Feuilleton Wädenswil

Bärenswil – ein reizendes Nest

Am vergangenen 25. Dezember jährte sich zum 55. Mal der Todestag Robert Walsers. Walser verbrachte nur rund ein halbes Jahr in Wädenswil, hinterliess aber Spuren für die Ewigkeit. Sein Roman «der Gehülfe», ein Werk der Weltliteratur, spielt in Wädenswil, im Roman als «Bärenswil» bezeichnet.

Als «ein reizendes Nest» würde ein gebildeter Fremder das Dorf «Bärenswil» bezeichnen, schreibt Robert Walser in seinem Roman «der Gehülfe». Tatsächlich verbrachte Walser ein halbes Jahr in Wädenswil. Er fand im Sommer 1903 Anstellung, als «Kommis» oder eben als «Gehülfe», beim Erfinder Carl Dubler, der in der Villa Abendstern am Bürgliweg wohnte und dort auch ein «technisches Bureau» für seine Erfindungen betrieb. Gemeinsam pafften sie Stumpen, tranken Kaffee in der Gartenlaube und versuchten für die Erfindungen des Ingenieurs Dublers, die Reklame-Uhr, den Verkaufsautomaten für Gewehrmunition und den Krankenstuhl, «Kapitalisten» als Geldgeber zu finden – erfolglos. Zum Neujahr 1904 verliess Walser seinen Arbeitgeber und die Villa Abendstern. Dubler ging kurz danach Bankrott, das Haus wurde liquidiert, die Ehe des Ingenieurs Dubler geschieden. Die Kinder wurden vom Waisenamt bevormundet. Die Villa Abendstern wurde 1929 durch die Firma Blattmann übernommen, nachdem sie nach Dublers Bankrott durch mehrere Hände gegangen war.

Robert Walser zog es nach seiner Wädenswiler Zeit nach Berlin, wo er 1907 den «Gehülfen» schrieb, der dann 1908 veröffentlicht wurde. Walser meinte zu seinem Werk: «‹Der Gehülfe› ist ein ganz und gar realistischer Roman. Ich brauchte fast nichts zu erfinden. Das Leben hat das für mich besorgt.»

1913 ging Walser in die Schweiz zurück, wo er anfangs für kurze Zeit bei seiner Schwester Lisa in der Pflegeanstalt für Geisteskranke in Bellelay wohnte, in der sie als Lehrerin arbeitete.
Während des Ersten Weltkriegs musste Walser wiederholt Militärdienst leisten. Ende 1916 starb Walsers Bruder Ernst, der einige Zeit schon psychisch erkrankt war, in der Heilanstalt Waldau. 1919 nahm sich Walsers Bruder Hermann, Professor der Geographie in Bern, das Leben. Walser geriet in dieser Zeit, auch da er durch den Krieg von Deutschland weitgehend abgeschnitten war, in die Isolation. Zudem konnte er als freier Schriftsteller kaum leben. Anfang 1921 zog Walser nach Bern, wo er für einige Monate eine Stellung als Bibliothekar im Staatsarchiv annahm. In Bern lebte er sehr zurückgezogen und wohnte in möblierten Zimmern, die er häufig wechselte.
Anfang 1929 begab sich Walser, der schon seit einiger Zeit von Angstzuständen und Halluzinationen geplagt wurde, nach einem geistigen Zusammenbruch auf Rat eines Psychiaters und Drängen seiner Schwester Lisa Walser in die Heilanstalt Waldau bei Bern. In der Anstalt normalisierte sich Walsers Zustand nach einigen Wochen und er verfasste und publizierte weiter Texte, wenn auch mit Pausen und insgesamt sehr viel weniger als in den vorausgegangenen Jahren. Erst als Walser gegen seinen Willen 1933 in seinen Heimatkanton in die Heil- und Pflegeanstalt Herisau versetzt wurde – und vermutlich auch, weil mit der Machtübernahme der Nationalsozialisten ein wesentlicher Markt zur Veröffentlichung seiner Texte in deutschen Zeitungen und Zeitschriften verschwunden war –, hörte er mit dem Schreiben auf.
In der Heilanstalt Herisau besuchte ihn ab 1936 häufig sein Bewunderer – und späterer Vormund –, der Schweizer Schriftsteller und Mäzen Carl Seelig, der später in dem Buch «Wanderungen mit Robert Walser» über seine Gespräche mit Walser aus dieser Zeit berichtet hat. Carl Seelig bemühte sich früh darum, den fast schon vergessenen Robert Walser durch Neuausgaben seiner Werke wieder bekannt zu machen. Nach dem Tod des Bruders Karl (1943) und der Schwester Lisa (1944) übernahm Seelig die Vormundschaft. Walser, der zwar verschroben war, aber schon lange keine Zeichen psychischer Krankheit mehr zeigte, lehnte es in dieser Zeit wiederholt ab, die Anstalt zu verlassen.
Robert Walser liebte lange, einsame Spaziergänge. Am ersten Weihnachtsfeiertag 1956 starb er an einem Herzschlag bei einer Wanderung durch ein Schneefeld, wo er kurz darauf gefunden wurde. Die Fotografien des toten Spaziergängers im Schnee erinnern fast unheimlich an ein ähnliches Bild eines Toten im Schnee aus Robert Walsers erstem Roman «Geschwister Tanner».

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