«Wie kann eine gestalterische Förderung angeregt, begleitet und gestützt werden und welche Wirkung hat diese auf die Teilnehmenden?»
Text & Bilder: Ingrid Eva Liedtke
Diese Frage stellt sich der Kulturbon in seinen Projekten, die er schon seit 10 Jahren in Zusammenarbeit mit der Oberstufe Wädenswil und auch der Schule für Gestaltung (SfGZ) durchführt.
Kulturprojekte
Am Freitag, 4. Juli, feierten zwei junge Frauen Vernissage mit ihren Kunstprojekten, beziehungsweise den daraus entstandenen Werken, die im Rahmen eines gestalterischen Förderprogramms entstanden sind. Die Oberstufe führt solche in Zusammenarbeit mit dem Kulturbon durch. Jährlich können sich Schülerinnen und Schüler, einzeln oder in Gruppen, dafür bewerben.
Die Begeisterung für die entstandenen Werke, aber auch für die Prozesse, die die zwei Schülerinnen durchlaufen haben, ist auch auf Seiten der begleitenden Fachfrauen gross. Judith Hollay Humm vom Kulturbon ist bei der Koordination der Projekte federführend. «Wir ermöglichen jungen, künstlerisch begabten Menschen eine Zeitinsel, wo sie gefördert werden», erklärt Judith Hollay Humm die Philosophie des Förderprojektes. Julia Spörri fügt an: «Wir geben ihnen eine Möglichkeit, an ihrem Talent und einem damit verbundenen Projekt zu arbeiten, wozu im normalen Schulalltag leider kein Platz ist.»
Die Arbeit an den zwei Projekten, die nachfolgend vorgestellt werden, wurden in zwei Ateliers begleitet: Mirjam Huber-Gérenyi begleitete Elsa Robson in ihrem Atelier in der Au und Julia Spörri Erika Romasenko in ihrem Mal-Atelier Mochi an der Oberdorfstrasse in Wädenswil.
Elsa Robson im Atelier von Mirjam Huber-Gerényi
Mirjam Huber-Gerényi ist Kunstpädagogin und Künstlerin und hat an der OSW (Oberstufe Wädenswil) als Werk- und Zeichenlehrerin gearbeitet. Seit 25 Jahren führt sie ihr Atelier in Wädenswil mit Kunst und Musik. Kunst ist die grosse Passion der vierfachen Mutter. Sie stellt ihre eigenen Werke regelmässig in Ausstellungen aus.
Elsa Robson ist eine Schülerin der Sekundarschule Rüschlikon-Kilchberg. Ihr Klassenlehrer kannte den Kulturbon bereits und schlug dieses Projekt vor. Der Umgang mit Menschen ist für Elsa eine grosse Herausforderung. Es war undenkbar, dass Elsa sich in Situationen begeben würde, in welchen sie in einer neuen Umgebung, mit vorerst fremden Personen ein Projekt formulieren, umsetzen und es nachher auch noch vor Publikum präsentieren würde. Durch die spezielle Herangehensweise der Mitwirkenden des Kulturbons gelang dies problemlos.
Weiter interessant ist, dass Elsa eine amerikanische Mutter und einen englischen Vater hat. Sie spricht praktisch nur Englisch. Mirjam Huber- Gerényi spricht nur Deutsch. Sie erinnert sich: «Wir haben meistens nonverbal kommuniziert – via Zeichnen.» Judith Hollay Humm fügt an: «Elsa ist anfangs noch von einer Begleitperson der Schule Rüschlikon-Kilchberg begleitet worden, hat sich aber als sehr selbstständig erwiesen.»
Mirjam Huber- Gerényi ergänzt: «In der Oberstufe gibt es im gestalterischen Bereich wenig Möglichkeiten der Entfaltung. Das ist ein schwieriges Thema in der Schweiz. Darum bin ich sehr begeistert, dass es den Kulturbon gibt, der in Zusammenarbeit mit der OSW solche künstlerischen Projekte lanciert.»
Judith Hollay Humm zum Bewerbungsverfahren: «Im Januar gibt es eine Informationsveranstaltung. Schülerinnen und Schüler, die Interesse haben, können sich dann mit ihrer Projektskizze bewerben. Bei sehr vielen Eingängen gibt es ein Auswahlverfahren. Wir können maximal 4–5 Einzelprojekte durchführen oder wir unterstützen ein bis zwei Einzel- und max. zwei Gruppenprojekte.
Bei jeder Person gilt es am Anfang eines gestalterischen Prozesses herauszufinden, wo genau die künstlerische Kraft und das Interesse liegt, welche Aussage dieser Mensch im bildnerischen Gestalten bringen will. Bei Elsa Robson zum Beispiel war dies eine unglaubliche Begabung im Skizzieren: das Räumliche und Plastische war sofort ersichtlich.
«Das war schon sehr erstaunlich für ihr Alter», ergänzt Mirjam Huber-Gerényi. «Für mich war es ein grosses Erfolgserlebnis, dass sie zum Schluss ihr Projekt vor 20 Erwachsenen präsentierte, obwohl sie vorher noch nie vor Menschen, auch nicht vor ihrer Klasse, gesprochen hatte», erzählt Huber-Gerényi berührt.
Zu den Bildern von Elsa Robson
Elsa durfte Motive und Inhalte ihrer Bilder selber wählen. «Ich war mit ihr auch draussen, im Aupark, wo wir zusammen skizziert haben», fügt Mirjam Huber-Gerényi an. «Elsa fühlt sich zu mystischen, eher dunklen Farbtönen hingezogen. Um mal einen Gegenpol zu schaffen, habe ich sie dann auch dazu angeregt, in Primärfarben zu arbeiten. So bekam sie auch Freude an kräftigeren Farben. Bisher hatte sie nur gezeichnet. Das Malen mit Acrylfarben hat ihre Freude an der Farbe geweckt.»
Die junge Künstlerin habe eine Begabung für das Zeichnen von Comics und Cartoons. In dieser kurzen Zeit von drei Monaten (von April bis Juni) könne man halt nur etwas fördern. Es sei für die Schülerin eine Möglichkeit, ihre Begabung zu finden und kennenzulernen. Eigentlich müsste diese vertieft werden. Auch Elsa würde nun gerne weiterarbeiten. «Vermutlich auch, weil sie erfahren durfte, dass sie sich durch ihre Malerei emotional öffnen könne», ergänzt Huber-Gerényi begeistert. Judith Hollay Humm fügt an: «Sie hat mehr Selbstvertrauen gewonnen.»
Mirjam Huber-Gerényi: «Schliesslich ging es darum, etwas mit dieser Arbeit zu bewirken. Eigentlich ist es egal was, es ist einfach schön, dass man bei jedem Menschen etwas bewirken kann, dass bei jeder, die sich für Kunst interessiert, ein Potenzial vorhanden ist. Wenn sich jemand die Zeit nimmt, um auf diese persönliche Entdeckungsreise zu gehen, bereit zu üben und dranzubleiben, dann kann etwas entstehen und sich ein Weg aufzeigen.»
Judith Hollay Humm stimmt zu und ergänzt: «Es wird etwas geweckt, angeregt. Natürlich ist es dann die Entscheidung der Einzelnen, dabeizubleiben. Es gehört auch zu einem solchen Projekt zu lernen, Geduld zu haben, zu üben, durchzuhalten und dann auch darüber zu kommunizieren. Das passiert oft in ganz feinen fragilen Momenten. Damit das alles passieren kann, braucht es auch das künstlerische und pädagogische Know-how der Begleitpersonen. Das Handwerk ist sehr wichtig. Wir können gewisse Techniken vermitteln, Grundlagen der Mal- und Zeichentechnik oder des Farbmischens. Zudem ist eine passende, eine andere Umgebung, wie zum Beispiel, diese Ateliers (eine Alternative zum Schulzimmer) förderlich.»
Mirjam Huber-Gerényi: «Genau! Das bedeutet genügend Licht und die geeigneten Materialien. Elsa bekam eine grosse Auswahl an Farben und Bildträgern.» Judith Hollay Humm: «Und sie sah auch deine Werke. Das kann auch inspirierend wirken – ein Kunstatelier an und für sich ist ein Raum, wo der Geist der Kunst lebt.» Julia Spörri: «Ja, darin liegt viel Inspirationspotenzial!» Mirjam Huber-Gerényi: «Elsa hat sich immer gerne überall in meinem Atelier umgeschaut. Sie hat all die Dinge, die bei mir herumliegen, interessiert angeschaut und sah vieles, das ich gar nicht mehr sehe. Wichtig war, dass Elsa sah, dass auch ich in einem künstlerischen Prozess bin. Manchmal habe ich mich zurückgezogen, um zu malen, sodass sie ganz allein und still in ihrem eigenen Prozess bleiben konnte.» Das Beobachten, Ausprobieren und Erfahrungenmachen sei wichtig, denn das führe zu bleibenden Erkenntnissen. Mirjam Huber-Gerényi: «Wo Werke entstehen, verändert sich etwas Wesentliches im Menschen.»
Die Bilder von Elsa, die gerne dunkle Farben verwendet, haben eine mystische Kraft. Da gibt es einen Ahnenfriedhof aus dem 16. Jahrhundert. Und die Skizze von einem Menschen mit Fuchskopf – möglicherweise ein Selbstbildnis!
Erika Romasenko im Atelier Mochi
Im Atelier Mochi von Julia Spörri fand Erika Romasenko, 14, 1. Sekundarklasse der Oberstufenschule Wädenswil OSW, ihren kreativen Projektort.
Das Atelier Mochi ist, wie Julia Spörri erläutert, seinem Namen verpflichtet: «Mochi» ist nämlich ein japanisches Reisküchlein, das mit sehr viel Zeit und Zuwendung hergestellt wird. Julia Spörri findet, dass diese Aufmerksamkeit auch jedem künstlerischen Prozess zuteilwerden sollte.
Julia Spörri hat einen Master in Art Education und ist Lehrperson für bildnerisches Gestalten auf Sekundarstufe 2 oder Gymnasialstufe. Seit 2024 betreibt sie das Atelier Mochi an der Oberdorfstrasse in Wädenswil mit einem vielfältigen Angebot für künstlerisches Gestalten für Kinder, Jugendliche und Erwachsene. Sie ist Mutter von einem Kind und neuerdings hat das Atelier Mochi auch einen jungen Atelierhund.
Erika Romasenko ist erst vor ein paar Wochen aus der Ukraine gekommen. Sie hat vorher nie eine öffentliche Schule besucht, sondern wurde, zusammen mit ihren drei Geschwistern, im Homeschooling unterrichtet. Erika sprach kein Wort Deutsch und anfangs mussten russische Übersetzungen zu Hilfe genommen werden. Erika habe aber sehr viel Deutsch gelernt, sodass sie zum Schluss ihre Präsentation selber in Deutsch machen konnte.
Mystischer Drachen und viel Material
Julia Spörri beschreibt ihre Schülerin und den Prozess folgendermassen: «Erika kommt aus einem russischsprachigen Gebiet der Ukraine. Mit der Zeit verstand sie aber meine deutschen Anweisungen sehr gut. Hilfreich war auch, dass sie ganz genau wusste, was sie machen wollte. Sie liebt Fabelwesen und Drachenfiguren. Sie wollte mit sehr vielen Materialien arbeiten und viel ausprobieren. Die ersten zwei Monate hat Erika auch noch online eine künstlerische Schule der Ukraine besucht. Sie hat viele Skills schon mitgebracht, hat ein gutes räumliches Vorstellungsvermögen und die Fähigkeit, ihre Ideen auf Skizzen dreidimensional darzustellen. Somit musste ich ihr nicht mehr so viel zeigen. Sie hatte einen guten Förderungshintergrund. Ihre Eltern sind auch in künstlerischen Berufen tätig.
Erika hat auch eine grosse Materialsammlung von zu Hause mitgebracht: Steine, Perlen, Kupferplatten, Drähte, Holzkugeln und vervollständigte das mit Material aus dem Atelier wie Leder, Kristall, Stoff. Sie hat alles Material, das sie finden konnte, verwendet, um ihren Drachen zu verzieren.
Der mit Modelliermasse aufgebaute Drache ist beeindruckend in seiner Materialvielfalt und er besticht auch durch kleine raffinierte Details – so ist beispielsweise die Signatur der jungen Künstlerin unter einer Muschel versteckt, die man anheben kann. Kopf und Füsse sind mit Blattsilber verziert. Wie zauberhaft!»
Die Aufgabenstellung und Produktionsweise von Erikas «Drachenkonstruktion» wurde von ihrer Begleitperson als sehr technisch wahrgenommen: «Erika arbeitete mit Draht, mit Bauschaum und unzähligen Materialien zur Verzierung. Es galt Lösungen zu finden, um zum Beispiel die Flügel aufzubauen. Wir machten dazu Versuche mit Schablonen, die immer wieder angepasst werden mussten. Manchmal mussten wir die eine Technik verwerfen, da eine andere besser war. Das Wesen, das entstanden ist, hat einen mystischen Charakter. Vielleicht gerade deswegen musste für Erika alles stimmen», vermutet Julia Spörri. «Sie hat sehr viel Zeit investiert, damit alles genau ihren Vorstellungen entsprach. Sogar an den vergangenen, sehr heissen Sommertagen kam sie um zwei Uhr und ging oft erst abends um acht oder neun Uhr nach Hause. Manchmal hat Erikas Mutter ihr etwas zu essen gebracht!»
Judith Hollay Humm: «Es ist wunderbar, wenn sich jemand so vertiefen kann.»
Mirjam Huber-Gerényi: «Als ich den Drachen gesehen habe, spürte ich die Mystik sofort. Ich habe Erika auf ‹Die unendliche Geschichte› angesprochen und sie hat sofort gewusst, was ich meine. Dieser Drache hat eine gute Seele.»
Julia Spörri: «Ja, das empfand ich auch so. Durch diese intensive Arbeit, durch Erikas Hingabe, wurde ihm dieser gute Geist eingearbeitet – und für uns scheint es schon so, als ob sich dieser materialisiert hätte in mystische Energie.» Julia Spörri: «Der Drache heisst Litiria von Litops, das ist eine Pflanze.» Judith Hollay Humm: «Der Drachen kann seine Flügel öffnen. Die Flügel sind aus einem alten Seidenrock von mir gefertigt.»
Journal
Beide Künstlerinnen haben – wie alle Teilnehmenden von Kulturbon-Projekten – ein Projekt-Journal erstellt, in welchem sie ihren Arbeitsprozess in Text und Bild dokumentierten. Das Projekt wird bewertet und gilt als Zeugnisbeilage, die sich gut eignet als Bewerbung für eine Kunstschule oder den gestalterischen Vorkurs.
Wenn man auf die Geschichte des Kulturbons zurückblickt, wagten einige den Schritt in eine künstlerische Grundausbildung, schafften die Prüfung für den Vorkurs oder studierten später an der ZHdK.
Präsentation vor multikulturellem Publikum
Die beiden jungen Frauen – da sind sich alle einig – waren hochmotiviert und sehr eigenwirksam. Sie hatten ihre Ideen, erschufen einen Plan und haben ihn mit viel Leidenschaft und fokussiert verfolgt. Elsa Robson und Erika Romasenko haben ihre Projekte bei der Vernissage in Mirjam Huber-Gerényis Atelier präsentiert – auf Deutsch, obwohl das nicht ihre Muttersprache ist und es für Erika nicht leicht ist, vor Leuten zu sprechen. Doch die Begeisterung war gross genug, um auch das mit Bravour zu tun – so als ob sie es immer wieder täten. Mirjam Huber-Gerényi: «Im Normalfall fände eine Präsentation im Schulhaus statt, doch dieses Mal haben wir die zwei jungen Frauen zusammengeführt und das erzeugte eine spezielle Stimmung. Das Multikulturelle und Generationenübergreifende an dieser Vernissage hat mich sehr berührt. Vom kleinsten Kind – Julias vierjähriger Tochter – bis zu den 70-Jährigen waren verschiedene Generationen im Publikum dabei. Der Ateliertisch bog sich beinahe unter den vielen mitgebrachten Gaben, und die Stimmung war angenehm familiär. Lehrer und Lehrerinnen kamen, Eltern und Geschwister und Freunde und Schulkameraden. Wir haben uns sehr gefreut, dass so viele Interessierte gekommen sind.» Sie sind sich einig: «Es war ein wirklich gutes Erlebnis!»
Zu den Kulturbon-Projekten:
Diese Projekte führen zu zahlreichen und ganz diversen künstlerischen Begegnungen, zu Verbindungen und Freundschaften, eine Bereicherung für Wädenswil.
Das kulturelle Bildungsangebot des Kulturbons ist für Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene gedacht, die sich ihren besonderen Interessen und Fähigkeiten in einem eigenen Projekt widmen möchten. Sie können so, neben dem schulischen Alltag, neue Erfahrungen in einem künstlerisch-kulturellen Arbeitsfeld machen und dabei neue Formen der Kommunikation und Gestaltung in Zusammenarbeit mit Expertinnen und Experten ausprobieren und erlernen.
www.kulturbon.ch
«Wie kann eine gestalterische Förderung angeregt, begleitet und gestützt werden und welche Wirkung hat diese auf die Teilnehmenden?»
Text & Bilder: Ingrid Eva Liedtke
Diese Frage stellt sich der Kulturbon in seinen Projekten, die er schon seit 10 Jahren in Zusammenarbeit mit der Oberstufe Wädenswil und auch der Schule für Gestaltung (SfGZ) durchführt.
Kulturprojekte
Am Freitag, 4. Juli, feierten zwei junge Frauen Vernissage mit ihren Kunstprojekten, beziehungsweise den daraus entstandenen Werken, die im Rahmen eines gestalterischen Förderprogramms entstanden sind. Die Oberstufe führt solche in Zusammenarbeit mit dem Kulturbon durch. Jährlich können sich Schülerinnen und Schüler, einzeln oder in Gruppen, dafür bewerben.
Die Begeisterung für die entstandenen Werke, aber auch für die Prozesse, die die zwei Schülerinnen durchlaufen haben, ist auch auf Seiten der begleitenden Fachfrauen gross. Judith Hollay Humm vom Kulturbon ist bei der Koordination der Projekte federführend. «Wir ermöglichen jungen, künstlerisch begabten Menschen eine Zeitinsel, wo sie gefördert werden», erklärt Judith Hollay Humm die Philosophie des Förderprojektes. Julia Spörri fügt an: «Wir geben ihnen eine Möglichkeit, an ihrem Talent und einem damit verbundenen Projekt zu arbeiten, wozu im normalen Schulalltag leider kein Platz ist.»
Die Arbeit an den zwei Projekten, die nachfolgend vorgestellt werden, wurden in zwei Ateliers begleitet: Mirjam Huber-Gérenyi begleitete Elsa Robson in ihrem Atelier in der Au und Julia Spörri Erika Romasenko in ihrem Mal-Atelier Mochi an der Oberdorfstrasse in Wädenswil.
Elsa Robson im Atelier von Mirjam Huber-Gerényi
Mirjam Huber-Gerényi ist Kunstpädagogin und Künstlerin und hat an der OSW (Oberstufe Wädenswil) als Werk- und Zeichenlehrerin gearbeitet. Seit 25 Jahren führt sie ihr Atelier in Wädenswil mit Kunst und Musik. Kunst ist die grosse Passion der vierfachen Mutter. Sie stellt ihre eigenen Werke regelmässig in Ausstellungen aus.
Elsa Robson ist eine Schülerin der Sekundarschule Rüschlikon-Kilchberg. Ihr Klassenlehrer kannte den Kulturbon bereits und schlug dieses Projekt vor. Der Umgang mit Menschen ist für Elsa eine grosse Herausforderung. Es war undenkbar, dass Elsa sich in Situationen begeben würde, in welchen sie in einer neuen Umgebung, mit vorerst fremden Personen ein Projekt formulieren, umsetzen und es nachher auch noch vor Publikum präsentieren würde. Durch die spezielle Herangehensweise der Mitwirkenden des Kulturbons gelang dies problemlos.
Weiter interessant ist, dass Elsa eine amerikanische Mutter und einen englischen Vater hat. Sie spricht praktisch nur Englisch. Mirjam Huber- Gerényi spricht nur Deutsch. Sie erinnert sich: «Wir haben meistens nonverbal kommuniziert – via Zeichnen.» Judith Hollay Humm fügt an: «Elsa ist anfangs noch von einer Begleitperson der Schule Rüschlikon-Kilchberg begleitet worden, hat sich aber als sehr selbstständig erwiesen.»
Mirjam Huber- Gerényi ergänzt: «In der Oberstufe gibt es im gestalterischen Bereich wenig Möglichkeiten der Entfaltung. Das ist ein schwieriges Thema in der Schweiz. Darum bin ich sehr begeistert, dass es den Kulturbon gibt, der in Zusammenarbeit mit der OSW solche künstlerischen Projekte lanciert.»
Judith Hollay Humm zum Bewerbungsverfahren: «Im Januar gibt es eine Informationsveranstaltung. Schülerinnen und Schüler, die Interesse haben, können sich dann mit ihrer Projektskizze bewerben. Bei sehr vielen Eingängen gibt es ein Auswahlverfahren. Wir können maximal 4–5 Einzelprojekte durchführen oder wir unterstützen ein bis zwei Einzel- und max. zwei Gruppenprojekte.
Bei jeder Person gilt es am Anfang eines gestalterischen Prozesses herauszufinden, wo genau die künstlerische Kraft und das Interesse liegt, welche Aussage dieser Mensch im bildnerischen Gestalten bringen will. Bei Elsa Robson zum Beispiel war dies eine unglaubliche Begabung im Skizzieren: das Räumliche und Plastische war sofort ersichtlich.
«Das war schon sehr erstaunlich für ihr Alter», ergänzt Mirjam Huber-Gerényi. «Für mich war es ein grosses Erfolgserlebnis, dass sie zum Schluss ihr Projekt vor 20 Erwachsenen präsentierte, obwohl sie vorher noch nie vor Menschen, auch nicht vor ihrer Klasse, gesprochen hatte», erzählt Huber-Gerényi berührt.
Zu den Bildern von Elsa Robson
Elsa durfte Motive und Inhalte ihrer Bilder selber wählen. «Ich war mit ihr auch draussen, im Aupark, wo wir zusammen skizziert haben», fügt Mirjam Huber-Gerényi an. «Elsa fühlt sich zu mystischen, eher dunklen Farbtönen hingezogen. Um mal einen Gegenpol zu schaffen, habe ich sie dann auch dazu angeregt, in Primärfarben zu arbeiten. So bekam sie auch Freude an kräftigeren Farben. Bisher hatte sie nur gezeichnet. Das Malen mit Acrylfarben hat ihre Freude an der Farbe geweckt.»
Die junge Künstlerin habe eine Begabung für das Zeichnen von Comics und Cartoons. In dieser kurzen Zeit von drei Monaten (von April bis Juni) könne man halt nur etwas fördern. Es sei für die Schülerin eine Möglichkeit, ihre Begabung zu finden und kennenzulernen. Eigentlich müsste diese vertieft werden. Auch Elsa würde nun gerne weiterarbeiten. «Vermutlich auch, weil sie erfahren durfte, dass sie sich durch ihre Malerei emotional öffnen könne», ergänzt Huber-Gerényi begeistert. Judith Hollay Humm fügt an: «Sie hat mehr Selbstvertrauen gewonnen.»
Mirjam Huber-Gerényi: «Schliesslich ging es darum, etwas mit dieser Arbeit zu bewirken. Eigentlich ist es egal was, es ist einfach schön, dass man bei jedem Menschen etwas bewirken kann, dass bei jeder, die sich für Kunst interessiert, ein Potenzial vorhanden ist. Wenn sich jemand die Zeit nimmt, um auf diese persönliche Entdeckungsreise zu gehen, bereit zu üben und dranzubleiben, dann kann etwas entstehen und sich ein Weg aufzeigen.»
Judith Hollay Humm stimmt zu und ergänzt: «Es wird etwas geweckt, angeregt. Natürlich ist es dann die Entscheidung der Einzelnen, dabeizubleiben. Es gehört auch zu einem solchen Projekt zu lernen, Geduld zu haben, zu üben, durchzuhalten und dann auch darüber zu kommunizieren. Das passiert oft in ganz feinen fragilen Momenten. Damit das alles passieren kann, braucht es auch das künstlerische und pädagogische Know-how der Begleitpersonen. Das Handwerk ist sehr wichtig. Wir können gewisse Techniken vermitteln, Grundlagen der Mal- und Zeichentechnik oder des Farbmischens. Zudem ist eine passende, eine andere Umgebung, wie zum Beispiel, diese Ateliers (eine Alternative zum Schulzimmer) förderlich.»
Mirjam Huber-Gerényi: «Genau! Das bedeutet genügend Licht und die geeigneten Materialien. Elsa bekam eine grosse Auswahl an Farben und Bildträgern.» Judith Hollay Humm: «Und sie sah auch deine Werke. Das kann auch inspirierend wirken – ein Kunstatelier an und für sich ist ein Raum, wo der Geist der Kunst lebt.» Julia Spörri: «Ja, darin liegt viel Inspirationspotenzial!» Mirjam Huber-Gerényi: «Elsa hat sich immer gerne überall in meinem Atelier umgeschaut. Sie hat all die Dinge, die bei mir herumliegen, interessiert angeschaut und sah vieles, das ich gar nicht mehr sehe. Wichtig war, dass Elsa sah, dass auch ich in einem künstlerischen Prozess bin. Manchmal habe ich mich zurückgezogen, um zu malen, sodass sie ganz allein und still in ihrem eigenen Prozess bleiben konnte.» Das Beobachten, Ausprobieren und Erfahrungenmachen sei wichtig, denn das führe zu bleibenden Erkenntnissen. Mirjam Huber-Gerényi: «Wo Werke entstehen, verändert sich etwas Wesentliches im Menschen.»
Die Bilder von Elsa, die gerne dunkle Farben verwendet, haben eine mystische Kraft. Da gibt es einen Ahnenfriedhof aus dem 16. Jahrhundert. Und die Skizze von einem Menschen mit Fuchskopf – möglicherweise ein Selbstbildnis!
Erika Romasenko im Atelier Mochi
Im Atelier Mochi von Julia Spörri fand Erika Romasenko, 14, 1. Sekundarklasse der Oberstufenschule Wädenswil OSW, ihren kreativen Projektort.
Das Atelier Mochi ist, wie Julia Spörri erläutert, seinem Namen verpflichtet: «Mochi» ist nämlich ein japanisches Reisküchlein, das mit sehr viel Zeit und Zuwendung hergestellt wird. Julia Spörri findet, dass diese Aufmerksamkeit auch jedem künstlerischen Prozess zuteilwerden sollte.
Julia Spörri hat einen Master in Art Education und ist Lehrperson für bildnerisches Gestalten auf Sekundarstufe 2 oder Gymnasialstufe. Seit 2024 betreibt sie das Atelier Mochi an der Oberdorfstrasse in Wädenswil mit einem vielfältigen Angebot für künstlerisches Gestalten für Kinder, Jugendliche und Erwachsene. Sie ist Mutter von einem Kind und neuerdings hat das Atelier Mochi auch einen jungen Atelierhund.
Erika Romasenko ist erst vor ein paar Wochen aus der Ukraine gekommen. Sie hat vorher nie eine öffentliche Schule besucht, sondern wurde, zusammen mit ihren drei Geschwistern, im Homeschooling unterrichtet. Erika sprach kein Wort Deutsch und anfangs mussten russische Übersetzungen zu Hilfe genommen werden. Erika habe aber sehr viel Deutsch gelernt, sodass sie zum Schluss ihre Präsentation selber in Deutsch machen konnte.
Mystischer Drachen und viel Material
Julia Spörri beschreibt ihre Schülerin und den Prozess folgendermassen: «Erika kommt aus einem russischsprachigen Gebiet der Ukraine. Mit der Zeit verstand sie aber meine deutschen Anweisungen sehr gut. Hilfreich war auch, dass sie ganz genau wusste, was sie machen wollte. Sie liebt Fabelwesen und Drachenfiguren. Sie wollte mit sehr vielen Materialien arbeiten und viel ausprobieren. Die ersten zwei Monate hat Erika auch noch online eine künstlerische Schule der Ukraine besucht. Sie hat viele Skills schon mitgebracht, hat ein gutes räumliches Vorstellungsvermögen und die Fähigkeit, ihre Ideen auf Skizzen dreidimensional darzustellen. Somit musste ich ihr nicht mehr so viel zeigen. Sie hatte einen guten Förderungshintergrund. Ihre Eltern sind auch in künstlerischen Berufen tätig.
Erika hat auch eine grosse Materialsammlung von zu Hause mitgebracht: Steine, Perlen, Kupferplatten, Drähte, Holzkugeln und vervollständigte das mit Material aus dem Atelier wie Leder, Kristall, Stoff. Sie hat alles Material, das sie finden konnte, verwendet, um ihren Drachen zu verzieren.
Der mit Modelliermasse aufgebaute Drache ist beeindruckend in seiner Materialvielfalt und er besticht auch durch kleine raffinierte Details – so ist beispielsweise die Signatur der jungen Künstlerin unter einer Muschel versteckt, die man anheben kann. Kopf und Füsse sind mit Blattsilber verziert. Wie zauberhaft!»
Die Aufgabenstellung und Produktionsweise von Erikas «Drachenkonstruktion» wurde von ihrer Begleitperson als sehr technisch wahrgenommen: «Erika arbeitete mit Draht, mit Bauschaum und unzähligen Materialien zur Verzierung. Es galt Lösungen zu finden, um zum Beispiel die Flügel aufzubauen. Wir machten dazu Versuche mit Schablonen, die immer wieder angepasst werden mussten. Manchmal mussten wir die eine Technik verwerfen, da eine andere besser war. Das Wesen, das entstanden ist, hat einen mystischen Charakter. Vielleicht gerade deswegen musste für Erika alles stimmen», vermutet Julia Spörri. «Sie hat sehr viel Zeit investiert, damit alles genau ihren Vorstellungen entsprach. Sogar an den vergangenen, sehr heissen Sommertagen kam sie um zwei Uhr und ging oft erst abends um acht oder neun Uhr nach Hause. Manchmal hat Erikas Mutter ihr etwas zu essen gebracht!»
Judith Hollay Humm: «Es ist wunderbar, wenn sich jemand so vertiefen kann.»
Mirjam Huber-Gerényi: «Als ich den Drachen gesehen habe, spürte ich die Mystik sofort. Ich habe Erika auf ‹Die unendliche Geschichte› angesprochen und sie hat sofort gewusst, was ich meine. Dieser Drache hat eine gute Seele.»
Julia Spörri: «Ja, das empfand ich auch so. Durch diese intensive Arbeit, durch Erikas Hingabe, wurde ihm dieser gute Geist eingearbeitet – und für uns scheint es schon so, als ob sich dieser materialisiert hätte in mystische Energie.» Julia Spörri: «Der Drache heisst Litiria von Litops, das ist eine Pflanze.» Judith Hollay Humm: «Der Drachen kann seine Flügel öffnen. Die Flügel sind aus einem alten Seidenrock von mir gefertigt.»
Journal
Beide Künstlerinnen haben – wie alle Teilnehmenden von Kulturbon-Projekten – ein Projekt-Journal erstellt, in welchem sie ihren Arbeitsprozess in Text und Bild dokumentierten. Das Projekt wird bewertet und gilt als Zeugnisbeilage, die sich gut eignet als Bewerbung für eine Kunstschule oder den gestalterischen Vorkurs.
Wenn man auf die Geschichte des Kulturbons zurückblickt, wagten einige den Schritt in eine künstlerische Grundausbildung, schafften die Prüfung für den Vorkurs oder studierten später an der ZHdK.
Präsentation vor multikulturellem Publikum
Die beiden jungen Frauen – da sind sich alle einig – waren hochmotiviert und sehr eigenwirksam. Sie hatten ihre Ideen, erschufen einen Plan und haben ihn mit viel Leidenschaft und fokussiert verfolgt. Elsa Robson und Erika Romasenko haben ihre Projekte bei der Vernissage in Mirjam Huber-Gerényis Atelier präsentiert – auf Deutsch, obwohl das nicht ihre Muttersprache ist und es für Erika nicht leicht ist, vor Leuten zu sprechen. Doch die Begeisterung war gross genug, um auch das mit Bravour zu tun – so als ob sie es immer wieder täten. Mirjam Huber-Gerényi: «Im Normalfall fände eine Präsentation im Schulhaus statt, doch dieses Mal haben wir die zwei jungen Frauen zusammengeführt und das erzeugte eine spezielle Stimmung. Das Multikulturelle und Generationenübergreifende an dieser Vernissage hat mich sehr berührt. Vom kleinsten Kind – Julias vierjähriger Tochter – bis zu den 70-Jährigen waren verschiedene Generationen im Publikum dabei. Der Ateliertisch bog sich beinahe unter den vielen mitgebrachten Gaben, und die Stimmung war angenehm familiär. Lehrer und Lehrerinnen kamen, Eltern und Geschwister und Freunde und Schulkameraden. Wir haben uns sehr gefreut, dass so viele Interessierte gekommen sind.» Sie sind sich einig: «Es war ein wirklich gutes Erlebnis!»
Zu den Kulturbon-Projekten:
Diese Projekte führen zu zahlreichen und ganz diversen künstlerischen Begegnungen, zu Verbindungen und Freundschaften, eine Bereicherung für Wädenswil.
Das kulturelle Bildungsangebot des Kulturbons ist für Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene gedacht, die sich ihren besonderen Interessen und Fähigkeiten in einem eigenen Projekt widmen möchten. Sie können so, neben dem schulischen Alltag, neue Erfahrungen in einem künstlerisch-kulturellen Arbeitsfeld machen und dabei neue Formen der Kommunikation und Gestaltung in Zusammenarbeit mit Expertinnen und Experten ausprobieren und erlernen.
www.kulturbon.ch