Wädenswil

Der Gospelchor Wädenswil feiert zwei Jubiläen

Der Gospelchor Wädenswil feiert sein 30-jähriges Bestehen. Seit 20 Jahren leitet die Pianistin Adeline Marty den Chor, der vom Wädenswiler André Burnand gegründet wurde. Sie hat Wesentliches zu seinem erfolgreichen Weiterbestehen beigetragen.

Text & Bild: Ingrid Eva Liedtke

Die gebürtige Malaiin Adeline ­­Marty-Manikam leitet seit 20 Jahren den Gospelchor Wädenswil. Dieser wurde vom André Burnand gegründet und nach einer Übergangszeit von Adeline Marty übernommen.
Adeline Marty ist sicher ein sehr musikalischer Mensch. Doch als besondere Eigenschaft sieht sie ihre Menschlichkeit. Sie sagt von sich: «Ich bin sehr friedliebend. Menschlichkeit steht für mich immer an erster Stelle.»
Voller Stolz verweist sie auf ihren Sohn, der sage, er habe von ihr gelernt, dass in jedem Menschen etwas Gutes stecke – man müsse nur genau hinschauen.
«Selbstbezogenheit, gar Egoismus, mag ich nicht. Menschen, die nicht teilen können, finde ich furchtbar. Es gibt so viele Menschen, denen es nicht so gut geht wie uns, Menschen, die auf der Flucht sind, weil in deren Land Krieg herrscht. Ich möchte helfen, teilen. Man muss ihnen eine Chance geben!»
In der Folge wird klar, dass Musik für die Chorleiterin auch eine Art Mittlerin ist, ein Einstieg in Gemeinschaft, die durch den Klang Verbundenheit findet.
Da sie sich als sehr privilegiert und gesegnet fühlt, sieht Adeline Marty sich zum Helfen veranlasst. «Ich unterrichte zum Beispiel ein Mädchen aus der Ukraine am Klavier. Das Mädchen lebt hier mit ihrem Bruder, mit Mutter und Grossmutter. Sie vermisst ihren Vater sehr und möchte unbedingt nach Hause zurückkehren. Musik kann helfen, wenn man eine Beziehung dazu hat. Musik hilft auch, Depressionen zu vermeiden.»

Werdegang

Adeline Marty schloss am Trinity College of London ihr Klavierstudium mit zwei Diplomen ab. Ihre Leidenschaft für die Musik zeigt sich auch in einer grossen Bandbreite: von Barock bis Romantik, von Musical über Gospel zu Jazz. Ihr Können beweist sie nicht nur am Klavier, sondern auch bei der Chorleitung und als Arrangeurin.

Seit 1999 lebt die engagierte Musikerin in Feusisberg. Sie hat drei Kinder. Adeline Marty hat sich als subtile und verlässliche Pianistin von Vocal- und Instrumental-Solisten (Reto Hofstetter, Erwin Füchslin, Christian Enzler, u.w.) und Chören, sowie als Organistin und Klavierlehrerin etabliert. Ihre zweite Leidenschaft gilt den drei Chören, die sie mit sehr viel Engagement und grossem Erfolg führt (Höchstauszeichnungen an diversen Gesangsfestivals).

Der Zugang zu Musik

«Früher waren es eher die gebildeten Menschen, die sich Musik ‹leisten› konnten. Es gehörte in gewissen Kreisen zum guten Ton, ein Instrument spielen zu lernen. Doch den Unterricht konnten sich nur wenige Privilegierte leisten. Hier in der Schweiz können durch die Musikschulen beinahe alle einen Zugang finden. Zudem glaube ich, dass Musik in vielen Kulturen einen wichtigen Part spielt – vor allem auch das Singen, das allen Bevölkerungsschichten zugänglich ist. Chöre werden zum Beispiel in der Ukraine oder in Russland sehr gepflegt. Tanzen und singen haben an vielen Orten eine lange Tradition.
«Musik kann berühren und kann so viel geben. Darum bedeutet es mir zum Beispiel sehr viel, Musik in ein Altersheim zu bringen, mit einem Chor oder auch in Instrumentenformation. Es ist sofort spürbar, wieviel zurückkommt auf das, was wir mit Musik vermitteln. Selbst Menschen mit Demenz sind erreichbar. Das berührt mich sehr», so die Musikerin.
Aline Marty ist katholisch aufgewachsen. Das bedeutete für sie auch, mit dem «Bösen» aufzuwachsen. «Ich habe Angehörige, die glauben, dass immer, wenn etwas Schlechtes passiert, der Teufel dahinterstecke. Aber ich bin ein skeptischer Mensch. Das war schon immer so. Ich denke sehr viel nach, reflektiere und hinterfrage auch.»

Musik im Blut

Die Kinder von Adeline Marty haben alle Musik im Blut. Sie komponieren, singen und spielen Instrumente. «Das ist mir sehr wichtig», versichert sie. «In jeder Lebenssituation wird bei uns Musik gemacht, an meinem Geburtstag, an der Gedenkfeier für meine Eltern, am Geburtstag meiner Tochter.»
Martys Tochter Jennifer steht ihr bei den Chorproben und auch bei Konzerten oft als Assistentin zur Seite. Wenn sie den Gesang am Klavier begleitet, dirigiert öfters die Tochter.
«Diese Liebe zur Musik konnte ich weitergegeben. Das freut mich so sehr.» Diese komme von ihrem Vater, der Kirchenmusiker gewesen sei.
Das musikalische Blut hat Adeline Marty also geerbt. Ihre Mutter hat sich immer um Leute gekümmert und ihnen geholfen. Die Pianistin erinnert sich: «Sie war sehr menschlich, christlich und sehr grosszügig. Sie war ein Vorbild für mich und meinen Bruder. Auch das hat uns geprägt. Sie folgte dem Wort Jesu und war dadurch auch ein positives Beispiel für Christlichkeit. Ich bin immer noch sehr stolz auf sie.»

Musik findet den Zugang zur Seele

«Eigentlich bin ich und auch meine Familie ‹scientific thinkers›», denkt Adeline Marty laut nach. «Und doch», so sinniert Marty weiter, «dass Klang so tief berühren kann, findet auf einer anderen, nicht beweisbaren Ebene statt!»
Musik ist mehr als Singen und ein Instrument spielen, mehr als ein Orchester oder einen Chor dirigieren. Musik findet den Seelenzugang. Das bestätigt die leidenschaftliche Musikerin: «Vielleicht geschieht das durch Wellen? Ich weiss nur, dass ein resonanter, schöner, reiner Klang, zum Beispiel von einem Jodel in den Bergen, mich so berühren kann, dass ich weinen muss.»
Als sie mit dem Gospelchor begonnen habe, sei der Jodel gar nicht ihr Ding gewesen. Doch dann, vor etwa 17 Jahren, sei vom Glarner Jodelklub eine Einladung für ein gemeinsames Projekt gekommen. «Ich musste den Chor davon überzeugen, etwas Neues zu wagen. Einige waren tatsächlich nicht so begeistert, auch weil sie teilweise an ihre Wurzeln erinnert wurden.»
Trotzdem war das Projekt ein Erfolg. «Eine Chorsängerin sagte zu mir: ‹Ich danke dir. Ich habe diese Berg-Musik immer abgelehnt. Dann dachte ich, wenn Adeline das schön findet, muss etwas dran sein. Heute denke ich anders!›», erzählt Marty, und die Freude steht ihr ins Gesicht geschrieben. «Ich bin so stolz darauf, diesen Einfluss gehabt zu haben. Ich habe meinen Leuten ihre eigene Volksmusik wieder näherbringen können.»

«Tun, was mir gefällt»

In ihrem Job als Musikerin fühlt sich Adeline Marty privilegiert, denn sie kann tun, was ihr gefällt.
«Das ist ein grosses Glück!», sagt sie. «Ich weiss, es gibt viele Musiker, die unterrichten müssen, um Geld zu verdienen. Ich liebe es! Alles, was ich tue, mache ich mit Leidenschaft. Ich leite auch einen Kinderchor.»
Ob die Schweiz ein schwieriges Pflaster für Kreative, im Speziellen für Musiker ist, das kann Adeline Marty nicht beurteilen. Das Gefühl, in einer privilegierten Situation zu sein, ist aber sehr präsent, und sie glaubt, dass sie in ihrer Arbeit so hingebungsvoll sein kann, eben weil sie wählen kann.

Die Arbeit mit dem Gospelchor Wädenswil

Adeline Marty leitet den Gospelchor Wädenswil seit 20 Jahren. Sie beschreibt sich als zielstrebig und genau, und darum ist es ihr Anliegen, zusammen mit Menschen zu arbeiten, die ihre Leidenschaft teilen, mit ihnen gemeinsam eine Entwicklung durchzumachen, etwas aufzubauen. Darin ist sie sehr ausdauernd, sagt sie, und davon zeugen auch ihre langjährigen Engagements: Seit 10 Jahren leitet sie den Frauenchor Einsiedeln, seit 23 Jahren den Kinder- und Jugendchor in Feusisberg und seit 20 Jahren den Gospelchor Wädenswil. Vor allem in einem Chor brauche es Zeit und Geduld, weil nie alle gleich schnell seien. Zu erreichen gilt es unter anderem einen schönen und ausgeglichenen Chorklang, rhythmische Präzision und eine gute Intonation.

Prozess von 20 Jahren

«Der Gospelchor ist nicht der gleiche wie vor 20 Jahren», erklärt sie dessen Entwicklung. «Als ich den Gospelchor 2004 übernommen habe, war die grösste Herausforderung die, alle glücklich zu machen. Das war keinesfalls einfach für mich, denn nicht alle teilten meine Absichten. Einige der Chormitglieder wollten einfach frei sein und singen. Aber es gab auch die Sängerinnen und Sänger, denen es wichtig war, etwas zu erreichen. Das ist Arbeit. Seither hat sich der Chor sehr verändert. Es sind nur noch zwei Leute dabei, die schon vor 20 Jahren dabei waren. Wir alle wollen etwas erarbeiten.»
Jetzt – so Marty – ist die grosse Frage und Herausforderung, ob und wie man sich auf diesem Niveau noch verbessern kann. «Momentan geht es darum das Niveau zu halten und ein Programm zu gestalten, das immer wieder neu ist.»

Qualitativ hoch­stehendes Programm

Die qualitativen Ansprüche von Adeline Marty und dem Gospelchor Wädenswil und deren gesangliche Umsetzung haben schon zu zahlreichen Auszeichnungen geführt.
Der Bekanntheitsgrad des Chores ist hoch, darum wurde der Name auch beibehalten, obwohl nicht nur Gospel zum Besten gegeben werden.
«Gospel and more», so Marty, wäre eine passendere Bezeichnung. Denn der Chor singt neben Gospel auch Jazz, Musicals, klassische Lieder, Folksongs, Film-Musik und Weihnachtslieder (Christmas-Standards).
Zum 30. Jubiläum beinhaltet das Programm alle Genres, es ist ein «Best of» der letzten 20 Jahre.

Geist der Menschlichkeit

Um den Kreis zu ­schliessen kehren wir zurück zur Menschlichkeit. «Sie verbindet unseren Chor, wie ein Geist, der über allem schwebt. Dieser nährt unseren Team-Geist wunderbar. Wir fahren alle auf der gleichen Schiene, was unseren musikalischen ‹point of view› angeht. 44 Leute schauen in dieselbe Richtung und streben zum selben Ziel. Das ist wichtig im musikalischen Prozess und ein grosser Bonus. Auch der Vorstand ist sehr engagiert. Das macht meinen Job zu einem grossen Vergnügen», schwärmt sie. «Wir sind in der Balance.»

Nachwuchs

Auch für Nachwuchs ist gesorgt. «Wir haben sogar gute Männerstimmen, was aussergewöhnlich ist. Der Nachwuchs rückt aus dem Jugendchor Feusisberg nach, erzählt Adeline Marty mit leuchtenden Augen. «Dieses Jahr werden zwei junge Männer die Gelegenheit haben, zum ersten Mal mit uns aufzutreten. Sie sind 15 Jahre alt, zwei junge Bässe! Ist das nicht schön?»

Neue Ziele?

Adeline Martys Leben scheint auch in der ­Balance zu sein. Sie hat keine neuen, konkreten Ziele für die Zukunft, denn sie ist sehr glücklich mit ihrem Leben und möchte so weitermachen können. Sie reist gerne, freut sich an ihrem Familienleben – seit 6 Monaten ist sie auch Grossmutter – und freut sich an der Musik und der Musikalität der Familie, mit der sie gerne viel Zeit verbringt.
«Ich wünsche mir gesund zu bleiben, um all das, was ich liebe, weiter zu tun», ist Adeline Martys Resumée.

Jahreskonzert des Gospelchors Wädenswil:
Samstag, 7. Dezember, 19.30 Uhr, Jugendkirche ­Einsiedeln;
Sonntag, 8. Dezember, 17.00 Uhr, Ref. Kirche Wädenswil.
Für die Jubiläumskonzerte wird der Trompetenspieler Erwin Füchslin aus Einsiedeln mit dabei sein.
Weitere Informationen unter: www.adeline.ch und www.gcw.ch

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