Wädenswil

Interview zum Abschied von Christian Alpiger

Lieber Christian, kürzlich haben wir mit dir, dem Chor und den Instrumentalisten den Bettag mit Hilbers Festmesse zu Bruder Klaus gefeiert. Da habe ich wieder gedacht: das ist genau dein Ding! Bei solchen Gelegenheiten läufst du auf Hochtouren. Wie auch etwa beim Halleluja-Konzert 2015 zum 125-jährigen Jubiläum des Chors: Die Kirche voller Menschen, du auf dem Podest in der Mitte und rundherum Musik?
Das war wirklich ein schönes Projekt unseres Kirchenchors, zusammen mit meinem Langnauer Chor, den Instrumentalisten vorne, die Choral-Schola mit im Programm, verschiedene Advents- und Weihnachtsmusik, zwischendurch auch Lieder zum Mitsingen – sowohl für die Konzertbesucher als auch die Mitwirkenden ein eindrückliches Erlebnis.

Ich finde, da hast du eine gute, souveräne Art, auch das Volk zum Mitmachen einzuladen.
Die sinnvolle Beteiligung der Gemeinde am Musizieren im Gottesdienst war mir immer ein Anliegen, auch wenn der Chor singt. Das Jubiläumskonzert war für den Chor eine schöne Erfahrung – wir sind allerdings kein eigentlicher Konzertchor, und als Kirchenchor ist unsere Hauptaufgabe klar im Gottesdienst, im Rahmen einer Feier.

Deine Highlights in den zehn Jahren in Wädenswil?
Schwierig zu sagen – wir hatten viele eindrückliche Momente, mit Musik aus unterschiedlichsten Stilen, die mir und dem Chor in Erinnerung bleiben werden. Wir hatten aber auch die Gelegenheit, mit tollen Musikern zusammen zu arbeiten. Als erstes sei hier unser Organist Christian Enzler genannt, der uns unzählige Male zuverlässig und mit musikalischem «Bon Gout» begleitet hat, aber auch viele andere motivierte und engagierte Sängerinnen und Instrumentalisten. Zur Primizfeier von Luis Varandas am 1. Advent 2010 mit Haydns Missa brevis Sancti Joannis de Deo in B-Dur (Hob. XXII:7) gelang es mir beispielsweise Regula Mühlemann als Solistin einzuladen, die gleichzeitig mit mir in Luzern an der Musikhochschule studiert hatte. Die phänomenale junge Sopranistin machte in der Zwischenzeit mit ihrem ausgewogenen Timbre und der grossen Leichtigkeit des Gesangs weitherum von sich reden. Schon 2011 sang sie am Opernhaus Zürich an der Seite von Rolando Villazon und Halin Martelius sowie unter der Leitung des legendären Nello Santi, seit 2012 ist sie an den Salzburger Festspielen ein gern gesehener Gast, debutierte an der Berliner Staatsoper und ein Jahr später an der Opéra de Paris usw., sang unter zahlreichen Dirigenten von Rang und Namen. Sie spielt definitiv international in der sängerischen «Champions League» – und wir durften sie zu Beginn ihrer internationalen Karriere in Wädenswil erleben.

Für uns Seelsorger ist es natürlich auch schön, wenn auf die grossen Feste mehr Glanz fällt.
Da hat die Musik schon eine grosse Kraft und auch Verantwortung für die Gottesdienste. Unsere Pfarrkirche in Wädenswil hat abgesehen davon auch eine hervorragende Akustik und ideale Grösse für Orgel- und Vokalmusik. Es sind aber ganz allgemein nicht nur die pompösen, prächtigen Momente, die für mich zählen, sondern auch die vielen kleinen, aber feinen, die genauso wichtig sind für die Liturgie. Mir gefällt es zum Beispiel, wenn man während einer Feier nicht alles ansagen muss, wenn man nicht darüber reden muss, was man macht, sondern es einfach ausführt. Das setzt natürlich bei allen Akteuren eine gewisse Vertrautheit mit den Abläufen voraus und eine vorausschauende Planung der Musik bezüglich Textinhalt, Stil, Schwierigkeitsgrad, Tonart, Rhythmik usw., gerade wenn man die singende Gemeinde musikalisch integrieren möchte, aber auch für den Chor als musikalischen Handlungsträger. Ich habe zu diesem Zweck einige Chor-Arrangements oder Instrumentalbesetzungen zielgerichtet für Wädenswil eingerichtet.

Dich würde es stören, wenn man am Ende einer Feier danken würde für die «Verschönerung» des Gottesdienstes?
Musik ist nicht Beigemüse zum Gottesdienst, sondern ein notwendiger und integrierender Bestandteil der Liturgie: Dies wurde 1963 in der Liturgiekonstitution «Sacrosanctum Concilium» des 2. Vatikanischen Konzils genau so festgehalten. Trotz anderer Perspektiven war das durchaus eine Zeit des musikalischen Aufbruchs in der Kirche, was heute etwas fehlt. Spannend finde ich deshalb, dass das Liturgische Institut der deutschsprachigen Schweiz im laufenden Jubiläumsjahr des Hl. Niklaus von Flüe einen Kompositionswettbewerb für ein neues Bruder-Klausen-Lied veranstaltet hat. Das von einer Fachjury im Sommer prämierte Lied von Joseph Bisig über einen Text von Josef-Anton Willa hat eine unaufgeregt schlichte Melodik, aber neckische Rhythmen durch die spezielle Pausensetzung – der Wort-Ton-Bezug scheint mir gut gegeben. Das Lied in den Pfarreien einzuführen, könnte nun auch eine schöne Aufgabe der Kirchenchöre sein, weshalb ich es mit Einverständnis des Komponisten zusätzlich für vierstimmigen gemischten Chor arrangiert habe, in einer etwas speziellen Variante mit der Melodie in der Alt-Stimme und einer darüber liegenden Sopran-Überstimme.

Was nimmst du mit aus Wädenswil, was hast du gelernt?
Mit dem Wädenswiler Kirchenchor konnte ich wirklich musikalisch arbeiten und nicht nur «Einzeltöne einüben». Ich durfte ihn von meinem Vorgänger bereits auf einem guten Niveau übernehmen, auch wenn die Zahl der Sängerinnen und Sänger weit tiefer ist als zu den Zeiten mit der grössten Besetzung. Die Arbeit mit dem Chor hat mich weiter gebracht, mir viele wertvolle dirigentische Erfahrungen beschert, auch mit den zusätzlich engagierten professionellen Solisten und Instrumentalensembles, mit denen ich lernte, in sehr kurzer Zeit unsere Literatur gemeinsam zu erarbeiten. Die regelmässige Praxis ist dafür die beste Schule. Ich habe auch durch die Vorbereitung der Musikprogramme viel gelernt für die Gottesdienstgestaltung, welche die geprägten Zeiten des Kirchenjahrs berücksichtigt.

Der Chor scheint auch heute auf einem guten musikalischen Niveau?
Ich habe mich bemüht, durch eine sinnvolle Jahresplanung genügend Probezeiten für unsere Projekte anzusetzen und dem Chor angemessen hohe Ziele zu setzen, ohne ihn dabei zu überfordern. Dies ist glaube ich nicht so schlecht gelungen. In den letzten zehn Jahren haben wir viele neue und spannende Literatur einstudieren und so unser Repertoire ständig erweitern können. Nebst Haydn-Messen, Motetten aus der Epoche der Romantik, Schweizer Kirchenmusik aus den letzten 50 Jahren etc. haben wir auch ab und zu «Sacro Pop» gesungen, wofür ich jeweils an unserem schönen Klavier in der Kirche selber begleitete. Auch wenn wir im Chor eher knapp besetzt sind, vor allem in den Männerstimmen, ist jetzt Schwung drin, eine gewisse Erfahrung, Differenziertheit und Vertrautheit mit verschiedenen Stilen. Ich darf den Chor nun guten Gewissens in neue Hände geben und bin froh, dass mein Kollege Christian Enzler ihn übernehmen wird – eine sehr gute Lösung für die Wädenswiler Kirchenmusik! Nun hoffe ich, dass einige weitere Neuzugänge im Chor zu verzeichnen sein werden, um die Besetzung zu konsolidieren. In Wädenswil muss ein potenzieller Kirchenchorsänger keine Angst haben, Sonntag für Sonntag antraben zu müssen, um ein sich jährlich wiederholendes, dichtes Programm «abspulen» zu müssen; es ist genügend Zeit zum Proben, so dass interessierte Leute jederzeit einsteigen könnten.

Wie geht es weiter mit der pfarreieigenen Konzertreihe?
Für 2018 ist schon einiges aufgegleist; ich hoffe, dass das Projekt dann auch ohne mich weiter läuft – es ist doch sehr zu begrüssen, wenn in den Räumen der Kirchgemeinde auch ausserhalb der Gottesdienste musiziert wird. Das hilft vielleicht auch manch einem, der sonst nicht in die Kirche geht, sich mit dem Raum zu identifizieren. Wir hatten trotz sehr bescheidenem Budget immer wieder tolle Projekte! Ich habe auch darauf Wert gelegt, abwechslungsreiche Programme zu planen, die gut über das Jahr verteilt sind.

Ich erlebe dich nie nervös vor dem Einsatz, wie kommt das?
Das täuscht vielleicht manchmal … Ich versuche aber natürlich schon – und das nimmt mir den grössten Teil der Nervosität – mich immer seriös auf alle Einsätze vorzubereiten, und ich habe dabei in Wädenswil auch gerne mit den Verantwortlichen in der Pfarrei zusammengearbeitet. Im Übrigen improvisiere ich als Organist auch gerne über die gesungenen Lieder – da gelingt halt manchmal etwas nicht so toll, auch wenn man die Grundprinzipien im Voraus gut geübt hat; damit lernt man mit der Zeit etwas umzugehen. Meine Erfahrung als Kantonsschullehrer half mir darüber hinaus auch allgemein, in hektischen Momenten die Ruhe zu bewahren. Manche Menschen haben mich schon gefragt, ob es in den besonders dichten Phasen wie um Ostern und Weihnachten nicht ein grosser Stress in unserem Job als Kirchenmusiker sei. Für mich ist allerdings eher der nicht zu unterschätzende Bürokram in der Planung und Vorbereitung streng und bisweilen nervenaufreibend, nicht das Musizieren selber …
Wie geht’s bei dir weiter?
In meiner Wohngemeinde in Bremgarten amte ich als Chorleiter, Kantor und Organist, ganz ähnlich wie bisher in Wädenswil. Es ist allerdings auch hier Aufbauarbeit zu leisten, wie sie jeder Chor und eigentlich jeder Verein heutzutage kennt.

Welche Musik bringt dich Gott näher?
Am eindrücklichsten sind für mich diese Momente, wo die in Tönen komponierte Musik sich passend mit dem Wort, dem Inhalt der Musik verbindet. Dies kann ein vergleichsweise schlichter gregorianischer Choral über das dramatische Geschehen der Passion Christi an Karfreitag sein, wo die Musik mich irgendwie ganz unmittelbar «trifft», es kann ein österliches Te Deum mit Chor und farbig besetztem Orchester und Solosängern sein, bei dem mir während des Dirigierens ob der festlichen Klangfülle die Hühnerhaut kommt, genauso berührend finde ich aber oft auch ein «einfaches» Gemeindelied, das den richtigen Ton trifft, wenn ich als Organist die gelungenen Momente spüre, mit der singenden Gemeinde gemeinsam quasi auf einer Schiene zu laufen, ohne dass man darüber reden muss. Solche Momente lassen mich die Kraft von oben ganz direkt erfahren … Wir haben in unseren Gottesdiensten aber auch die grosse Chance, nicht «nur» Lieder zu singen, sondern können der Feierlichkeit auch mit gesungen Antwortrufen, mit Psalmodien, Wechselgesängen, ganz allgemein mit Interaktion zwischen Liturgen, dem Organisten, dem Kantor und der Gemeinde Ausdruck verleihen, wo man als Kirchenmusiker bisweilen auch sehr spontan reagieren kann und muss. Dies kann abgesehen davon auch niemals mit dem Abspielen einer CD erreicht werden!

Am Sonntag, 5. November im 10 Uhr Gottesdienst leitest du zum letzten Mal die Schola Gregoriana. Gerne laden wir alle ein, bei deinem Abschied dabei zu sein.
Wir wünschen dir von Herzen alles Gute für die Zukunft. Herzlichen Dank für deinen grossen Einsatz hier bei uns! Mögest du weiterhin Erfolg haben und Menschen für die Musik begeistern.

Das Gespräch führte Felix Zgraggen

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