Feuilleton Wädenswil

Wellen, Steinflut, Erosion: Tobias Humm im Kunstfenster

Tobias Humm stammt aus einer Künstlerfamilie. Fotografie und vor allem die Keramik sind seine Ausdrucksmittel. Im Kunstfenster Schönenberg zeigt er Werke aus seinem Schaffen. Thematisch befassen sie sich mit Wellen, Steinflut und Erosion.

Text & Bilder: Ingrid Eva Liedtke

Auf den Bildern (Fotos) kommen die drei Elemente Fels, Wasser und Wolken vor. Fast nichts anderes. Der Zusammenhang mit den keramischen Wellen ist folgender:  Wellen gibt es nicht nur im Wasser, auch das Licht hat Wellen. Keramik besteht aus Tonerde und die ist durch den Einfluss von Wasser, Temperatur und Strahlung erodiertes Gestein. Wenn Granit erodiert, gibt der darin enthaltene Feldspat das wasserlösliche Metall Natrium ab. Dieses verbindet sich mit Chlor und wird zu Kochsalz. Deshalb ist das Meer salzig. Der Rest vom Feldspat verbindet sich mit Wasser und wird zu Tonerde. So ganzheitlich verbunden sieht der Künstler seine Kunstinstallation. «Ausserdem», so Tobias Humm, «hat mich der Bergsturz von Bondo im Bergell, wo die Steinflut auch als Welle ins Tal rollte, insofern betroffen, als dass die dortige Sciora-Hütte unserer SAC-Sektion gehört und seither nicht mehr zugänglich ist.» 

Der Künstler im Interview

Du bist mit Kunst aufgewachsen. Wie wichtig ist sie für Dich? 

Kunst ist für mich die Möglichkeit, über die Welt und das Leben nachzudenken. Dies, indem ich beispielsweise mit Hilfe des Brennofens und seiner 1300 Grad Gesteine, Erden und Aschen analysiere und in neuen Verbindungen zu Glasuren verschmelze.

Ist das Töpfern für Dich Kunst oder Kunsthandwerk?

Diese Unterscheidung geht auf Immanuel Kant zurück und ich teile sie nicht. Sie scheint mir nicht dienlich, um die Qualität eines Objekts zu beurteilen. Für mich gibt es keinen Unterschied und keine Kategorien. Es gibt einfach ernsthaftere und weniger ernsthafte Auseinandersetzungen mit dem Thema, an dem man arbeitet. Und ob dabei ein gebrauchsfähiger Gegenstand entsteht, der in der Folge als Kunsthandwerk bezeichnet wird, oder ein gebrauchsferner, der dann den Kunstanspruch erfüllen muss, ist für mich kein qualitativer Unterschied, wie dies Kants These behauptet. Es geht um die Kraft der Vision und die Kraft und die Fähigkeit, diese im Arbeitsprozess umzusetzen. Die perfekte Gestaltung einer Teeschale braucht nicht weniger geistige Energie als die Schaffung einer Skulptur.

Welche Ausdrucksformen oder zusätzliche Ausdrucksmittel sind Dir wichtig und warum?

Ich bringe mit Hilfe des Tons und der anderen Rohstoffe oder auch mit der Fotografie meine eigenen Visionen zum Ausdruck. Dazu sind jeweils ein hohes handwerkliches Können und ein vertieftes Wissen über die verwendeten Materialen nötig. Ein seriös erlerntes Handwerk ist die Voraussetzung jedes künstlerischen Ausdrucks. Das Formen von Gefässen auf der Drehscheibe gleicht dem Erlernen eines Musikinstruments. Nur nach jahrelangem Üben erreicht man die Fähigkeit, seine formalen Visionen in gelungenen Gefässen auszudrücken.

Welches war und ist Dein persönlicher Antrieb und Weg zu und mit Deiner Kunst?

Am Anfang stand neben dem Wunsch auf eine selbstgesteuerte Tätigkeit auch die Verweigerung einer Teilnahme an der kapitalistisch-industriellen Produktion von Gütern und der damit einhergehenden Ausbeutung der menschlichen und materiellen Ressourcen. Der Einblick in die Tiefe der Möglichkeiten entwickelte sich im Laufe der Tätigkeit. Und diese Möglichkeiten weite ich mit jeder neuen Arbeit aus.

Was möchtest Du mit deiner Kunst zeigen, allenfalls übermitteln? Welches sind Deine Anliegen oder Themen?

Ich stelle in der Regel Gebrauchsgegenstände her und seltener freie Objekte. Sie sind das Resultat einer künstlerischen Forschungsarbeit. Ich versuche in jeder Arbeit die Möglichkeiten des Materials und der künstlerischen Vision weiter zu denken; jede Arbeit basiert auf einer früheren. Deshalb, und weil sich natürliche Rohstoffe nicht beliebig reproduzieren lassen, sind meine Arbeiten über die Jahre nie gleich. 

Gibt es ein oder mehrere Themen, die Du künstlerisch vor allem bearbeitest?

In der Keramik bin ich meist im Bereich Gebrauchskeramik unterwegs. Jetzt gerade beschäftigen mich allerdings Wellen, die ich keramisch forme und mit dem ganzen Spektrum meiner Glasuren glasiere. Fotografisch interessiert mich das Phantastische des Alltags. Mich interessieren Bilder, die das echte Leben einer Person zeigen.

Seit wann bist Du künstlerisch tätig und wie hat sich Deine Kunst im Laufe des Lebens entwickelt?

Jede Kunst entwickelt sich immer weiter. Kunst ist eine Art Forschungsarbeit, in der man die Möglichkeiten des Denkens, Wahrnehmens und Fühlens erweitert, genau wie dies in der Wissenschaft geschieht. 

Kunst ist immer Metamorphose. Sie transformiert innere Bilder in äussere Bilder. Und bei der Keramik ist es eine Metamorphose in doppeltem Sinn. Die Umwandlung beginnt im Grunde mit dem Urknall, spätestens aber mit der Entstehung der Mineralien. Im keramischen Prozess werden die Mineralien, die, bevor sie zu Tonerde werden, schon einige Umwandlungen hinter sich haben, nochmals in einem gezielten Prozess durch das Feuer des Brennofens zu dem umgeformt und verbunden, was sie letztlich darstellen. Also beispielsweise zu Tassen, Fliesen und Tellern. 

Gesteine wie Feldspat, Quarz, Kalk, Dolomit, Talkum und zahllose andere, Aschen von allen möglichen Pflanzen, aber auch Knochenasche oder Muschelschalen eignen sich als keramische Rohstoffe. Die Arbeit des Keramikers besteht nun in der Kenntnis dieser Materialien und des Prozesses der Metamorphose der Rohstoffe.  Die von mir verwendeten Aschen stammen meist von Holz, das ich bei lokalen Bauern einkaufe und mit dem ich unser Haus heize. 

Künstlerischer Lebenslauf

Geboren in einer Künstlerfamilie, war die Kunst für Tobias Humm von Kindheit an eine alltägliche und selbstverständliche Erfahrung. Literatur, Musik, Theater und Bildende Künste waren in seinem Leben Grunderfahrungen, die ihm den Weg zum künstlerischen Schaffen sicher erleichtert haben. 

Mit 14 Jahren suchte Tobias Humm zuerst in der Fotografie einen eigenen künstlerischen Ausdruck. Mit 18 begann er eine Töpferlehre, an die ein stage de perféctionnement an der École des Arts Décoratifs in Genf anschloss. Zwei Wander- und Reisejahre lehrten ihn darüber hinaus eine wohlwollend kritische Betrachtung von Keramik mit einem weit geöffneten Blick.

1979 installierte Humm sein erstes eigenes Atelier im Herrlisberg oberhalb von Wädenswil, nach drei Jahren konnte er ins Zentrum umziehen, wo er 17 Jahre lang eine Werkstatt mit Verkaufsraum betrieben hatte. 1999 Umzug ins neue Haus im Untermosenquartier, wo Tobias Humm bis heute lebt und arbeitet und in der alten Sennhütte Untermosen sein Ausstellungslokal hat.

Daneben hat Humm immer auch journalistisch gearbeitet. Über 50-jährig absolvierte er noch ein Studium der Kulturpublizistik an der ZHdK, an das er auch noch ein Nachdiplomstudium im Bereich Soziologie «Konfliktforschung und Konfliktanalyse» an der Uni Basel anschloss.

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