Out of Richterschwyl Richterswil

Daniel Hess – Nürnberg, ­Deutschland 

Mein Name ist Daniel Hess, ich bin Generaldirektor des Germanischen Nationalmuseums und Lehrstuhlinhaber für Museumsforschung und Kulturgeschichte an der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg. Ich bin während der letzten «Seegfrörni» in Richterswil geboren, und mein Vater kam aus Wädenswil mit den Schlittschuhen in den Spital. Hier wirkte mein Grossvater Fritz Leisinger über viele Jahre als Chefarzt. Er war medizinische Anlaufstelle in seiner Praxis im grosselterlichen Haus an der Dorfstrasse, das zu einem Angelpunkt in meinem jungen Leben wurde. Dort öffneten sich mir viele Fenster in die Literatur, Musik und Kunst. 

In Richterswil wurde ich getauft, und wir haben kurze Zeit im Leemann gewohnt, bevor wir nach Wollerau zogen, womit wir nach damaligem Verständnis eine Kulturgrenze überschritten. Wir wurden Innerschweizer, doch der Zürichsee prägte uns weiter. 

Der Wädenswiler Grossvater, ebenfalls Arzt, war auch Bergsteiger und Maler und hat damit Leidenschaften geweckt, die bis heute nachwirken. Im Fotogeschäft Langendorf erhielt ich wichtige Tipps für das richtige Bild, die meinen Blick schulten, und mit dem Grafiker und Fotografen Fausto Cortesi schrieb ich mehrere Jahre Ausstellungsbesprechungen für die Zürichsee-Zeitung. 

Sieben Jahre fuhr ich mit meinen drei Geschwistern täglich von Samstagern mit der Südostbahn nach Einsiedeln in die dortige Stiftsschule, die auch Goethe auf seiner Schweizreise 1775 nach seinem Richterswil-Aufenthalt angesteuert hatte. 

Auf die Matura folgte das Studium in Zürich, aber da ich als Innerschweizer nach dem Lizenziat kein Promotionsstipendium erhielt, brach ich am 1. August 1989 mit einem Stipendium des Deutschen Akademischen -Austauschdienstes mit meiner späteren Frau nach Deutschland auf. 

Hier bin ich geblieben, gründete eine Familie mit vier Kindern und darf nun seit vielen Jahren eines der spannendsten Museen im Bereich der europäischen Kulturgeschichte mitgestalten. Das Germanische Nationalmuseum sammelt seit 1852 Kultur des deutschen Sprachraums von der Steinzeit bis zur Gegenwart, von Gemälden bis zu Musikinstrumenten. In diesem grossartigen Museum wurde ich heimisch, hier konnte meine Schweizerische Herkunftskultur in einem grösseren europäischen Ganzen aufgehen. Ausserdem darf ich in Nürnberg als Schweizer Honorarkonsul unterstützend zur Vertretung der Schweiz in konsularischen Belangen beitragen; besondere Bedeutung hat dabei der Austausch im Bereich Bildung, Wissenschaft, Kultur und Wirtschaft.  

Nach Richterswil und an den Zürichsee führen nicht nur einige Glasgemälde aus dem 16. Jahrhundert in «meinem» Museum zurück, sondern auch die regelmässigen Familienbesuche. 

Müsste ich «Heimat» bebildern, wäre das ein Blick über die Richterswiler Bucht, über den See bis zu den bei Föhn zum Greifen nahen Schwyzer und Glarner Alpen. Heimat im weiteren Sinn ist für mich die Kultur, die Begegnungen mit dem zunächst Fremden ermöglicht, die Inspirations- und Kreativräume öffnet, aber auch die Kraft gibt, um beim Blick in die Abgründe menschlichen Handelns nicht den Halt und die Hoffnung zu verlieren. 

Ich wünsche mir, dass unsere Kinder und Enkel den Glauben an eine bessere Welt nie aufgeben und dass wir Älteren ihnen dazu einiges mitgeben können.     

www.gnm.de

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