Richterswil

Richterswil fordert Prüfung alternativer Leitungs­führung bei Spannungserhöhung durch Swissgrid AG

Am Mittwoch, 30. Oktober 2024, informierte der Gemeinderat Richterswil über die Absicht der Firma Swissgrid AG, die Spannung auf der Hochspannungsleitung Samstagern von 150 auf 220 Kilovolt (kV) zu erhöhen. Am öffentlichen Anlass nahmen in erster Linie betroffene Grundeigentümerinnen und Baurechtsnehmer teil. Auch die Gemeinde Richterswil ist mit ihren Schulanlagen in Samstagern von der geplanten Anpassung betroffen.

Die Swissgrid AG baut seit September 2022 die 150-kV-Leitung am linken Zürichseeufer aus. Neu soll auf der bestehenden Hochspannungsleitung, die direkt durch dicht besiedeltes Gebiet und über Schul- und Betreuungsanlagen in Samstagern führt, Strom mit einer Spannung von 220 kV transportiert werden.
Die aktuellen Bauten halten die gesetzlich vorgesehenen Abstände für eine 150-kV-Leitung ein. Die Verordnung über den Schutz vor nichtionisierender Strahlung (NISV, SR 814.710) verlangt für neue 220-kV-Hochspannungsleitungen jedoch erweiterte Abstandsvorgaben, die bei den bestehenden, gesetzeskonformen Bauten zukünftig nicht mehr erfüllt wären. Die Swissgrid vertritt die Position, dass die aktuell geltenden Abstandsregelungen auf diese bestehenden Bauten nicht anwendbar seien, da die Masten bereits in den 1980er-Jahren auf eine Spannung von 220 kV ausgelegt wurden.
Die Gemeinde Richterswil hat gegenüber der Swissgrid AG allerdings wiederholt eine abweichende Auffassung deutlich gemacht.

Schutz der Bevölkerung steht für Gemeinde im Vordergrund

Wie Gemeinderat Marcel Tanner dieser Zeitung gegenüber den Einwand der Gemeinde erläutert, seien die Abstandsvorgaben zu Hochspannungsleitungen mit einer 220-kV-Spannung nicht ohne Grund höher. Die betroffene Leitung führt vom Unterwerk in der Weberrütistrasse durch das Industriegebiet, über den Allmendweg, die Bergstrasse und ab der Eggstrasse nach Wädenswil, also über Fabriken, Schulen, Kindergärten und Wohnviertel. «Swissgrid vertritt die Meinung, dass es keine Rolle spiele, ob Arbeitende acht bis zwölf Stunden in Leitungsnähe arbeiten, zur Schule gehen oder gar im betroffenen Gebiet wohnen. Dieser Meinung ist der Gemeinderat ganz und gar nicht», stellt Tanner klar. Um die Gesundheit der Bevölkerung zu schützen, wünscht sich die Gemeinde eine Verlegung in den Boden, was kostspielig ist.
«In ihrem Prospekt propagiert Swissgrid ihre Massnahmen, um Flora, Fauna und Umwelt zu schützen, aber hier in Samstagern spielt es offenbar keine Rolle, wenn ein paar hundert Menschen unter der Hochspannung leiden», ärgert sich der Gemeindepräsident. Allein die Tatsache, dass es weit aufwändiger und teurer ist, eine 220-kV-Leitung in den Boden zu verlegen als eine mit 150 kV, lässt aufhorchen. «Da habe ich doch noch viel grössere Bedenken, wenn Starkstrom über ein Wohnquartier führen soll», so Tanner.
Sowohl die Erhöhung der Spannung wie die Frage, wer bei einer Bodenverkabelung die Kosten dafür tragen soll, sind seit zwei Jahren Diskussionspunkte zwischen der Swissgrid AG und der Gemeinde.
Ein weiterer Punkt, weshalb die Gemeinde die überirdische Starkstromleitung ablehnt, ist der Lärm, den eine solche Leitung verursacht. Ist die Luft feucht, neblig, es nieselt oder schneit, dann ist neben einem hochfrequenten Knistern und Prasseln auch ein tiefes Summen zu vernehmen, das sogar bei geschlossenen Fenstern noch zu hören ist. «Es gibt eine Starkstromleitung entlang der Seelistrasse. Wenn ich dort mit dem Hund bei entsprechenden Wetterverhältnissen spazieren gehe, dann empfinde ich diese Geräuschkulisse als sehr unangenehm und auch unheimlich», gesteht der Gemeindepräsident.

Hoffen auf gemeinsamen Nenner

Doch benötigt Swissgrid das Einverständnis der Gemeinde, um die Spannung auf 220 kV zu erhöhen? «Nein», erklärt Marcel Tanner, «jedoch sind die Dienstbarkeitsverträge zwischen dem Netzwerkbetreiber und den Grundeigentümern auf 150 kV ausgelegt. Diese laufen 2031 aus, und die Swissgrid AG würde die Verträge gerne so rasch als möglich erneuern.» Und dies lehnt die Gemeinde ab.
Sie hätten nun die einmalige Chance, sich gegen 220 kV zu wehren und die Bodenverlegung zu fordern. Das Argument der Gemeinde ist simpel: «Swissgrid betreibt schweizweit für den Bund ein Starkstromnetzwerk», so Tanner, «der Strom, der durch diese Leitungen fliesst, wird verkauft. Swissgrid geht von 70–100 Millionen aus, welche die Bodenverlegung kosten würde. Bei der immensen Menge an verkauftem Strom würde das schweizweit gerade mal einen Betrag weit unter einem Rappen ausmachen, um diese Kosten zu decken.»
Die Erhöhung der Spannung hat die Netzwerkbetreiberin auf Ende 2025 geplant. Sollte Swissgrid nicht auf die Anliegen der Gemeinde eingehen, bleibt alles beim Alten. Der Worstcase wäre, dass trotzdem – unerlaubt – 220 kV geführt werden, dann müsste die Gemeinde Messungen durchführen lassen und gerichtlich wegen der Nichteinhaltung der Dienstbarkeitsverträge vorgehen.

Haltung von Gemeinde und Allmendkorporation

Für die Spannungserhöhung sind Anpassungen am Unterwerk Samstagern sowie das Versetzen eines Hochspannungsmasts im Landwirtschaftsgebiet erforderlich. Beide Massnahmen bedürfen eines behördlichen Genehmigungsverfahrens. Zusätzlich müssen die bestehenden Dienstbarkeitsverträge auf die geplante Spannungserhöhung angepasst werden, da diese nur für 150 kV ausgelegt sind.
Über die Haltung der Gemeinde, die rechtlichen Optionen für die Gemeinde, Grundeigentümer und Baurechtsnehmerinnen sowie die nächsten geplanten Schritte informierte Gemeindepräsident Marcel Tanner gemeinsam mit dem beauftragten Rechtsanwalt Simon Osterwalder, Anwaltskanzlei Bratschi AG, Zürich, an der Informationsveranstaltung vom 30. Oktober 2024. Auch Urs Baumann, Präsident der Allmendkorporation, welche einen grossen Teil der Grundstücke im betroffenen Gebiet besitzt, war anwesend.
Die Gemeinde Richterswil erteilt unter den aktuellen Bedingungen eines Ausbaus kein Einverständnis zur geplanten Spannungserhöhung. Gemeinsam mit der Allmendkorporation sowie allfällig weiteren betroffenen Grundeigentümerinnen und Grundeigentümern verfolgt die Gemeinde das Ziel, eine alternative Leitungsführung zu prüfen. rb/Ri

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