Wädenswil

Eine gastronomische Institution verschwindet

Wenn die Wirte vom «Schützehuus» in der Au irgendwann gegen Ende des Jahres das letzte Mal den Schlüssel drehen und hinter sich zusperren, verschwindet nicht nur ein langjähriges, gern besuchtes Lokal, auch verliert der Ortsteil Au seinen gastronomischen Mittelpunkt.

Text: Stefan Baumgartner
Bilder: stb / zvg

Sie sind müde geworden, die drei Wirte vom «Schützehuus» in der Au. Kein Wunder, alle nähern sich oder sind im Pensionsalter. 34 Jahre wirten die jetzigen Besitzer auf dem «Schützi», der Beiz in der Au, die schon von weit her sichtbar ist mit dem markanten blau beleuchteten Dach. Quereinsteiger waren sie allesamt damals, 1991: zwei Ex-Fussballprofis, der eine gelernter Dekorationsgestalter, der andere Buchhalter, starteten ins Abenteuer Gastronomie. Kurze Zeit später stiess ein Bäcker-Konditor zu den beiden und komplettierte das Trio, das bis heute das Restaurant führt. Schon wie sich die drei fanden, ist eine eigene Geschichte: Da war Urs Kühni, der, wie er selber sagt, nichts als Fussball im Kopf hatte. Nach seiner Karriere, die ihn von Frauenfeld aus zu Winterthur, Lausanne, dem FCZ, Aarau, YB nach Winterthur und schliesslich zum Karriereende nach Freienbach (und irgendwann auch zu den Senioren des FC Wädenswil) führte, schloss er sich seinem Jugendfreund Christian Graf an, der eigentlich der erste «Schützehuus»-Wirt war. Auch er Spitzenfussballer – zweimal spielte er um die Sandoz-Trophäe in einem Cupfinal und war der erste Schweizer, der in Asien kickte. Ebenso mit an Bord war in den Schützi-Anfängen Bruno Huber, einst ein schillernder Spielervermittler auf dem Schweizer Fussballmarkt. Jener Huber war es auch, der – so geht die Legende – auf einer Schiffspassage Christoph Haller kennenlernte und befand, dass dieser gut zum Duo Graf/Kühni passen würde. Haller durfte sich dem Duo tatsächlich anschliessen, musste aber – das war Bedingung – die Wirtefachschule (damals noch nötig, um ein Restaurant zu führen) absolvieren.
Und so starteten die drei das Abenteuer «Schützehuus», «mit ganz wenig Vorschusslorbeeren», wie Urs Kühni sagt. «Alle warteten nur darauf, dass wir in hohem Bogen scheiterten». Es kam anders. Schon bald war das Restaurant in der Au wieder der beliebte Treffpunkt, der es schon einmal war. Nur hatte sich das Publikum im Anbau stark verjüngt. Statt Ländlermusik legten nun DJs auf oder es wurden Rockkonzerte veranstaltet. Statt «Thé dansant» und «Örgeli»-Musik stand das junge Publikum nun in mehreren Reihen an der langen Bar, die den ganzen Anbau durchzieht. Der Geräuschpegel stieg, auch zum Missfallen einiger Nachbarn. «In den Anfangszeiten war die Polizei regelmässig bei uns», erinnert sich Stöph Haller, die «Nachteule», die für den Barbetrieb abends zuständig ist. Auch heute noch trifft man Polizisten regelmässig im Restaurant an – als Gäste, die sich aus der Küche verwöhnen lassen. Für diese ist José Ferreira zuständig – auch er seit dem ersten Tag mit von der Partie. «Er sollte 15 Kochmützen und 23 Sterne haben», meint Christoph Haller im vollen Ernst, und Urs Kühni ergänzt: «Ohne ihn wäre immer noch Schinken-Käse-Toast das Highlight auf unserer Karte!»
Sowieso hatte und hat das Restaurant – nebst den unzähligen Studentinnen und Aushilfskräften hinter der Bar – viele treue Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die mehr Weggefährtinnen und Wegfährten denn Angestellte sind.

Ein Treffpunkt der Sportler

Schon immer war das «Schützi» nicht nur Treffpunkt der Jungen und Junggebliebenen – es war (und ist) auch geselliger Mittelpunkt nach dem Sport. Würde man einen der aktuellen Nationalliga-B-Handballer fragen, wo die Mannschaft ihre Aufstiege und weiteren Erfolge feierte, wird die Antwort «im Schützi» lauten. Und während der für den Tagesbetrieb verantwortliche Urs Kühni Kontakte fussballerischer Art pflegte, war Stöph Haller eher Eishockey-Affin. Dank seiner Bekanntschaft mit Lars Weibel stärkte sich der Hockey Club Davos auf seinen Reisen zu Matches im Unterland jeweils im «Schützehuus» – und auch der bisher letzte Meistertitel des Bündner Rekordmeisters wurde ausgiebig in der Au gefeiert. 2015 feiert der Hockey Club Davos seinen letzten von 31 Meistertiteln. 3:0 bodigten die Bündner damals im entscheidenden Finalspiel in Zürich die ZSC Lions – und der Meisterexpress machte auf der Heimfahrt Halt im «Schützi». Die Spieler, immer noch im Tenue und bereits champagnergeduscht, stürmten die Bar; ihnen folgte eine grosse Fan-Schar.
Nach Meistertrainer Arno del Curtos Abgang beim Rekordmeister im Jahre 2018 endete auch die Tradition der Zwischenhalte in der Au zwei Jahre später – und Meisterfeiern gab es beim HCD seither auch keine mehr.

Auch ohne die sportlichen Grössen – seien sie vom FC oder HC Wädenswil oder eben vom HC Davos – schaffte das Team vom «Schützi» bemerkenswertes: Weit vor digitalen Communities – und wahrscheinlich eben gerade darum – schaffte es das «Schützehuus», eine grosse Gemeinschaft um sich herum zu scharen. Einerseits war da eine grosse Anzahl an Stammgästen jeden Alters. Denn was immer blieb, war die heimelige Gaststube, der Quartiertreff, die Beiz, wo auch gejasst wurde. Das «Schützehuus» war seit je her der Treffpunkt in der Au. Das Restaurant nimmt in einem Ortsteil, der keine richtige Mitte hat, eine Zentrumsfunktion ein. Man trifft sich hier, geniesst die Gastlichkeit. Andrerseits bestand darüber hinaus aber eine einzigartige Verbindung zu den Gästen, die über eine normale Wirt-Gast-Beziehung hinausging.

So holten zwei Reisebusse in den besten Tagen Skifahrerinnen und Skifahrer vor dem «Schützi» ab, um sie ins Hoch-Ybrig zum legendären «Schützi-Ski-Tag» zu fahren und dort eine Schnee-Party zu feiern. Unvergessen bleiben Casino-Nächte, in denen Roulette und Black-Jack gespielt wurde. Die gewonnenen Jetons konnten an der Bar gegen Getränke eingelöst werden. Und als im Schützi ein Bierhumpen-Curling organisiert wurde, kam sogar das Lokalfernsehen. Karaoke und Body-Painting waren beliebte Anlässe – und auch die ersten Oktoberfeste in Wädenswil fanden – genau! – mit echtem Münchner Bier im «Schützi» statt: Stöph Hallers Frau ist eine waschechte Bayerin; die Oktoberfeste standen unter ihrem Motto «In Bayern zuhause, im Schützi daheim».

Doch nach und nach – zuerst schleichend und nach «Corona» etwas schneller – änderte sich das Ausgehverhalten. Gäste – nicht nur, aber vor allem die jüngere Generation – blieben aus, das Restaurant und die lange Bar auch mal leer. Es erfolgte über die Jahre auch eine Transformation vom lebendigen Pub-Betrieb hin zum Speise-Restaurant mit einer gepflegten Karte und hochwertiger Küche.

Und nun? Die drei Wirte werden das Restaurant Ende Jahr schliessen. «Wir planen nichts, es wird auch keine ‹Uustrinkete› geben», sagt Urs Kühni. Die Liegenschaft wird dann verkauft, eine Weiterführung des Restaurants ist unrealistisch: Das Haus ist alt, bedürfe einer Totalsanierung, sagen die drei Eigentümer. Bis es soweit ist, möchten die drei in den verbleibenden neun Monaten nochmals alles für ihre Gäste geben: «Schön, wenn Ihr bis zum Schluss ein Teil davon seid», sagen sie an ihr Publikum gerichtet.

Begründet hat diese Gastlichkeit im Restaurant Schützehuus Theddy Blättler, der das Restaurant in der Au 1960 erwarb. Das Schützenhaus hatte damals noch keinen Anbau, den erstellte Blättler 1967 selbst – ohne Baugeschäft, zusammen mit vier Militärdienstkollegen. Bis dahin hatte das Restaurant nur 30 Plätze sowie ein Säli für 40 Personen. Doch mit der Eröffnung des grossen Saalanbaus ging die Post ab: Jeden Samstag Tanz mit einer bekannten Kapelle, jeden Sonntag spielte Blättler selbst zum Konzert auf und machte das Restaurant zur Volksmusik-Hochburg. 25 Jahre führte Blättler das «Schützenhaus, ehe das Lokal per 1. Oktober 1983 in neue Hände überging. Dem Nachfolger war nicht der selbe Erfolg beschieden und dieser musste 1990 Konkurs anmelden. Am 1. Februar 1991 schliesslich kam das «Schützi» in jene Hände, die heute noch für die legendäre Gastlichkeit sorgen.

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