Feuilleton Wädenswil

Der Uhrmacher des Zaren – ein historischer Roman

Roger Nicolas Balsiger ist Chronist der Familie Moser und hat nun einen Roman zu seiner bewegten Familiengeschichte geschrieben. Die Lesung dazu wurde von der Lesegesellschaft Wädenswil in Kooperation mit der Historischen Gesellschaft Wädenswil HGW organisiert. Sie fand im Schloss Au statt.

Text & Bild: Ingrid Eva Liedtke

Der historische Saal im Schloss Au ist bis auf den letzten Platz besetzt. Judith Hollay Humm von der Lesegesellschaft begrüsst erfreut die vielen Besucher zur Saisoneröffnung und preist das Werk von Roger Nicolas Balsiger als spannenden Auszug aus der Uhrengeschichte sowie der Schweizer Geschichte an. Da der Abend in Kooperation mit der Historischen Gesellschaft Wädenswil organisiert wurde, findet auch der Historiker Adrian Scherrer begeisterte Begrüssungsworte.

Ein Bild von General Werdmüller (17. Jahrhundert) an der hinteren Wand des Vortragssaals inspiriert ihn dazu, ein paar Daten zur Entstehungsgeschichte des Schlosses zum Besten zu geben und in diesem Zusammenhang auch auf die Familie Moser zu verweisen. 1887 hat Baronin Moser von Sulzer-Wart das Schloss gekauft und hier mit den Töchtern Fanny und Mentona gewohnt. Sie sind Protagonistinnen im Roman ihres Urenkels Roger Nicolas Balsiger, zu dessen Lesung man sich eingefunden hat.

Die Geschichte einer verrückten Familie

Als Chronist hat Roger Nicolas Balsiger Biografien über diese wichtigen Menschen seiner Familie verfasst. Doch als sein Lebensprojekt sieht er diesen historischen Roman, den er nun geschrieben hat. Der Inhalt entspreche zu 90 Prozent der Wahrheit, sagt er, ebenso die Namen.

Roger Nicolas Balsiger, der selber auch schon ein stattliches Alter erreicht hat, braucht zum Lesen eine Lupe. Er liest Passagen aus seinem Familien-Roman vor. Vorher erklärt er die einzelnen Szenarien: Alles fing mit Heinrich Moser an, der eine Lehre bei seinem Vater gemacht hatte, in Le Locle die Meisterlehre absolvierte und dann 1828 im Ausland sein Glück versuchte. Als Zar Nikolaus der 1. einen Uhrmacher suchte, weil seine Reise-Uhr, die er von seiner Frau geschenkt bekommen hatte, nicht mehr ging, wurde Moser zum «Uhrmacher des Zaren».
Daraufhin feiert er berufliche Erfolge in Russland, heiratete 1831 und hatte mit seiner Frau vier Kinder. 1848 kehrt er in die Schweiz zurück, während seine Geschäftstätigkeit durch einen Vertrauten weitergeführt wird. In Schaffhausen begann er seine weitere Uhrentätigkeit aufzubauen.

Fanny von Sulzer-Wart wurde nach dem Tod von Mosers ersten Frau seine neue Lebensgefährtin. Sie war über 40 Jahre jünger als Heinrich Moser. Balsiger beschreibt, wie Heinrich Moser zu deren Vater nach Winterthur fährt, um ihre Hand zu erbitten. Die Winterresidenz des Barons von Sulzer-Wart wird beschrieben, sowie der Baron, der übel gelaunt und ungepflegt auftritt. Er gibt seine Erlaubnis nicht. Trotzdem heiratete Moser am 28.12.1870 Fanny in Nizza. Er war 65, sie zarte 22. Verwandte beider Familien waren keine zugegen.

Ein weiteres Szenario

Der Persische Schah machte 1873 eine dreimonatige Reise durch Europa. Der Schweizer Bundesrat hatte Mühe, eine Begleitung für ihn zu finden, entschied sich schliesslich für Henry Moser, den Sohn Heinrichs, als Reisebegleitung. Der Schah wurde dabei natürlich darauf aufmerksam gemacht, dass die Schweiz nicht nur Käse, sondern auch gute Uhren herstellt, und zwar nicht nur in der Westschweiz, sondern auch in Schaffhausen. Der Schah empfand den jungen Moser als Begleitung als gewandt und meinte, dass dieser sich gut in die persische Mentalität einzufühlen vermochte. Henri ist der einzig Sohn Heinrichs und wurde durch den Tod seiner Mutter früh zum Halbwaisen. Er wurde ein Weiberheld, und er verursachte einige Skandale. Daher wurde er vom Vater nach Russland zwangsversetzt. Auch dort gab es Skandale um Henry und er wurde vom Vater aus der Firma entlassen. Darum versuchte er sich in anderen Geschäftsbereichen, wie der Seidenraupenzucht. Der finanzielle Zusammenbruch folgte – und weitere Vorwürfe des Vaters. Die familiären Verstrickungen, die oft auch den strengen Anschauungen dieser Zeit geschuldet waren, offenbaren sich und auch das Leid, das dadurch verursacht wurde. Der Sohn wurde krank, später der Vater.

Frauenlinien

Balsiger verfolgt aber auch die Frauenlinien der Familienchronik. Da ist Fanny Moser, die ihrer jüngeren Mentona vorgezogen wurde. Die Mutter, die den tröstlichen Paradiesgarten zerstören lässt und die Amseln erschiessen lassen will.
Mentona suchte Distanz zu der Mutter, musste sie dann aber doch auf Reisen begleiten. Es kommt zum Selbstmordversuch und Spannungen, die nicht weniger wurden. Die von der Mutter bevorzugte Fanny promovierte in Naturwissenschaften und wurde Zoologin. Bekannt war sie auch wegen ihrer Neigung zu spiritistischen Sitzungen.

Die Verhältnisse dieser Zeit direkt erzählt

Historisch interessant sind sicher die im Roman aufgezeigten sozialen Verhältnisse dieser Zeiten. Das Gefälle von Mann zu Frau, von Eltern zu Kindern, von Söhnen und Töchtern werden offenkundig. Die Hierarchien in den noblen Kreisen treten klar zutage.

Das Buch hat eine direkte erzählerische Sprache, ohne Schnörkel. Es ist nicht so sehr ein literarisches, wie eben doch eher ein historisches Werk, wenn auch in Form eines Romans, das gute Einblicke in diese Familiengeschichte gewährt.

Historische Quellen

Fragen zum Schreibprozess aus dem Publikum offenbaren noch ein paar interessante Details zu den historischen Quellen. Entscheidende Informationen, so der Autor, gewann er durch die vielen Briefe, die noch erhalten sind. Darauf fussen auch die Vater-Sohn-Gespräche von Heinrich und Henri, die dann natürlich fiktiv seien.

Im Anschluss an die Lesung folgte ein gemütlicher Apéroteil mit Buchtisch von Kafisatz, wo das Werk direkt zu erstehen war und ist.

Roger Nicolas Balsiger wird mit einem Schaumwein des Weinbauzentrums Wädenswil verdankt, der nach traditioneller Methode aus Pinot-Noir-Trauben der Halbinsel Au hergestellt wurde.

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