Feuilleton Wädenswil

Amitié Suisse Tchadienne – Entwicklungszusammenarbeit im Tschad 

Nach zehn Jahren Engagement im Tschad mit ihrem Verein Amitié Suisse Tchadienne möchten die in Schönenberg aufgewachsenen Brüder Julian und Alex Süsstrunk über ihre Tätigkeiten und Projekte informieren. Das tun sie an einem Infoabend
im März. 

Text: Ingrid Eva Liedtke
Bilder: zvg

Man kann annehmen, dass die meisten Leser und Leserinnen nicht allzu viel wissen über den Tschad. Die Suchmaschine weiss, dass dieser zentralafrikanische Binnenstaat am südlichen Rand der Sahara liegt und 1 284000 km² gross ist, was ungefähr 3,6-mal der Grösse Deutschlands entspricht. Der Tschad ist damit eines der grössten Länder in Afrika. Es wird gesagt, er sei auch eines der ärmsten Länder der Welt mit viel Kriminalität und Korruption, die Arbeitslosenquote ist hoch, die Gesundheitsversorgung unzureichend und die Bildungschancen sind niedrig.

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Andauernde gewaltsame Konflikte im Gebiet um den Tschadsee und die Instabilität der Nachbarländer Zentralafrikanische Republik, Libyen, Nigeria, Sudan und Kamerun, sind Gründe für die angespannte Sicherheitslage. 

Ein Verein zur Unterstützung von Spitälern im Tschad

Julian Süsstrunk ist, zusammen mit seinem Bruder Alex, Gründer von Amitié Suisse Tchadienne, einem Verein zur Unterstützung von Spitälern im Tschad. Fragt man ihn nach seinen Eindrücken, dann hat er anderes zu erzählen.

Julian Süsstrunk sagt: «Man liest kaum je etwas Positives über zentralafrikanische Länder. Es stimmt, es gibt einige Systemprobleme, aber es gibt auch sehr viel Gutes, wie zum Beispiel eine grosse religiöse Toleranz, die ihresgleichen sucht. In gewissen Teilen des Tschads leben viele Muslime, im Süden viele Christen, es gibt auch Animisten. Man akzeptiert einander in hohem Mass. Ein Beispiel: Ein Bus ist vollbesetzt mit Menschen verschiedenster Ethnien und religiöser Zugehörigkeit. Wenn Gebetszeit für die Muslime ist, hält der Bus an, damit diese aussteigen, ihre Gebetsteppiche ausrollen und beten können. Aus Respekt und Achtung warten die Fahrgäste geduldig, bis der Bus weiterfahren kann.

Ich persönlich hatte in vielen Besuchen während 10 Jahren noch nie ein Problem bezüglich Sicherheit. Natürlich gibt es Statistiken, welche die Sicherheitslage als problematisch einstufen.Insbesondere während den Wahlen ist die politische Lage angespannt, und politische Veranstaltungen oder Demonstrationen sollten gemieden werden. Aber Statistiken sind in gewissen Ländern nur bedingt aussagekräftig, weil es wenige bis keine zuverlässigen Datenerhebungen gibt. Beispielsweise Statistiken über Geburten und Todesfälle sind sehr mangelhaft, weil sie oft gar nicht gemeldet oder systematisch erfasst werden. Viele Einwohner haben keinen Pass oder eine Identitätskarte, die meisten kennen ihr Geburtsdatum nicht. 

Wichtig bei einem Besuch ist sicherlich, nicht in einen Unfall verwickelt zu sein. Die Gesundheitsversorgung ist sehr rudimentär und eine notfallmässige Behandlung ist in vielen Regionen sehr schwierig zu erhalten. Daher sollte man bei einem medizinischen Notfall eine rasche Evakuierung anstreben. 

 

Julian und Alex Süsstrunk und der Tropfen auf den heissen Stein

Wer sind Julian und Alex? Was hat sie veranlasst sich in einem Entwicklungsland zu engagieren?

Alex Süsstrunk, Jahrgang 1985, hat Multimediaelektroniker gelernt, im Informatikbereich und später im Finanzsektor in verschiedenen Funktionen gearbeitet. Er kennt sich mit Prozessen, Digitalisierung und Projektarbeit besonders gut aus und kann mit seiner langjährigen Arbeitserfahrung einen wichtigen Beitrag leisten.

Dazu kommt, wie er sagt, eine angeborene Neugierde. «Ich unterstütze gerne Leute in ihren Projekten, hier direkt meinen Bruder. Ich habe ein grundsätzliches Bedürfnis Menschen aktiv zu unterstützen. Dieser Aktivismus bezieht sich aber auch auf die Umwelt und die Tierwelt, bzw. die Rechte von Tieren.»

Man kann argumentieren, dass solche Engagements ein Tropfen auf den heissen Stein sind: «Ja, das stimmt», sagt er. «Letztlich beginnt aber jede Unterstützung irgendwo und entfaltet mit der Zeit ihre Wirkung. Schliesslich konnten wir mit unseren Projekten für einige tausend Menschen etwas verbessern, sei es die Behandlung einer Erkrankung, eine lebensrettende Entbindung für eine Mutter und ihr Kind oder die Verbesserung der Arbeitsbedingungen von Angestellten in Spitälern. Schliesslich gilt aber: Auch wenn man nur einer einzigen Person eine Unterstützung bieten kann, ist das besser, als sich nur um sich selbst zu kümmern. Wir Menschen sollten aufeinander acht geben.»

Julian fasst das Gesagte so zusammen: «Du bist proaktiv und solidarisch.» Immer wieder beendet der eine den Satz des anderen oder fügt weitere Informationen hinzu. Daraus kann man schliessen, dass sich die beiden Brüder gut kennen, verstehen und ergänzen, was ihrem Engagement sicherlich zugutekommt.

Julian, 1989, ist Chirurg. Er hat seine Ausbildung im Limmattalspital begonnen und arbeitet seit drei Jahren am Unispital Basel für die weitere Fachausbildung in Viszeralchirurgie. Die Brüder Süsstrunk sind im ländlichen Schönenberg aufgewachsen.

Auch Julian bezeichnet sich als neugierig und interessiert am Reisen, als jemanden, der in den Ferien immer unterwegs war. Schon während seiner Mittelschulzeit hat er ein Austauschjahr in Kapstadt verbracht. «Ich habe das Weite gesucht. Nach dem 2. Studienjahr wollte ich dann etwas vom richtigen Afrika sehen. Für ein Praktikum in den Semesterferien habe ich verschiedene Ärzte in afrikanischen Ländern wie Nigeria, Zimbabwe, Tansania und eben im Tschad angeschrieben. Alle haben abgesagt, nur der Arzt im Tschad antwortete: ‹Komm doch einfach!› So kam ich dazu.» 

Anfangs stand für Julian Süsstrunk im Vordergrund, neue Erfahrungen zu sammeln: «Ich ging in den Tschad als Praktikant, um zu sehen, wie die Leute dort arbeiten und leben. Zu Beginn war es für mich ein ziemlicher Kulturschock. Ich wohnte bei einem tschadischen Arzt in einem sehr kleinen Zimmer, worin knapp eine Matratze Platz hatte. Es gab keinen Strom, kein Wasser. Es war Regenzeit und der Regen prasselte nachts sehr laut auf die Wellblechdächer. Im Spital, dachte ich, wären die Bedingungen sicherlich besser, aber es waren dieselben. Den 5-Kilowatt-Generator nahm man von zuhause mit, Wasser musste man am Ziehbrunnen holen. Die Bedingungen damals im Jahr 2012 waren erbärmlich, menschenunwürdig. Wir behandelten Frauen bei Geburtsstillstand, die, schon am Tropf für den Kaiserschnitt, noch umhergingen, während wir die Instrumente mit ein wenig Alkohol reinigten. Kaum etwas, das ich in der Schweiz bis dahin gelernt hatte, wie zum Beispiel Hygiene, war gewährleistet. Diese Misere hat mich anfangs überwältigt! 

Eines Tages wurde dieses Kind eingeliefert, das sich zuhause mit heissem Wasser verbrüht hatte. Die Eltern waren sehr arm und Analphabeten. Sie wussten nicht, was zu tun war und brachten ihr Kind erst nach drei Tagen ins Spital. Der Junge war völlig dehydriert, die Wunden eiternd und voller Fliegen. Wir konnten ihn mit Schmerzmitteln ein wenig ruhigstellen, aber er ist nach drei Tagen verstorben. Ich vergesse nie mehr diesen Geruch von verbrannter Haut.»

Nach etwa 2 Wochen rief Julian Süsstrunk das erste Mal zuhause an. Alex erinnert sich: «Er hörte sich richtig ausgelaugt an. Man merkte, dass es ihm auf die Seele drückte, all diese schlimmen Erlebnisse. Menschen, die täglich an Banalitäten starben. Doch er ist geblieben. Er hat einen grossen Durchhaltewillen, fängt nie etwas an und hört dann wieder auf.»

Kleine Veränderungen können Substantielles bewirken

Julian: «Jetzt bin ich froh, dass ich geblieben bin. Man gewöhnt sich an die Umstände. Mit der Zeit versteht man, wo man im Kleinen, teilweise mit wenig Aufwand, etwas verändern kann. Ein gutes Beispiel dafür ist die Apotheke des Spitals. Das war ein Raum voller Kartonschachteln mit den verschiedensten Medikamenten. Alles war sehr unübersichtlich und deshalb sind auch Medikamente abgelaufen. Gemeinsam mit dem Arzt und der Apothekerin haben wir aufgeräumt und einige Regale gebaut. Die Medikamente konnten darin eingeräumt und gut sortiert werden. Das sparte viel Zeit und auch Geld, und bis heute wird die Apotheke sauber und ordentlich geführt.»

Aus der ersten Zusammenarbeit mit dem Arzt, Dr. Frédéric Berniba Djongali, hat sich schliesslich eine produktive Freundschaft entwickelt. Frédéric ist 20 Jahre älter, ist im ländlichen Gebiet aufgewachsen und musste als Kind auf dem Feld helfen, bevor er mit Hilfe seines älteren Bruders studieren konnte.

Julian: «Als ich nach meinem Praktikum ging, habe ich Frédéric versprochen, wieder zu kommen. Wir hatten konkrete Ideen für eine verbesserte Wasserversorgung. Zuhause habe ich alles meinem Bruder erzählt, und zusammen haben wir ein kleines Dossier erstellt, um es der Familie, Freunden und Nachbarn zu zeigen. Das Dossier beinhaltete auch die Idee für die Wasserversorgung. Es musste eine Grundwasserbohrung vorgenommen und ein kleines Wasserschloss erstellt werden, zusätzlich ein paar Wasserleitungen verlegt. Der Kostenvoranschlag belief sich auf rund CHF 5000, was für uns Schweizer nicht viel ist und im Tschad doch einiges an Verbesserung bringen kann. Da kam die Idee auf, Geld zu sammeln.»

Der Verein als Dach

Alex: «Nach dem Wasser kam die Stromversorgung, ein Operationssaal und so weiter. Uns wurde früh bewusst, dass wir einen Rahmen für unser Tun brauchten, sodass wir für Spender glaubhaft und vertrauenswürdig wirken. Wir beschlossen, auf unseren Prinzipien basierend, einen Verein zu gründen mit dem Ziel von nachhaltiger Entwicklungszusammenarbeit, finanzieller Transparenz und minimalem administrativem Aufwand. Keinesfalls wollen wir uns bereichern. Deshalb zahlen wir den administrativen Aufwand und unsere Reisen in den Tschad selbst, so können wir jeden gespendeten Franken direkt in die Projekte investieren. Das ist unser finanzieller Beitrag.»

Je mehr die Brüder Süsstrunk über ihr Projekt informierten, desto mehr Gelegenheiten ergaben sich. Julian Süsstrunk hielt Vorträge, zum Beispiel im Rotary oder Lions Club, an den Universitäten Zürich und Basel, bei Stiftungen und Kirchgemeinden. 

Aber dabei spielt auch noch ein anderes Anliegen mit. Alex: «Wir sind froh, wenn Menschen interessiert sind, und es ist uns auch sehr wichtig, über die Kultur und die Menschen im Tschad zu berichten.»

Julian: «Durch meine Vorträge an der Uni möchte ich auch Studenten dazu ermutigen, ein Praktikum in einem Entwicklungsland zu absolvieren, um etwas Anderes zu erleben und kennenzulernen. Es ist immer eine Horizonterweiterung – ich konnte meine Leidenschaft schon an einige weitergeben.»

Der Spagat

Die Schweiz und der Tschad – zwei völlig verschiedene Welten. Wie bewegt man sich in beiden? Ist es ein Spagat? Man müsse robust sein. Da sind sich die Brüder einig. Das Klima sei nicht immer einfach, die Strassenverhältnisse schwierig, das Essen anders: kein Supermarkt, keine Kühlschränke, Fleisch ist nur frisch geschlachtet erhältlich, das Mehl aus gestampften Körnern. Man könne schnell einige Bedenken haben.

Aber dann beginnen sie das Positive aufzuzählen, dann ist da ein Leuchten und Schwärmen über die Offenheit der Menschen, die Gastfreundschaft, das Teilen. «Kommt man in ein Dorf, wird man sofort begrüsst und interessiert befragt. Man setzt sich zusammen und trinkt Wasser. Alles wird geteilt, auch mit dem Fremden. 

«Die Schere von Reich und Arm ist sehr klein. Auch der Arzt hat nur wenig, obwohl er immerhin ein soziales Ansehen geniesst», erzählt Julian Süsstrunk und fügt an: «Zuhause und der Tschad, das sind zwei verschiedene Welten. Man sollte sie nicht vermischen. Die Unterschiede sind zu gewaltig, medizinisch gesehen wie auch sozial. Man muss die entsprechende Brille anziehen und jeden Menschen und seine Sorgen, dort wie hier, in seinem eigenen Kontext betrachten, sonst macht es einen krank. Ein Beispiel: Ein Patient, der hier in der Schweiz eine komplexe Herzoperation erhält und für 1–2 Wochen auf der Intensivstation liegt, kostet mit aller Nachbehandlung bis zu ca. 250 000 Franken. Mit diesem Geld kann man im Tschad die Jahresausgaben von zwei ganzen Spitälern decken, inklusive aller Medikamente, Löhne, Anschaffungen, etc. Das ist so komplett absurd. Das darf man nicht zu sehr vergleichen.»

Alex meint: «Eine gewisse Distanz ist manchmal auch gut. Es muss eine Mitte gefunden werden zwischen Emotionalität und Rationalität. Wir konnten schon viel bewirken, viele Lebensjahre gewinnen, vielen Menschen helfen. Das zählt!» 

Entwick­lungs­zu­sammen­arbeit und ihre Errungenschaften

Nach vielen Jahren der Entwicklungszusammenarbeit mit Dr. Frédéric Berniba Djongali, verfügt die Clinique El Jire Rapha in Moundou nun über eine medizinische, chirurgische und gynäkologische Klinik mit solider Wasser- und Stromversorgung, einem für örtliche Standards gut ausgerüsteten Labor und Operationssaal sowie eine eigene Radiologie mit Ultraschall und Röntgengerät. Hinzu kam das Spital in Djamane Mbarissou in einem ländlichen Gebiet und fünf kleinere Gesundheitszentren, mit welchen die Brüder eine Zusammenarbeit aufgebaut haben. Somit haben die Projekte ihres Vereins heute Einfluss auf das Leben von mehreren tausend Personen. Sichere Arbeitsplätze wurden geschaffen und vor allem: gesunde Menschen, welche wiederum zu mehr fähig sind. Alleine der Fakt, dass man sich für die Menschen im Tschad interessiere, bedeute viel, denn das Land sei ein Blackspot, ein vergessenes Land.

Süsstrunks legen Wert darauf, dass man von Entwicklungszusammenarbeit ausgeht. Es gehe nicht nur darum, finanzielle Hilfe zu leisten, sondern auch gemeinsam neue Ideen und Lösungen zu erarbeiten und ein Netzwerk aufzubauen mit lokalen, vertrauenswürdigen Handwerkern und Medizinalfirmen.  

«Unsere Hilfe wird direkt, sinnvoll und nachhaltig geleistet und an einem Ort, wo es sie dringend braucht.» 

Julian Süsstrunk: «Viele Personen im Tschad sind genauso kompetent wie wir, sie haben nur erschwerte Umstände. Es geht nicht darum ‹den Armen in Afrika› helfen zu gehen, sondern unseren Mitmenschen mit weniger Privilegien Unterstützung zu bieten. Dr. Frédéric zum Beispiel operiert besser als mancher Chirurg in der Schweiz und das mit einigen schwierigeren Umständen. Wir haben eine Zusammenarbeit, die auf Augenhöhe basiert, und wir wollen nur dort eine Unterstützung geben, wo sie gebraucht wird.»

Informationsabend

Zum 10-Jahr-Jubiläum der Amitié Suisse Tchadienne möchten die Gründer zu einem Informationsabend für Interessierte und Spender einladen, um über ihre Aktivitäten und Erfahrungen in der medizinischen Entwicklungszusammenarbeit im Tschad zu berichten. Es ist ihnen ein Anliegen auch über den Tschad und seine Menschen zu erzählen, um dadurch mehr Verständnis zu schaffen.

Weitere Informationen zu den einzelnen
Projekten findet man auf der Homepage:
www.projekttschad.ch

Aktuelles aus dem Tschad
10. März 2023, 18.00 bis ca. 20.00 Uhr
Gessnerweg 5, Wädenswil
Eintritt frei.
Online-Zugang zur Veranstaltung möglich (Zoom). Link siehe Website.

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