Richterswil Veranstaltungen

Wie bin ich geworden, wer ich heute bin?

Am 2. November fand im Kulturkeller eine Lesung mit Klara Obermüller statt. Sie las aus ihrem autobiografischen Werk «Spurensuche» vor und gewährte der Zuhörerschaft Einblick in ihr berufliches und privates Leben.

Der Titel ihres neuen Buches war Programm, durch welches die zahlreich erschienenen Gäste souverän von Hardy Ruoss geführt wurden. Einmal im Jahr erklärt sich der ehemalige Literaturkritiker und Journalist bereit, im Rahmen einer Lesung, welche von der Gemeindebibliothek organisiert wird, Schriftsteller zu empfangen, um ihre Person und ihr Schaffen dem interessierten Publikum näher zu bringen.
An diesem Abend war im Kulturkeller die bekannte Schriftstellerin, Journalistin und Moderatorin Klara Obermüller geladen worden. Bevor sie aus dem letztjährig erschienenen Buch «Spurensuche» vorlas, beantwortet sie offen die Fragen von Hardy Ruoss und berichtete aus ihrem ereignisreichen Arbeitsleben, welches sie unter anderem als Redakteurin bei der NZZ, der Weltwoche und der Kulturzeitschrift «du» begonnen hatte.

Die ersten Schritte

Die Zuwendung zum Journalismus kam durch Zufall zustande, als sie durch einen Freund ein Volontariat angeboten bekommen hatte beim «du». Bald merkte die junge Frau, dass die Arbeit eines Journalisten genau das mit sich brachte, was ihrem wachen Geist und ihren Bedürfnissen entsprach: Abwechslung, unterwegs sein, Neugierden nachgeben und die Freiheit, dass sich Stärken und Schwächen damit zu vereinbaren lassen. Dadurch, dass ihr immer schnell langweilig wurde, war dieser Beruf ideal und Klara Obermüller konnte sich mit der Zeit gar keine andere Laufbahn mehr vorstellen. Und sie erfüllte diese Aufgabe mit Leidenschaft.
Später nahm sie eine Teilzeitstelle bei der Neuen Zürcher Zeitung an, studierte nebenbei, promovierte und nach dem erfolgreichen Abschluss ihres Studiums wurde ihr als erste Frau das Feuilleton bei der NZZ unterstellt. Dies bot ihr neue Erfahrungen und eine gewisse Narrenfreiheit, welche sie auch genossen hatte. Nach und nach begann Klara Obermüller jedoch den Sinn ihrer Arbeit zu hinterfragen, hatte Zweifel daran, ob sie mit Schreiben etwas bewirken könne. Und sie zweifelte an der Aufrichtigkeit ihres Tuns, Literaturkritiken zu schreiben und so über andere Menschen und ihr Schaffen zu urteilten, ohne selbst in der Lage zu sein, ein solches Werk zu erschaffen. So wechselte die Schreiberin ins gesellschaftspolitische Gebiet, wo es ihr, mit eigenen Worten, «möglich war, für etwas zu kämpfen».

Das Auf und Ab des Lebens

Der Wechsel zur Neuen Zürcher Zeitung brachte nicht nur Erbauliches, sondern wurde zunehmend eine Belastung, weil Klara Obermüller mit dem Schweizer Schriftsteller Walter Matthias Diggelmann verheiratet war. Der Spagat zwischen dem rechtslastigen Arbeitgeberbetrieb und dem als Linker und Kommunist verschrienen Ehemann war anstrengend und kräfteraubend, und ihre Loyalität wurde vor allem auf der Arbeitgeberseite stark in Frage gestellt. Das ging so weit, dass die Journalistin mehr oder weniger bewusst einen Eklat provozierte, was eine fristlose Kündigung zur Folge hatte.
So begann Klara Obermüller sich als «Freie» durchzuschlagen, verfasste Artikel für mehrere Zeitschriften und machte Übersetzungen. Sie beschloss, sich an einem Jugendbuch zu versuchen, denn Erwachsenenliteratur wollte sie aus Respekt vor ihren Schreiberkollegen und ihrem Ehemann nicht machen. Aus diesem Zeitraum gingen vier erfolgreiche Jugendbücher hervor. Mit der Schriftstellerei hatte sie aufgehört, weil sie eine Stelle bei der Weltwoche angenommen hatte.
Klara Obermüller arbeitete später auch noch auf weiteren Redaktionen, war Moderatorin bei der Sendung «Sternstunde Philosophie» des Schweizer Fernsehens und ist heute freie Publizistin, Referentin und Moderatorin.

Sich selbst Rechenschaft ablegen

Das Bedürfnis, Rückblick zu halten, gewisse Dinge, Erinnerungen, Erlebnisse ihres Lebens festzuhalten, überkam Klara Obermüller schleichend. Und mit einem Schmunzeln fügt sie hinzu, dass dies vielleicht auch eine Alterserscheinung sei. Sie wollte sich selbst gegenüber Rechenschaft ablegen über das, was sie, wie sie sagt «gut gemacht und nicht so gut gemacht hat». Und das macht sie mit grösstmöglicher Ehrlichkeit und Offenheit sich selbst gegenüber, denn das Buch «Spurensuche» war ursprünglich nicht für eine Veröffentlichung gedacht.
Auch standen für die heute 77-jährige folgende Fragen im Raum: Welche Menschen, Ereignisse und Lektüren haben mich geprägt, welche inneren Vorgänge und äussere Umstände? Wäre ich jemand anders, wenn ich andere Entscheidungen getroffen hätte?

Der Anfang von allem

Ein Foto, welches seit vielen Jahren auf ihrem Schreibtisch steht, war Auslöser für dieses Bilanzbuch. Darauf ist ein junges Paar zu sehen, welches ganz in ein Schachspiel versunken ist. Auf dem Bild ist nicht zu erkennen, ob es sich bei den beiden um ein Liebespaar handelt, aber in Klara Obermüllers Augen ist es voller Verheissung. Diese beiden jungen Menschen haben das Leben noch vor sich, sie wissen nichts von Glück und Unglück, von der familiären Zusammenstellung, von der politischen Zukunft des Landes. Diesem Bild, oder besser, dieser Momentaufnahme, verdanke die Schriftstellerin alles, was nachher gekommen sei. Die beiden jungen Leute auf dem Foto sind ihre (Adoptiv-)Eltern.
Bei dem Versuch, das Bild zu beschreiben, sei sie in eine Art Rauschzustand gekommen. Sie hat angefangen, weitere Fotos aus dem Fundus zu suchen, und es überkamen sie dabei Erinnerungen, von denen sie nicht mehr gewusst hat, dass sie noch da waren, und schrieb diese kontinuierlich auf. Jedes Kapitel im Buch entzündete sich an einem Bild, welches in «Spurensuche» auch abgebildet ist.

Auf Papier gebannt

Klara Obermüller las aus drei Kapiteln ihrer «Spurensuche» vor und führte die Zuhörer in ganz unterschiedliche Abschnitte ihres Lebens. Da sind die ereignis- und lehrreichen Jahre beim «du», in denen sie unter Martin Gasser wichtige Erfahrungen machen durfte. Sie bezeichnet ihn als ihren besten Lehrmeister und Klara Obermüller saugte wie ein Schwamm alles auf, was er ihr beibringen konnte.
Wir erfahren von den Bucheintragungen des Vaters, in denen er penibel festhielt, wieviel die kleine Klara gewogen hat, was sie gemacht, getragen oder gesagt hatte, von den zahllosen Fotografien, welche vor allem in den Ferien entstanden sind und welche schliesslich zu Buchkapiteln wurden. Die Liebe ihrer Eltern hat sie nie in Frage gestellt. Sie litt aber unter den emotionalen Erpressungen ihrer Mutter, der sie immer und immer wieder versichern musste, dass Klara sie liebe, und es eins ums andere Mal nicht genug war, auch nachdem sie schon erwachsen geworden war.
Und die Zuhörer werden Zeugen der schweren Last, die das Räumen der Wohnung der verstorbenen Eltern mit sich brachte. Das Aussortieren und Entscheiden, was man loslassen kann, loslassen will, wenn das, was einst ein Zuhause war, sich verflüchtigt. Sie behält ganz klar die Fotos, Zeitzeugen ihres Werdegangs, ein paar Möbelstücke, liebgewonnene Kleinode. Und mit Klara Obermüllers Worten aus Kapitel 12: «Es sind zwar nur Bruchstücke dessen, was einmal ein Ganzes war, aber sie sind real, ich kann sie anfassen, ich kann von ihnen Gebrauch machen und dabei zusehen, wie aus ihnen eine Welt aufsteigt, die einmal die meine war». (rb)

Informationen zu weiteren Lesungen finden Sie auf der Homepage der Gemeinde-
bibliothek unter www.bibliothek-richterswil.ch.

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