Feuilleton Wädenswil

Inés Mantel: die Kunst der Vielseitigkeit

Inés Mantel ist eine Künstlerin der Vielfalt. Sie probiert sich gerne aus und ist neugierig auf die Erfahrungen, die sie machen darf.

Text: Ingrid Eva Liedtke, Bilder: zvg

Ich habe Inés Mantel in der Kulturkommission kennengelernt, wo wir beide einsitzen. Sie schon seit 2003. Unter dem Projekttitel «Ereignishorizont» kuratiert sie den Kunst-Schaukasten in der Bahnhofsunterführung als Teil ihrer eigenen künstlerischen Reise durch Raum und Zeit und im Austausch mit anderen Künstlerinnen und Künstlern.

Ein grosses Engagement für Kunst und viel Neugier

Inés Mantels grosses Engagement für die Kunst wird im Austausch sofort spürbar und weckte in mir den Wunsch, diese vielseitige Künstlerin zu porträtieren. Das ist kein leichtes Unterfangen bei dieser Dichte an Interessen und Ausdrucksformen, die sie in sich vereint.

Meine erste Frage «Was bist Du? Wie vieles bist Du?», beantwortet sie mir nicht wie erwartet mit ein paar Berufsbezeichnungen, sondern mit einer Aufzählung von Beschreibungen, die ihr wohl eher gerecht werden:
«Ich bin neugierig, interessiert, am Leben, am Sichtbaren und am Unsichtbaren, das ich sichtbar machen möchte.»

All dies vereint sie in ihrem Kunstschaffen durch Malerei, Objektkunst, Körperobjekte und Lyrik. Schnell verdeutlicht sich, dass sie vieles schafft, ausprobiert, aber immer auf dem ihr eigenen Weg bleibt. Die einzelnen Nebenstrassen, die sie dabei begeht, führen sie immer wieder zurück, auf einen Pfad der Kommunikation, mit sich selbst und schliesslich auch mit den Betrachtern und Lesern ihrer Kunst. Manchmal bietet sie in Sprache gefasste Interpretationen an, doch immer will sie auch zu eigenen Gefühlen und Sichtweisen einladen.
Ihre surreal anmutende Lyrik sieht Mantel selbst als tiefenpsychologische Bilder, die sich in Sprache manifestieren. Sie sagt: «Mich interessiert Kommunikation. Jede Form von Kunst ist Sprache, ist ein Mitteilen und mich fordern die verschiedenen Möglichkeiten, respektive Formen der künstlerischen Sprache heraus.»
Seit Kindertagen habe sie immer Buch geführt, um sich in ihrer Welt zurechtzufinden. «Ich habe so Landkarten meiner eigenen Welt geschaffen. Die Kunst hilft, sich im Leben zurechtzufinden.»

Der Entstehungsprozess

Den Entstehungsprozess ihrer Kunst beschreibt sie so: «Ein gemaltes Bild, ein Schmuckobjekt oder ein Text will gefühlt werden und gleichzeitig auch kontrolliert, das heisst, es muss visuell stimmig sein. Das von mir entdeckte und ausgewählte Grundmaterial spricht mit mir und teilt mir auf verschiedenen Metaebenen mit, mit welcher Technik, Formenwahl oder Sprache ich selbst weiterzuarbeiten habe. Ich bin die Ausführende, die genau hinhört und hinsieht, während sich der Prozess bis zum fertigen Produkt laufend verändert.»
Inés Mantels bevorzugte Materialien sind Öl- und Acrylfarben, Metall, Wachs, Fundstücke und Gips. Ihr Schaffen ist Zwiesprache und Unterhaltung, sie versucht sich in verschiedenen Positionen und Haltungen, erlebt sich selbst. Der schöpferische Prozess an sich bleibt intuitiv. Dem, was sich daraus erschliesst, widmet sie sich auch intellektuell.

Geradlinig und immer wieder ausbrechen

Das Leben dieser Kreativen – genügt es sie Künstlerin zu nennen? – entwickelt sich zuerst geradlinig.
1959 geboren in Wädenswil, machte Inés Mantel eine Berufslehre als Dekorations-Gestalterin in einer Kleiderfirma in Wädenswil und hatte nachher den gesellschaftlich folgerichtigen Plan, in einem Zürcher Warenhaus weiterzuarbeiten. Ziemlich jung noch, erhielt sie jedoch das Angebot für die Firma Mantel, in der sie schon ihre Ausbildung genossen hatte (später würde sie einen der Mantels heiraten) die Ladengestaltung zu übernehmen und nach weiteren Jahren wurde ihr dann auch der Einkauf der Damen- und Boutique-Mode angeboten.
«Das war für mich eine erste grosse Chance. Meine Kreativität und meine Ideen bekamen sozusagen eine Legitimation, dadurch dass sie bezahlt wurden, und ich konnte mich ziemlich frei entfalten.»
Nach der Fertigstellung und Neueröffnung des Ladens am Bahnhofplatz in Wädenswil, zog es Inés Mantel aber erst mal wieder fort, auf eigenen Wegen. Sie ging nach Florenz für einen dreimonatigen Sprach- und Kunststudien-Aufenthalt und holte sich weiteres Rüstzeug.

«Die 70er- und 80er-Jahre waren eine wirklich aufregende Zeit für Dekorateure», erinnert sie sich. «Kein Wunder gingen viele Dekochefs nachher in die freie Kunst. Man konnte damals ganze Geschichten erzählen. Mit den Schaufenstern wollte man eine Atmosphäre schaffen, eine Stimmung verkaufen. Das war grossartig, ein Fest, wenn eine neue Saison mit einem neuen Szenario eröffnet wurde. Die Unternehmen hatten dafür viel ausgegeben und für uns Dekorations-Gestalter ergab sich dadurch ein riesiges Spielfeld, auch um sich handwerklich auszuleben. Wenn man mit viel Materialien arbeitete, musste man auch lernen, damit umzugehen. Solche Projekte waren geeignete Lernfelder und sie förderten die Lust am Material. Zudem ist Mode immer auch Philosophie und bringt diesen psychologischen und kulturellen Aspekt mit sich.»

Tiefenpsychologie und Freiheitsdrang

Das Interesse an der Psychologie wird Inés Mantel später dazu veranlassen, eine tiefenpsychologische Ausbildung auf den Grundlagen C. G. Jungs in Zürich zu absolvieren. Sie schloss die vierjährige Ausbildung mit einer Diplomarbeit zum Thema «Kunst, Mensch, Religion» ab.

Es beschäftigt mich auch die Frage, woher Inés Mantel mit Zwanzig die Selbstsicherheit nahm, um in dieser Szene bestehen zu können. «Man muss es aushalten, zu scheitern», sagt sie. «Das System hat mir immer wieder mal Grenzen gesetzt. Das kann hart sein, weil man durch diese Arbeit oft sein Innerstes zur Schau stellte. Aber man lernt, muss lernen, damit umzugehen.»
Trotzdem war da ein paarmal dieser Impuls einfach «normal» sein zu wollen, einen Nine-to-five-Job zu haben, ein Leben wie die Anderen.
«Doch es hat mich immer herauskatapultiert. Das ‹Normale› war mir zu langweilig, unterdrückte meine Kreativität zu stark.»
Sie will immer wieder neues ausprobieren, sich erfahren und ist dabei auch noch zweifache Mutter und Familienfrau. «Mein Mann ist ganz anders, aber er hat mich immer machen lassen.»
Weg von der Mode, hin zum Handwerk ist der Weg, und Inés entscheidet sich irgendwann für eine Silberschmied-Ausbildung bei der Zürcher Schmuckkünstlerin und Pionierin in Sachen Schmuck, Antoinette Riklin und beginnt dann sich an internationalen Themenausstellungen zu beteiligen. Gleichzeitig eröffnet sie in Wädenswil ein Atelier mit eigener Ausstellungstätigkeit. Die Regeln des Kunstmarktes, dass Künstler nicht selbst ausstellen sollten, sondern eine Galerie brauchen, die sie vertritt, umgeht sie. «Ich fühlte mich meistens nicht wohl damit. Ich bin wohl eine Revoluzzerin», sagt sie und lacht entspannt. Doch das sei früher einfacher gewesen. «Für die Jugendlichen gibt es heute keine guten Rolemodels für ‹andere› Lebensentwürfe. Hat man das Privileg, so zu leben und das Menschsein zu erforschen, hat man eine Verantwortung, diese Farbigkeit der Gesellschaft zu geben. Bei mir läuft alles über die Kunst.»

Kann Kunst befreien?

Ich frage sie, ob die Kunst uns befreien, ja vielleicht auch befrieden kann. Bringt sie Licht ins Dunkel? «Ja, auf jeden Fall», sagt sie. «Kunst kann alles und muss nichts.»

Bei allem Rudern gegen den Mainstream darf der wirtschaftliche Faktor natürlich nicht vergessen werden. So arbeitete Inés Mantel immer wieder auch in ihrem erlernten Beruf als Dekorationsgestalterin für Lindt & Sprüngli, Manor und Jelmoli.
Die aus ihrer psychologischen Ausbildung gewonnen Erkenntnisse und Einflüsse fliessen ein in ihre Gestaltungskurse, die sie in den eigenen Räumen an der Seestrasse durchführte.

Lyrische und italienische Identität

Es ist anzunehmen, dass die Psychologie auch zum Forschen in der eigenen Vergangenheit und Familie anregte.
Da gibt es eine weitere Geschichte zu erzählen, und zwar die von Inés Mantels Name. «Meine Mutter hat mir den Namen einer Frau aus einem Fotoalbum meInés Vaters gegeben», meint Inés Mantel belustigt. Später stellte sich heraus, dass die Frau in Italien eine bekannte Lyrikerin war. Die italienische wie auch die lyrische Identität schälte sich plötzlich aus dem Unsichtbaren in die Gegenwart.
10 Jahre lang ist Inés Mantel interaktiv in einem deutschen Literaturforum dabei, gründet einen Kleinverlag mit den Texten eInés deutsch-russischen Lyrikers und verfolgt gleichzeitig ihr eigenes Lyrikprojekt «Aoide».

Als es wieder einmal Zeit wurde, einen weiteren Weg zu beschreiten, suchte sie ein Atelier am Meer, in La Rochelle. «Es ist eine Dachmansarde und genau das Richtige für mich! Ich bin süchtig nach Frankreich!», sagt sie schwärmerisch.

Venedig!

Und dann 2016 doch wieder Italien! Venedig, ein Keller in der geschichtsträchtigen Stadt. «Es ist eher ein Magazzino, das heisst, ein Werkraum in einem ehemaligen Handwerkergebiet des Santa Croce Sestiere. Der Raum war voller feuchten Holzes und Skorpione! Das Holz haben wir jetzt entfernt. Mit den Skorpionen habe ich mich auseinandergesetzt.» Sie lächelt geheimnisvoll.
Hier soll eine Installation zu ihrem Kunstschaffen entstehen, die sie an der Biennale 2022 zeigen möchte. «Neue Problemfelder öffnen sich und ich duelliere mich mit dem Raum, so mache ich neue Erfahrungen und das spornt mich an.»

Und so geht es immer weiter im Leben der Inés Mantel auf der Spurensuche nach Essenz und Bewusstsein, im ständigen Dialog mit sich selbst und mit ihrer Umwelt und auch immer wieder im Aufbruch, um Neues zu entdecken und es künstlerisch zu erforschen.

Werke von Inés Mantel sind Mitte Oktober in der Ausstellung «Einzigart» in der Kulturgarage Wädenswil zu sehen – oder auf ihrer Homepage www.Inésmantel.ch

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