Richterswil

Kinderbetreuung neu gedacht: ­Richterswiler mit innovativer App

Ein Richterswiler möchte mit seiner App den Gemeinschaftsgedanken bei der Kinderbetreuung aktiv umsetzen. Im erweiterten Sinne des aus Afrika stammenden Sprichwortes: Um ein Kind zu erziehen, braucht es ein ganzes Dorf.

Text & Bild: Reni Bircher

Welche Eltern kennen das nicht: gerne möchte man beim Frisör die Haare wieder mal in einen «handlebaren» Zustand trimmen lassen, ohne das Gefühl zu haben, gleich mit feuchtem Kopf wieder aus dem Salon stürzen zu müssen. Oder lauschige zwei Stunden mit dem Partner verbringen, ohne dass es bereits aus dem Babyfon brüllt, noch bevor der erste Bissen des feinen Essens auf dem Tisch die Lippen berührt hat. Und eine Erkältung oder Krankheit macht nicht vor einem Halt, nur weil man Kinder hat.
Es sind kleine Zeitinseln, welche manchmal im Alltag Erziehender nicht abgedeckt werden können, sei es, weil die Freundin arbeitet, die (Gross-)Eltern zu weit weg wohnen, kurzfristig niemand einspringen kann.
Solchen Problemen bzw. Herausforderungen wurde sich Raffael Santschi bewusst, als er selbst Vater wurde. Er lebt mit seiner Familie im Herzen von Richterswil und als die Kinder noch klein waren, besprach er mit seiner Frau, wie praktisch es wäre, wenn sie manchmal auch kurzfristig auf jemanden zurückgreifen könnten, der sich um die Kinder kümmert.

Von passiv zu aktiv

«Vor allem wenn die Kinder noch klein sind, ist es zeitweilig schwierig selbst Kleinigkeiten in Ruhe zu erledigen», erinnert sich Raffael. Dann beginnt das Nachrichtenschreiben, oft wendet man sich direkt an mehrere Personen, um sicher jemanden zu finden. Ein paar Tage später nimmt man eine Zusage an und muss dann die anderen entsprechend informieren. Ein anstrengender Koordinationsaufwand.
Der Software-Entwickler sah Handlungsbedarf, mit heutiger Technologie eine ideale Plattform zur Vernetzung von Menschen mit diesen Anliegen anzubieten.
So machte sich der junge Vater an die Aufgabe, eine App zu entwickeln, wo sich sowohl Unterstützung-Suchende wie Babysitter anmelden können. Zur konkreten Umsetzung der Idee kam es jedoch nicht, zu gross war die damalige Auslastung durch Beruf und Familie.
Das war vor sechs Jahren.
Nie aus dem Hinterkopf verschwunden, kramte Raffael Santschi vor einem Jahr seine alten Unterlagen hervor – verwarf jedoch alles und startete den Aufbau einer entsprechenden App neu. Der zweifache Vater investierte – unter Mithilfe anderer Tech-Versierter – viele Freizeit- und Abendstunden in die Entwicklung der Babysitter-App, bevor diese im vergangenen Herbst innerhalb des Familien- und Freundeskreises in die Testrunde startete.
«Wie das eben so ist, hatte die App ‹Kinderkrankheiten›, die es zu beheben galt», gesteht Raffael. Und geriet plötzlich unter Zeitdruck, gewisse Mängel auszumerzen, denn immer mehr Leute luden die App herunter und nutzten diese.

Warum eine neue Babysitter-App?

Der Unterschied zu gängigen Anbietern ist der, dass der Aufbau eines Unterstützungsnetzwerkes vorzugsweise im eigenen Familien- und Bekanntenkreis aufgebaut wird, um sich in herausfordernden Zeiten gegenseitig zu unterstützen und die Kinderbetreuung sicherzustellen.
Jedoch kann auch ein ausgewiesener Babysitter in Anspruch genommen werden, der entlöhnt wird. Ziel der Vernetzung ist jedoch nicht eine tagtägliche Abdeckung der Kinderbetreuung, sondern es dem Antragsteller zu ermöglichen, einzelne Termine wahrnehmen zu können.
Der Grundgedanke also: die Community mehr einbeziehen, die Menschen zur Mithilfe zu bewegen. Deshalb ist die App auch gratis. «Natürlich habe ich schon einige hundert Stunden in diese Arbeit investiert», offenbart Raffael. Je nachdem wie gross dieses Angebot wächst und genutzt wird, müsste vermutlich schon einmal ein Geldfluss stattfinden, um die Dienstleistung weiter betreiben zu können. «Der Helfergedanke ist derzeit jedoch vorrangig», lächelt er.

Gezielte Suche

Um eine Anfrage zum Kinderhüten auszusenden oder anzunehmen, muss man sich über die App registrieren. Die Suche kann öffentlich für alle ersichtlich oder privat in einer bestimmten Gruppe (Familie; Übernachtung; Mittagessen; Babysitter usw.) eröffnet werden. Die Adresse der Mitglieder wird nicht veröffentlicht, nur deren Wohnort angezeigt. Erst wenn Termine konkret ausgesendet bzw. angenommen werden, darf das Profil eingesehen werden. «Als Suchender kann ich dann Wohnort, Alter, ob eine Babysitter-Ausbildung abgeschlossen wurde und die Telefonnummer einsehen. Ist mir die Person sympathisch, kann ein erster Kontakt entstehen, um sich kennenzulernen und festzustellen, ob das mit dem Hütedienst gegenseitig passt», erklärt Raffael.
Des Weiteren kann beim Suchprofil beispielsweise eingetragen werden, zu welchem Stundensatz jemand das Babysitting übernimmt, so dass dem Suchenden nur entsprechende Leute angegeben werden, die seinen Finanzierungsvorstellungen entsprechen.
Dasselbe funktioniert auch in die andere Richtung, nämlich dass der dienstleistenden Person nur die «Jobs» aufgeführt werden, welche bereit sind den geforderten Betrag zu zahlen. «Auch diese Infos sind nicht öffentlich; es werden nur dem Profil entsprechende Anzeigen aufgelistet». Auf diese Weise ist man nicht gezwungen, sich durch Angebote oder Nachfragen zu klicken, welche nicht den Anforderungen entsprechen.
Eine Anfrage wird per Pushnachricht oder Mail (wählbar) in der gewünschten Gruppe gesandt, «gebuchte» Termine sind für beide Parteien leicht einzusehen und direkt in den Smartphonekalender übertragbar.

Weltweite Abdeckung

Inzwischen haben sich über 3200 Leute weltweit registriert. «Das macht es möglich, auch in den Ferien oder einem Kurzaufenthalt in einer anderen Stadt jemanden zu finden, dem ich für wenige Stunden die Kinder übergeben darf, um beispielsweise ungestört mit meiner Frau Essen oder zum Konzert zu gehen», zeigt der Familienvater auf.
«Momentan bin ich daran, mit dem Schweizerischen Roten Kreuz des Kantons Zürich eine Partnerschaft auszuarbeiten.» Diese bieten Babysitter-Kurse an, verfügen jedoch über keine entsprechende Dienstleistung zur Suche oder Registration ausgebildeter Leute an. So könnte eine zusätzliche und direkte Verifizierung der Betreuungsperson stattfinden.
Das grosse Ziel der App ist, dass eine registrierte Person mit den persönlichen Auswahlkriterien weltweit einen geeigneten und zertifizierten Babysitter finden kann. «Dazu müssen alle eine gültige ID oder einen Pass vorweisen, damit wir die entsprechenden Angaben überprüfen können», führt der App-Entwickler aus.
Alle Ideen kann Raffael Santschi noch nicht implementieren, etwa für die gezielte Abdeckung während Ferienzeiten. Doch dafür hat er nun sein Arbeitspensum reduziert, um weiter an der Ausarbeitung weiterer Funktionen feilen zu können. Bis Ende Jahr soll es eine Feedback-Funktion geben, bei der sowohl Dienstleister wie Dienstnehmende bewertet werden können. Es gibt allerdings bereits eine Kommentarfunktion für die App-Nutzer: «Ich bin offen für Anregungen und Meinungen zur App. Also bitte gerne melden!»
Die gesammelten Benutzerdaten aus der App bleiben in der Schweiz. Verlässt man als User die App, werden sämtliche Daten gelöscht.

Die Registration findet momentan ausschliesslich über die App statt. Infos unter: www.babysitter-app.com

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