Aktuell Richterswil

«Ich wünsche mir nochmals so ein Projekt wie WohnenPlus»

Am 1. Juli hat sich Gabriela Giger, seit sieben Jahren Altersbeauftragte von Richterswil, neu an der Dorfstrasse 11 niedergelassen. Nun verfügt InfoPunkt•Alter über ein Besprechungszimmer für Besucher, ein Büro mit grosszügigem Arbeitsplatz und die Computeria über einen
eigenen Gruppenraum.

Text und Bilder: Reni Bircher

Gabriela Giger freut sich sehr über diese «Expansion». Die Räume, in denen sie sich neu eingerichtet hat, wurden zuallererst von einer Bank genutzt. Die gut gepflegten Holztüren und -rahmen verströmen eine ruhige Würde, der Holzboden wirkt heimelig, die ehemals als Schalterdeck genutzten Marmorablagen dienen jetzt zum Auflegen von Infomaterial. Im Büro befinden sich noch immer die ursprünglichen Einbauschränke, vor den Fenstern prangen schmiedeiserne Gitter – nicht, dass sie noch nötig wären, aber die alte Handwerkskunst wird geschätzt.

InfoPunkt•Alter ist eine von der Gemeinde Richterswil geschaffene Anlaufstelle für sämtliche Belange, welche die älteren Mitglieder unserer Gesellschaft umtreibt. Sei es finanzielle Unterstützung, Fragen zur Gesundheitsversorgung, das Ausfüllen von Formularen, Anmeldungen oder Steuern, Umzugshilfe, Vermittlung an die richtige Behördenstelle und noch vieles mehr. Oder auch einfach Hilfe zur Selbsthilfe.

Abklärungen wie: kann ich mich andernorts beerdigen lassen; wo kann ich Indoor-Ping-Pong spielen; wo treffe ich nette Leute zum Plaudern; wer füttert meine Katze während den Ferien; an wen kann ich mich wenden für einen Fahrdienst, sind nur wenige Beispiele für die Vielfalt an Themen. «Ich freue mich, dass ich bei den Anliegen der Leute mitdenken und aushelfen kann», zeigt sich die Altersbeauftragte zufrieden. Gabriela Giger ist ein Quell an Informationen und was sie nicht weiss, das recherchiert sie genauestens, um dem Hilfe­suchen­den die passende Lösung anzubieten.

Das Themenfeld des Älterwerdens ist ein weites

Dieses Gebiet macht den grössten Teil ihrer Arbeit aus. «Ich finde es spannend, mit welchen Anliegen die Leute zu mir kommen», erzählt die diplomierte Sozialarbeiterin. Manchmal sei dann tatsächlich auch einiges an Recherchearbeit gefragt, aber das mehre nur ihr Wissen und Erkenntnisse in Bereichen, mit denen sie sich bisher nicht befassen musste. Auch Anregungen und Ideen der Bevölkerung sind sehr willkommen, wie beispielsweise diejenige einer Wandergruppe ab 90 Jahren. Zudem gibt es auch Menschen, die sich bei Giger melden und ihre Hilfe anbieten. «Gerade in Zeiten wie der Corona-Pandemie brachen viele Dienstleistungen wie der Fahrdienst für ältere Menschen zusammen, und dann muss ich schauen, wo ich diese Menschen hinverweisen kann, damit sie zum Beispiel ihren Arzttermin wahrnehmen können.» Dann sind solche «privaten Hilfestellungen» von grosser Bedeutung.

Da sich die Spannbreite von den 60- bis zu den über 100-Jährigen zieht, ist das Wirkungsfeld besonders gross, und jeder Mensch muss als Individuum mit speziellen Bedürfnissen angesehen werden. Die Fragestellungen machen eine «anwaltliche» Anschauung der Sache unabdingbar und ein aufmerksames Hinschauen ist entscheidend für das weitere Vorgehen.

«Dies hier ist ein neutraler Ort, wo sich die Besucherin und der Besucher sicher fühlen können. Ich fungiere nicht als Ordnungshüter; die Beratung findet nach Wunsch und nicht als Muss statt», erläutert Gabriele Giger. Zudem schafft die Zusammenarbeit mit der Pro Senectute Kanton Zürich, einer über 100-jährigen Institution, ein gewisses Vertrauen. Allein diese Einrichtung deckt schon ein breites Spektrum an Lösungen ab, und die Altersbeauftragte hat gar die Möglichkeit, in deren Fonds auf schnelle finanzielle Unterstützung zuzugreifen, wenn sie sieht, dass jemand wirklich in Not ist. «Es hat so viel Vorteile, wie wir hier agieren», ist sie überzeugt.

Lokal vernetzt älter werden

Die Gesundheitsdirektion des Kantons Zürich hat ein Projekt mit dem Namen «Lokal vernetzt älter werden» gestartet, in denen sie zehn ausgewählte Gemeinden für drei Jahre in der Entwicklung und Erweiterung der sozialen Netzwerke für ein selbstständiges Leben im Alter unterstützen will. Auf Anraten von Gabriela Giger bewarb sich Richterswil für dieses Projekt und wurde ab diesem Sommer angenommen. «Dank der Aufnahme unserer Gemeinde in diesem Projekt ist es mir möglich, eine Analyse zu machen, was zur Lebensqualität beiträgt beim Älterwerden, welche Möglichkeiten es gibt und was im Dorf fehlt, um diese Zielsetzung zu erreichen», erläutert Giger. Die ältere Bevölkerung soll Angebote aktiv mitentwickeln, die Bewohner im allgemeinen für eine Sorgekultur sensibilisiert werden.

Als Verantwortliche in der Gemeinde profitiert sie vom Erfahrungsaustausch mit den anderen Mitgliedergemeinden und darf sich auf externe Fachbegleitung stützen. Die Gesundheitsdirektion garantiert sowohl Koordination wie Qualitätssicherung auf kantonaler Ebene. 

Weitgreifende Absicherung

Die Stelle der Altersbeauftragten – und damit InfoPunkt•Alter – wurde vor neun Jahren auf Initiative der damaligen «Kommission Alter» unter dem Vorsitz von Renate Büchi geschaffen. Die Stelle ist bei Pro Senectute Kanton Zürich angesiedelt, mit der die Gemeinde Richterswil eine Leistungsvereinbarung abgeschlossen hat. «Nächstes Jahr feiern wir bereits das zehnjährige Bestehen und vielleicht holen wir die Einweihung der neuen Räumlichkeiten, die wegen Corona nicht stattfinden konnte, zusammen mit diesem Jubiläum nach.»

Der Mangel an zahlbarem Wohnraum

«Wohnen im Alter empfinde ich als ein trauriges Thema», meint Giger nachdenklich. «Da rufen mich so viele Menschen an, die nicht wissen, wo sie hinsollen, weil kaum mehr bezahlbarer Wohnraum besteht. Bei den Alterswohnungen bestehen jahrelange Wartelisten, auch in den Nachbargemeinden.» Dass sie den Hilfesuchenden kaum eine befriedigende Lösung anbieten könne, bedauert die Sozialarbeiterin zutiefst: «Gerade weil ich verstehe, unter welchem Druck und welchen Ängsten die Leute stehen.» 

Das Problem sieht sie auch darin, dass das Wohnen für Ältere nicht unter einen gesetzlichen Auftrag fällt, das sei eine Frage der Ethik: Sollen die Menschen dort wohnen bleiben dürfen, wo sie ihr Leben verbracht und Steuern gezahlt haben, oder werden sie gezwungen an einen Ort zu ziehen, wo sie kaum jemanden kennen oder Bezug haben dazu?

«Wenn mich eine Fee fragen würde: ‹Gabriela, was hast Du für einen Wunsch als Altersbeauftragte›, dann würde ich sagen: ‹Nochmals eine Genossenschaft wie das WohnenPlus mit ganz vielen 21/2-Zimmer-Wohnungen, damit die Leute hier bleiben dürfen›. Das fände ich wunderschön.» Sich zehn Jahre im Voraus um eine Alterswohnung zu kümmern, das macht kaum jemand, was auch verständlich scheint. Aber ein Schicksalsschlag kann von einem Tag auf den anderen ein alleiniges Wohnen plötzlich unmöglich machen. «Möglicherweise reicht die Kraft noch für das Nötigste im Haushalt und für einen selbst, aber wenn der Partner intensive Betreuung braucht, dann war’s das», bedauert die Fachfrau zutiefst. «Da wäre es doch schön, wenn man zusammen in einer entsprechenden Alterswohnung leben könnte.» In ein Altersheim zieht man heute nur noch, wenn man pflegebedürftig ist. 

Erfolgreiches Erzählcafé

Dass das von Gabriela Giger ins Leben gerufene Erzählcafé so erfolgreich ist, das hat sie zwar gehofft, macht sie aber sehr glücklich über dessen tatsächlichen Erfolg. Das Treffen findet jeweils im Winterhalbjahr statt, widmet sich jeweils einem Thema und folgt einer «Biografiemethode». Viele ältere Menschen haben das Bedürfnis, ihr Leben zu «ordnen», und dies ist eine gute Methode, auf einem bestimmten Gebiet etwas beizusteuern. Erzählen muss niemand, zuhören darf jeder. «Viele lassen sich von den Geschichten anderer anstecken und plötzlich kommen Erinnerungen hoch, die man tief in sich getragen hat und die dann zum Vorschein kommen.» Das darf man den Zuhörern gerne mitteilen. Wie viel und was man zum Thema beisteuern will, das entscheidet jeder selbst: «Es ist ja ihre oder seine Geschichte.»

Diese Geschichtenrunde findet an unterschiedlichen Orten statt und die ausgebildete Erzählcafé-Moderatorin empfindet es nicht nur als Geschenk für sich selbst, sondern auch für die Teilnehmenden. Zudem sei es anregend und wohltuend. Dass die Gemeinde sie in diesem Unterfangen unterstützt, sei ein grosses Glück. Ausserdem erlaube es den Besuchern, sie als Altersbeauftragte kennenzulernen und dann sei der Schritt zu einer Beratung gar nicht mehr schwer.

Verständnis und Offenheit als Leitfaden

Wie definiert die Altersbeauftragte – welche in sieben Jahren ebenfalls zu den Pensionierten gehören wird – ihren Arbeitsauftrag? «Ein respektvoller Umgang mit den verschiedenen Persönlichkeiten und Lebensgestaltungen; der Aufbau einer Vertrauensbasis, damit sich die Hilfesuchenden gerne wieder an mich wenden», erklärt Giger. «Ich muss mit den verschiedenen Anliegen umgehen, und wenn das Spektrum von ‹Normalität› grösser wäre, dann hätten viel mehr Menschen Platz darin.» Eines ihrer Ziele sei schon, die Ansicht, von dem was «normal» ist, zu erweitern. «Wenn die Thematik, mit der mich jemand konfrontiert, schon da ist, müsste sie sinnigerweise auch als ‹normal› betrachtet werden», ist sie überzeugt. 

In der Bevölkerung allgemein wäre ein Umdenken nötig: «Wir müssen von diesem Leistungsdenken ablassen, dass wir nur dann etwas wert sind, sobald wir in den Prozess der Leistung einsteigen, aber nichts mehr, wenn wir diesen im Alter wieder verlassen.» Das würde vielen Menschen den Umgang mit dem eigenen Älterwerden erleichtern, ebenso die Sichtweise der Mitmenschen. Und weiter resümiert Gabriela Giger: «Der Stellenwert von Freiwilligenarbeit muss überdenkt werden, dieser muss sich verändern, denn wir sind sehr auf Nachwuchs angewiesen.»

Gabriela Giger, Altersbeauftragte Richterswil
InfoPunkt•Alter
Dorfstrasse 11, 8805 Richterswil, Telefon 044 687 13 32
gabriela.giger@pszh.ch; richterswil@zh.pro-senectute.ch
Offene Beratung (ohne Voranmeldung) 
Donnerstag von 8.45–12.00 Uhr, 14.00–17.00 Uhr
In der übrigen Zeit (Montag bis Mittwoch) Termine nach Vereinbarung
Computeria: jeweils Dienstagnachmittag (momentan nicht im Angebot)

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