Richterswil

Ein Teil der Dorfgeschichte sein

Bereits 62 grosse Ausstellungen wurden vom Verein Ortsmuseum gezeigt, die meisten davon im altehrwürdigen Haus zum Bären. 25 dieser Themenausstellungen hat Heinz Jucker ins Leben gerufen. Interview mit einem «Verwurzelten».

Text/Interview & Bild: Reni Bircher

Die Lebensqualität einer Gemeinde steigt und fällt durch ein für das Gemeinwohl sensibles Netz, gesponnen durch die Möglichkeiten sozialer Kontakte. Das passiert unter anderem durch diverse Angebote für die unterschiedlichen Bevölkerungsgruppen, ein breit gefächertes Angebot an Vereinen, einem (oder besser mehrere) gemütlichen Café, Freizeitangebote, Erholungsräume, kulturelle Veranstaltungen und dem Festhalten an Traditionen.

Kultur, Geschichte und Tradition ist sicher etwas, was im Ortsmuseum Richterswil reichlich vorhanden ist, dort gesammelt, gepflegt und gezeigt wird. Und das ohne verstaubtes Artefakt zu sein. Ganz im Gegenteil sind die Themen jeweils sorgfältig erarbeitet, sowohl bei den monatlich stattfindenden Offenen Türen als auch an den grossen Herbstausstellungen. Es gibt immer wieder Neues zu entdecken.

Das Haus zum Bären war 1975 von der Gemeinde im Kaufrecht erworben und zehn Jahre später gekauft worden. Nach der Aussenrenovation wurde die Heimatkundliche Sammlung darin untergebracht. Für den Schutz, die Pflege und Aufwertung des Hausinneren ist der Verein Ortsmuseum verantwortlich.

Schon beinahe zu dessen Inventar gehört Heinz Jucker, langjähriger Lehrer in Richterswil und dorfbekannt als «wandelndes Lexikon».

Heinz, seit wie vielen Jahren bist Du im Ortsmuseum tätig?

Offiziell bin ich 1986 dem Vorstand beigetreten, habe allerdings schon zwei Jahre zuvor bei der Ausstellung «Ernst Eschmann, der gemütvolle Dichter» mitgewirkt. Der Richterswiler hat viele Kindergedichte, Theaterstücke und SJW-Hefte geschrieben. Als hiesiger Lehrer waren mir diese bekannt, ich habe damit gearbeitet, und das wusste Elisabeth Streuli, eine Kindergärtnerin aus Samstagern. Sie war zu jener Zeit Präsidentin des Ortsmuseums-Vereins und bat mich um Mithilfe. Das ist jetzt 40 Jahre her!

Später fand Elisabeth, ich könnte doch im Ortsmuseum mitmachen. Und das habe ich getan.

Während dieser Zeit gab es nicht nur Veränderungen im Vorstand …

Anfangs standen uns nur die beiden vorderen Räume im ersten Stock des Bären zur Verfügung, entsprechend klein waren die Ausstellungen. Den hinteren Raum rechts, am Ende des Ganges, belegte die «Rechenmacher-Werkstatt», ein Handwerk, welches weit verbreitet war in Richterswil. Als die Sagi in Samstagern renoviert und 1991 als Museum eröffnet wurde, durften wir dieses Material dort unterbringen, was auch weitaus mehr Sinn gemacht hat. So stand uns ein dritter Ausstellungsraum zur Verfügung.

Du bist massgeblich am Ausbau des Kellers beteiligt gewesen.

Das stimmt, 1997/98 war ich Vereinspräsident. Es war eben noch immer ziemlich beengt im ersten Stock, und der Ausbau des Kellers hat es nicht nur unserem Verein ermöglicht grosse Ausstellungen ins Leben zu rufen: Er steht für Kunstevents, Lesungen, Versammlungen und dergleichen zur Verfügung. Das wiederum spült Geld in die Vereinskasse, um Neuanschaffungen zu finanzieren oder Sanierungen zu tätigen. 

Es gibt Leute, welche Dich die «Seele des Museums» nennen. Wie ist das für Dich? 

Oh … nun, vielleicht ist das eine Art Alterserscheinung *ämüsiert sich sichtlich*. 

An Engagement mangelt es keinem aus dem Vorstand, aber die Bezeichnung ist wohl meiner langjährigen Zugehörigkeit zum Museum geschuldet. Dies wiederum bringt es mit sich, dass mich viele Leute kennen, ich über vieles Bescheid weiss, was mich häufig eher unfreiwillig zum Ansprechpartner macht. Mein Interessensgebiet ist allerdings auch sehr gross, ganz klar.

 

Welcher Bereich unterliegt Deiner Obhut?

Ich betreue die Philatelie sowie Pläne, Karten und kleinformatige Dokumente.

Schlägt Dein Herz ganz besonders für diesen Bereich? 

Ich bin da eher «reingerutscht», obwohl ich privat tatsächlich ein Briefmarkensammler bin. Und wir haben im Museum eine wunderbare Sammlung. Karten und Pläne sind ein Hobby, weil ich es spannend finde, die Entwicklungen und Überlegungen der Menschen mitzuverfolgen und anhand dieser Aufzeichnungen nachzuvollziehen.

Mein Herz schlägt aber ganz besonders für die jeweiligen Geschichten eines Menschen als Individuum. Faszinierend!

Hast Du ein Lieblingsstück im Museum? 

*überlegt* Phu … was soll ich sagen? *lacht etwas verlegen* Wir haben sehr schöne Exponate im Museum, aber mein Lieblingsstück ist das Dorf Richterswil! Ich habe mein ganzes Leben hier verbracht, meine Frau kennengelernt und unsere drei Kinder leben ebenfalls hier. Ich liebe es, hier Führungen zu machen!

Meine Mutter hat seit 1951 – also meinem Geburtsjahr – das Strumpfhüsli an der Dorfstrasse betrieben, und Strümpfe waren ein rares Gut. Deshalb wurden diese von ihr im Auftrag geflickt und ich musste sie danach wieder austragen. Durch diese Touren habe ich mir die Häuser genauer angeschaut, weil mir meine Mutter gesagt hat, auf welche Eigenheiten ich achten sollte, um ein bestimmtes Haus zu finden. Dank dieser Aufgabe war ich im Laufe der Zeit mal so gut wie in jedem Haus – und meistens lugte dabei noch ein Batzen raus für mich.

Welche Voraussetzungen sollte jemand mitbringen, um bei einem Projekt bzw. Verein wie dem Ortsmuseum mitzuarbeiten?

Freude und Leidenschaft für die Sache; «Beisitzer» brauchen und haben wir keine. Der Zeitaufwand ist nicht zu unterschätzen. Deshalb bin ich sehr froh, dass meine Frau Rosmarie meiner Freizeitbeschäftigung viel Verständnis entgegenbringt. Sicher haben diejenigen Mitglieder, die berufstätig sind, weniger Kapazität. Aber das macht nichts, denn jede und jeder ist so weit engagiert wie möglich. 

Man muss für einige Aufgaben schon über entsprechende Kenntnisse und Fachwissen verfügen. Beispielsweise über Gemälde, deren korrekte Aufbewahrung oder Restaurierung. Oder die richtige Lagerung der Philatelistischen Sammlung. Da muss man sich doch einarbeiten.

Wem würdest Du die Mitarbeit im Ortsmuseum empfehlen?

Wir sind im Vorstand ziemlich gut aufgestellt mit 14 Leuten, auch wenn das hin und wieder schwankt. 

Wichtig ist eine breite Aufstellung, damit die verschiedenen Bereiche des Museums – sei das organisatorisch oder im Ressortbereich – abgedeckt werden können. Und selbstverständlich jemand, der das Präsidentenamt ausübt, damit ein Ansprechpartner vorhanden ist. Neu hinzugekommen ist der Informatikbereich, der immer wichtiger wird. 

Generell sind wir ein gutes Team, und da macht es Spass Eigeninitiative zu entwickeln.

Und was macht für Dich den Reiz aus, dass
Du dem Ortsmuseum seit so vielen Jahren treu bist?

Mit den unterschiedlichsten Menschen in Berührung zu kommen, die man sonst gar nie kennengelernt hätte. Etwa die Nachfahren von Seidenfabrikant Rudolf Zinggeler oder Walter Oberholzer aus Samstagern, der unter anderem Professor und Konservator der Mineralogisch-Petrographischen Sammlung an der ETH Zürich war. Es gibt so vieles, was es zu erfahren gibt!

Erst kürzlich durfte ich mit Museumskollege Heinz Hickert bei einer Dame vorbei, um alte Waffen zu begutachten, die sie von einem Vorfahren geerbt hatte, welcher in der Schweizer Garde diente. Im Laufe des Gespräches stellte sich heraus, dass sie die Tochter der letzten Barrierenwärterin Richterswils ist. Wunderbare Begegnungen und so spannend!

Letztes Jahr an der Auswanderer-Ausstellung kamen Verwandte der Familie Hiestand aus Amerika hierher. Die sind alle Orte abgefahren, die sie in alten Quellen der Familie gefunden haben, und ich durfte sie dabei begleiten. Mit denen bin ich noch immer in Kontakt. Wirklich toll.

Selbstverständlich hoffen wir, dass die Ausstellungen für das Publikum interessant sind. Für uns selbst sind sie eine Bereicherung.

Hast Du schon ein nächstes Projekt im Sinn?

Wir waren schon immer ein Dorf mit grossartigen Persönlichkeiten. So Johannes Hotze, ein berühmter und viel beachteter Arzt und Onkel von Johann Heinrich Pestalozzi. Nach ihm und seinem Bruder wurde die Hotzestrasse benannt – seltsamerweise die einzige Strasse in Richterswil-Samstagern, die nach einer hiesigen Persönlichkeit benannt wurde.

Jedenfalls haben wir kürzlich ein Gemälde seiner Frau und seiner beiden Töchter restaurieren lassen. Doch im Medizinhistorischen Museum in Zürich gibt es ein Gemälde von Hotze selbst, und wir haben einen Antrag gestellt, dass wir das hier im Museum zeigen dürfen.

Inzwischen sind wir soweit, dass das Ortsmuseum das Gemälde künftig als Dauerleihgabe beherbergen darf; der Vertrag wird Ende August 2024 unterzeichnet.

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