Feuilleton Wädenswil

Philipp Saner – ein vielseitiger und begabter Musiker, von dem man noch hören wird

Die Musik der Formation «silent neighbor» ist kein Mainstream. Sie schmiegt sich nicht einfach ins Ohr, ist nie nur gefällig. Dieser Sound liebt auch Dissonanzen, ebenso wie schwierige, manchmal gar dunkeltonige Texte – aber nicht nur. Das Spektrum ist gross, so wie das des Musikers Philipp Saner. Er schreibt die Texte und komponiert die Musik.

Text: Ingrid Eva Liedtke, Bilder: Irina Garcia

Philipp Saner ist Gitarrist, Sänger und Komponist, geboren
am 15. März 1991 in Wädenswil. Er hat die Band «silent neigh­bor» gegründet. Nach einem fünfjährigen Studium an der Zürcher Hochschule der Künste (ZHdK), hat er im Frühling 2015 den Master of Arts in Jazzgitarre und Musikpädagogik mit Auszeichnung abgeschlossen. Seither ist er mit verschiedenen Bands und Projekten in den Bereichen Jazz, Pop und Rock sowie Theater in der Schweiz und im Ausland unterwegs.
Im Sommer 2016 wurde Philipp
mit seinen eigenen Songs ans Jazz Festival Montreux eingeladen und dort mit dem Preis für den besten Singer/Songwriter
der Montreux Jazz Artists Foundation ausgezeichnet. Bescheiden merkt er an, er habe vor allem
gewonnen, weil so viele Freunde und Bekannte für ihn gevotet hätten. Doch sicher wohlverdient, denn es ist spürbar, wie sich hier einer der Musik verschrieben hat.
Schon als Zehnjähriger ist Lenny Kravitz mit seinem Retro-Style Philipp Saners Idol, und die Plattensammlung der Eltern eröffnet ihm die Welt der Grossen der Sechziger und Siebziger wie Jimi Hendrix, Bob Dylan, Janis Joplin oder The Doors. Im Teenageralter kommen dann Nirvana, David Bowie und Tom Waits dazu. Sie bezeichnet er als wichtige Einflüsse. Die Musik, die ihn faszinierte, war ausschliesslich englisch.
«Es war mir immer wichtig, auch die Texte zu verstehen. Daher verbrachte ich viele Stunden damit, mithilfe eines Wörterbuches die Songtexte in den CD-Booklets Wort für Wort zu übersetzen und mir dann irgendwie den Sinn der Songs zusammenzureimen.» Der Gedanke bringt ihn zum Lachen angesichts der Tatsache, dass er damals noch keine Ahnung von englischer Grammatik hatte, geschweige denn von Redewendungen oder vom wirklichen inhaltlichen Gehalt. «Es entstanden ziemlich kuriose sprachliche Gebilde.»
Über die Jahre habe sich das dann aber weiter verbessert. Seine Leidenschaft für den sprachlichen Teil des Songwritings sei gross, ähnlich gross wie für den musikalischen.
Philippe Saner stammt nicht aus einer Musikerfamilie. Doch die Familie liebt Musik. «In unserem Wohnzimmer stand ein Klavier, das schon früh eine grosse Faszination auf mich ausübte. Es wurde nur selten gebraucht, doch die reine Gegenwart eines so grossen und massiven Möbels, dessen einziger Zweck das Erzeugen von Klängen war, verlieh der Musik in unserem Zuhause doch ein gewisses Gewicht.»
Mit sieben Jahren darf der Junge am Tag der offenen Tür an der Musikschule Wädenswil ein Instrument für sich auswählen. Der Favorit ist aber nicht das Klavier, sondern das Saxophon. Der Klang dieses goldenen Horns zog ihn in seinen Bann. Doch der Lehrer empfiehlt mit dem Unterricht noch zuzuwarten und zuerst ein anderes Instrument zu erlernen. «Obwohl ich dem Sax bis heute manchmal nachtrauere, stellte sich dann die Entscheidung für das Klavier schnell als Glücksfall heraus.»
Schon im ersten Unterrichtsjahr beginnt Philippe Saner eigene, kleine Stücke zu komponieren. Die Klavierlehrerin hilft ihm dabei, diese aufzuschreiben. Das Klavier eignet sich dazu besonders gut, weil es ohne grosse technische Fähigkeiten möglich ist, eine Melodie mit der rechten Hand und Begleittöne dazu mit der linken Hand zu spielen. Saner entdeckt zudem seine Freude am Singen.
«Das wäre mit dem Sax schwer möglich gewesen. Die Lust am Komponieren und die Freude am Singen führten dann automatisch dazu, dass ich begann, eigene Lieder zu schreiben.»
Doch es bleibt nicht bei dem einen Instrument. In der sechsten Klasse kommt die Gitarre dazu, und schon mit vierzehn Jahren gründet Philipp Saner seine erste Band. Und er weitet seine Interessen und «Spielfelder» aus. Die Gitarre bleibt nicht nur Begleitinstrument zum Gesang, sondern die Instrumentaltechnik, das Improvisieren und komplexere Harmonien aus dem Jazz-Bereich werden von immer grösserem Interesse.
Man darf wohl mit Recht behaupten, dass diese intensive Beschäftigung mit den verschiedensten Ausdrucksformen der Musik und auch die Leidenschaft und Nachhaltigkeit der Arbeit daran, einen Weg als Musiker nahelegen.
«So entschied ich mich, ein Studium in Jazz-Gitarre anzustreben.» Die grosse Entschiedenheit erstaunt nicht. Saner versucht sich schon kurz vor Abschluss der Matura für das Vorstudium am Zürcher Konservatorium Klassik & Jazz zu qualifizieren. Doch er scheitert.
«Ich realisierte, dass ich an meiner Technik feilen muss. Ich war aber doch enttäuscht und desillusioniert und überlegte auch, ob ich auf dem richtigen Weg bin.» Doch die Musik bedeutet ihm so viel, dass sie in ihm den nötigen Ehrgeiz weckt, um weiter zu machen.
Philippe Saner nutzt ein Zwischenjahr zum Üben, arbeitet 30% und übt und übt und hört sich kreuz und quer durch die Jazzgeschichte. «Dabei entfaltete sich in mir eine grosse Liebe für den Jazz.»

Im folgenden Frühling gelingt es ihm schliesslich – ohne Vorstudium – die Aufnahmeprüfungen gerade an zwei Musikhochschulen, in Zürich und Luzern, zu bestehen! Im Herbst 2010 beginnt Philipp Saner sein Bachelor-Studium an der Zürcher Hochschule der Künste.
Zu diesem Zeitpunkt hat er sich stilistisch bereits ziemlich weit weg von der kommerziell verwertbaren Popmusik bewegt und ist auch gar nicht daran interessiert, allenfalls als Begleitgitarrist von bekannten Künstlerinnen und Künstler die grossen Bühnen zu bespielen. Um sich ein Auskommen zu sichern, bietet sich somit das Unterrichten an. Philipp Saner ist klar, dass dieses einen Teil seines beruflichen Lebens als Musiker ausmachen wird.
Schon mit neunzehn Jahren tritt er sein erstes kleines Pensum an der Musikschule Wädenswil-Richterswil an und gibt dann insgesamt sechs Jahre lang Gitarrenstunden, bis nach dem Abschluss seines Studiums. Heute ist Saner an der Pädagogischen Hochschule in Schaffhausen angestellt, wo er angehende Lehrpersonen dabei unterstützt, die Freude an der Musik ins Klassenzimmer zu den Schülern zu tragen.
Künstlerisch nimmt die Gitarre und die Improvisation während der Zeit an der Jazzschule den meisten Platz ein. Das Singen gerät zeitweise in den Hintergrund. Doch der junge Musiker kann und will doch nie ganz damit aufhören. Es entstehen nebenbei neue Songs, und Material sammelt sich an, das bearbeitet werden will.
«So gründete ich doch wieder eine eigene Band. Das war dann die Geburtsstunde des Projekts silent neighbor.»
Es ist ein Projekt, das in den ersten Jahren noch ein Schattendasein fristet, denn dem jungen Musiker ist es wichtig in verschiedenen Bands und Projekten unterschiedliche musikalische Erfahrungen zu sammeln und viel zu üben. Die eigene Musik ist noch nicht im engsten Fokus.
«Als ich 2016 dann als Solokünstler ans Jazz Festival Montreux eingeladen wurde und dort im Rahmen einer Singer Songwriter Competition auftreten durfte und diese gewonnen habe, brachte das wieder etwas Leben in die Sache.»
Kurz nach den ersten Studioaufnahmen mit silent neigh­bor, wanderte der Keyboarder der Band nach Berlin aus. Ein Dämpfer und eine Chance für einen Neuanfang: «Als ich relativ kurzfristig für ein Konzert im Musikclub Mehrspur angefragt wurde, entschloss ich mich kurzerhand, einige meiner absoluten Lieblingsmusiker der letzten Jahre, die ich alle aus verschiedenen Kontexten kannte, anzufragen. Mit nur drei Telefonaten und noch einem Monat Zeit bis zum ersten Konzert, war die Band auch schon komplett: mit Maxime Paratte am Schlagzeug, Joachim Flüeler am Cello und Philipp Hillebrand an der Klarinette. Mit ihm hatte ich schon den Kindergarten in Wädenswil besucht.»
Alle vier Musiker dieser ungewöhnlichen Band haben einen Hintergrund in der improvisierten Musik. Sie sind es gewohnt, ihrer Intuition kompromisslos zu folgen. In dieser Formation hat Philipp Saner eine ideale Besetzung gefunden, um seine Songs so umzusetzen, wie sie natürlich aus ihm «herausfliessen» – ohne sich in ein stilistisches Korsett zu zwingen. Sein musikalischer Weg vom depressiven Nirvana-Teenager über Punk zum Jazz-Nerd hat sich schlussendlich zu einem Spiel mit allen Einflüssen entwickelt, wobei auch die Liebe zur Sprache und zum Songwriting immer eine entscheidende Rolle spielt.
Nach zweijährigem Bestehen des Quartetts haben die Musiker nun das erste Album aufgenommen – an nur einem Wochenende! Tired of your smile.
Es ist vielseitig und teilweise verwirrend, geht auf Abwege und überrascht mit plötzlich bekannten poppigen oder gar folkloristischen Klängen, wird dann jazzig, harmonisch, verlangt die Aufmerksamkeit des Zuhörers, ist immer herausfordernd, lyrisch und nimmt unerwartete Wendungen. Es ist keine Musik, um sich einfach berieseln zu lassen, sondern um wirklich zuzuhören.
Ich bin überzeugt, man wird in der Musikwelt noch einiges von silent neighbor und sicher von Philipp Saner hören. 

 

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