Mit der Gründung des Gemeinderats als Parlament wurde Wädenswil im Mai 1974 zur Stadt. Im gleichen Jahr wechselten auch andere mittelgrosse Zürcher Gemeinden von der direkten Versammlungsdemokratie zu einem repräsentativen System und wurden Parlamentsgemeinden: Adliswil, Bülach, Dübendorf, Illnau-Effretikon, Opfikon und Schlieren.
Text: Stefan Baumgartner
Bilder: zvg
Am 14. Mai 1974 trat in Wädenswil die revidierte Gemeindeordnung in Kraft, welche die Grundlage für die neue Gemeindeorganisation schaffte. Schon am 27. Mai 1974 traf sich der Gemeinderat als Parlament zu seiner ersten Sitzung. Der Gemeinderat löste damit die Gemeindeversammlung als kommunale Legislative ab. Gleichzeitig wurde der bisherige Gemeinderat (Exekutive) zum Stadtrat und Wädenswil zur Stadt.
Die letzten Schritte zur Stadt
Der Gemeinderat (damals Exekutive) der Legislaturperiode 1970 bis 1974 liess von Gemeindeschreiber Emil Bader (1908–1987, auch bekannt geworden als Gründer der «Freunde des Volkstheaters») ein Exposé erstellen. Dieses wurde zusammen mit der Weisung veröffentlicht, über die schliesslich 1971 abgestimmt wurde. Bei einer Stimmbeteiligung von 53 Prozent sagten 65,1 Prozent der Stimmberechtigten Ja zur Einführung eines Parlaments (2738 Ja zu 1469 Nein). Darauf gab die Exekutive einer vorberatenden Kommission mit Vertretern aller Ortsparteien den Auftrag, eine neue Gemeindeordnung auszuarbeiten. Sie wurde am 4. März 1973 an der Urne mit 62,0 Prozent Ja-Stimmen bei einer Stimmbeteiligung von 47 Prozent genehmigt (2571 Ja zu 1573 Nein).
Gründe für die Einführung des Parlaments waren die stark angestiegene Zahl der Stimmberechtigten nach der Einführung des Frauenstimmrechts, das Siedlungswachstum in der Hochkonjunktur, aber auch der gesellschaftliche Wandel, der dazu führte, dass sich verschiedene Bevölkerungsgruppen in der Politik zu wenig vertreten fühlten. In der Weisung zur Abstimmung vom Juni 1971 ist nachzulesen, dass die Gemeindeversammlung, abgehalten je-
weils in der reformierten Kirche, nur noch von rund 4 Prozent der Stimmberechtigten besucht wurde. Die Gemeindeversammlung sei auch «eine Einrichtung des vergangenen Jahrhunderts». Auch wenn nur noch die angesprochenen vier Prozent die Gemeindeversammlung besuchten, wurde das Platzproblem in der Kirche angesprochen: Zur Zeit der Abstimmung ging man von 8500 Stimmberechtigten aus, Platz in der Kirche hätten aber nur 1500 Personen gefunden.
1974 verfügte Wädenswil über knapp 18 000 Einwohnerinnen und Einwohner, etwa 11 500 davon stimmberechtigt.
Die letzte Gemeindeversammlung fand am 22. Januar 1974 statt und ging aus einem ganz besonderen Grund in die Geschichte ein: Kurz vor dem Schlusswort von Gemeindepräsident Fritz Störi (1917–2005) fiel in Wädenswil während 45 Minuten der Strom aus, so dass die Versammlung vorzeitig abgebrochen werden musste. Eine Notbeleuchtung der Feuerwehr in der Turnhalle Eidmatt ermöglichte es, mit einem Imbiss doch noch einen angemessenen Schluss zu finden.
Die ersten Parlamentswahlen fanden am 17. März 1974 statt. 45 Sitze waren zu vergeben. FDP und SVP gingen als stärkste Parteien mit je 10 Sitzen aus diesen Wahlen hervor, die SP erreichte 8 Sitze, gefolgt von CVP (7 Sitze; heute Mitte), LdU (5; löste sich 1999 auf), EVP (4) und Jungliberale mit 1 Sitz.
Zur konstituierenden Sitzung kam der neu gewählte Gemeinderat erstmals am 27. Mai 1974 zusammen. Die neue Gemeindeordnung war bereits am 14. Mai 1974 mit der konstituierenden Sitzung des Stadtrats in Kraft getreten. Im ersten Jahr fanden sieben Parlamentssitzungen statt, an denen 37 Geschäfte behandelt wurden. Von Anfang an war vorgesehen die Aula Untermosen in der neu erstellten Schulanlage als Ratssaal zu nutzen. Bis der Bau fertig gestellt war, tagte das Parlament provisorisch im Etzelsaal. Die erste Parlamentssitzung im Ratssaal Untermosen fand am 6. Oktober 1975 statt.
Bis 2002 hatte Wädenswil nach den Städten Zürich und Winterthur mit 45 Sitzen das grösste Gemeindeparlament im Kanton. Die grosse Mitgliederzahl war eine bewusste Entscheidung der vorberatenden Kommission: Die Zahl sei so gewählt, «dass das Vertretungsrecht des Volkes etwas stärker betont ist als in andern Landgemeinden mit parlamentarischer Organisation», heisst es im Weisungsheft von 1973. Damit wurde etwas verklausuliert Bezug auf den Wahlkampf 1970 genommen. Man wollte möglichst vielen, auch kleinen Parteien und Gruppierungen, die Möglichkeit geben, mitzuwirken.
Vom Dorf zur Stadt – oder doch nicht?
Auch die Fasnacht machte die Stadtwerdung zum Plakettensujet. So zierte 1975 der Spruch «Stadt häsch gmeint» die Plakette der Neuen Fasnachtsgesellschaft und machte so auf den Zwiespalt der Wädenswilerinnen und Wädenswiler aufmerksam. Während andere – teils auch kleinere – Ortschaften das Stadtrecht von König oder Bischof verliehen bekamen, machte sich Wädenswil mittels Abstimmung selbst zur Stadt. Der ländliche Charakter blieb jedoch, und mit der Eingemeindung von Schönenberg und Hütten wurde Wädenswil gar grösste Bauerngemeinde. So geht man also noch immer «is Dorf ga poschte», und Wädenswil hat auch keine Altstadt, dafür einen historischen Dorfkern rund um die Türgass. Auch verschiedene Strassennamen wie die Oberdorf- oder Neudorfstrasse weisen auf das Dörfliche, Strassennamen wie die Rebberg- oder Wiesenstrasse – heute im Zentrum gelegen – weisen auf das Ländliche hin.
Quellen: «50 Jahre Parlament in Wädenswil» von Adrian Scherrer. Abstimmungsweisungen:
www. Baukultur.ch
Mit der Gründung des Gemeinderats als Parlament wurde Wädenswil im Mai 1974 zur Stadt. Im gleichen Jahr wechselten auch andere mittelgrosse Zürcher Gemeinden von der direkten Versammlungsdemokratie zu einem repräsentativen System und wurden Parlamentsgemeinden: Adliswil, Bülach, Dübendorf, Illnau-Effretikon, Opfikon und Schlieren.
Text: Stefan Baumgartner
Bilder: zvg
Am 14. Mai 1974 trat in Wädenswil die revidierte Gemeindeordnung in Kraft, welche die Grundlage für die neue Gemeindeorganisation schaffte. Schon am 27. Mai 1974 traf sich der Gemeinderat als Parlament zu seiner ersten Sitzung. Der Gemeinderat löste damit die Gemeindeversammlung als kommunale Legislative ab. Gleichzeitig wurde der bisherige Gemeinderat (Exekutive) zum Stadtrat und Wädenswil zur Stadt.
Die letzten Schritte zur Stadt
Der Gemeinderat (damals Exekutive) der Legislaturperiode 1970 bis 1974 liess von Gemeindeschreiber Emil Bader (1908–1987, auch bekannt geworden als Gründer der «Freunde des Volkstheaters») ein Exposé erstellen. Dieses wurde zusammen mit der Weisung veröffentlicht, über die schliesslich 1971 abgestimmt wurde. Bei einer Stimmbeteiligung von 53 Prozent sagten 65,1 Prozent der Stimmberechtigten Ja zur Einführung eines Parlaments (2738 Ja zu 1469 Nein). Darauf gab die Exekutive einer vorberatenden Kommission mit Vertretern aller Ortsparteien den Auftrag, eine neue Gemeindeordnung auszuarbeiten. Sie wurde am 4. März 1973 an der Urne mit 62,0 Prozent Ja-Stimmen bei einer Stimmbeteiligung von 47 Prozent genehmigt (2571 Ja zu 1573 Nein).
Gründe für die Einführung des Parlaments waren die stark angestiegene Zahl der Stimmberechtigten nach der Einführung des Frauenstimmrechts, das Siedlungswachstum in der Hochkonjunktur, aber auch der gesellschaftliche Wandel, der dazu führte, dass sich verschiedene Bevölkerungsgruppen in der Politik zu wenig vertreten fühlten. In der Weisung zur Abstimmung vom Juni 1971 ist nachzulesen, dass die Gemeindeversammlung, abgehalten je-
weils in der reformierten Kirche, nur noch von rund 4 Prozent der Stimmberechtigten besucht wurde. Die Gemeindeversammlung sei auch «eine Einrichtung des vergangenen Jahrhunderts». Auch wenn nur noch die angesprochenen vier Prozent die Gemeindeversammlung besuchten, wurde das Platzproblem in der Kirche angesprochen: Zur Zeit der Abstimmung ging man von 8500 Stimmberechtigten aus, Platz in der Kirche hätten aber nur 1500 Personen gefunden.
1974 verfügte Wädenswil über knapp 18 000 Einwohnerinnen und Einwohner, etwa 11 500 davon stimmberechtigt.
Die letzte Gemeindeversammlung fand am 22. Januar 1974 statt und ging aus einem ganz besonderen Grund in die Geschichte ein: Kurz vor dem Schlusswort von Gemeindepräsident Fritz Störi (1917–2005) fiel in Wädenswil während 45 Minuten der Strom aus, so dass die Versammlung vorzeitig abgebrochen werden musste. Eine Notbeleuchtung der Feuerwehr in der Turnhalle Eidmatt ermöglichte es, mit einem Imbiss doch noch einen angemessenen Schluss zu finden.
Die ersten Parlamentswahlen fanden am 17. März 1974 statt. 45 Sitze waren zu vergeben. FDP und SVP gingen als stärkste Parteien mit je 10 Sitzen aus diesen Wahlen hervor, die SP erreichte 8 Sitze, gefolgt von CVP (7 Sitze; heute Mitte), LdU (5; löste sich 1999 auf), EVP (4) und Jungliberale mit 1 Sitz.
Zur konstituierenden Sitzung kam der neu gewählte Gemeinderat erstmals am 27. Mai 1974 zusammen. Die neue Gemeindeordnung war bereits am 14. Mai 1974 mit der konstituierenden Sitzung des Stadtrats in Kraft getreten. Im ersten Jahr fanden sieben Parlamentssitzungen statt, an denen 37 Geschäfte behandelt wurden. Von Anfang an war vorgesehen die Aula Untermosen in der neu erstellten Schulanlage als Ratssaal zu nutzen. Bis der Bau fertig gestellt war, tagte das Parlament provisorisch im Etzelsaal. Die erste Parlamentssitzung im Ratssaal Untermosen fand am 6. Oktober 1975 statt.
Bis 2002 hatte Wädenswil nach den Städten Zürich und Winterthur mit 45 Sitzen das grösste Gemeindeparlament im Kanton. Die grosse Mitgliederzahl war eine bewusste Entscheidung der vorberatenden Kommission: Die Zahl sei so gewählt, «dass das Vertretungsrecht des Volkes etwas stärker betont ist als in andern Landgemeinden mit parlamentarischer Organisation», heisst es im Weisungsheft von 1973. Damit wurde etwas verklausuliert Bezug auf den Wahlkampf 1970 genommen. Man wollte möglichst vielen, auch kleinen Parteien und Gruppierungen, die Möglichkeit geben, mitzuwirken.
Vom Dorf zur Stadt – oder doch nicht?
Auch die Fasnacht machte die Stadtwerdung zum Plakettensujet. So zierte 1975 der Spruch «Stadt häsch gmeint» die Plakette der Neuen Fasnachtsgesellschaft und machte so auf den Zwiespalt der Wädenswilerinnen und Wädenswiler aufmerksam. Während andere – teils auch kleinere – Ortschaften das Stadtrecht von König oder Bischof verliehen bekamen, machte sich Wädenswil mittels Abstimmung selbst zur Stadt. Der ländliche Charakter blieb jedoch, und mit der Eingemeindung von Schönenberg und Hütten wurde Wädenswil gar grösste Bauerngemeinde. So geht man also noch immer «is Dorf ga poschte», und Wädenswil hat auch keine Altstadt, dafür einen historischen Dorfkern rund um die Türgass. Auch verschiedene Strassennamen wie die Oberdorf- oder Neudorfstrasse weisen auf das Dörfliche, Strassennamen wie die Rebberg- oder Wiesenstrasse – heute im Zentrum gelegen – weisen auf das Ländliche hin.
Quellen: «50 Jahre Parlament in Wädenswil» von Adrian Scherrer. Abstimmungsweisungen:
www. Baukultur.ch