatorische Züge hat.
Je mehr ich mich mit dem Ärger, mit dieser Aggression, die herrscht, auseinandersetze, desto mehr negative Energie wird freigesetzt. Solche wird nie zur Versöhnung und zur Aufhebung der Gräben beitragen, sondern sie noch vertiefen.
Also, was kann ich tun? Was können wir tun?
Normalerweise würde ich für Loslassen plädieren, für Akzeptanz, für Mitgefühl. Jedem das Seine, jedem sein Leben, jedem sein Glaube, auch wenn er mir noch so abseitig scheint.
Doch wie sehr tangieren wir Menschen mit unseren Einstellungen und unserem Leben, das von anderen?
Sind wir alle zu Egoisten geworden, denen das Wichtigste ist, keine Vorschriften befolgen zu müssen, sondern nur tun zu können, was sie wollen?
Ich bin mir bewusst, dass dies eine sehr provokante Frage ist und hoffe, mir sei verziehen, denn ich stelle sie auch mir selber.
Wann kommt der Moment, wo das Allgemeinwohl über dem persönlichen steht? Oder besser formuliert: Warum ist das Allgemeinwohl nicht unser aller Interesse und deshalb auch eine persönliche Angelegenheit?
Aber natürlich ist es schwierig, das Allgemeinwohl zu proklamieren, wenn die Definitionen, was es momentan bedeuten mag, so verschieden sind.
Sie sehen, liebe Leserinnen und Leser, irgendwie drehe ich mich im Kreis und finde keine schlüssige Antwort.
Nur die, mich auf die Worte von David Dimitri zu besinnen, die er anlässlich des Novemberspektakels geäussert hat und die in etwa so lauteten: «Es ist nicht wichtig, welche politischen Ansichten Menschen haben, sondern nur, dass man sich freundlich begegnet und dass man seinen Mitmenschen wohlgesinnt ist. Je mehr Freude wir anderen bereiten, desto mehr Freude kommt zurück.»
Ihre Ingrid Eva Liedtke

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