Feuilleton Kolumne Wädenswil

Kultur ist für ihn kein Dessert, sondern Nahrung

Der Wädenswiler Anzeiger im Gespräch mit Ueli Burkhardt.

Ueli Burkhardt, Sie sind nun bereits seit 30 Jahren im Theater Ticino an vorderster Front aktiv. Wie fühlt sich das an?
Einerseits fühle ich mich etwas in die Jahre gekommen, andererseits aber auch sehr routiniert. Künstler und Publikum sind für mich eine Frischzellenkur. Früher habe ich oft vorwärts gedacht, jetzt ist vieles auch Erinnerung und Dankbarkeit.

Was veranlasste Sie, in den 80ern zusammen mit Ihrem Bruder Martin Burkhardt das Theater Ticino zu gründen?
Die Kulturszene wurde damals noch ganz anders gelebt, es gab nur die «Grossen», also das Schauspielhaus und die Oper. Die Rote Fabrik und das Kulturkarussell Rössli in Stäfa waren die einzigen Lokale für eine andere, lebhafte Szene.
Wir waren bewegte 80-er/ 81-er, die mit viel Lust, Energie und Freude eigene Freiräume erkämpften. Wir schafften uns so eine Definition für unser Dasein und wir wollten das «Schlafkaff» Wädenswil aufrütteln und beleben.

Sie haben vor etwa 15 Jahren die eigene Karriere als Schauspieler aufgegeben und voll auf das Theater gesetzt. Fehlt Ihnen dieser Teil Ihres Lebens manchmal noch?
Diesen Teil vermisse ich immer weniger bis überhaupt nicht. Ich habe grösste Achtung vor allen, die auf der Bühne stehen, weil ich weiss, was dies fordert.
Zur Entscheidung beigetragen hat auch meine Selbsterkenntnis: Dadurch, dass ich viele grosse Talente zu sehen bekam, habe ich mein beschränktes Talent erkannt. Schliesslich hat mich dieser Schritt eher befreit als dass er mir Schranken gesetzt hätte. Die Selbsterfahrung als Schauspieler nützt mir heute noch. Ich kenne die Wünsche der Künstler und trete ihnen mit Achtung für ihre enorme Leistung entgegen.
Das Ticino hat seinen Namen vom Tessiner Wirt, welcher bis Ende der 60er in diesen Lokalitäten sein Restaurant geführt hat. Hatten Sie nie Lust, es im Zuge der Umgestaltung umzunennen?
Nein! – Wobei, ganz am Anfang, als wir die Idee für das Haus hatten, gab es eine Liste von 80 bis 100 Namen und wir suchten nach einem neuen. Wir erkannten aber schnell, dass der Name «Ticino» in Wädenswil bereits so fest verankert war, dass eine Umbenennung der falsche Weg gewesen wäre. Es hätte sich angefühlt, als ob man einem Kind, das bereits einen Namen hat, einen neuen geben würde. Früher gab es ein paar Künstler, die für ihren Auftritt im Ticino in den schönen Süden der Schweiz wollten. Die Zeiten sind aber jetzt schon lange vorbei. Ausserdem macht so das Tessin gratis Werbung für uns (lacht).

Mit einem Eigenfinanzierungsgrad von 87 % (Beiträge Förderverein, Eintritte, Gastro und Vermietungen) und 13 % Geldern aus öffentlicher Hand (Stadt Wädenswil und Kanton Zürich), steht das Ticino weitgehend auf eigenen Beinen. Bietet diese Aufteilung Stresspotential oder sehen Sie dem Jahresabschluss entspannt entgegen?
Diese Finanzierung bedeutet einen permanenten Druck in verschiedenen Bereichen. Es bringt mit sich, mit den Künstlern hart über Gagen zu verhandeln, ausserdem muss genug Publikum in die Vorstellungen gelockt werden. Über die Jahre habe ich diesbezüglich eine gewisse Gelassenheit entwickelt und die Zuversicht, dass es immer irgendwie funktioniert. Der Grat ist schmal und es kann immer auf die positive oder die negative Seite kippen. Damit habe ich gelernt zu leben.

Laut Homepage bietet das Ticino «unterhaltende, auch zeitkritische, moderne Kunst». Wie treffen Sie die Auswahl der Künstler und Künstlerinnen?
Über die Jahre hat sich ein Ticino-Ensemble gebildet. Wenn mich eine Produktion überzeugt, wird die nächste meist noch besser. So hat das Publikum auch die Möglichkeit, die Entwicklung der Künstler mitzuerleben. Die Wahl der Künstler ist zum Teil Programmstrategie und zum Teil Bauch­ent­scheid. Allerdings ist die grössere Entscheidung eher, wie viele Abende jemand auftritt und nicht, wer auftritt. Wie stark eine Vorführung besucht wird, ist von vielen Faktoren abhängig. Vieles ist nicht steuerbar, auch nach 30 Jahren nicht. Für viele ist die Kultur «Dessertbereich» im Leben, also das, was zuerst gespart werden kann. Für mich selbst ist sie wie Nahrung (lacht).

Sie wohnen und arbeiten unter einem Dach. Was macht diese Lebensform für Sie attraktiv?
So habe ich keinen Arbeitsweg, ich bemitleide alle Pendler. Allerdings ist die permanente Erreichbarkeit manchmal auch eine Last. Diese Lebensform ist für den Betrieb äusserst praktisch, manchmal wäre ein Arbeitsweg aber auch gut für den seelischen Zustand. Die Distanz zwischen Freizeit und Arbeit hätte auch ihr Gutes. Bei mir ist der Weg nur von der Küche ins Büro (lacht). Die Trennung scheint mir in der Phantasie reizvoll, vielleicht realisiere ich sie auch in späteren Jahren. Insgesamt bietet es mir aber momentan viel Positives. Wenn alles lebt, die Bühne tönt und es aus der Küche riecht, inspiriert mich das für die Arbeit im Büro.

Ein kurzer Rückblick: Was waren für sie die Highlights der vergangenen Jahre?
Da reiht sich eines ans andere (lacht). Die frischeste Erinnerung eines Highlights ist sicher das Jubiläumskonzert von Núria Rial in der Kirche. Es gibt so viele solcher Highlights unter den fast 1000 Abenden, an denen Veranstaltungen durchgeführt wurden.

Worauf freuen Sie sich in Zukunft?
Für mich würde ich mich freuen, wenn ich möglichst lange gesund bleibe.
Für das Theater freue ich mich auf die Umsetzung von einigen Ideen, die aber noch nicht spruchreif sind. Ich bin gespannt, ob ein paar dieser Ideen realisierbar sind. Heute, Dienstag, freue ich mich ganz einfach auf Donnerstag, weil dann der Künstler Tilo Nest bei uns ist (Das Interview wurde am 8.12. geführt; Anm. d. Red.).

In diesem Sinne weiterhin alles Gute und herzlichen Dank für unser Gespräch.
Das Gespräch führte Susanna Valentin.

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