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Fokus auf das richten, was gut tut

Covid-19 ist noch immer in aller Munde. Pflegefachfrau Emily Leuzinger* über den Alltag im Spitalwesen und dem Verhältnis des Menschen zu sich und seiner Umwelt.

Text: Reni Bircher; Bild: Guido Bircher

Seit sechs Jahren arbeitet Emily wieder als Pflegefachfrau im Spital*. Nach der Ausbildung hat sie sich auf diversen therapeutischen Gebieten weitergebildet und war auch in Privatkliniken tätig. Jetzt arbeitet sie in einem mittelgrossen Spital in einem 50-Prozent-Pensum. Das lasse ihr etwas Raum, sich selber und ihren Alltag zu ordnen. «Wenn ich sehe, wie die anderen mit Vollzeitpensum arbeiten, gilt ihnen meine tiefste Bewunderung», erklärt sie. Physisch wie mental sei das eine grosse Belastung.

Als es um die Berufswahl ging, landete Emily irgendwann beim Pflegeberuf. «Ich wollte eine Arbeit machen, bei der ich etwas bewegen kann, Menschen den nächsten Schritt ermöglichen, sei das auf dem Weg zur Genesung nach einer Operation, oder es ihnen ein bisschen leichter machen, wenn sie im Sterben liegen.» Sie interessiert sich auch für das, was hinter jedem Einzelnen steht, seine Geschichte. Dass der Umgang unter den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern ihrer jetzigen Arbeitsstelle so gut ist, sei eine Erleichterung und sehr schön. «Das Menschliche ist meinen Kollegen und mir sehr wichtig».

Emily wird in allen Schichten eingeteilt, Früh-, Spät- und Nachtdienst. Je noch Schicht wird unterschiedlich viel Personal eingeteilt, und je nach Schicht betreut man unterschiedlich viele Patienten. Dabei kommt es auch auf deren Krankheitsgeschichte an. Auf einer Station mit mehreren kleineren Operationen können acht bis neun Leute betreut werden. «Auf der akut geriatrischen Abteilung kann ich kaum mehr als vier Menschen betreuen», erklärt die Pflegefachfrau den Arbeitsalltag. 

24-Stunden-Betrieb

Im Moment versucht das Spital den normalen Betrieb aufrecht zu erhalten, auch wenn sie derzeit rund ein Dutzend Covid-Patienten auf einer separaten Station in ihrer Obhut hat. «Ein eher kleines Spital hat sowieso zu kämpfen, weil es die Leistungsaufträge einhalten muss», erläu­tert Emily die schwierige Si­­tuation für das Spital – und es ist bei weitem nicht das einzige. Hinzu kommt die Notfallstation, wo die medizinische Erst­versorgung gewährleistet sein muss. «Wir können jemanden, der etwa mit einem Bruch zu uns
kommt, nicht einfach unbehandelt lassen.» Würde der Betrieb in eine Art «Warteposition» gesetzt, für den Fall, dass die Covid-19-Zahlen wieder steigen, wäre das für das Spital fatal.

Ferienabbruch wegen Corona

Derzeit können die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter bei einem Schichtwechsel auch wirklich Feierabend machen. Allerdings müssten sie des Öftern auf allen Stationen einspringen, vor allem diejenigen, welche kein Vollzeitpensum haben. Glücklicherweise hat das Spital vor zwei Wochen zusätzliches temporäres Personal eingestellt. 

Bei Fachpersonal, welches hundert Prozent arbeitet, kommt es regelmässig zu Sechs-Tage-Blöcken. In den letzten Monaten kam es immer öfter vor, dass die Leute entweder erst später als geplant in Urlaub gehen konnten oder gebeten wurden, früher zurückzukommen. «Das liegt natürlich an der momentanen Situation, denn Covid macht auch vor dem Pflegepersonal nicht halt», sagt Emily. Und: «Durch meine Zweitstelle in einer Praxis und der zwangsläufigen Verschiebung meiner Ferien, arbeite ich heute den achten Tag am Stück.»

Und wie geht es dem Spitalpersonal in Coronazeiten? «Die Menschen sind müde, ausgebrannt. Ich spüre einen Unmut», kommt die Antwort. «Seit der ersten Welle im Frühling kommt irgendwie nichts zurück, keine Bestätigung unseres Tuns oder gar Wertschätzung in Form einer Gehaltserhöhung. Das macht ein bisschen mürbe», bedauert sie zutiefst.

Zudem sei es extrem anstrengend, die ganze Zeit in dieser Art von Isolation zu arbeiten. Die Schutzkleidung den ganzen Tag zu tragen ist mühsam. Der ständige Wechsel ebendieser, die permanente Wachsamkeit zur Einhaltung der Hygiene zehre enorm an den Kräften des Spitalpersonals. «Sehr viel Energie für anderes bleibt oftmals nicht.»

Das eigentliche Problem

Was denkt sie über die getroffenen Massnahmen von Bund und Kanton, um der Pandemie Herr zu werden? Der Angstfaktor in der vorherrschenden Situation sei immens, und wenn von Auslastung der Intensivstationen berichtet werde, dann müsste man sich die Zahlen genauer anschauen. «Da wäre teilweise viel mehr Informationen vorhanden, aber einzelne Details werden oftmals nicht gesehen, und das schürt die Angst bei der Bevölkerung», führt Emily aus. «Die Fixierung auf Covid scheint mir trügerisch und geht das eigentliche Problem nicht an. Ich möchte keinesfalls behaupten, dass das Virus ungefährlich ist; in seiner alltäglichen Präsenz jedoch ist es überdimensional. Was die Angst mit den Menschen macht, ist in etwa gleich gefährlich», ist die Pflegefachfrau sicher. 

Ihrer persönlichen Meinung nach bliebe uns nichts anderes übrig, als mit diesem Virus zu leben. Aber: «Wir sollten uns mehr darauf fokussieren, was uns gesund hält, unser Immunsystem stärken, anstatt dann alles Mögliche bekämpfen zu müssen.» Das Virus werde möglicherweise weiter mutieren, oder eines Tages sucht uns ein anderes heim. «Wenn jedoch jeder in seinem eigenen Garten für Ordnung sorgen und einen Beitrag leisten würde, damit es unserer Welt gut geht, und wir aufhören würden, unser Wasser zu verseuchen und mit Antibiotika so fahrlässig umzugehen, dass Keime superresistent werden, dann wären wir auf einem guten Weg». Der Fokus sollte auf dem liegen, was dem Menschen gut tut, nicht auf dem, was ihn krank macht. Das ist zumindest Emily Leuzingers Philosophie.

Schönes und Unschönes

Ganz schwierig findet sie die Pflege älterer Menschen: «Mir tun sie sehr leid, denn sie sind mit diesen Gesichtsmasken oftmals überfordert, weil dem Gegenüber jegliche Mimik fehlt», erklärt Emily. Dadurch gehe enger Kontakt verloren und führe zu einer zusätzlichen Isolation, welche den Menschen schadet. «Das macht sogar mit mir etwas», gibt sie zu.

Die vom Bundesrat seit Monaten geforderten Eigenverantwortung ist auch so ein Thema. «Es dürfte nicht allzu schwer sein, sich etwas zurückzunehmen, ein bisschen schauen, wie man sich in der Öffentlichkeit bewegt.» Da käme eben der gesunde Menschenverstand zum Zug. Hysterie bringe hier gar nichts. Aber gerade mit dieser Hysterie müssten sie im Spital fast täglich umgehen, «obwohl alle anderen von uns erwarten, dass wir ‹normal› weiterfunktionieren», zeigt Emily die Diskrepanz auf.

Schwierig sei auch der Umgang mit Menschen, die in ihrer Angst oder ihrem Frust derart egozentrisch werden, dass sie die Sicherheitsvorschriften im Spital nicht einhalten wollen. Und etwas vom Schlimmsten sei es, wenn ein Mensch alleine sterben müsse, weil keine Verwandten oder Freunde ins Spital kommen dürfen. Schön gewesen sei, dass sie während dem ersten Lockdown mit Menschen arbeiten durfte, welche ähnlich denken würden wie sie und versucht haben, eine gewisse Normalität aufrecht zu erhalten. «Ein bisschen ‹dumm reden› oder einen Spaziergang machen … Das war in dem Moment sehr schön für mich.»

Was wir nicht vergessen dürften, seien die vielen schönen Dinge, die es trotz Corona noch gibt. «Das Leben geht weiter, und uns geht es eigentlich ganz gut hier in der Schweiz: wir haben genug zu essen und Toilettenpapier – und unsere Würde», befindet sie zum Abschluss.

* Name (geändert) und Arbeitsstelle der Redaktion bekannt.

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