Allgemein Feuilleton Wädenswil

Garagenbühne – reduziert und gewaltig

Theater konsequent ohne Requisiten, ohne Kulissen, ohne Bühnenboden. Völlig reduziert und vielleicht genau deshalb so gewaltig.

Text & Bild: Ingrid Eva Liedtke

Aus grosser Leidenschaft zum Theater wurde der langjährige Traum von Sabrina Steinmeier und Daniela Brodbeck, eine eigene Theatergruppe zu gründen, in dem seltsamen Jahr 2020 zum Leben erweckt. Mit dem Regisseur Matthias Beyerle wurden Ideen, Konzepte und Stücke besprochen, diskutiert und verworfen. Für die beiden Frauen war sofort klar, dass sie mit Matthias die richtige Regie gefunden haben. Schnell wurde aus der Idee ein Plan, welcher drei Wochen später mit der ersten Leseprobe ins Rollen kam. So lautet die Ankündigung der neuen Theatergruppe Garagenbühne.
Einigen Theaterfreunden sind Daniela Brodbeck und Sabrina Steinmeier schon ein Begriff durch ihr Engagement am Volkstheater Wädenswil. Auch Ashley Stutz, die für eine Rolle im ersten Stück der Garagenbühne eingesprungen ist, war schon mehrfach in Aufführungen des Volkstheaters zu sehen. Zusammen mit Daniela Brodbeck ist sie auch Co-Präsidentin des Volkstheaters.
Ich treffe diese Gruppe leidenschaftlicher Theaterleute in der Binz, wo am Arbeitsort von Regisseur Matthias Beyerle die Proben stattfinden. In der Kulturgarage Wädenswil, wo die Aufführungen geplant sind, ist proben momentan nicht möglich, da noch eine Ausstellung läuft.
Ursprünglich hat das Projekt schon im Herbst letzten Jahres seinen Anfang gefunden, aber dann musste wegen Corona alles verschoben werden. In solchen Zeiten brauchen Kulturschaffende einen besonders langen Atem. Zudem ist Theaterspielen an sich eine ziemlich intensive Sache, vor allem, wenn man sie nicht hauptberuflich tun kann. Woher kommt also diese Energie für ein neues Projekt in solche schwierigen Zeiten? Es wird schnell klar, was das Theatermachen den Beteiligten bedeutet – so viel, dass sich jede Mühe dazu lohne und der Aufwand kaum je als solcher wahrgenommen wird.

Jede Mühe lohnt sich
Kurze Manifeste dazu lauten: «Es ist Leidenschaft, etwas, wofür man brennt. Daraus ziehe ich so viel Energie und Freude, dass ich gar nichts Anderes tun möchte.» So beschreibt Daniela Brodbeck ihre Motivation. Sabrina Steinmeier schwärmt: «Theatermachen gibt mir viel, vor allem in einer solch stimmigen Gruppe. Die Beziehungen untereinander, Freundschaft und die positive Energie, die durch unser Zusammenspiel entsteht, putscht mich geradezu auf.»
«Ja genau», bringt sich Daniela Brodbeck nochmals ein. «Würde es nicht so fliessen, dann könnte es auch vorkommen, dass man sich ärgert und das verminderte die Freude und den Spass schon.» Diese Freude und Übereinstimmung sei mit ein Grund gewesen für dieses Projekt. Wenn man realisieren könne, wovon man träume, dann sei die Knochenarbeit wenig spürbar.
Matthias Beyerle, der Regisseur der Gruppe, spricht von Entblössung. «Wie eine Zwiebel, die Schale um Schale ihre Frische neu offenbart, so schälen wir uns durch einen Prozess und entwickeln dabei kleine Welten. Dadurch, dass mehrere sich in diesem Prozess treffen, entwickelt sich eine Suche nach Wahrhaftigkeit, die viel bewegende Energie generiert. Die Zuschauer müssen gar nicht unbedingt verstehen, was wir genau da vorne auf der Bühne tun. Aber sie müssen davon bewegt sein.»
Ashley Stutz bringt eine nochmals ganz andere Wahrnehmung in die Gruppe. «Für mich ist Theatermachen wie ein Personal Coaching. Es bedeutet für mich die Komfortzone zu verlassen. Da ich Störungen mag, bekomme ich dann oft auch die entsprechenden Rollen, solche, die ich eigentlich zuerst gar nicht möchte. Ich ziehe sie jedoch wohl an, weil ich die Auseinandersetzung brauche. Das heisst, Emotionen zu spielen, die ich eigentlich nicht zeigen möchte, die mir manchmal auch peinlich sind.»
Daniela Brodbeck: «Das braucht Mut, auch den Mut zur Hässlichkeit! Gewisse Prozesse werden aber mit der Routine einfacher.»
Gerade der Wechsel von den Emotionen der Figur zurück zu den eigenen, der Weg von der Rolle zurück ins eigene Leben, kann man sich als grosse Herausforderung vorstellen, je mehr sich eine Protagonistin in ihre Rolle hineinzuleben weiss. Genau diese Fähigkeit aber macht sie wohl zur guten Schauspielerin.
So ist man denn als Zuschauer/-in einer Probe auch tief beeindruckt und bewegt von der Intensität der gespielten emotionalen Szenen und ebenso erstaunt über die Professionalität, mit der die Spielenden in ihre eigenen Realitäten und in die Auseinandersetzung mit dem laufenden Prozess switchen können. Vom Weinen zum Lachen, von der Hühnerhaut zum Pausensnack, ein Wechselbad lebendigen Spiels.

Warum eine neue Theatergruppe?
Der Pausenmoment ist günstig, um noch genauer zu erfahren, warum dieser Wunsch einer neuen Theatergruppe entstanden ist. Daniela Brodbeck: «Wir wollten etwas Neues, Frisches, vielleicht auch Jüngeres? Wir möchten uns weiter entwickeln und neue Spielarten ausprobieren. Das heisst auch, den Rahmen, der das Volkstheater durch seine Tradition vorgibt, erweitern oder gar sprengen.»
Die Zusammenarbeit der Theatergruppe geht über das Professionnelle hinaus, das ist schon sehr schnell spürbar. Da haben sich Menschen gefunden, die im Geiste verwandt sind. Das freundschaftliche Schaffen am gemeinsamen Projekt, das Schwimmen im Pool derselben Leidenschaft. Mit Mathias Beyerle haben Steinmeier und Brodbeck den idealen Regisseur gefunden, um ihr Projekt zu verwirklichen. Er ist es auch, der die Rollenverteilung vorgenommen hat – ohne Schwierigkeiten – wie er anmerkt. Ein Beispiel dafür, wie sehr für sie alle die Freude am Projekt im Vordergrund stehe. Persönliche Befindlichkeiten seien Nebensache.
Das Stück wird in einem sehr reduzierten Rahmen gespielt, wie eingangs erwähnt ohne Requisiten, ohne Kulissen, ohne Bühnenboden. «Wir muten dem Publikum diesen schlichten Rahmen zu, weil wir es für mündig halten und fähig, die eigene Fantasie spielen zu lassen», sagt Beyerle.
Corona ist momentan immer ein Thema. Gerade Kulturschaffende werden arg gebeutelt. Doch die Gruppe der Garagenbühne sieht sich unabhängig und in der glücklichen Position, in anderen Berufen tätig und so nicht so sehr von der momentanen Situation abhängig zu sein. Beyerle: «Wir sind klein, flexibel, beweglich und stark motiviert. Wenn wir im Mai nicht spielen können, dann eben später. Wir werden unser Stück auf jeden Fall aufführen. Wir haben aber auch einige Unterstützung erhalten. Wir tun alles, was nötig ist, um dieses Projekt auf die Beine zu stellen, weil es uns am Herzen liegt.

Das Stück: «Das Missverständnis» von Albert Camus
«Ein Wort hätte genügt», damit trifft Maria, Jans Frau, den Kern der Geschichte. Jans Mutter und deren Tochter Martha haben aus der verzweifelten Hoffnung nach einem besseren Leben vor Jahren damit begonnen, solvente Herren, die sie als Gäste in ihrem abgelegenen Gasthaus bewirteten, auszurauben, zu töten und dann im nahegelegenen Fluss zu entsorgen. Nach 20 Jahren der Abwesenheit, möchte sich Jan mit seiner Mutter und Schwester wiedervereinen und seinen in der Zwischenzeit angehäuften Reichtum mit ihnen teilen. Das Drama nimmt seinen Lauft und umspielt in wunderbarer Weise die von Camus so hochgeschätzte Eigenverantwortung des Menschen.

Das Stück wird in der Kulturgarage aufgeführt.
Spieldaten: 2.5, 7.5, 8.5, 11.5. und 12.5.2021
Weitere Infos über: www.garagen-buehne.ch

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