Kolumne

Kunst: Sich öffentlich zeigen und gesehen werden

Die Bühnen dieser Welt werden wieder bespielt und die Kunst kann sich wieder öffentlich zeigen. Auch wenn zum Beispiel Literatur während der ganzen Coronazeit ihre Leser hatte, vielleicht noch mehr also zuvor, weil plötzlich genug Zeit da war, so freuen sich auch Autoren, endlich wieder vor Publikum lesen zu können. Musik hören konnte man auch immer, aber in einem Konzert zu sitzen, den Musikern zuzusehen, wie sie ihren Instrumenten diese wunderbaren Töne entlocken, die dann noch auf so wunderbare Weise miteinander harmonieren, das ist doch ein gewaltiges Mehr an Genuss. Lange mussten Autoren auf Lesungen verzichten, Musiker auf Konzerte, bildende Künstler auf Ausstellungen, Theaterschaffende auf ihre Bühne und alle auf Einkünfte, die vor allem aus den öffentlichen Auftritten fliessen.
Viele Künstler verfluchen oft ihre – sozusagen – aufgezwungenen Kontakte mit der Aussenwelt und sehnen sich nach der Stille ihres einsamen Schaffensprozesses. Doch fehlt dann trotzdem etwas, wenn kein Kontakt mehr stattfinden kann, wenn nur noch Innenschau möglich ist.
Kunst entsteht oft aus einem Innersten heraus, ist vielleicht gar im Kern entstanden und stülpt sich dann nach aussen und gibt alles und sich allem preis. Wie ist es, wenn man Innenleben ausdrückt, wenn man es in ein Bild, Musik oder Text, in eine Kunstform gebracht hat, wenn man sich so zeigt – nackt – und keinen Einfluss auf die Reaktion hat, die alles sein kann, von wohlwollend, gefällig, bis zu überbordend begeistert, aber auch abfällig, missachtend und abwertend? Wie geht man damit um? Möglicherweise kann schon ein falsches Verständnis eine Missachtung sein.
Ich weiss nicht, ob es da eine Antwort gibt.
Der Künstler hat Einfluss auf sein Werk, auf die Mittel, mit denen er sich ausdrückt. Weniger Einfluss kann auf die Reaktion der Öffentlichkeit genommen werden. Die Künstlerin kann natürlich entscheiden, was sie preisgibt, was sie der Öffentlichkeit zeigt. Doch sind es nicht die Werke, die aus dem Innersten kommen, die eben viel offenbaren, die besonders berühren?
Wie sehr macht sich der Schaffende verletzlich, wie sehr setzt er sich aus? Wie gefährlich ist das?
Die Anfechtbarkeit des Einzelnen ist so divers wie die künstlerischen Werke. Doch wer nichts zu sagen hat oder sich nicht zeigen will, der ist wohl falsch im Kulturzirkus, denn Kunst will uns Menschen berühren. Sie erzählt Geschichten, die eigenen oder auch die von anderen. Die Kunst will Aufmerksamkeit. Etwas wird dargestellt, damit andere Augen auch schauen, andere Ohren auch hören können, was jemand erlebt hat oder sich ausdenkt. Die Kunst will Teilhabe, sie will erreichen, sie will möglicherweise auch eine Reaktion. Darum auch die Kunst der Provokation.
Vielleicht ist das Schlimmste, was der Kunst und den Schaffenden passieren kann, Ignoranz.

Ingrid Eva Liedtke

Teilen mit:

1 Kommentar zu “Kunst: Sich öffentlich zeigen und gesehen werden

  1. Etta Flatow

    Wie immer, toll geschrieben!

Kommentare sind geschlossen.