Richterswil

Für Deutsch die Schulbank drücken

In Richterswil-Samstagern haben es sich ein paar Menschen zur Aufgabe gemacht, die Geflüchteten aus der Ukraine, welche im Dorf längerfristig einquartiert worden sind, in der deutschen Sprache zu unterrichten *. Eine Klasse stellt sich vor.

Text & Bilder: Reni Bircher

Zeit – ihr stetiges Voranschreiten wandelt jegliches Leben zum Guten oder Schlechten, eröffnet Möglichkeiten und schliesst Türen. Und manchmal gelingt es, Zeit zu nutzen.
In den Nachrichten, den Zeitungen, den sozialen Netzwerken sind sie omnipräsent: die Kriege, die Aggressoren, die Bevölkerung im Allgemeinen. Die Masse an Informationen über Monate, Jahre lassen oftmals vergessen, dass die massiven Eingriffe ins Leben anderer immer mit einzelnen, ganz persönlichen Schicksalsschlägen verbunden sind.
Seitdem der Pavillon im Walder von der Gemeinde Richterswil gekauft und zur Unterkunft für Geflüchtete umfunktioniert wurde, leben momentan 64 ukrainische Staatsbürger dort. Im katholischen Pfarrheim an der Etzelstrasse erhalten diese von fünf Freiwilligen Deutschunterricht.
In der aktuellen Klasse von Ruth Thalmann sitzen sieben Ukrainerinnen, die meisten zwischen 30 und 45 Jahren. Seit knapp zwei Jahren besuchen sie den Unterricht zweimal wöchentlich, wobei drei von ihnen an einem dieser Tage ein Jobcoaching in Horgen besuchen, um sich auf die Stellensuche vorbereiten zu können. «Eine der Frauen arbeitet bereits an drei Tagen im Verkauf in Zürich, eine andere macht neuerdings die Klassenbegleitung in der Schule für ukrainische Kinder», weiss die pensionierte Lehrerin.
Vor dem Krieg waren die Bewohner des Walder-Pavillons in verschiedenen Berufen tätig, beispielsweise als Physik- und Mathematiklehrerin oder Buchhalterin – clever, arbeitswillig, selbstbestimmt.

Erste Hürde meistern

Wenige der Geflüchteten in Thalmanns Unterricht konnte die lateinische Schrift – in der Ukraine verwendet man eine Variante des kyrillischen Alphabets. Ein paar wenige wussten sich sprachlich in Englisch auszudrücken. «Wir waren uns sprachtechnisch fremd, und ich war froh, dass mir ab und an eine der Frauen aushelfen konnte mit Englisch, um etwas zu erklären», erzählt die Pensionärin. «Oder mittels Übersetzungsprogramm auf dem Smartphone», schmunzelt sie.
Jedoch hat sich die Lehrerin vor zwei Jahren einen Satz auf Ukrainisch gemerkt: Вам дозволено робити помилки – Man darf Fehler machen. «Das habe ich ihnen immer wieder gesagt, wenn sie sich nicht getraut haben, etwas zu sagen. Danach waren sie viel entspannter im Unterricht.»
Zu Beginn hätten ihr die Menschen ein bisschen leid getan: «Ich fing mit ihnen wie in der ersten Klasse an, das Alphabet zu lernen und die Buchstaben in Druckschrift zu üben oder mit ganz einfachen Sätzen wie ‹Ich komme aus …› oder ‹Ich wohne in …› zu sprechen», erklärt Thalmann die ersten Schritte im Unterricht. Das ausschliessliche Sprechen lehnt sie bewusst ab: «Sich ausschliesslich aufs Reden zu fokussieren bringt wenig. Das Gelernte bleibt besser haften, wenn die Schülerinnen und Schüler die Worte niederschreiben und lesen können», weiss sie aus Erfahrung. Reine Lernpsychologie.
Zwischendurch gestaltet Ruth Thalmann den Unterricht spielerisch, etwa wenn sie «Activity» spielen. Dabei müssen Worte aus dem Grundwortschatz pantomimisch oder zeichnerisch dargestellt oder mit Worten umschrieben werden. «Das ist jedes Mal sehr lustig. Ich selbst kann nicht gut zeichnen und einmal war das gesuchte Wort ‹Hund› – der sah bei mir aus wie eine Amöbe», muss sie über sich selber lachen.
Es sind Momente, die der Klasse gut tun, kurzzeitig das eigene Schicksal vergessen lassen.
Die Geflüchteten bestätigen der Deutschlehrerin, dass sie gerne in den Unterricht kommen, die Sprache lernen wollen, um dann besser einen Job zu bekommen. «Ich mag es tatsächlich sehr, diese Menschen zu unterrichten, weil ich sehe, dass es auf fruchtbaren Boden fällt. Ich möchte gar sagen, dass es mich glücklich macht», nickt die bald 75-Jährige ernst. Und: «Wir schätzen einander.»
Im April haben die fünf freiwilligen Deutschlehrerinnen und -lehrer für Geflüchtete einen Ausflug in die Höllgrotten geplant, um diese zu besichtigen und einen kleinen Grillplausch im angrenzenden Wald abzuhalten.

Umfangreiche Aufgabenstellung

Kürzlich bestand die Aufgabe darin, einen kleinen persönlichen Aufsatz zu schreiben, in dem ein Teil im Präteritum, in Präsens und Futur verfasst werden musste. Ruth Thalmann war bewusst, dass vor allem die Vergangenheit den Schülerinnen Mühe bereiten musste, ging es doch um einen Lebensabschnitt, den die meisten als erfüllt und glücklich zu bezeichnen wussten. «Ich habe es mit den Frauen besprochen, denn das ging ihnen schon nahe, aber sie wollten die Aufgabe unbedingt angehen.» Beeindruckt habe sie, wie die Klasse die Aufgabenstellung sofort verstanden habt, wie sie diese aufgleisen musste. Mit genügend Zeit und dem Nachfragen einzelner Wörter, wurden die Aufsätze abgeliefert: alle säuberlich und handschriftlich auf einem Blatt A4.
«Das Niederschreiben von Erlebtem kann eine Hilfe sein zur Entlastung, in gewisser Weise ein ‹niederlegen› oder ‹abgeben›», erklärt Thalmann. «Ich glaube, die Schülerinnen konnten mit dem Aufsatz etwas deponieren, was vorhin vermutlich unzählige Male im Kopf gewälzt wurde.»
An der Situation selbst ändert sich natürlich nichts.
Bis auf eine Person waren alle einverstanden, dass ihre Aufsätze veröffentlicht werden dürfen.  n

* Seit über 20 Jahren werden in der Gemeinde Richterswil niederschwellige Deutschkurse angeboten. Ursprünglich wurden diese durch die Abteilung Soziales initiiert und seither immer mit grosser Unterstützung von Freiwilligen weiter betrieben. Die diversen Flüchtlingsströme und Kriege führten 2015/2016 und nun wieder seit anfangs 2022 zu einer vermehrten Nachfrage, die durch den Einsatz von engagierten Freiwilligen der Gemeinde gedeckt werden konnte. Die Freiwilligenarbeit wird in der Gemeinde Richterswil sehr geschätzt und als absolut nicht selbstverständlich angesehen.

Die folgenden Aufgaben bzw. (Lebens-)Geschichten sind nicht nach den Rechtschreibe­regeln korrigiert worden, sondern stehen hier so, wie es die jeweilige Verfasserin geschrieben hat.

Ich heisse V.Z. Vor dem Krieg wonte in der Ukraine in Kiev. Ich mag mein Land und meine Stadt. Kiev nennt man „grüne Stadt». Sie hat viele Parks, Bäume und Blumen. Ich hatte kleine Wohnung aber sehr schön und gemütlich. Neben der Wohnung war schöner Park, der kleine Botanischgarten, Platz für die Kinder und einen Schwimmbad und meine Arbeit war auch über die Strasse. Ich war Regisseurin und hatte viel Arbeit. Ich machte Spektakle, Feste usw. In letzte Zeit mit mein Mann zusammen Schauspielschule für Kinder und Erwachsene. Meine Familie vor dem Krieg war am liebsten Hobby Spaziergang im historischen Stadtzentrum. Dort hatte es viele Museum, Springbrunnen, Café, Restaurants, Theater … Alles wechselte mit dem Krieg. Mein Welt war zerstört.
Jetzt bin ich in der Schweiz. Ich danke dieses Land für Hilfe und Unterstützung. Hier ist die Natur sehr schön im Winter, im Frühling, im Sommer und im Herbst. Die Menschen sind so nette und discipliniert. Ich danke Gott, dass ich in der Schweiz wohnen kann. Lernen Deutsch – das war mein Traum. Ich danke meinen Lehrern. Aber ich denke, dass wann der Krieg in der Ukraine fertig ist ich komme zurück in die Ukraine. Dort bleibt meine Familie. Meine Tochter und Enkelin wohnen in der Schweiz. Mein Herz bricht in zwei Hälften!


Ich heisse S.D. Im Januar 2020 wohnte ich in der Ukraine. Ich hatte eine Wohnung. Ich wohnte mit meine Familie. Ich hatte schon meine Kinder. Sie waren drei Jahre alt. Meine Kinder gingen in Kindergarten. Ich mit meinem Mann gingen in der Arbeit. Wir hatten klein Geschäft. Näher uns wohnten auch meine Eltern. Wir trafen uns jeden Samstag und fuhren Picknic machen. Wir waren sehr glücklich. Jeden Freitag fuhren wir zu unsere Freunden. Sie hatten grosses Haus und dort hatten sie Sauna. Sauna war unser Hobby. Wir machten das sehr gerne. Das war am besten Hobby für meine Kinder. Von Dienstag bis Sonntag gingen wir in der Arbeit. Ich mochte meine Arbeit. Ich war Verkäuferin. Ich verkaufte Wasserpumpen. Das war sehr interessant für mich. Nach der Arbeit fuhren wir in die Datscha. Dort hatten wir grosser Garten mit viele Obstbäume. Unsere Kinder spielten Fussball, haben Obste gegessen. Unsere Familie hatte eine gute Zeit. Am Dezember 2021 habe ich meinen Führerschein bekommen und konnte ich Auto fahren. Das war mein Traum. Bis 24. Februar 2022 wohnten wir glücklich.
Am 24. Februar am Morgen um 5 Uhr hat mich meine Mutter angerufen und sagte: «S. steh schnell auf. Krieg!» Ich dachte, dass es ein Witz ist. Aber das war Wahrheit. Ich musste meine Kinder schnell anziehen und fahren nach Westukraine. Dort wohnten unsere Verwandten. Das war sehr gross Stress für alle Leute. In der Strasse waren zu viele Autos, alle Läden und Apotheken war leer. An der Tankstelle war kein Benzin. Alle Leute waren nervös. Aber wir hatten einen vollen Tank und konnten fahren. Wir fuhren seit zwei Tagen ohne Essen, ohne Ruhe. Ich fuhr mit meine Kinder, meine Mann und seine Mutter. Wir hatten zu gross Angst. Fuhren zu viele Autos und grosse grüne Kriegautos. Flugzeuge flogen über uns. Als wir ankamen, waren wir sehr glücklich. Dort wohnten wir seit zwei Wochen. Wir dachten, dass alles enden würde, aber es wurde noch schlimmer. Wir gingen 10 Mal pro Tag im Keller. Am 8. März hat mir meine Schwägerin angerufen. Sie wohnt in der Schweiz. Und sie hat mir gesagt: «S., du musst zu mir fahren. Das wird besser für Kinder.»
Am 10. März waren wir schon in der Schweiz. Ein sehr nett Mann hat uns kostenlos ein Haus vermietet. In der Schweiz wohnen wir sehr gut. Die Leute sind sehr nett. Viele Menschen helfen uns. Ich kann Deutsch lernen. Meine Kinder gehen im Kindergarten. Jetzt wohnen wir im Pavillon. Dort wohnen nur ukrainische Leute. Wir wohnen sehr gut zusammen. Es gefällt mir, dass wir in der Schweiz wohnen. Aber wir wollen in die Ukraine fahren. Ich will in der Ukraine wohnen. Dort sind alle von meiner Familie. Ich möchte, dass der Krieg schnell endet und wir nach Hause zurückkehren.


Ich heisse K.S. Vor dem Krieg wohnte ich in der Ukraine. Ich hatte dort meine Wohnung, wo lebten wir mit meine Familie. Ich wohnte in eine grosse Stadt, sie heisst Zaporizhzhya. Ich arbeitete als Friseurin. Mein Mann arbeitete als Giesser. Meine Kinder gingen in die Schule. Wir hatten zwei Haustiere – Hamster. Meine beiden Töchter spielten Piano. Wir trafen oft mit meine Eltern und meinem Bruder mit seine Familie. Das war gut.
Aber an einem schrecklichen Tag plötzlich begann der Krieg, am 24. Februar 2022. Das war wirklich beängstigend. Dann fuhren meine Töchter und ich nach Polen, dann nach Deutschland, dann in die Schweiz. Zuerst lebten wir bei eine bekannte Frau. Sie ist die Mutter einem Freund meinem Mann. Sie hatte uns viel geholfen. Die Töchter gingen in die Schule. Ich begann Deutsch zu lernen. Jetzt wohnen wir in Samstagern in einem Pavillon für ukrainische Leute. Das freut mich sehr, dass meine Töchter und ich hier jetzt bleiben können. Ich danke der Schweiz und den freundliche schweizern Leute für diese Möglichkeit. Ich möchte gut Deutsch sprechen und möchte im Zukunft eine gute Arbeit finden. Ich fühle mich gut hier. Hoffentlich endet der Krieg bald und meine Familie werden in der Sicherheit leben.


Ich heisse T.P. Vor dem Krieg ich lebte mit meiner Tochter und meinem Mann in der Region Nikolaev im Dorf Pervomaiske. Meine Familie wohnte in unsere gossen Wohnung. Ich habe in der Schule als Physiklehrerin gearbeitet. Mein Mann M. arbeitete als Hafenmanager. Meine Tochter studierte in der Schule und in der Musikschule. Im Sommer fuhren wir oft ans Meer. Am Wochenende wir oft gingen ins Theater. Nach der Arbeit stickte ich oft. Das ist meine Hobby. Wir waren immer zusammen. Es war eine glückliche Zeit. Am Winterabenden lasen wir Bücher.
Wann Krieg begann, begannen Bombardierungen meiner Dorf. Wir lebten im Keller unter Post. Mein Dorf ganz kaputt. Meine Wohnung, Schule, Kindergarten, alles kaputt. Viele meine Nachbarinnen sind gestorben. Seit ein Monat wohnten wir unter der Besatzung russischen Soldaten. Mein Mann, Anastasia und ich sehr glücklich, weil wir am Leben bleiben.
Ab April 2022 meine Tochter und ich in der Schweiz sind. Mein Mann blieb in der Ukraine. Wir vermissen ihn sehr. Und wir haben Hoffnung, dass M. in die Schweiz fahren kann. Ersten drei Monaten wir mit Familie in Richterswil wohnten. Jetzt diese Familie sind meine besten Freunden. Ab Juli 2022 meine Tochter und ich im Samstagern wohnen. Wir wohnen im Pavilion für ukrainische Familien. Wir haben ein Zimmer, Badezimmer für mich und meine Tochter und grosse Küche für alle. Ich besuche Deutschkurs und arbeite in Kindergarten in Zürich. Anastasia lernt in der Schule Boden und in der Wädenswil Musikschule. Wir haben viele neue Freundinnen. In der Schweiz ich viele nette Leute getroffen. Es gefällt mir, dass wir viele interessante und schöne Städte in der Schweiz besuchen können.
Niemand weiss, wann die Krieg enden wird, daher ist es schwierig, Pläne für die Zukunft zu schmieden. Ich versuche mich zu integrieren und ich möchte für gute Integration alles machen. Ich werde in Zukunft arbeiten und lernen. Wir sind der Schweiz und alles Schweizerinnen für Hilfe sehr dankbar. Jetzt verstehe ich, dass jeder schätzen sollte, was man hat und was man lebt.


Ich heisse L.O. Vor zwei Jahren ich wohnte in Ukraine Stadt Chernomorsk. Ich habe in Chernomorsk eine Wohnung. Mein Haus steht 10 Minuten zu Fuss neben Schwarzen Meer. Ich hatte Geschäfts Laden Bratwurst und Käse. Mein Mann ist Fleischmann gearbeitet. Unsere Kinder ging im Kindergarten, der Rosinka heisst. Wir haben den Wochenenden Eltern besuchen, dort wir kochen und griliren und Sauna besuchten. Im Sommer alle zusammen Strand besuchen. Und im Winter gingen wir zum Skifahren in die Karpaten. Es war eine glückliche Zeit, immer zusammen alle Familie.
Wann der Krieg begann, es war furchtbar für die Kinder und wir verschteckten uns im Keller. Einen Monat lebten wir im Keller. Wir hatten gehofft, dass der Krieg bald enden würde. Am 13. März verliessen wir das Haus.
Wir kamen nach Moldawien. Dort trafen uns Freiwillige, brachten uns in ein Hotel. Es waren sehr viele Leute da und wir schliefen auf einen Matratze auf den Boden. In Moldawien wurde ein Arzt aufgesucht. Mein Sohn wurde krank. Im Keller war es kalt und die Blase erstarrte und Pipi mit Blut macht.
Drei Tage später hatte uns ein Bus abgeholt, der nach Deutschland fuhr. Am frühen Morgen kamen wir in Nürnberg an. Am Bahnhof half uns die Poilzei den Fahrplan zu verstehen und gab uns heissen Tee, heisses Wasser, damit wir für ein kleines Kind eine Milchmischung herstellen konnten.
Der Bruder meines Mannes hat uns in Zürich getroffen. Wir verbrachten den ganzen Tag in der Kälte in der Nähe der Einwanderungsbehörde. Jetzt ist unser Leben anders. Wir sind froh, dass wir gegangen sind. Unsere Kinder sind ruhig. n

Teilen mit: