Wädenswil

125 Jahre Forschung in Wädenswil: vom Sitz der Landvögte zu Agroscope

Im Jahre 1549 kaufte Zürich die Johanniterherrschaft Wädenswil – das Gebiet der heutigen Gemeinden Wädenswil, Richterswil, Schönenberg, Hütten und Uetikon am See – und gliederte sie als Landvogtei in den Stadtstaat ein. Als Amtssitz der Landvögte, die in sechsjährigem Turnus für Verwaltung und Ordnung zuständig waren, liess der Zürcher Rat von 1551 bis 1555 das von einer Ringmauer mit zwei Toren umgebene Schloss mit Wohnhaus, Zehntenscheune und Waschhaus erstellen. Das bergseitige Rundbogentor trägt im Scheitel die Jahreszahl 1554.
Im Herbst 1655, im Vorfeld des Ersten Villmergerkrieges, wurde bergseits des Haupttors ein halbrunder Erdwall aufgeschüttet und mit hölzernen Palisaden bewehrt. 1664 entstanden weitere Festungswerke: ein grosses Halbmond-Erdwerk auf der Bergseite, ein Zangenwerk auf der Seite gegen Zürich und zwei mit Palisaden bewehrte Bollwerke auf der Seeseite. Besonders stark bewehrt war das Gelände zwischen der bergseitigen Ringmauer und dem heutigen Friedhof. Im Schlosshof stand seit 1683 eine Hochwachtstud: ein Signalmast, von dem aus man mit einer Pechpfanne Feuerzeichen geben und so die wehrfähige Mannschaft alarmieren konnte. Zwischen Schlossgebäude und Zehntenscheune gab es einen Tiergarten mit Hirschen und Rehen.
Am Standort des heutigen Vortrags- und Bibliothekgebäudes erhob sich die 1553/54 erstellte Zehntenscheune. Sie brannte 1743 nieder und wurde sofort wieder aufgebaut. Das Baujahr 1743 ist in einem Wappenstein über dem hofseitigen Torbogen festgehalten, zusammen mit den Familienwappen Hirzel und Lavater in barocken Kartuschen. Es sind die Familienwappen jener Landvögte, die beim Brand bzw. beim Wiederaufbau in Wädenswil residierten.
Der turmartige Bau in der Nordecke der Ringmauer lässt sich seit 1665 nachweisen und diente vor einem späteren Umbau als Sennhütte. Heute ist er bekannt als Zschokke-Häuschen, benannt nach dem Pomologen Theodor Zschokke, der hier von 1893 bis 1928 wohnte. 1776 beschloss der Zürcher Rechenrat den Bau eines gemauerten Pavillons: der Schloss-Terrasse in der Ostecke der Ringmauer.
1798 ging die Zeit der Landvögte zu Ende. Das Schloss wurde als Nationalgut verpachtet und beherbergte von 1800 bis 1802 eine Erziehungsanstalt für Knaben. Im März 1804 setzten Aufständische das Hauptgebäude in Brand, was den Bockenkrieg auslöste. 1816 bis 1818 liess der Staat das zerstörte Hauptgebäude durch den bekannten Architekten Hans Conrad Stadler in klassizistischem Stil neu errichten. Es war bis 1830 Amtssitz des Oberamtes Wädenswil, des Vorläufers des Bezirks Horgen.
1830 wurde das Oberamt aufgehoben und das Schlossgut Wädenswil 1832 an Johannes Hürlimann in Richterswil verkauft. Dieser veräusserte den Besitz 1836 an den Manufakturisten Johannes Dollfuss aus Mülhausen, der im Schlosshof die grossen Bäume setzen liess. Die Bewirtschaftung der Güter war einem Pächter übertragen.

Von der Versuchsstation zu Agroscope

1887 starb Johannes Dollfuss. Von den Erben war niemand in der Lage oder willens, den Besitz in Wädenswil zu übernehmen. So wurde das Schlossgut am 7. August 1890 dem Staat Zürich verkauft. Am 30. Mai 1890 hatten 14 Konkordatskantone die «Deutschschweizerische Versuchsstation und Schule für Obst-, Wein- und Gartenbau» gegründet und suchten einen Standort. Es bewarben sich Winterthur, Hallau und Baden, doch machte Wädenswil das Rennen. Denn der Staat stellte unentgeltlich das ehemalige Landvogteischloss zur Verfügung. Die einstige Zehntenscheune diente ab 1891 als Schulgebäude und Internat, bis die Schule 1914 aufgehoben wurde. Bis 1898 entstand seeseits der Ringmauer ein Gehölzgarten für Lehrzwecke.
Die Versuchsstation Wädenswil des Konkordats wurde am 14. Mai 1891 unter Direktor Hermann Müller-Thurgau eröffnet. Mit der Übernahme der Versuchsstation durch den Bund im Jahre 1902 wechselte der Name in «Schweizerische Versuchsanstalt für Obst-, Wein- und Gartenbau». 1903 entstanden das Keltereigebäude in den Schlossreben, 1905 das Laborgebäude 1, 1912 das Obstlagerhaus an der südwestlichen Ringmauer, 1934 ein neues Werkstattgebäude im Schlosshof, 1939 bis 1941 das Laborgebäude 2, 1946 drei Gewächshäuser, 1948 ein Gemüsegewächshaus, 1959 Garagen an der Rutenenstrasse.
Durch Bundesbeschluss wurde die «Eidgenössische Versuchsanstalt» im Jahre 1968 umbenannt in «Eidgenössische Forschungsanstalt für Obst-, Wein- und Gartenbau». Es folgten weitere Ausbauetappen: 1969 das Laborgebäude 3, 1970 ein Gewächshaus für den Gemüsebau, 1971 ein Lagerhaus für Früchte und Gemüse, 1972 ein Gebäude mit Gamma-Bestrahlungsanlage für Forschungszwecke, 1978 das Laborgebäude 4. Ab 1976 wurden alle älteren Gebäude sowie Ringmauer und Tore in Zusammenarbeit mit der eidgenössischen und der kantonalen Denkmalpflege restauriert.

Hermann Müller-Thurgau (1850–1927)

Im Jahre 1890 wurde Dr. Hermann Müller-Thurgau zum ersten Direktor der neu gegründeten «Deutschschweizerischen Versuchsstation für Obst-, Wein- und Gartenbau» in Wädenswil berufen. Aus Tägerwilen im Thurgau stammend, hatte er am Polytechnikum (ETH) in Zürich Naturwissenschaften studiert, 1874 in Würzburg promoviert und dann an der Forschungsanstalt im deutschen Geisenheim das Institut für Pflanzenphysiologie geleitet. Weil dort zwei «Müller» arbeiteten, erhielt er den Zunamen «Thurgau». Durch Kreuzung züchtete er 1882 die Rebsorte «Müller-Thurgau». Der daraus gekelterte Weisswein trägt noch heute seinen Namen. Zusammen mit einem Stab hervorragender Mitarbeiter machte der Direktor die Versuchsanstalt mit bahnbrechenden Forschungen, Vorträgen, Publikationen, Kongressen und Ausstellungen bald über die Schweiz hinaus bekannt. 1902 wurde Hermann Müller-Thurgau Professor für Botanik am Polytechnikum. 1924 trat er im Alter von 74 Jahren in den Ruhestand und verliess die Wohnung im Schloss. Er starb 1927 nach kurzer Krankheit.

Abschied vom Riesling x Silvaner

Als Hermann Müller-Thurgau 1891 von Geisenheim nach Wädenswil umzog, nahm er die wertvollsten Zuchtpflanzen mit und führte die Selektion zusammen mit Weinbautechniker Heinrich Schellenberg weiter.
Lange galt die Rebsorte «Müller-Thurgau», der legendäre Rebstock Nummer 58, als Kreuzung zwischen Riesling und Silvaner. Dann fand 1998 ein österreichisches Forscherteam aufgrund molekulargenetischer Untersuchungen heraus, dass es sich um eine Kreuzung von Riesling x Madeleine Royal handelt. Wie dem exakt arbeitenden Forscher Hermann Müller-Thurgau dieser Irrtum unterlaufen konnte, lässt sich nicht mehr belegen. Möglicherweise kam es beim Transport der Rebstöcke zu einer Verwechslung. Professor Müllers Leistung bleibt trotz dieses Fehlers einmalig.
Keine andere Züchtung erfuhr ein so grosses und noch immer aktuelles Verbreitungsgebiet wie diese Traubensorte. Vor allem in Österreich und Deutschland setzte sich ohnehin die Benennung nach dem Schöpfer durch: «Müller-Thurgau».
Peter Ziegler

Agroscope heute
Heute verfügt Agroscope am Standort Wädenswil über eine hohe Kompetenz in der Forschung und Entwicklung für die Bereiche Hortikultur, Lebensmittel und Analytik. Die Land- und Ernährungswirtschaft hat eine enorme Entwicklung hinter sich und wird sich weiter stark verändern. Es sind verschiedene Zukunftsszenarien denkbar, doch wohin die Entwicklung auch geht, sei es zum Beispiel in Richtung Heidi- oder Hightech-Landwirtschaft, sicher ist: Die kompetente und verantwortungsbewusste Forschung und Entwicklung aus Wädenswil ist von hohem Wert für die Zukunft des Obst-, Gemüse- und Weinbaus sowie für gesunde und sichere Lebensmittel daraus!

Wädenswil war und ist auch in der Analytik stark. In der chemischen Analytik waren es Wädenswiler Forschende, welche damals den schimmlig-muffigen Korkgeruch beim Wein als Trichloranisol identifizierten und heute trägt die hohe Kompetenz der Forschenden dazu bei, durch ökotoxikologische Abklärungen die Umwelt zu schützen. In der physikalischen Analytik entwickeln die Forschenden heute bei Lebensmitteln die Qualitätsmessung mittels Licht weiter und in der molekularbiologischen Diagnostik identifizieren sie Pflanzensorten, Insekten oder Hefestämme. Die weltweit erste Entschlüsselung des Feuerbrandgenoms gelang den Forschenden von Agroscope in Wädenswil. Im Bereich der Sensorik entwickelten die Forschenden Aromaräder zur Aromabeschreibung für zahlreiche Destillate und durch ihre Mitarbeit bei der Schweizer Destillatprämierung unterstützen sie die weitere Qualitätssteigerung.

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