Zwölf Minuten nach Mitternacht erblickte am 23. November 2020 das 9091ste Baby seit der Eröffnung 1994 im Paracelsus-Spital das Licht der Welt. Das letzte Kind, welches hier geboren werden durfte.
Text & Bilder: Reni Bircher
Verzückt betrachten Kaylee Pfister und Andreas Widmer ihr erstes Kind, welches zufrieden in den Armen der Mutter in einem Bett der Geburtenabteilung liegt und schläft. Paul Jose (der zweite Name ist eine Hommage an Kaylees Grossvater und sollte in möglichst breitem Berndeutsch und «Sch» ausgesprochen werden) ist das letzte Kind, das im Paracelsus-Spital zur Welt kam.
«Momentan sind wir mehr Passagier, als dass wir noch irgendwas bestimmen würden … Ein ungewohntes Gefühl», scherzt Andreas, die junge Mutter nickt zustimmend. Sorgen machen sie sich keine. Die Hebammen würden regelmässig vorbeikommen, schauen und fragen, ob alles in Ordnung ist. «Sie werden schon wissen, was sie tun», ertönt es einstimmig. Überhaupt hätten sich sämtliche Angestellten von der ersten Sekunde an total ins Zeug gelegt, das habe schon am Empfang unten begonnen. «Es sind alle so unglaublich nett und aufmerksam.»
Das Paar – und jetzige Trio – kommt aus Rapperswil. Kaylee berichtet, wie sie von ihrer Frauenärztin über die umliegenden Spitäler informiert wurde und dass in ihrem Umfeld viele Leute mit Kindern wären. «Wir haben uns etwas umgehört, wollten herausfinden, welches Spital meinem Typ entspricht», erzählt sie. Dass einige Bekannte auf das komplementär ausgerichtete Haus in Richterswil wiesen, machte die beiden neugierig. Andreas gesteht, dass er eher zu den analytischen Menschen gehört, sei aber immer offen für anderes. Kaylee ist nicht unbedingt alternativ eingestellt, aber sehr empfänglich für solche Wege. «Als Bereiterin achte ich auf eine möglichst natürliche Behandlung der Pferde», erklärt sie ihre Einstellung. «Das kann auch für den Menschen nicht verkehrt sein.»
Denn sie wissen, was sie tun …
Der junge Vater erinnert sich begeistert an den Informationsanlass des Spitals, ebenso an eine recht betagte Akustikanlage und die «herrlich unprofessionelle» Art der Referentin. Als die Frage einer Anwesenden nach einer geplanten Geburt für ein kurzes Schweigen sorgte, sei die Antwort gewesen: «Lassen Sie das Kind doch einfach selber entscheiden». Und dies sagte die Hebamme in einer Weise, die klar machte, dass sie die Handhabung eines Mikrofons nicht beherrschen muss. «Das muss sie nicht können», erläutert Andreas. «Aber das, was sie auf der Geburtenabteilung leistet, das macht sie vermutlich sehr gut». Der Fokus sei auf die Aufgabe gerichtet; die Art und Weise, wie die Profession hier im Paracelsus gelebt werde, sei klar formuliert worden. «Alles, was sie können müssen und was sie hier geleistet haben, war hochprofessionell – genau das war uns wichtig», bestätigt das Paar.
Nach diesem Infoabend haben sich die inzwischen Eltern gewordenen gar nicht mehr weiter umgeschaut, denn sie waren von Anfang an von diesem Konzept überzeugt. «Die Mischung von alternativer und Schulmedizin erschien uns perfekt, denn da fühle ich mich rundherum abgesichert», sagt Kaylee entschieden. Sie habe auf keinen Fall gewollt, dass während der Geburt ständig auf die Uhr geschaut würde und man ihr irgendwann sage, sie müssten jetzt das Kind rausholen, weil sonst die Warteschlange draussen vor der Türe zu lang wird.
Von den Hebammen lernen
Während der Geburt von Paul Jose gab es einen Schichtwechsel, doch die erste Hebamme liess es sich nicht nehmen, noch länger zu bleiben, denn für sie war es die letzte Geburt im Haus. «Sie haben das so toll gemacht, es sind alle so liebevoll», schwärmt die junge Mutter. «Sie haben wertvolle Tipps gegeben und waren total souverän», zeigt sich Andreas vom Personal beeindruckt. Es sind die Kleinigkeiten, die zählen.
Beeindruckt war er auch von der Zurückhaltung, in der sich die Ärzte der Frauenklinik üben würden. Aus beruflicher Erfahrung weiss er, dass diese sonst eher etwas zur Selbstdarstellung neigen würden und meinten, Hierarchien wäre von grösster Wichtigkeit. «Ein bisschen wie Schwarzwaldklinik», schmunzelt der Servicetechniker, und ist überzeugt: «Vom Umfeld und dem Wissen der Frauen hier könnten viele Ärzte profitieren – egal, ob sie das gut finden oder nicht. Ich befürchte, dass die Ausbildung diesem komplementärmedizinischen Ansatz keine grosse Aufmerksamkeit schenkt», sinniert er.
Etwas bedrückt wirkt er allerdings, als er von dem Gefühl berichtet, dass ihn bei den Geburtshelferinnen übermannt: «Als ob sie gerne noch etwas sagen möchten. Etwa, dass das, was hier mit der Schliessung des Spitals passiert, einfach nicht in Ordnung ist.» Und gleichzeitig drängt sich die Frage auf, wie es sein kann, dass eine Geburtenabteilung nicht rentiert. Schliesslich würden ja immer Babys geboren …
Den Frauen merke man kaum an, dass das Spital am Freitag, 27. November, geschlossen werde. «Es agieren alle äusserst professionell», sagt Andreas. Was sicher ungewöhnlich sei, dass gewisse Dinge nicht mehr vorrätig wären. So etwa die Hautcreme, die nicht mehr als Tube sondern als Musterportion abgegeben wird. «Mir tun die Leute wahnsinnig leid», bedauert die junge Mutter die Spitalschliessung: «Es sind alle so wahnsinnig lieb, von der Putzfrau, über die Stationsschwester bis zu den Ärzten.»
Und Andreas fügt an: «Der Zusammenhalt untereinander ist enorm, und ich glaube, diese Philosophie muss man in sich tragen, um an einem solchen Ort zu arbeiten.»
Zuletzt noch volles Haus
«Päuli» kam 15 Tage nach dem errechneten Termin zur Welt. Dass sie die Geburt gerade noch so knapp vor der Spitalschliessung hier erleben durften, dafür sind die Eltern dankbar. «Ich bin sehr traurig über die Schliessung des Spitals. Sollten wir mal ein weiteres Kind haben wollen, weiss ich grad nicht, wohin wir gehen sollten …», überlegt Kaylee. Sie habe in den letzten Wochen mitgekriegt, wie die Nachricht des Konkurses wie ein Hammer über das Spitalpersonal niedergegangen sei. Wie verzweifelt dieses darüber war, hätten sie die Schwangere nie spüren lassen. «Es ist eine Tragödie für die Leute.» Schliesslich gehe es doch wieder nur um Geld, ist sich Andreas sicher. «Hätte da nicht der Kanton etwas machen müssen?»
«Vor drei Tagen war die Station noch voll, es gab viele Geburten. Und jetzt werden wir morgen wohl das letzte Paar sein, das hier mit einem Neugeborenen rausgeht». Kaylee schaut zu ihrem Sprössling runter. Und Andreas zum Bett, in dem die beiden ruhen. Bewundernd meint er: «Der Blick, den sie für dieses Kind hat, den habe ich vorher noch nie gesehen – diese Zufriedenheit, dieses Strahlen!»
Noch immer schläft das Baby im Arm der Mutter. Andreas gähnt herzhaft, es war eine lange oder besser kurze Nacht, was man den beiden auch ansieht. Genauso, wie das Gefühl absoluten Glücks.
Zwölf Minuten nach Mitternacht erblickte am 23. November 2020 das 9091ste Baby seit der Eröffnung 1994 im Paracelsus-Spital das Licht der Welt. Das letzte Kind, welches hier geboren werden durfte.
Text & Bilder: Reni Bircher
Verzückt betrachten Kaylee Pfister und Andreas Widmer ihr erstes Kind, welches zufrieden in den Armen der Mutter in einem Bett der Geburtenabteilung liegt und schläft. Paul Jose (der zweite Name ist eine Hommage an Kaylees Grossvater und sollte in möglichst breitem Berndeutsch und «Sch» ausgesprochen werden) ist das letzte Kind, das im Paracelsus-Spital zur Welt kam.
«Momentan sind wir mehr Passagier, als dass wir noch irgendwas bestimmen würden … Ein ungewohntes Gefühl», scherzt Andreas, die junge Mutter nickt zustimmend. Sorgen machen sie sich keine. Die Hebammen würden regelmässig vorbeikommen, schauen und fragen, ob alles in Ordnung ist. «Sie werden schon wissen, was sie tun», ertönt es einstimmig. Überhaupt hätten sich sämtliche Angestellten von der ersten Sekunde an total ins Zeug gelegt, das habe schon am Empfang unten begonnen. «Es sind alle so unglaublich nett und aufmerksam.»
Das Paar – und jetzige Trio – kommt aus Rapperswil. Kaylee berichtet, wie sie von ihrer Frauenärztin über die umliegenden Spitäler informiert wurde und dass in ihrem Umfeld viele Leute mit Kindern wären. «Wir haben uns etwas umgehört, wollten herausfinden, welches Spital meinem Typ entspricht», erzählt sie. Dass einige Bekannte auf das komplementär ausgerichtete Haus in Richterswil wiesen, machte die beiden neugierig. Andreas gesteht, dass er eher zu den analytischen Menschen gehört, sei aber immer offen für anderes. Kaylee ist nicht unbedingt alternativ eingestellt, aber sehr empfänglich für solche Wege. «Als Bereiterin achte ich auf eine möglichst natürliche Behandlung der Pferde», erklärt sie ihre Einstellung. «Das kann auch für den Menschen nicht verkehrt sein.»
Denn sie wissen, was sie tun …
Der junge Vater erinnert sich begeistert an den Informationsanlass des Spitals, ebenso an eine recht betagte Akustikanlage und die «herrlich unprofessionelle» Art der Referentin. Als die Frage einer Anwesenden nach einer geplanten Geburt für ein kurzes Schweigen sorgte, sei die Antwort gewesen: «Lassen Sie das Kind doch einfach selber entscheiden». Und dies sagte die Hebamme in einer Weise, die klar machte, dass sie die Handhabung eines Mikrofons nicht beherrschen muss. «Das muss sie nicht können», erläutert Andreas. «Aber das, was sie auf der Geburtenabteilung leistet, das macht sie vermutlich sehr gut». Der Fokus sei auf die Aufgabe gerichtet; die Art und Weise, wie die Profession hier im Paracelsus gelebt werde, sei klar formuliert worden. «Alles, was sie können müssen und was sie hier geleistet haben, war hochprofessionell – genau das war uns wichtig», bestätigt das Paar.
Nach diesem Infoabend haben sich die inzwischen Eltern gewordenen gar nicht mehr weiter umgeschaut, denn sie waren von Anfang an von diesem Konzept überzeugt. «Die Mischung von alternativer und Schulmedizin erschien uns perfekt, denn da fühle ich mich rundherum abgesichert», sagt Kaylee entschieden. Sie habe auf keinen Fall gewollt, dass während der Geburt ständig auf die Uhr geschaut würde und man ihr irgendwann sage, sie müssten jetzt das Kind rausholen, weil sonst die Warteschlange draussen vor der Türe zu lang wird.
Von den Hebammen lernen
Während der Geburt von Paul Jose gab es einen Schichtwechsel, doch die erste Hebamme liess es sich nicht nehmen, noch länger zu bleiben, denn für sie war es die letzte Geburt im Haus. «Sie haben das so toll gemacht, es sind alle so liebevoll», schwärmt die junge Mutter. «Sie haben wertvolle Tipps gegeben und waren total souverän», zeigt sich Andreas vom Personal beeindruckt. Es sind die Kleinigkeiten, die zählen.
Beeindruckt war er auch von der Zurückhaltung, in der sich die Ärzte der Frauenklinik üben würden. Aus beruflicher Erfahrung weiss er, dass diese sonst eher etwas zur Selbstdarstellung neigen würden und meinten, Hierarchien wäre von grösster Wichtigkeit. «Ein bisschen wie Schwarzwaldklinik», schmunzelt der Servicetechniker, und ist überzeugt: «Vom Umfeld und dem Wissen der Frauen hier könnten viele Ärzte profitieren – egal, ob sie das gut finden oder nicht. Ich befürchte, dass die Ausbildung diesem komplementärmedizinischen Ansatz keine grosse Aufmerksamkeit schenkt», sinniert er.
Etwas bedrückt wirkt er allerdings, als er von dem Gefühl berichtet, dass ihn bei den Geburtshelferinnen übermannt: «Als ob sie gerne noch etwas sagen möchten. Etwa, dass das, was hier mit der Schliessung des Spitals passiert, einfach nicht in Ordnung ist.» Und gleichzeitig drängt sich die Frage auf, wie es sein kann, dass eine Geburtenabteilung nicht rentiert. Schliesslich würden ja immer Babys geboren …
Den Frauen merke man kaum an, dass das Spital am Freitag, 27. November, geschlossen werde. «Es agieren alle äusserst professionell», sagt Andreas. Was sicher ungewöhnlich sei, dass gewisse Dinge nicht mehr vorrätig wären. So etwa die Hautcreme, die nicht mehr als Tube sondern als Musterportion abgegeben wird. «Mir tun die Leute wahnsinnig leid», bedauert die junge Mutter die Spitalschliessung: «Es sind alle so wahnsinnig lieb, von der Putzfrau, über die Stationsschwester bis zu den Ärzten.»
Und Andreas fügt an: «Der Zusammenhalt untereinander ist enorm, und ich glaube, diese Philosophie muss man in sich tragen, um an einem solchen Ort zu arbeiten.»
Zuletzt noch volles Haus
«Päuli» kam 15 Tage nach dem errechneten Termin zur Welt. Dass sie die Geburt gerade noch so knapp vor der Spitalschliessung hier erleben durften, dafür sind die Eltern dankbar. «Ich bin sehr traurig über die Schliessung des Spitals. Sollten wir mal ein weiteres Kind haben wollen, weiss ich grad nicht, wohin wir gehen sollten …», überlegt Kaylee. Sie habe in den letzten Wochen mitgekriegt, wie die Nachricht des Konkurses wie ein Hammer über das Spitalpersonal niedergegangen sei. Wie verzweifelt dieses darüber war, hätten sie die Schwangere nie spüren lassen. «Es ist eine Tragödie für die Leute.» Schliesslich gehe es doch wieder nur um Geld, ist sich Andreas sicher. «Hätte da nicht der Kanton etwas machen müssen?»
«Vor drei Tagen war die Station noch voll, es gab viele Geburten. Und jetzt werden wir morgen wohl das letzte Paar sein, das hier mit einem Neugeborenen rausgeht». Kaylee schaut zu ihrem Sprössling runter. Und Andreas zum Bett, in dem die beiden ruhen. Bewundernd meint er: «Der Blick, den sie für dieses Kind hat, den habe ich vorher noch nie gesehen – diese Zufriedenheit, dieses Strahlen!»
Noch immer schläft das Baby im Arm der Mutter. Andreas gähnt herzhaft, es war eine lange oder besser kurze Nacht, was man den beiden auch ansieht. Genauso, wie das Gefühl absoluten Glücks.