Lukas Bertschinger ist Präsident der Müller-Thurgau-Stiftung. Ebenso wie der «Pasteur der Schweiz», wie Müller-Thurgau auch genannt wird, fühlt sich Lukas Bertschinger der
Erforschung und nachhaltigen Entwicklung von pflanzlichen Ernährungssystemen mit Obst-, Wein- und Gemüsebau verpflichtet.
Text & Bild: Ingrid Eva Liedtke
Der studierte Ingenieur Agronom sieht sich als Brückenbauer. Das gemeinsame Forschen verschiedener Akteure und das Arbeiten an nachhaltigen Lösungen für die Landwirtschaft sowie die Produktion von ebenso nachhaltigen Lebensmitteln motiviert Lukas Bertschinger. Das beinhaltet auch die Beschäftigung mit unseren Wurzeln und eine Brücke in die Zukunft zu bauen.
Er sagt: «Wer seine Wurzeln nicht kennt, hat keine Zukunft», und verweist auf den 175. Geburtstag von Hermann Müller-Thurgau, der dieses Jahr mit Veranstaltungen gefeiert wird.
Brücken zu bauen bedeute auch, verschiedenste Aspekte zu berücksichtigen, mit allen Involvierten immer wieder das Gespräch zu finden und die grossen, wie kleinen Zusammenhänge nicht aus den Augen zu verlieren.
Hintergrund und Werdegang
Lukas Bertschinger ist 1958 in Basel geboren, aber wuchs ab seinem 5. Lebensjahr in Horgen auf. Seine Mutter war Opernsängerin und Pianistin, sein Vater Jurist, sein drei Jahre älterer Bruder Arzt. «Eine ‹illustre› Familie», sagt er selbst, «die mich auch musisch geprägt hat.»
Prägende Themen seiner Kind- und Jugendzeit waren die zunehmende Umweltbelastung, autofreie Sonntage, die Proteste gegen Atomkraftwerke und der Kalte Krieg, aber auch unvergessliche Erlebnisse in der Bergwelt und auf dem Land. Sie haben ihn dermassen beeindruckt, dass er einen «grünen» Beruf erlernen wollte – obwohl er aus diesem sehr städtischen Umfeld stammte.
«Es gab für diesen Entscheid nicht unbedingt begeisterten Zuspruch», erinnert er sich.
Seine Schulferien verbrachte Lukas Bertschinger in den Bergen und auf Bauernhöfen, bei Familien und Freunden. Die Entscheidung, Agronomie zu studieren, war ein sehr bewusster, und die verschiedenen Praktika, die er absolvierte (zum Beispiel in Amriswil TG oder in Moudon VD), eine Vorbereitung darauf.
«Ich erinnere mich an die wunderschöne Landschaft bei Moudon, mit einem Lebensgefühl wie im Schweizer Film «Les petites Fugues». Auf den Höfen gab es Familien und kauzige Einzelkämpfer. Man arbeitete körperlich hart, den ganzen Tag. Für mich war das eine super Lebenserfahrung. Ich habe viele neue Leute kennengelernt und ein neues Metier. Es wurde auch Tabak angebaut, neben der Viehzucht, Milchproduktion, Obstbau und traditionellem Ackerbau. Ich war sehr wissensbegierig, wollte die Praxis kennenlernen, bevor ich ein studierter Bauer sein würde. Ich wollte mich in diesem Umfeld beweisen. Ob ich je einen Hof übernehmen würde, das lag noch offen», erzählt Lukas Bertschinger.
Dann absolvierte er das Grundstudium und entschied sich schliesslich für Pflanzenbau. Dieses vierjährige Studium schloss er ab als Ingenieur Agronom.
«Damals wurde man Ingenieur», sagt er. «Das sind die, die wissen, wie man etwas tut, damit es funktioniert, aber nicht unbedingt immer, warum es so ist. Wir konnten in viele Bereiche hineinschauen, aber das Ziel war die praktische Anwendung und der Fortschritt. Heute ist die Ausbildung akademischer.»
Es folgten weitere Praktika in verschiedenen Entwicklungsprojekten – in Ghana, den USA und Nepal.
Forschung – Kartoffel und Weizen
Durch seine Semester- und Diplomarbeit kam Lukas Bertschinger mit der Forschung in Berührung und war fasziniert.
«Ich wollte eine Doktorarbeit schreiben über die Verbesserung von Kartoffelsaatgut in Peru. Die Kartoffel kommt ursprünglich aus den Anden (Ecuador, Peru, Bolivien, Chile). Peru hatte damit ein Ertragsproblem. Der Durchschnittsertrag lag bei 2–3 Tonnen Kartoffeln pro Hektar. Für industrialisierte Länder ist das sehr wenig, da rechnet man mit 40 Tonnen. Das wollte man mit gutem Saatgut verbessern. Ich habe ein Projekt geschrieben und es in Bern präsentiert und erhielt vom DEZA (Direktion für Entwicklung und Zusammenarbeit) den Auftrag, nach Peru zu gehen. So sind meine Frau Luzia und ich nach Peru ausgewandert. Wir hatten uns in Horgen kennengelernt und geheiratet, das hat die Einwanderung nach Peru vereinfacht. Von 1986 bis 1989 lebten wir in Peru. Dort gibt es ein internationales Kartoffelzentrum, das von der Schweiz unterstützt wird. Das Zentrum ist international tätig, aber wollte natürlich auch in Peru etwas bewirken. Ich arbeitete mit Peruanern zusammen an der Qualitätsverbesserung von Kartoffeln, deren Ertrag durch Viruskrankheiten stark reduziert wurde, und unterstützte damit das nationale Kartoffelprogramm von Peru. Wir untersuchten, wie die Viren übertragen werden und was man dagegen tun könnte. Wir forschten, machten Versuche auf verschiedenen Höhenlagen. Dabei arbeitete ich auch mit der lokalen Bevölkerung zusammen. Das war sehr spannend!
Unser Sohn ist in dieser Zeit geboren. Politisch war es eine hochbrisante Zeit, darum mussten wir schliesslich weg. Wir zogen zurück in die Schweiz, wo ich an der ETH meine Dissertation abschloss. Das war 1990–1992. Unsere Tochter wurde geboren.»
Dann zog es die Familie nach Mexiko. Dort forschte Lukas Bertschinger in der Weizenzüchtung am internationalen Mais- und Weizenforschungszentrum. Die zweite Tochter kam zur Welt.
«Das war eine super Zeit», erinnert sich Bertschinger. Auch an die Entscheidung, die es manchmal im Leben zu treffen gebe. «Geht man links oder rechts?», legt er die damalige Situation 1993 dar. Es gab die Möglichkeit der Weiterarbeit am Zentrum in Mexiko, aber auch ein Jobangebot der Forschungsanstalt in Wädenswil.
Zurück in die Schweiz – Innovation für Obst-, Wein- und Gemüsebau
Im November 1993 reiste die Familie Bertschinger zurück in die Schweiz.
In Wädenswil begann Lukas Bertschinger sich mit Obstbäumen zu befassen und machte Karriere an der Forschungsanstalt Wädenswil, einer damals noch selbstständigen Institution. Nach Reorganisationen und Fusionen mit verschiedenen landwirtschaftlichen Forschungsanstalten, schliesslich mit allen, die dem Bund gehörten, bildete sich die heutige Agroscope.
«Ich war Forschungsdirektor und wurde im Rahmen der Veränderungen entlassen, konnte aber eine andere Aufgabe übernehmen. Das war 2017. Ich merkte, dass ich mich noch weiterentwickeln wollte und habe meine eigene Firma gegründet: klb innovation GmbH macht Beratungen und Expertisen im Agrofoodbereich. Es geht mir immer darum, die Nachhaltigkeit zu fördern. Zudem war ich 2018 Mitgründer der Weinbauzentrum AG. Im November 2019 haben wir die Müller-Thurgau-Stiftung gegründet. Stifter waren die Stadt Wädenswil, die Standortförderung Zimmerberg, die ZHAW, die Tuwag Immobilien AG und ein paar Private.»
Die Stiftung unterstützt Forschungs- und Innovationsprojekte zur nachhaltigen Weiterentwicklung von pflanzlichen Ernährungssystemen, die mit Obst-, Wein- und Gemüsebau zu tun haben. Hier treffen sich die Anliegen von Müller-Thurgau und Bertschinger, dem Präsidenten dieser Stiftung.
Die Anliegen und Privates
«Ich möchte einen Beitrag an eine nachhaltige Landwirtschaft und Ernährung leisten, und dabei ist mir das Brückenbauen ein Anliegen. Das kann nur gelingen, wenn man die verschiedenen Aspekte wie Ökologie, Ökonomie und Soziales, die in einem landwirtschaftlichen Produkt stecken, zusammenbringen kann, so dass man davon leben kann.
Ein Beispiel: Wenn eine Bäuerin im Safiental lebt und in ihren Beruf ausüben möchte, muss sie sowohl die Umwelt, von der sie lebt, respektieren, als auch jedes Jahr genug Einkommen generieren können. Zudem braucht sie möglicherweise auch in dem sehr abgelegenen Tal ein soziales Umfeld, das sie und ihren Berufsstand respektiert. Was muss für Nachhaltigkeit erfüllt sein? Darüber denken viele Spezialistinnen und Spezialisten nach! Bedeutet es nur weniger Pestizide zu spritzen? Nein, man muss ein Produkt auch zu einem vernünftigen Preis verkaufen können. Die Anforderungen an die Produkte sind bei den Grossverteilern anders als beispielsweise im Bioladen. Zwibol, der lokale Bio-Produkte unverpackt anbietet, wird einen Apfel mit Flecken eher akzeptieren und verkaufen als der Grossverteiler.»
Lukas Bertschinger ist ein Mensch mit viel Engagement, voller Energie und Begeisterung für seine Anliegen, Anliegen, die uns allen am Herzen liegen sollten. Er ist auch ein Mensch mit einer privaten Seite, die ihm die Kraft dazu verleiht.
«Mit meiner Familie, meiner Frau Luzia, mit meinen Kindern David mit Yumna und Mona und Rahel gemeinsame Momente zu erleben, ist mir sehr wichtig. Ich mag es ausserdem gerne, mit Kollegen zu kochen, engagiere mit im Lions Club, spiele gelegentlich Piano, bin immer mal in Bewegung beim Schneesport, beim Wandern, Biken und in oder auf dem See. Ich mag es, kulturelle Veranstaltungen zu besuchen, die Politik zu verfolgen, gelegentlich alte und neue Freunde zu treffen und mit ihnen etwas zu unternehmen. Ohne all dies, ohne meine private Seite, wäre ich in meinem Beruf, für den ich zugegebenermassen viel Zeit aufwende, nicht voller Energie!»
Müller-Thurgau-Stiftung
Lukas Bertschinger sieht in seinem Engagement in der Müller-Thurgau-Stiftung eine Übereinstimmung mit seinen eigenen Anliegen. «Wir fördern die Innovation für Ernährungssystemen, die mit Wein-, Obst und Gemüsebau zu tun haben. Als Gründungsmitglied wünsche ich mir, dass diese Stiftung wächst und ihre Wirkung entfalten und damit ihren Zweck vermehren kann, das heisst mehr Projekte zu fördern, die in der Praxis Wirkung erzielen.»
Konkret bedeute das zum Beispiel, eine neue Methode zu entwickeln und zu fördern, die es erlaube, weniger Pestizid anzuwenden und dennoch verkaufbare Produkte mit einem guten Preis zu produzieren.
Ein weiteres Beispiel sei eine Methode, mit der man Traubentrester, der sonst nicht mehr verwendet werde, umwandelt in eine Folie, die wieder in der Landwirtschaft verwendbar ist.
Es gebe tonnenweise Themen und natürlich die Frage, welche man fördern wolle und wie man die Gelder dafür beschaffen könne (Projekte siehe www.muellerthurgaustiftung.ch).
«Darum bin ich lokal, regional, national und auch international immer in Kontakt mit Bauern und Verarbeitern, aber auch Forschungsinstitutionen und Geldgebern. Wir arbeiten auch mit den Verbänden zusammen, um Breitenwirkung zu erzielen. Wir sind eine nationale Stiftung.
Jubiläum
In diesem Jahr feiert die Stiftung zusammen mit verschiedenen anderen Organisationen ein Jubiläum, den 175. Geburtstag von Hermann Müller-Thurgau.
Aus diesem Anlass möchte man der Öffentlichkeit spannende Einblicke geben in dessen vielfältiges Schaffen und was er und seine Nachfolger damit bewirkt haben. Es soll auch eine Aufforderung sein in die Zukunft zu blicken und zu überlegen, in welche Richtung die Entwicklung der Ernährungssysteme geht.
Dafür sind diverse Aktionen geplant wie eine Ausstellung, Degustationen, Reb-Rundgänge, Velo-
Rundfahrten am Bodensee mit digitalen Infopunkten, ein Dokumentarfilm mit Vernissage, der an verschiedenen Orten gezeigt wird und auch von Schulen oder interessierten Vereinen und Organisationen gemietet werden kann. Am 24. Oktober gibt es ein Fest im Rosenmattpark in Wädenswil, und man verknüpft sich auch mit Nachbarswil, dem Nachbarschafts-Fest, das Richterswil und Wädenswil im September zusammen feiern (Kalender auf: www.erlebnismuellerthurgau.ch)
«Müller-Thurgau ist eine wirklich spannende Persönlichkeit», erzählt Lukas Bertschinger begeistert. «Er hat die Pasteurisierung von Obst- und Traubensäften erfunden. Das war eine Revolution! Die Leute haben damals Wasser getrunken oder Vergorenes, das alkoholhaltig war. Die Säfte wurden durch die Pasteurisierung plötzlich lange haltbar, hatten enormen Nährwert und schmeckten auch noch gut. Das war eine echte Innovation! Die ganze Saftindustrie beruht darauf, und heute ist das ein Business von umgerechnet jährlich 50–100 Milliarden Franken. Dies ist ein Beispiel dafür, dass Müller-Thurgau eine spannende Persönlichkeit mit Wirkung ist, dessen Geschichten wir erzählen möchten.»
Lukas Bertschinger ist eine nicht minder spannende Persönlichkeit, das möchte doch noch festgehalten werden. Er ist auf verschiedensten lokalen, nationalen und internationalen Ebenen aktiv, immer mit pflanzlichen Ernährungssystemen und ihren Menschen befasst und darum bemüht die nötigen Brücken zu bauen.
Lukas Bertschinger ist Präsident der Müller-Thurgau-Stiftung. Ebenso wie der «Pasteur der Schweiz», wie Müller-Thurgau auch genannt wird, fühlt sich Lukas Bertschinger der
Erforschung und nachhaltigen Entwicklung von pflanzlichen Ernährungssystemen mit Obst-, Wein- und Gemüsebau verpflichtet.
Text & Bild: Ingrid Eva Liedtke
Der studierte Ingenieur Agronom sieht sich als Brückenbauer. Das gemeinsame Forschen verschiedener Akteure und das Arbeiten an nachhaltigen Lösungen für die Landwirtschaft sowie die Produktion von ebenso nachhaltigen Lebensmitteln motiviert Lukas Bertschinger. Das beinhaltet auch die Beschäftigung mit unseren Wurzeln und eine Brücke in die Zukunft zu bauen.
Er sagt: «Wer seine Wurzeln nicht kennt, hat keine Zukunft», und verweist auf den 175. Geburtstag von Hermann Müller-Thurgau, der dieses Jahr mit Veranstaltungen gefeiert wird.
Brücken zu bauen bedeute auch, verschiedenste Aspekte zu berücksichtigen, mit allen Involvierten immer wieder das Gespräch zu finden und die grossen, wie kleinen Zusammenhänge nicht aus den Augen zu verlieren.
Hintergrund und Werdegang
Lukas Bertschinger ist 1958 in Basel geboren, aber wuchs ab seinem 5. Lebensjahr in Horgen auf. Seine Mutter war Opernsängerin und Pianistin, sein Vater Jurist, sein drei Jahre älterer Bruder Arzt. «Eine ‹illustre› Familie», sagt er selbst, «die mich auch musisch geprägt hat.»
Prägende Themen seiner Kind- und Jugendzeit waren die zunehmende Umweltbelastung, autofreie Sonntage, die Proteste gegen Atomkraftwerke und der Kalte Krieg, aber auch unvergessliche Erlebnisse in der Bergwelt und auf dem Land. Sie haben ihn dermassen beeindruckt, dass er einen «grünen» Beruf erlernen wollte – obwohl er aus diesem sehr städtischen Umfeld stammte.
«Es gab für diesen Entscheid nicht unbedingt begeisterten Zuspruch», erinnert er sich.
Seine Schulferien verbrachte Lukas Bertschinger in den Bergen und auf Bauernhöfen, bei Familien und Freunden. Die Entscheidung, Agronomie zu studieren, war ein sehr bewusster, und die verschiedenen Praktika, die er absolvierte (zum Beispiel in Amriswil TG oder in Moudon VD), eine Vorbereitung darauf.
«Ich erinnere mich an die wunderschöne Landschaft bei Moudon, mit einem Lebensgefühl wie im Schweizer Film «Les petites Fugues». Auf den Höfen gab es Familien und kauzige Einzelkämpfer. Man arbeitete körperlich hart, den ganzen Tag. Für mich war das eine super Lebenserfahrung. Ich habe viele neue Leute kennengelernt und ein neues Metier. Es wurde auch Tabak angebaut, neben der Viehzucht, Milchproduktion, Obstbau und traditionellem Ackerbau. Ich war sehr wissensbegierig, wollte die Praxis kennenlernen, bevor ich ein studierter Bauer sein würde. Ich wollte mich in diesem Umfeld beweisen. Ob ich je einen Hof übernehmen würde, das lag noch offen», erzählt Lukas Bertschinger.
Dann absolvierte er das Grundstudium und entschied sich schliesslich für Pflanzenbau. Dieses vierjährige Studium schloss er ab als Ingenieur Agronom.
«Damals wurde man Ingenieur», sagt er. «Das sind die, die wissen, wie man etwas tut, damit es funktioniert, aber nicht unbedingt immer, warum es so ist. Wir konnten in viele Bereiche hineinschauen, aber das Ziel war die praktische Anwendung und der Fortschritt. Heute ist die Ausbildung akademischer.»
Es folgten weitere Praktika in verschiedenen Entwicklungsprojekten – in Ghana, den USA und Nepal.
Forschung – Kartoffel und Weizen
Durch seine Semester- und Diplomarbeit kam Lukas Bertschinger mit der Forschung in Berührung und war fasziniert.
«Ich wollte eine Doktorarbeit schreiben über die Verbesserung von Kartoffelsaatgut in Peru. Die Kartoffel kommt ursprünglich aus den Anden (Ecuador, Peru, Bolivien, Chile). Peru hatte damit ein Ertragsproblem. Der Durchschnittsertrag lag bei 2–3 Tonnen Kartoffeln pro Hektar. Für industrialisierte Länder ist das sehr wenig, da rechnet man mit 40 Tonnen. Das wollte man mit gutem Saatgut verbessern. Ich habe ein Projekt geschrieben und es in Bern präsentiert und erhielt vom DEZA (Direktion für Entwicklung und Zusammenarbeit) den Auftrag, nach Peru zu gehen. So sind meine Frau Luzia und ich nach Peru ausgewandert. Wir hatten uns in Horgen kennengelernt und geheiratet, das hat die Einwanderung nach Peru vereinfacht. Von 1986 bis 1989 lebten wir in Peru. Dort gibt es ein internationales Kartoffelzentrum, das von der Schweiz unterstützt wird. Das Zentrum ist international tätig, aber wollte natürlich auch in Peru etwas bewirken. Ich arbeitete mit Peruanern zusammen an der Qualitätsverbesserung von Kartoffeln, deren Ertrag durch Viruskrankheiten stark reduziert wurde, und unterstützte damit das nationale Kartoffelprogramm von Peru. Wir untersuchten, wie die Viren übertragen werden und was man dagegen tun könnte. Wir forschten, machten Versuche auf verschiedenen Höhenlagen. Dabei arbeitete ich auch mit der lokalen Bevölkerung zusammen. Das war sehr spannend!
Unser Sohn ist in dieser Zeit geboren. Politisch war es eine hochbrisante Zeit, darum mussten wir schliesslich weg. Wir zogen zurück in die Schweiz, wo ich an der ETH meine Dissertation abschloss. Das war 1990–1992. Unsere Tochter wurde geboren.»
Dann zog es die Familie nach Mexiko. Dort forschte Lukas Bertschinger in der Weizenzüchtung am internationalen Mais- und Weizenforschungszentrum. Die zweite Tochter kam zur Welt.
«Das war eine super Zeit», erinnert sich Bertschinger. Auch an die Entscheidung, die es manchmal im Leben zu treffen gebe. «Geht man links oder rechts?», legt er die damalige Situation 1993 dar. Es gab die Möglichkeit der Weiterarbeit am Zentrum in Mexiko, aber auch ein Jobangebot der Forschungsanstalt in Wädenswil.
Zurück in die Schweiz – Innovation für Obst-, Wein- und Gemüsebau
Im November 1993 reiste die Familie Bertschinger zurück in die Schweiz.
In Wädenswil begann Lukas Bertschinger sich mit Obstbäumen zu befassen und machte Karriere an der Forschungsanstalt Wädenswil, einer damals noch selbstständigen Institution. Nach Reorganisationen und Fusionen mit verschiedenen landwirtschaftlichen Forschungsanstalten, schliesslich mit allen, die dem Bund gehörten, bildete sich die heutige Agroscope.
«Ich war Forschungsdirektor und wurde im Rahmen der Veränderungen entlassen, konnte aber eine andere Aufgabe übernehmen. Das war 2017. Ich merkte, dass ich mich noch weiterentwickeln wollte und habe meine eigene Firma gegründet: klb innovation GmbH macht Beratungen und Expertisen im Agrofoodbereich. Es geht mir immer darum, die Nachhaltigkeit zu fördern. Zudem war ich 2018 Mitgründer der Weinbauzentrum AG. Im November 2019 haben wir die Müller-Thurgau-Stiftung gegründet. Stifter waren die Stadt Wädenswil, die Standortförderung Zimmerberg, die ZHAW, die Tuwag Immobilien AG und ein paar Private.»
Die Stiftung unterstützt Forschungs- und Innovationsprojekte zur nachhaltigen Weiterentwicklung von pflanzlichen Ernährungssystemen, die mit Obst-, Wein- und Gemüsebau zu tun haben. Hier treffen sich die Anliegen von Müller-Thurgau und Bertschinger, dem Präsidenten dieser Stiftung.
Die Anliegen und Privates
«Ich möchte einen Beitrag an eine nachhaltige Landwirtschaft und Ernährung leisten, und dabei ist mir das Brückenbauen ein Anliegen. Das kann nur gelingen, wenn man die verschiedenen Aspekte wie Ökologie, Ökonomie und Soziales, die in einem landwirtschaftlichen Produkt stecken, zusammenbringen kann, so dass man davon leben kann.
Ein Beispiel: Wenn eine Bäuerin im Safiental lebt und in ihren Beruf ausüben möchte, muss sie sowohl die Umwelt, von der sie lebt, respektieren, als auch jedes Jahr genug Einkommen generieren können. Zudem braucht sie möglicherweise auch in dem sehr abgelegenen Tal ein soziales Umfeld, das sie und ihren Berufsstand respektiert. Was muss für Nachhaltigkeit erfüllt sein? Darüber denken viele Spezialistinnen und Spezialisten nach! Bedeutet es nur weniger Pestizide zu spritzen? Nein, man muss ein Produkt auch zu einem vernünftigen Preis verkaufen können. Die Anforderungen an die Produkte sind bei den Grossverteilern anders als beispielsweise im Bioladen. Zwibol, der lokale Bio-Produkte unverpackt anbietet, wird einen Apfel mit Flecken eher akzeptieren und verkaufen als der Grossverteiler.»
Lukas Bertschinger ist ein Mensch mit viel Engagement, voller Energie und Begeisterung für seine Anliegen, Anliegen, die uns allen am Herzen liegen sollten. Er ist auch ein Mensch mit einer privaten Seite, die ihm die Kraft dazu verleiht.
«Mit meiner Familie, meiner Frau Luzia, mit meinen Kindern David mit Yumna und Mona und Rahel gemeinsame Momente zu erleben, ist mir sehr wichtig. Ich mag es ausserdem gerne, mit Kollegen zu kochen, engagiere mit im Lions Club, spiele gelegentlich Piano, bin immer mal in Bewegung beim Schneesport, beim Wandern, Biken und in oder auf dem See. Ich mag es, kulturelle Veranstaltungen zu besuchen, die Politik zu verfolgen, gelegentlich alte und neue Freunde zu treffen und mit ihnen etwas zu unternehmen. Ohne all dies, ohne meine private Seite, wäre ich in meinem Beruf, für den ich zugegebenermassen viel Zeit aufwende, nicht voller Energie!»
Müller-Thurgau-Stiftung
Lukas Bertschinger sieht in seinem Engagement in der Müller-Thurgau-Stiftung eine Übereinstimmung mit seinen eigenen Anliegen. «Wir fördern die Innovation für Ernährungssystemen, die mit Wein-, Obst und Gemüsebau zu tun haben. Als Gründungsmitglied wünsche ich mir, dass diese Stiftung wächst und ihre Wirkung entfalten und damit ihren Zweck vermehren kann, das heisst mehr Projekte zu fördern, die in der Praxis Wirkung erzielen.»
Konkret bedeute das zum Beispiel, eine neue Methode zu entwickeln und zu fördern, die es erlaube, weniger Pestizid anzuwenden und dennoch verkaufbare Produkte mit einem guten Preis zu produzieren.
Ein weiteres Beispiel sei eine Methode, mit der man Traubentrester, der sonst nicht mehr verwendet werde, umwandelt in eine Folie, die wieder in der Landwirtschaft verwendbar ist.
Es gebe tonnenweise Themen und natürlich die Frage, welche man fördern wolle und wie man die Gelder dafür beschaffen könne (Projekte siehe www.muellerthurgaustiftung.ch).
«Darum bin ich lokal, regional, national und auch international immer in Kontakt mit Bauern und Verarbeitern, aber auch Forschungsinstitutionen und Geldgebern. Wir arbeiten auch mit den Verbänden zusammen, um Breitenwirkung zu erzielen. Wir sind eine nationale Stiftung.
Jubiläum
In diesem Jahr feiert die Stiftung zusammen mit verschiedenen anderen Organisationen ein Jubiläum, den 175. Geburtstag von Hermann Müller-Thurgau.
Aus diesem Anlass möchte man der Öffentlichkeit spannende Einblicke geben in dessen vielfältiges Schaffen und was er und seine Nachfolger damit bewirkt haben. Es soll auch eine Aufforderung sein in die Zukunft zu blicken und zu überlegen, in welche Richtung die Entwicklung der Ernährungssysteme geht.
Dafür sind diverse Aktionen geplant wie eine Ausstellung, Degustationen, Reb-Rundgänge, Velo-
Rundfahrten am Bodensee mit digitalen Infopunkten, ein Dokumentarfilm mit Vernissage, der an verschiedenen Orten gezeigt wird und auch von Schulen oder interessierten Vereinen und Organisationen gemietet werden kann. Am 24. Oktober gibt es ein Fest im Rosenmattpark in Wädenswil, und man verknüpft sich auch mit Nachbarswil, dem Nachbarschafts-Fest, das Richterswil und Wädenswil im September zusammen feiern (Kalender auf: www.erlebnismuellerthurgau.ch)
«Müller-Thurgau ist eine wirklich spannende Persönlichkeit», erzählt Lukas Bertschinger begeistert. «Er hat die Pasteurisierung von Obst- und Traubensäften erfunden. Das war eine Revolution! Die Leute haben damals Wasser getrunken oder Vergorenes, das alkoholhaltig war. Die Säfte wurden durch die Pasteurisierung plötzlich lange haltbar, hatten enormen Nährwert und schmeckten auch noch gut. Das war eine echte Innovation! Die ganze Saftindustrie beruht darauf, und heute ist das ein Business von umgerechnet jährlich 50–100 Milliarden Franken. Dies ist ein Beispiel dafür, dass Müller-Thurgau eine spannende Persönlichkeit mit Wirkung ist, dessen Geschichten wir erzählen möchten.»
Lukas Bertschinger ist eine nicht minder spannende Persönlichkeit, das möchte doch noch festgehalten werden. Er ist auf verschiedensten lokalen, nationalen und internationalen Ebenen aktiv, immer mit pflanzlichen Ernährungssystemen und ihren Menschen befasst und darum bemüht die nötigen Brücken zu bauen.