Carin Caduff ist eine Bündnerin. Sie lebt in Wädenswil und schreibt Geschichten auf Romanisch. Obwohl sie ihre Heimat oft vermisst, zieht sie ihre Neugier immer wieder an fremde Orte.
Text: Ingrid Eva Liedtke
Bild: zvg
Warum verschlägt es eine Bündnerin aus dem wunderschönen Lumnezia nach Wädenswil? Nicht, dass es hier am Zürichsee nicht viel Wohnqualität gäbe. Aber wir spüren hier unten des Öfteren dieses romantische Sehnen nach den Bergen und fragen uns dann, was jemand, der da aufgewachsen ist, hier unten besseres finden kann. Heimweh nach dem Bündnerland, nach dem Lugnez, plagt Carin Caduff tatsächlich immer wieder einmal. «Vielleicht muss ich immer wieder weg, um meine Wurzeln zu spüren?»
Wenn sie an einem schönen Sommertag am Seeufer sitzt oder den See mit der Fähre überquert, dann gibt es für sie auch hier sehr viel Schönes und Inspirierendes zu entdecken. Material für ihre Geschichten gibt es überall, und so entstehen Betrachtungen über den Zürichsee, den Hüttnersee oder Fährengeschichten, die Caduff in ihrer Muttersprache Romanisch zu Papier bringt.
Einst wollte die rebellische Jugendliche etwas von der Welt sehen und ist deshalb nach der KV-Lehre in Disentis sofort ins Ausland gegangen. «In einem fremden Land, mit einer fremden Sprache lernt man viel, denn man ist ziemlich auf sich gestellt und wird schnell erwachsen», stellt sie fest.
Schon oft hat sie seither ihre Heimat verlassen, hat in Basel, in Rheinfelden und in Lenzburg gelebt und sich auf ausgedehnte Reisen begeben, um ihre Neugier zu stillen, um Neues zu erfahren, fremdes Land zu erleben, Menschen zu treffen und kennenzulernen – Horizonterweiterung. Hier in Wädenswil, wo der See den Horizont auf natürliche Weise ausdehnt, können wir das verstehen. Wädenswil ist für Carin zudem ein guter Ausgangspunkt, um ihre Arbeitsstelle in der Stiftung Stöckenweid, die sich in Feldmeilen befindet, zu erreichen, aber auch für die Reise in die Bündner Surselva.
Musste Caduff auch der Enge der Bergregion entfliehen? «Ich bin in einem sehr offenen Elternhaus aufgewachsen. Obwohl wir in einer kleinen Ortschaft im abgelegenen Val Lumnezia lebten, hat sich in den Köpfen meiner Familie nichts verengt. Ich hatte nie politische Gründe für mein Fernweh, sondern einfach nur Neugier.»
Das Heimweh ist die Gegenbewegung. Die monumentale Landschaft, die umliegenden Berge, die Stille und das Dunkel der Bergwälder schaffen bleibende Eindrücke, Erinnerungen und tiefe Wurzeln. Und sie ist inspirierend, diese Bergwelt, hat schon einige beeindruckende Künstlerpersönlichkeiten hervorgebracht.
Schon früh hat Carin Caduff angefangen zu schreiben, hat ihre Eindrücke, Erfahrungen und Gefühle auf Romanisch festgehalten. «Schon als Achtjährige habe ich Tagebuch geschrieben. Ich war so stolz, konnte ich endlich richtig schreiben. Vorher habe ich einfach so getan, als könnte ich es, habe den Stift auf dem Papier bewegt wie die Grossen, hab vermeintliche Buchstaben in ‹Schnürlischrift› aneinandergehängt, Punkte und Kommas gesetzt und mir vorgestellt, was das Gekritzel heissen könnte.»
Mit einer Stimme, die einem umhüllt wie Samt und Seide, erzählt die junge Frau lächelnd von ihren ersten Schreiberfahrungen. Und die Zuhörerin kann sich gut vorstellen, wie gerne man Caduffs Lesung und Geschichtenerzählen lauschen mag. Leider hat sie das bisher vorwiegend auf Sursilvan getan, diesem fremd tönenden romanischen Dialekt, der uns übrigen Schweizern kaum verständlich ist. Seit Caduff den Lehrgang in literarischem Schreiben an der Volkshochschule in Zürich besucht, schreibt sie auch auf Deutsch.
Doch wer lebt in der Schweiz schon von der Kunst? Und so hat auch die kreative Schreiberin aus dem Lugnez zuerst eine solide Ausbildung absolviert und nach ersten Auslandserfahrungen Sozialpädagogik studiert. Sie hat in der Arbeit mit speziellen Menschen ihre zweite Berufung gefunden. Die Auseinandersetzung mit Menschen, die anders sind, sei bereichernd. «Weil sich uns dadurch viele neue Welten eröffnen können. Diese Menschen sind oft vorurteilsfrei, vorbehaltlos und erfrischend direkt in ihren Gefühlsäusserungen», sagt Carin Caduff. In der Stiftung Stöckenweid arbeitet sie mit speziellen Jugendlichen und Erwachsenen, die dort auf Wohngruppen wohnen und in der Stiftung arbeiten. «Diese Berufswahl ist auch aus dem Wunsch nach sozialer Gerechtigkeit entstanden und aus dem Bedürfnis Menschen, die in gewissen Belangen Unterstützung benötigen, diese zu geben. Mich fasziniert ihre Andersartigkeit, ihre Genialität und Fröhlichkeit. Sie sind ehrlich, authentisch, verstecken sich nicht. Es ist mir ein Anliegen sie so wahrzunehmen, wie sie sind und sie in ihrer Autonomie zu bestärken.»
All diese Menschen hinterlassen etwas in Carin Caduff, in ihrem Leben und ihrem Fühlen. Daraus kann sie beim Schreiben schöpfen. Angefangen hat alles mit Lyrik, erzählt sie. «Hinter der Lyrik kann man sich, konnte ich mich, gut verstecken.» Eine erste Ausstellung umfasste Gedichte und Schwarz-Weiss-Fotografien. Ihre eigene Lyrik empfand Caduff eher als schwer. Dann vollzog sich ein Bruch, und das Erzählende, das folgte, liess sie erfahren, dass sie durchaus auch fröhlich sein kann. «In Kurzgeschichten haben Tragik und Komik gut Platz nebeneinander.»
Sie fühlt sich momentan in der Prosa freier und verfolgt diesen Weg nun auch in ihrer Ausbildung in literarischem Schreiben an der Volkshochschule Zürich. Nun will sie auf Deutsch schreiben. Ein Buch mit Geschichten ist in Planung. «Zuerst wollte ich meine romanischen Texte ins Deutsche übersetzen. Aber jede Sprache hat ein Eigenleben und ich bin keine Übersetzerin. Darum habe ich schliesslich ein neues Projekt begonnen. Ich habe einfach drauf los geschrieben. Ohne Plot und ohne Plan. Ich wollte, dass der Text sich durch den daraus entstehenden Stoff entwickelt, quasi ein literarisches Dominospiel. Aus dem Stoff sind Erzählungen eines Kindes entstanden, welches sich auf die Fragen der Welt eigene Antworten gibt – vielleicht könnte man es fantastischen Realismus nennen.»
So sind ihr fantastische Geschichten zugeflossen. «Es passiert oft ungewollt. Ein Phänomen, dass Geschichten und Bilder einfach so zu einem kommen! Ich denke, dass man in solch kreativen Prozessen durchlässig wird. Man ist offen, und so passiert vieles, ohne dass man es so geplant hat.»
Carin Caduffs Projekte im Bündnerland laufen derweil weiter. Sie schreibt regelmässig eine Kolumne für die rätoromanische Tageszeitung La Quotidiana, erzählt Morgengeschichten auf RTR (Radiotelevisiun Svizra Rumantscha) und hat immer wieder Lesungen überall im Kanton Graubünden, zum Teil auch mit musikalischer Begleitung. Davon schwärmt sie besonders. «Ich liebe Musik und Sprache. Diese zwei Kunstformen miteinander zu verflechten, das ist unglaublich toll. Überhaupt, Sprechgesang à la Patti Smith, das würde ich auch gerne irgendwann noch machen!»
Für diese Stimme, die den Zuhörer umschmeichelt wie ein lauer Sommerwind, wie ein liebevolles Raunen aus dem dunkelgrünen Tannenwald, die Geschichten schmecken lässt wie zartbittere Schokolade, für diese Stimme würde ich weit, bis ins hinterste Val Lumnezia, fahren. n
Carin Caduff ist eine Bündnerin. Sie lebt in Wädenswil und schreibt Geschichten auf Romanisch. Obwohl sie ihre Heimat oft vermisst, zieht sie ihre Neugier immer wieder an fremde Orte.
Text: Ingrid Eva Liedtke
Bild: zvg
Warum verschlägt es eine Bündnerin aus dem wunderschönen Lumnezia nach Wädenswil? Nicht, dass es hier am Zürichsee nicht viel Wohnqualität gäbe. Aber wir spüren hier unten des Öfteren dieses romantische Sehnen nach den Bergen und fragen uns dann, was jemand, der da aufgewachsen ist, hier unten besseres finden kann. Heimweh nach dem Bündnerland, nach dem Lugnez, plagt Carin Caduff tatsächlich immer wieder einmal. «Vielleicht muss ich immer wieder weg, um meine Wurzeln zu spüren?»
Wenn sie an einem schönen Sommertag am Seeufer sitzt oder den See mit der Fähre überquert, dann gibt es für sie auch hier sehr viel Schönes und Inspirierendes zu entdecken. Material für ihre Geschichten gibt es überall, und so entstehen Betrachtungen über den Zürichsee, den Hüttnersee oder Fährengeschichten, die Caduff in ihrer Muttersprache Romanisch zu Papier bringt.
Einst wollte die rebellische Jugendliche etwas von der Welt sehen und ist deshalb nach der KV-Lehre in Disentis sofort ins Ausland gegangen. «In einem fremden Land, mit einer fremden Sprache lernt man viel, denn man ist ziemlich auf sich gestellt und wird schnell erwachsen», stellt sie fest.
Schon oft hat sie seither ihre Heimat verlassen, hat in Basel, in Rheinfelden und in Lenzburg gelebt und sich auf ausgedehnte Reisen begeben, um ihre Neugier zu stillen, um Neues zu erfahren, fremdes Land zu erleben, Menschen zu treffen und kennenzulernen – Horizonterweiterung. Hier in Wädenswil, wo der See den Horizont auf natürliche Weise ausdehnt, können wir das verstehen. Wädenswil ist für Carin zudem ein guter Ausgangspunkt, um ihre Arbeitsstelle in der Stiftung Stöckenweid, die sich in Feldmeilen befindet, zu erreichen, aber auch für die Reise in die Bündner Surselva.
Musste Caduff auch der Enge der Bergregion entfliehen? «Ich bin in einem sehr offenen Elternhaus aufgewachsen. Obwohl wir in einer kleinen Ortschaft im abgelegenen Val Lumnezia lebten, hat sich in den Köpfen meiner Familie nichts verengt. Ich hatte nie politische Gründe für mein Fernweh, sondern einfach nur Neugier.»
Das Heimweh ist die Gegenbewegung. Die monumentale Landschaft, die umliegenden Berge, die Stille und das Dunkel der Bergwälder schaffen bleibende Eindrücke, Erinnerungen und tiefe Wurzeln. Und sie ist inspirierend, diese Bergwelt, hat schon einige beeindruckende Künstlerpersönlichkeiten hervorgebracht.
Schon früh hat Carin Caduff angefangen zu schreiben, hat ihre Eindrücke, Erfahrungen und Gefühle auf Romanisch festgehalten. «Schon als Achtjährige habe ich Tagebuch geschrieben. Ich war so stolz, konnte ich endlich richtig schreiben. Vorher habe ich einfach so getan, als könnte ich es, habe den Stift auf dem Papier bewegt wie die Grossen, hab vermeintliche Buchstaben in ‹Schnürlischrift› aneinandergehängt, Punkte und Kommas gesetzt und mir vorgestellt, was das Gekritzel heissen könnte.»
Mit einer Stimme, die einem umhüllt wie Samt und Seide, erzählt die junge Frau lächelnd von ihren ersten Schreiberfahrungen. Und die Zuhörerin kann sich gut vorstellen, wie gerne man Caduffs Lesung und Geschichtenerzählen lauschen mag. Leider hat sie das bisher vorwiegend auf Sursilvan getan, diesem fremd tönenden romanischen Dialekt, der uns übrigen Schweizern kaum verständlich ist. Seit Caduff den Lehrgang in literarischem Schreiben an der Volkshochschule in Zürich besucht, schreibt sie auch auf Deutsch.
Doch wer lebt in der Schweiz schon von der Kunst? Und so hat auch die kreative Schreiberin aus dem Lugnez zuerst eine solide Ausbildung absolviert und nach ersten Auslandserfahrungen Sozialpädagogik studiert. Sie hat in der Arbeit mit speziellen Menschen ihre zweite Berufung gefunden. Die Auseinandersetzung mit Menschen, die anders sind, sei bereichernd. «Weil sich uns dadurch viele neue Welten eröffnen können. Diese Menschen sind oft vorurteilsfrei, vorbehaltlos und erfrischend direkt in ihren Gefühlsäusserungen», sagt Carin Caduff. In der Stiftung Stöckenweid arbeitet sie mit speziellen Jugendlichen und Erwachsenen, die dort auf Wohngruppen wohnen und in der Stiftung arbeiten. «Diese Berufswahl ist auch aus dem Wunsch nach sozialer Gerechtigkeit entstanden und aus dem Bedürfnis Menschen, die in gewissen Belangen Unterstützung benötigen, diese zu geben. Mich fasziniert ihre Andersartigkeit, ihre Genialität und Fröhlichkeit. Sie sind ehrlich, authentisch, verstecken sich nicht. Es ist mir ein Anliegen sie so wahrzunehmen, wie sie sind und sie in ihrer Autonomie zu bestärken.»
All diese Menschen hinterlassen etwas in Carin Caduff, in ihrem Leben und ihrem Fühlen. Daraus kann sie beim Schreiben schöpfen. Angefangen hat alles mit Lyrik, erzählt sie. «Hinter der Lyrik kann man sich, konnte ich mich, gut verstecken.» Eine erste Ausstellung umfasste Gedichte und Schwarz-Weiss-Fotografien. Ihre eigene Lyrik empfand Caduff eher als schwer. Dann vollzog sich ein Bruch, und das Erzählende, das folgte, liess sie erfahren, dass sie durchaus auch fröhlich sein kann. «In Kurzgeschichten haben Tragik und Komik gut Platz nebeneinander.»
Sie fühlt sich momentan in der Prosa freier und verfolgt diesen Weg nun auch in ihrer Ausbildung in literarischem Schreiben an der Volkshochschule Zürich. Nun will sie auf Deutsch schreiben. Ein Buch mit Geschichten ist in Planung. «Zuerst wollte ich meine romanischen Texte ins Deutsche übersetzen. Aber jede Sprache hat ein Eigenleben und ich bin keine Übersetzerin. Darum habe ich schliesslich ein neues Projekt begonnen. Ich habe einfach drauf los geschrieben. Ohne Plot und ohne Plan. Ich wollte, dass der Text sich durch den daraus entstehenden Stoff entwickelt, quasi ein literarisches Dominospiel. Aus dem Stoff sind Erzählungen eines Kindes entstanden, welches sich auf die Fragen der Welt eigene Antworten gibt – vielleicht könnte man es fantastischen Realismus nennen.»
So sind ihr fantastische Geschichten zugeflossen. «Es passiert oft ungewollt. Ein Phänomen, dass Geschichten und Bilder einfach so zu einem kommen! Ich denke, dass man in solch kreativen Prozessen durchlässig wird. Man ist offen, und so passiert vieles, ohne dass man es so geplant hat.»
Carin Caduffs Projekte im Bündnerland laufen derweil weiter. Sie schreibt regelmässig eine Kolumne für die rätoromanische Tageszeitung La Quotidiana, erzählt Morgengeschichten auf RTR (Radiotelevisiun Svizra Rumantscha) und hat immer wieder Lesungen überall im Kanton Graubünden, zum Teil auch mit musikalischer Begleitung. Davon schwärmt sie besonders. «Ich liebe Musik und Sprache. Diese zwei Kunstformen miteinander zu verflechten, das ist unglaublich toll. Überhaupt, Sprechgesang à la Patti Smith, das würde ich auch gerne irgendwann noch machen!»
Für diese Stimme, die den Zuhörer umschmeichelt wie ein lauer Sommerwind, wie ein liebevolles Raunen aus dem dunkelgrünen Tannenwald, die Geschichten schmecken lässt wie zartbittere Schokolade, für diese Stimme würde ich weit, bis ins hinterste Val Lumnezia, fahren. n