Wädenswil

Das Heilige im Alltag

Für Pfarrer Frank Lehmann ist Kirche überall dort, wo sich Menschen himmlisch beschenken lassen und andere Menschen himmlisch beschenken.
Frank, viele Menschen denken bei Kirche an das Gebäude im Zentrum der Stadt. Wo ist sie für Dich?
Wenn ein Fremder fragt: «Wo ist die Kirche?», dann weisen die Menschen ihn wahrscheinlich zum Kirchgebäude. Oder sie denken ans Kirchenpersonal. Aber was war zuerst? Die Menschen, welche sich von Jesus von Nazareth anstecken liessen! Sie begannen, ihre Hoffnung und ihr Vertrauen auf die Kraft der Liebe zu teilen. Überall, wo Menschen adventlich-erwartungsvoll unterwegs sind, wo sie sich himmlisch beschenken lassen und andere Menschen himmlisch beschenken, ist «Kirche». Und dort, wo sie die Schönheit der Schöpfung sehen und ehren.

Wo zeigt sie sich so gesehen im Alltag?
Drei Beispiele:
• In der Nachbarschaft kümmert sich jemand zuverlässig, regelmässig, treu um einen Nachbarn, dessen Leben sich nach dem Tod seiner Frau radikal verändert hat.
• Es gibt in jeder Gruppe diejenigen, die abseitsstehen, weil niemand zu ihnen gehören mag. Aber eine Jugendliche hat es sich zur Aufgabe gemacht, genau diese Menschen überall hin einzuladen und mitzunehmen – egal, was die andern davon und von ihr halten.
• Ein Chef eines Unternehmens investiert seit Jahrzehnten all seine Kraft darin, dass sein Unternehmen floriert und die Menschen, die dort arbeiten, nicht nur ihren ordentlichen Lohn haben, sondern auch ein Umfeld, in dem sie als Mensch gesehen werden und wo man sie auch mal durch Krisenzeiten trägt.

Woran machst Du das fest?
Jesus selbst ruft die Menschen kein einziges Mal zu irgendeiner Veranstaltung in irgendein heiliges Haus: Er ist in Bewegung, er begegnet den Menschen an den Orten, wo sie sind. Manchmal macht er ihnen bewusst, dass ihre religiösen Rituale leer, hohl und gottlos sind, ein andermal lässt er sie spüren, dass Gott ihnen schon jetzt ganz nah ist, in ihrer Sehnsucht, ihrem Tun, ihrer Liebe zu den Nächsten.
Wenn man nach biblischen Bezügen suchen würde:
Matthäus 25: «Was Ihr einem dieser geringsten Menschen (nicht) getan habt, das habt Ihr mir (nicht) getan.» Vielen, die den Menschen Gutes getan haben, ist gar nicht bewusst, dass sie damit Gott gedient hatten.
Römer 12, 1: Das einzige Mal, wo das Wort Gottesdienst im neuen Testament vorkommt, meint es: Sein eigenes Leben, seinen ganzen Leib, in den Dienst Gottes zu stellen – im Alltag!

Wie erkenne ich das Heilige in meinem Leben?
Menschen, die durchaus christlich leben und einen Glauben der Tat haben, empfinden sich oft als ausserhalb der Kirche, weil sie nicht an den offiziellen kirchlichen Veranstaltungen teilnehmen. Daran ist die institutionelle Kirche schuld: Sie denkt veranstaltungszentriert und ist insbesondere auf den Sonntagsgottesdienst fokussiert. Dabei sind die Grenzen der wahren Kirche unsichtbar, sowohl nach innen als nach aussen. Man sollte nie von «Kerngemeinde» sprechen, denn man kann nie wissen, wo der Kern ist. Zum Glück gibt es ganz viele Kerne, oft unerkannt und weit verstreut.

Wie lasse ich das Heilige im Alltag zu?
Im «Unser Vater» beten wir seit 2000 Jahren: «Dein Reich komme, sowohl im Himmel als auf Erden.» Es wäre ziemlich ungläubig anzunehmen, dass davon noch nichts da wäre. Ich soll damit rechnen, dass das «Reich Gottes», das Heilig-Ewig-Göttliche, schon längst da ist. Ich soll meine Sinne dafür schärfen, erwartungsvoll-adventlich leben, damit rechnen und mich daran freuen.

Wenn das Heilige, die Kirche überall ist – braucht es dann die Grubenmann-Kirche in Wädenswil noch?
Zuerst waren die Menschen. Dann haben sie ihr Zusammensein organisiert. Dann haben sie sich um Räume gekümmert. Für den christlichen Glauben und für das Heilige im Alltag braucht es die Kirche als Gebäude nicht. Allerdings hat unser Kirchengebäude für viele Menschen eine Bedeutung als Wahrzeichen, vielleicht auch als Hoffnungsträger. In diesem Gebäude konzentrieren sich viele Momente und Erfahrungen, wo Erdenleben und Himmelshoffen ganz nah beieinander sind. Umgekehrt hindert diese Konzentration manche Menschen daran, das Heilige im Alltag zu sehen.

Wie siehst Du die Zukunft der ­Reformierten Kirche in Wädenswil?
Wenn wir auf die Mitgliederentwicklung der grossen Religionsgemeinschaften in der Schweiz schauen, so sieht es für uns nicht beruhigend aus: Die Reformierten verloren in den letzten 50 Jahren mehr als die Hälfte der Mitglieder. Falls diese Entwicklung weitergeht, so leben unsere Nachkommen gemäss einem Diagramm des Bundesamts für Statistik in 50 Jahren in einem Land mit 60% islamischer Bevölkerung und noch etwa 8% Reformierten. Diese werden kaum noch in der Lage sein, den Unterhalt von Kirche und Kirchgemeindehaus zu stemmen.
Aber die Kirche als Gemeinschaft von Menschen, die ihre Hoffnung und ihr Vertrauen teilen, die ihre Mitmenschen tatkräftig unterstützen, wo es notwendig ist, diese Kirche wird es auch dann noch geben.

Interview: Hansjörg Schmid, Kirchenpfleger Reformierte Kirche Wädenswil

Agenda

Sa, 26.10.24 Orgelmusik zur Marktzeit: «Orgel und Saxophon»
mit Frédéric Champion, Orgel, und Simon Engel, Saxophon
11.00–11.30 Uhr, ref. Kirche Wädenswil
Di, 05.11.24 Pasta-Zischtig – Zäme ässe für Jung & Alt, Gross & Chlii
Anmeldung per Whatsapp/SMS bis Vortag: Tel. 079 324 97 79,
Fr. 5.–/Person, Kinder unter 10 Jahren gratis
12.15-13.15 Uhr, Kirchgemeindehaus
Di, 05.11.24 PopUpStubete – Infos auf www.popupstubete.ch
19.00–20.30 Uhr, Kirchgemeindehaus
Sa, 09.11.24 FamilyChurch mit Kasperlitheater Tüpflirund
16.00 Uhr, ref. Kirche Wädenswil
So, 17.11.24 RockGottesdienst mit anschliessendem Apéro
17.00 Uhr, ref. Kirche Wädenswil

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