Rund 400 000 Schweizer zogen zwischen 1816 bis 1913 aus und siedelten sich rund um den Globus an. Die Spuren, die sie hinterlassen haben, sind noch heute deutlich spür- und sichtbar. Die grosse Herbstausstellung im Ortsmuseum beschäftigt sich mit den Auswanderern aus Richterswil.
Text: Reni Bircher
Bilder: Guido Bircher
Die Richterswiler Kirchenbücher vermerken die ersten Auswanderer allerdings bereits 1650. Vermutet werden Täufer, die im Elsass und der Pfalz nach einer neuen Heimat suchten, um unbehelligt in ihrer Glaubensgemeinschaft leben zu können. Das Land war wegen des Dreissigjährigen Krieges entvölkert und verwüstet, der Wiederaufbau und Bewirtschaftung ging oft über die menschliche Kraft, so dass manche verarmt den Rückzug antraten.
In einer zweiten Auswanderungswelle (1730–1755) zog es rund 2500 Zürcherinnen und Zürcher über das Meer nach Nordamerika. So auch 23 Personen aus Richterswil, die zu Pfingsten 1743 nach South Carolina zogen.
Geschickte Werbekampagnen lobten das Land, wo Milch und Honig fliessen soll, und das Recht auf Glaubensfreiheit erhielt vor allem in den Täufergemeinschaften viel Zuspruch. Noch heute zeugen viele Familiennamen der in dieser Region siedelnden Amish People von ihren Deutschschweizer Wurzeln. Die Amischen stammen überwiegend von Südwestdeutschen oder Deutschschweizern ab und sprechen noch heute untereinander meist Pennsylvaniadeutsch, kleinere Untergruppen sprechen stattdessen einen elsässischen oder einen berndeutschen Dialekt*.
Flucht vor Hunger und Armut
Hungersnöte spielten wohl die grösste Rolle im Leben der Emigranten. Die letzte grosse Hungersnot brachte der Ausbruch des Vulkans Tambora auf einer der indonesischen Inseln 1815. Das durch die Eruption ausgeworfene Material bewirkte globale Klimaveränderungen, die aufgrund der Auswirkungen auf das europäische Wetter dem Jahr 1816 die Bezeichnung «Jahr ohne Sommer» einbrachten. In Teilen der nördlichen Hemisphäre kam es durch Missernten und eine erhöhte Sterblichkeit unter Nutztieren zur schlimmsten Hungersnot des 19. Jahrhunderts. Was die Auswanderer nicht ahnten war, dass diese Naturkatastrophe in Nordamerika ebenfalls Auswirkungen hatte …
Die Auswanderungsquote in Richterswil blieb jedoch bis um 1900 hoch. Die lange Zeit florierende Kattundruckerei hielt mit den modernen Maschinen nicht mehr mit. So kam es um 1880 zu einer wahren Auswanderungswelle von Seidenwebern. 1882 bis 1893 wanderten insgesamt 151 Personen aus Richterswil nach Nord- und Südamerika aus.
Berichte aus erster Hand
Unter den Emigranten finden sich dorfbekannte Namen, wie Hiestand, Strickler, Bachmann u.a. Berichte und Briefe berichten von den Fahrten über das weite Meer, deren Verlauf abhängig war vom Wetter, jedoch auch von den Mitreisenden, dem Kapitän und der Crew. So ist in der Ausstellung von havarierten Schiffen zu lesen, von Menschen, die ihre Mitreisenden drangsalieren und bestehlen, von mangelnder Hygiene, Ausbruch von Krankheiten und Todesfälle. Viele Familien haben den Tod eines oder gar mehrerer Kinder zu beklagen.
Ein gewisses Mass an Sicherheit verspricht das Arrangement durch Agenturen, welche die Reisen organisieren. Es gab in Amerika Einwanderungsgesellschaften, die in Europa Abgeordnete hatten, welche sich um Auswanderungswillige bemühten, diesen Herberge und Anstellung besorgten und die Auswanderer auf ihrer Reise begleitet. Doch das war die Luxusvariante eines «Schleusers».
Nicht erwünscht waren laut einem Reisevertrag einer Basler Agentur die «Blödsinnigen, Mondsüchtigen und Verrückten», Behinderte jeglicher Art («Verstümmelte, Krüppel, Blinde» usw.), Leute über 60, Witwen mit Kleinkindern, Schwangere, Kinder unter 13 Jahren ohne Begleitung und noch andere. Und 1854 meinte «Der Schweizerbote»: «Wir begreifen, dass es für Gemeinden wünschenswerth sein muss, böse liederliche Arme, lästige Familien loszuwerden.»
Die Ausstellung
Das Ortsmuseum zeigt solch oben genannte Aussagen, Verträge, Briefe, Berichte der Reisen und Kriegstagebüchern, auch wunderbare Originale, untermalt mit Filmdokumenten, Fotografien und herrlichem «Interieur» einer Agentur oder der extra gezimmerten Schlafkoje, in denen sich die Menschen teilweise zu mehrt wochenlang aufhalten mussten.
Empfehlung der Redaktion für den Ausstellungsbesuch im Ortsmuseum: Nehmen Sie Zeit mit!
* Quelle: Wikipedia
Die Auswanderer-Ausstellung dauert noch bis zum
3. Dezember.
Öffnungszeiten: jeweils freitags 16.00–19.00 Uhr, samstags 14.00–17.00 Uhr, sonntags 10.00–12.00 Uhr, Finissage am 3.12., von 10.00–14.00 Uhr
Ortsmuseum zum Bären, Dorfbachstrasse 12, Richterswil
Rund 400 000 Schweizer zogen zwischen 1816 bis 1913 aus und siedelten sich rund um den Globus an. Die Spuren, die sie hinterlassen haben, sind noch heute deutlich spür- und sichtbar. Die grosse Herbstausstellung im Ortsmuseum beschäftigt sich mit den Auswanderern aus Richterswil.
Text: Reni Bircher
Bilder: Guido Bircher
Die Richterswiler Kirchenbücher vermerken die ersten Auswanderer allerdings bereits 1650. Vermutet werden Täufer, die im Elsass und der Pfalz nach einer neuen Heimat suchten, um unbehelligt in ihrer Glaubensgemeinschaft leben zu können. Das Land war wegen des Dreissigjährigen Krieges entvölkert und verwüstet, der Wiederaufbau und Bewirtschaftung ging oft über die menschliche Kraft, so dass manche verarmt den Rückzug antraten.
In einer zweiten Auswanderungswelle (1730–1755) zog es rund 2500 Zürcherinnen und Zürcher über das Meer nach Nordamerika. So auch 23 Personen aus Richterswil, die zu Pfingsten 1743 nach South Carolina zogen.
Geschickte Werbekampagnen lobten das Land, wo Milch und Honig fliessen soll, und das Recht auf Glaubensfreiheit erhielt vor allem in den Täufergemeinschaften viel Zuspruch. Noch heute zeugen viele Familiennamen der in dieser Region siedelnden Amish People von ihren Deutschschweizer Wurzeln. Die Amischen stammen überwiegend von Südwestdeutschen oder Deutschschweizern ab und sprechen noch heute untereinander meist Pennsylvaniadeutsch, kleinere Untergruppen sprechen stattdessen einen elsässischen oder einen berndeutschen Dialekt*.
Flucht vor Hunger und Armut
Hungersnöte spielten wohl die grösste Rolle im Leben der Emigranten. Die letzte grosse Hungersnot brachte der Ausbruch des Vulkans Tambora auf einer der indonesischen Inseln 1815. Das durch die Eruption ausgeworfene Material bewirkte globale Klimaveränderungen, die aufgrund der Auswirkungen auf das europäische Wetter dem Jahr 1816 die Bezeichnung «Jahr ohne Sommer» einbrachten. In Teilen der nördlichen Hemisphäre kam es durch Missernten und eine erhöhte Sterblichkeit unter Nutztieren zur schlimmsten Hungersnot des 19. Jahrhunderts. Was die Auswanderer nicht ahnten war, dass diese Naturkatastrophe in Nordamerika ebenfalls Auswirkungen hatte …
Die Auswanderungsquote in Richterswil blieb jedoch bis um 1900 hoch. Die lange Zeit florierende Kattundruckerei hielt mit den modernen Maschinen nicht mehr mit. So kam es um 1880 zu einer wahren Auswanderungswelle von Seidenwebern. 1882 bis 1893 wanderten insgesamt 151 Personen aus Richterswil nach Nord- und Südamerika aus.
Berichte aus erster Hand
Unter den Emigranten finden sich dorfbekannte Namen, wie Hiestand, Strickler, Bachmann u.a. Berichte und Briefe berichten von den Fahrten über das weite Meer, deren Verlauf abhängig war vom Wetter, jedoch auch von den Mitreisenden, dem Kapitän und der Crew. So ist in der Ausstellung von havarierten Schiffen zu lesen, von Menschen, die ihre Mitreisenden drangsalieren und bestehlen, von mangelnder Hygiene, Ausbruch von Krankheiten und Todesfälle. Viele Familien haben den Tod eines oder gar mehrerer Kinder zu beklagen.
Ein gewisses Mass an Sicherheit verspricht das Arrangement durch Agenturen, welche die Reisen organisieren. Es gab in Amerika Einwanderungsgesellschaften, die in Europa Abgeordnete hatten, welche sich um Auswanderungswillige bemühten, diesen Herberge und Anstellung besorgten und die Auswanderer auf ihrer Reise begleitet. Doch das war die Luxusvariante eines «Schleusers».
Nicht erwünscht waren laut einem Reisevertrag einer Basler Agentur die «Blödsinnigen, Mondsüchtigen und Verrückten», Behinderte jeglicher Art («Verstümmelte, Krüppel, Blinde» usw.), Leute über 60, Witwen mit Kleinkindern, Schwangere, Kinder unter 13 Jahren ohne Begleitung und noch andere. Und 1854 meinte «Der Schweizerbote»: «Wir begreifen, dass es für Gemeinden wünschenswerth sein muss, böse liederliche Arme, lästige Familien loszuwerden.»
Die Ausstellung
Das Ortsmuseum zeigt solch oben genannte Aussagen, Verträge, Briefe, Berichte der Reisen und Kriegstagebüchern, auch wunderbare Originale, untermalt mit Filmdokumenten, Fotografien und herrlichem «Interieur» einer Agentur oder der extra gezimmerten Schlafkoje, in denen sich die Menschen teilweise zu mehrt wochenlang aufhalten mussten.
Empfehlung der Redaktion für den Ausstellungsbesuch im Ortsmuseum: Nehmen Sie Zeit mit!
* Quelle: Wikipedia
Die Auswanderer-Ausstellung dauert noch bis zum
3. Dezember.
Öffnungszeiten: jeweils freitags 16.00–19.00 Uhr, samstags 14.00–17.00 Uhr, sonntags 10.00–12.00 Uhr, Finissage am 3.12., von 10.00–14.00 Uhr
Ortsmuseum zum Bären, Dorfbachstrasse 12, Richterswil