Wir trafen die berühmte Opernsängerin Victoria Loukianetz am Samstag, 12. März,
in Zürich zum Gespräch. Uns gegenüber sass eine Frau mit einem lebhaften Gesicht, einem offenen Wesen, ohne Starallüren und einem unerschütterlichen Glauben
daran, dass ihr Volk den Krieg gewinnen wird.
Interview: Reni Bircher
Bilder: Guido Bircher
Frau Loukianetz, Sie stehen seit Ihrem 23. Lebensjahr weltweit auf den grossen Opernbühnen; wie blicken Sie dem Benefizkonzert in der reformierten Kirche Richterswil entgegen?
Ich habe Erfahrung darin, denn ich gab schon oft Benefizkonzerte in Kirchen, etwa in der Sophienkathedrale in Kiew. Ich liebe die Akustik der Gotteshäuser, und die Atmosphäre ist gerade für einen solchen Anlass unter dem Namen «Gebet für Ukraine», wie ich ihn geplant habe, umso intensiver. Manchmal singe ich in Kirchen a cappella, doch morgen wird mich ein Klavierspieler begleiten.
Mussten Sie lange überlegen, ob Sie das machen wollen?
Überhaupt nicht. Ich glaube, es ist meine wichtigste Aufgabe als Ukrainerin, nun meine Unterstützung anzubieten. Und weil es Wochenende ist, habe ich keine weiteren Verpflichtungen, denn ich bin noch Professorin am Konservatorium (International Academy of Music and Performing Arts) in Wien.
Wo leben Sie?
Ich lebe mit meinem Mann und unserer Tochter in Wien. Wir sind 1994 wegen meiner Anstellung am Konservatorium umgezogen, und Wien bietet einem Künstler wirklich alle Chancen. Mein Mann war Solist in Kiew und hat seine Stellung aufgegeben, um meine Laufbahn als Opernsängerin zu unterstützen. Er singt nun in der Staatsoper im Chor; er hat einen wunderschönen Tenor. Mein Anstellungsvertrag wurde immer wieder verlängert, und 1997 wurde mir sogar die Staatsbürgerschaft angeboten. Nun bin ich Doppelbürgerin der Ukraine und von Österreich.
Dann sind Sie extra wegen diesem Benefizkonzert in die Schweiz gekommen?
Ich habe gestern (am 12.3.22, Anm. d. Red.) in der Petruskirche in Zürich nebst anderen Künstlern ein Konzert für die Spendensammlung gegeben, und heute Morgen bin ich zum See und durch die engen Gassen der Altstadt spaziert, es war wunderschön. Am Sonntag bin ich dann in Richterswil und am Montag geht es für mich zurück nach Wien.
Sie haben die Liedauswahl getroffen; mit welchen Kriterien?
Ich habe im Voraus meine Auswahl an den Pianisten geschickt, in der Annahme, er möchte noch etwas daran ändern. Seine Antwort war kurz: «Bozhestvenna prohrama» («Ein göttliches Programm»). Das hat mich sehr gefreut. Ich habe es wie eine Opernvorstellung aufgebaut oder ein Schauspiel, mit einer gezielt gewollten dramatischen Steigerung. Ich hoffe, es wird die Herzen der Zuhörerschaft berühren.
Sie sind gebürtige Ukrainerin, in Kiew geboren und aufgewachsen, haben auch dort studiert; was macht dieser Krieg persönlich mit Ihnen?
Ich glaube, dieser Krieg verändert meine Seele und meine Psyche. In hätte nie für möglich gehalten, dass ich einen Krieg so nah erleben werden. Das trifft mich zutiefst.
Haben Sie Familie, Freunde in der Heimat?
Meine Mutter ist noch immer dort, ebenso zwei Brüder meines Mannes mit ihren Familien. Mein Neffe kämpft als Soldat in der Armee, meine Nichte ist mit zwei Freundinnen 25 Kilometer weit zu Fuss nach Wien geflüchtet. Eine Woche hat die Flucht gedauert. Zwei dieser jungen Frauen sind derart traumatisiert, dass ich sie nicht wiedererkannt habe. Das macht der Krieg mit den Menschen.
Haben Sie mit diesen Leuten Kontakt?
Ich rufe meine Mutter jeden Tag an, schon vor dem Krieg habe ich sie gebeten, zu uns zu kommen, weil ich irgendwie gespürt habe, dass etwas Schlimmes kommt. Doch sie weigerte sich, auch heute noch. Sie ist 83 Jahre alt und sagt, dass sie nicht von dem Boden weichen wird, den sie mit ihren eigenen Händen bebaut und ihr Leben verbracht hat. Sie sagt, sie sei frei, weil sie in ihrer Heimat ist, und sie wird diese nicht verlassen. So sehr mich das schmerzt, macht ihre Stärke auch mich stark.
Inwiefern?
Meine Mutter erinnert sich noch an den 2. Weltkrieg und wie deutsche Truppen die Ostukraine besetzt hatten. Aber sie konnte auch von guten Erlebnissen erzählen, die dort passiert sind. Zum Beispiel wurde ihr ein Finger abgeschossen, und ein deutscher Chirurg hat ihn wieder angenäht und gerettet. Auch solche Geschichten gab es damals. Es ist also wie immer vor allem eines: menschlich.
Wenn ich sehe und höre, welch grosser Hass den Russen entgegengebracht wird – da muss man aufpassen, denn das sind nicht die Menschen, die den Krieg begonnen haben. Ich habe russische Studierende bei mir, und es ist ganz klar, dass wir nicht über Politik reden, denn wir sind an der Akademie, um zu singen. Basta. Es kommt nicht in Frage, dass ich diese Menschen hassen werde, denn es gibt nur eine Nationalität: Menschsein.
Das Wichtigste in dieser unfassbaren Situation ist der Geist, und der Geist ist da. Noch nie zuvor hat eine Nation einen solchen Zusammenhalt und noch nie zuvor hat sich unsere demokratische Welt so geschlossen gezeigt. Das Gute muss einfach gewinnen.
Vor dem Krieg die Pandemie. Die Opernhäuser wurden während dieser Zeit geschlossen. Was bedeutet das für Sie?
Wir haben etwas für uns Neues ausprobiert und Online-Konzerte gemacht. Das hat auch Vorteile, denn sonst waren wir ständig unterwegs oder hatten eine Probe nach der anderen. Und plötzlich kam diese Zwangspause, in der man über Qualität, das Repertoire und seine eigene Leistung nachdenken konnte.
Für die Akademie habe ich über Zoom unterrichtet, und das Wunderbare daran war, dass ich nicht nur weltweit meine Masterklassen unterrichten konnte, sondern es gab auch neue Teilnehmerinnen und Teilnehmer sowie bekannte Sängerinnen, die sich mit mir weiterbilden oder Partien einüben wollten. Diese grenzüberschreitende Möglichkeit haben wir nur durch die Pandemie entdeckt.
Spendet Ihnen die Musik Trost in schweren Zeiten?
Oh ja, wenn die Seele leidet, dann singt man. Egal, ob allein zuhause oder draussen im Wald.
Sie singen in verschiedenen Sprachen; welche sprechen Sie?
Ich spreche nicht so gut Deutsch, wie ich möchte, auch wenn ich 48 verschiedene (grosse und kleine) Rollen einstudiert habe. Aber richtig Deutsch lernt man dadurch nicht, und mit einer internationalen Karriere ist das zeitlich zudem recht schwierig.
Ich spreche Englisch, Italienisch vermutlich besser als Deutsch, Ukrainisch, Russisch und Japanisch. Wenn ich zwei, drei Wochen in der Schweiz bleiben würde, könnte ich vermutlich auch etwas Schweizerdeutsch *lacht*. Ich bin immer sehr offen und neugierig, und das absolute Gehör hilft mir vermutlich sehr dabei eine Sprache zu lernen.
Wir haben auch Fragen an Mariana Koch gestellt, welche dieses Benefizkonzert erst möglich gemacht und ebenfalls am Gesprächstisch Platz genommen hat. Sie ist von Zürich nach Richterswil gezogen, das sie als ihre zweite Heimat betrachtet. Sie mag die Atmosphäre des Dorfes und bezeichnet die Bevölkerung als ganz besonders.
Frau Koch, seit wann und woher kennen Sie Frau Loukianetz?
Ich komme aus einer Künstlerfamilie in der Ukraine, und meine Mutter hat früher die Konzerte von Frau Loukianetz organisiert. Ausserdem kenne ich ihre Managerin.
Wann kam Ihnen die Idee für dieses Benefizkonzert?
Am 19. Februar war ich noch in der Ukraine, um über ein mögliches Konzert in der Schweiz zu reden, denn ich hatte an der Misswahl in der Ukraine teilgenommen. Dort habe ich dann gesagt, dass ich versuchen will, ein Konzert mit Victoria auf die Beine zu stellen. Allerdings habe ich damals an ein ganz «normales» Konzert gedacht und nicht unter diesen traurigen Umständen.
Weil der Krieg ausbrach, fehlt den Menschen in der Ukraine Wasser und Lebensmittel, medizinische Versorgung, vor allem auch für die Kinderpflege. So ist nun ein Konzert zur Unterstützung unserer Heimat daraus geworden, und es musste innert kürzester Zeit organisiert werden.
Wen haben Sie danach kontaktiert, um Ihre Idee in die Tat umzusetzen?
Ich habe Gerda Koch auf der Gemeinde Richterswil angerufen, und sie war sofort von meinem Unterfangen begeistert. Ich war total von ihrer Reaktion überrascht, denn wenn eine Wildfremde zu mir käme und sagen würde: «Hey, ich habe einen Opernstar aus Wien und will ein Konzert machen», dann würde ich weiss ich was denken («Hast Du was geraucht?» *alle müssen lachen, das tut zwischendurch gut*). Aber vielleicht habe ich so entschlossen gewirkt, dass Frau Koch Leute mobilisiert, die Werbung und online die Kommunikation gemacht und organisiert hat. Zudem hat sie den Gemeinderat informiert, und der Gemeindepräsident wird noch eine Rede halten. Ohne Gerda Koch würde das vermutlich nicht stattfinden.
Sie sind ebenfalls gebürtige Ukrainerin; seit wann leben Sie in der Schweiz?
Seit 13 Jahren; mein Mann ist Schweizer und unsere Tochter geht hier in Richterswil in den Kindergarten.
Haben Sie noch Familie und Freunde in der Heimat?
Ich glaube, gestern war es das erste Mal seit Kriegsbeginn, dass ich wieder mal lächeln konnte, denn da ist nicht nur Victoria hierhergekommen, sondern auch meine Mutter mit Verwandten sowie meine Freundin mit zwei Kindern konnte sich hier in Sicherheit bringen. Ich konnte kaum ertragen, welche Bilder und Gefühle sie geschildert haben, die sie zuhause und unterwegs erlebt haben … Vor allem die Kinder sind stark traumatisiert.
Mein Bruder ist mit seiner Frau in der Ukraine geblieben, ebenso mein Vater und Grossvater, denn alle Männer unter 60 dürfen das Land nicht mehr verlassen, selbst wenn sie wollten. Die Entscheidung, ob man fliehen soll, muss für die Frauen sehr schwierig sein, denn sie wissen nicht, ob sie in ihr Haus zurückkehren können oder ob sie ihre Männer, Brüder wiedersehen werden.
Was sind das für Gefühle, die das in Ihnen auslöst?
Ich glaube, jede Ukrainerin und jeder Ukrainer weltweit leidet seit dem 24. Februar unter Schlafmangel und Appetitlosigkeit. Es fühlt sich an, als würde mir meine Kindheit weggenommen, unsere Geschichte, meine DNA, das, was mich ausmacht. Was ist, wenn ich in meine Lieblingsstadt Kiew zurückkomme und die Orte und Gebäude nicht mehr so sind, wie ich es kenne, wenn alles, was ich liebe, zerstört worden ist … das ist ein furchtbares Gefühl.
Besteht für Sie die Möglichkeit, aktiv etwas für ihre Familie zu tun?
Ganz allgemein kann man Geld spenden für die Ukraine, um die Bevölkerung zu unterstützen. Die Hilfsorganisationen versuchen ihr Möglichstes, um die Leute aus Gefahrenzonen in die Westukraine oder an die polnische Grenze zu bringen. Ich selber kann nicht 40 Mio. Menschen retten, also konzentriere ich mich vor allem auf die Nächsten, um ihnen zu helfen. n
Titel: Victoria Loukianetz hat Autorin Christine Brückner zitiert.
Wir trafen die berühmte Opernsängerin Victoria Loukianetz am Samstag, 12. März,
in Zürich zum Gespräch. Uns gegenüber sass eine Frau mit einem lebhaften Gesicht, einem offenen Wesen, ohne Starallüren und einem unerschütterlichen Glauben
daran, dass ihr Volk den Krieg gewinnen wird.
Interview: Reni Bircher
Bilder: Guido Bircher
Frau Loukianetz, Sie stehen seit Ihrem 23. Lebensjahr weltweit auf den grossen Opernbühnen; wie blicken Sie dem Benefizkonzert in der reformierten Kirche Richterswil entgegen?
Ich habe Erfahrung darin, denn ich gab schon oft Benefizkonzerte in Kirchen, etwa in der Sophienkathedrale in Kiew. Ich liebe die Akustik der Gotteshäuser, und die Atmosphäre ist gerade für einen solchen Anlass unter dem Namen «Gebet für Ukraine», wie ich ihn geplant habe, umso intensiver. Manchmal singe ich in Kirchen a cappella, doch morgen wird mich ein Klavierspieler begleiten.
Mussten Sie lange überlegen, ob Sie das machen wollen?
Überhaupt nicht. Ich glaube, es ist meine wichtigste Aufgabe als Ukrainerin, nun meine Unterstützung anzubieten. Und weil es Wochenende ist, habe ich keine weiteren Verpflichtungen, denn ich bin noch Professorin am Konservatorium (International Academy of Music and Performing Arts) in Wien.
Wo leben Sie?
Ich lebe mit meinem Mann und unserer Tochter in Wien. Wir sind 1994 wegen meiner Anstellung am Konservatorium umgezogen, und Wien bietet einem Künstler wirklich alle Chancen. Mein Mann war Solist in Kiew und hat seine Stellung aufgegeben, um meine Laufbahn als Opernsängerin zu unterstützen. Er singt nun in der Staatsoper im Chor; er hat einen wunderschönen Tenor. Mein Anstellungsvertrag wurde immer wieder verlängert, und 1997 wurde mir sogar die Staatsbürgerschaft angeboten. Nun bin ich Doppelbürgerin der Ukraine und von Österreich.
Dann sind Sie extra wegen diesem Benefizkonzert in die Schweiz gekommen?
Ich habe gestern (am 12.3.22, Anm. d. Red.) in der Petruskirche in Zürich nebst anderen Künstlern ein Konzert für die Spendensammlung gegeben, und heute Morgen bin ich zum See und durch die engen Gassen der Altstadt spaziert, es war wunderschön. Am Sonntag bin ich dann in Richterswil und am Montag geht es für mich zurück nach Wien.
Sie haben die Liedauswahl getroffen; mit welchen Kriterien?
Ich habe im Voraus meine Auswahl an den Pianisten geschickt, in der Annahme, er möchte noch etwas daran ändern. Seine Antwort war kurz: «Bozhestvenna prohrama» («Ein göttliches Programm»). Das hat mich sehr gefreut. Ich habe es wie eine Opernvorstellung aufgebaut oder ein Schauspiel, mit einer gezielt gewollten dramatischen Steigerung. Ich hoffe, es wird die Herzen der Zuhörerschaft berühren.
Sie sind gebürtige Ukrainerin, in Kiew geboren und aufgewachsen, haben auch dort studiert; was macht dieser Krieg persönlich mit Ihnen?
Ich glaube, dieser Krieg verändert meine Seele und meine Psyche. In hätte nie für möglich gehalten, dass ich einen Krieg so nah erleben werden. Das trifft mich zutiefst.
Haben Sie Familie, Freunde in der Heimat?
Meine Mutter ist noch immer dort, ebenso zwei Brüder meines Mannes mit ihren Familien. Mein Neffe kämpft als Soldat in der Armee, meine Nichte ist mit zwei Freundinnen 25 Kilometer weit zu Fuss nach Wien geflüchtet. Eine Woche hat die Flucht gedauert. Zwei dieser jungen Frauen sind derart traumatisiert, dass ich sie nicht wiedererkannt habe. Das macht der Krieg mit den Menschen.
Haben Sie mit diesen Leuten Kontakt?
Ich rufe meine Mutter jeden Tag an, schon vor dem Krieg habe ich sie gebeten, zu uns zu kommen, weil ich irgendwie gespürt habe, dass etwas Schlimmes kommt. Doch sie weigerte sich, auch heute noch. Sie ist 83 Jahre alt und sagt, dass sie nicht von dem Boden weichen wird, den sie mit ihren eigenen Händen bebaut und ihr Leben verbracht hat. Sie sagt, sie sei frei, weil sie in ihrer Heimat ist, und sie wird diese nicht verlassen. So sehr mich das schmerzt, macht ihre Stärke auch mich stark.
Inwiefern?
Meine Mutter erinnert sich noch an den 2. Weltkrieg und wie deutsche Truppen die Ostukraine besetzt hatten. Aber sie konnte auch von guten Erlebnissen erzählen, die dort passiert sind. Zum Beispiel wurde ihr ein Finger abgeschossen, und ein deutscher Chirurg hat ihn wieder angenäht und gerettet. Auch solche Geschichten gab es damals. Es ist also wie immer vor allem eines: menschlich.
Wenn ich sehe und höre, welch grosser Hass den Russen entgegengebracht wird – da muss man aufpassen, denn das sind nicht die Menschen, die den Krieg begonnen haben. Ich habe russische Studierende bei mir, und es ist ganz klar, dass wir nicht über Politik reden, denn wir sind an der Akademie, um zu singen. Basta. Es kommt nicht in Frage, dass ich diese Menschen hassen werde, denn es gibt nur eine Nationalität: Menschsein.
Das Wichtigste in dieser unfassbaren Situation ist der Geist, und der Geist ist da. Noch nie zuvor hat eine Nation einen solchen Zusammenhalt und noch nie zuvor hat sich unsere demokratische Welt so geschlossen gezeigt. Das Gute muss einfach gewinnen.
Vor dem Krieg die Pandemie. Die Opernhäuser wurden während dieser Zeit geschlossen. Was bedeutet das für Sie?
Wir haben etwas für uns Neues ausprobiert und Online-Konzerte gemacht. Das hat auch Vorteile, denn sonst waren wir ständig unterwegs oder hatten eine Probe nach der anderen. Und plötzlich kam diese Zwangspause, in der man über Qualität, das Repertoire und seine eigene Leistung nachdenken konnte.
Für die Akademie habe ich über Zoom unterrichtet, und das Wunderbare daran war, dass ich nicht nur weltweit meine Masterklassen unterrichten konnte, sondern es gab auch neue Teilnehmerinnen und Teilnehmer sowie bekannte Sängerinnen, die sich mit mir weiterbilden oder Partien einüben wollten. Diese grenzüberschreitende Möglichkeit haben wir nur durch die Pandemie entdeckt.
Spendet Ihnen die Musik Trost in schweren Zeiten?
Oh ja, wenn die Seele leidet, dann singt man. Egal, ob allein zuhause oder draussen im Wald.
Sie singen in verschiedenen Sprachen; welche sprechen Sie?
Ich spreche nicht so gut Deutsch, wie ich möchte, auch wenn ich 48 verschiedene (grosse und kleine) Rollen einstudiert habe. Aber richtig Deutsch lernt man dadurch nicht, und mit einer internationalen Karriere ist das zeitlich zudem recht schwierig.
Ich spreche Englisch, Italienisch vermutlich besser als Deutsch, Ukrainisch, Russisch und Japanisch. Wenn ich zwei, drei Wochen in der Schweiz bleiben würde, könnte ich vermutlich auch etwas Schweizerdeutsch *lacht*. Ich bin immer sehr offen und neugierig, und das absolute Gehör hilft mir vermutlich sehr dabei eine Sprache zu lernen.
Wir haben auch Fragen an Mariana Koch gestellt, welche dieses Benefizkonzert erst möglich gemacht und ebenfalls am Gesprächstisch Platz genommen hat. Sie ist von Zürich nach Richterswil gezogen, das sie als ihre zweite Heimat betrachtet. Sie mag die Atmosphäre des Dorfes und bezeichnet die Bevölkerung als ganz besonders.
Frau Koch, seit wann und woher kennen Sie Frau Loukianetz?
Ich komme aus einer Künstlerfamilie in der Ukraine, und meine Mutter hat früher die Konzerte von Frau Loukianetz organisiert. Ausserdem kenne ich ihre Managerin.
Wann kam Ihnen die Idee für dieses Benefizkonzert?
Am 19. Februar war ich noch in der Ukraine, um über ein mögliches Konzert in der Schweiz zu reden, denn ich hatte an der Misswahl in der Ukraine teilgenommen. Dort habe ich dann gesagt, dass ich versuchen will, ein Konzert mit Victoria auf die Beine zu stellen. Allerdings habe ich damals an ein ganz «normales» Konzert gedacht und nicht unter diesen traurigen Umständen.
Weil der Krieg ausbrach, fehlt den Menschen in der Ukraine Wasser und Lebensmittel, medizinische Versorgung, vor allem auch für die Kinderpflege. So ist nun ein Konzert zur Unterstützung unserer Heimat daraus geworden, und es musste innert kürzester Zeit organisiert werden.
Wen haben Sie danach kontaktiert, um Ihre Idee in die Tat umzusetzen?
Ich habe Gerda Koch auf der Gemeinde Richterswil angerufen, und sie war sofort von meinem Unterfangen begeistert. Ich war total von ihrer Reaktion überrascht, denn wenn eine Wildfremde zu mir käme und sagen würde: «Hey, ich habe einen Opernstar aus Wien und will ein Konzert machen», dann würde ich weiss ich was denken («Hast Du was geraucht?» *alle müssen lachen, das tut zwischendurch gut*). Aber vielleicht habe ich so entschlossen gewirkt, dass Frau Koch Leute mobilisiert, die Werbung und online die Kommunikation gemacht und organisiert hat. Zudem hat sie den Gemeinderat informiert, und der Gemeindepräsident wird noch eine Rede halten. Ohne Gerda Koch würde das vermutlich nicht stattfinden.
Sie sind ebenfalls gebürtige Ukrainerin; seit wann leben Sie in der Schweiz?
Seit 13 Jahren; mein Mann ist Schweizer und unsere Tochter geht hier in Richterswil in den Kindergarten.
Haben Sie noch Familie und Freunde in der Heimat?
Ich glaube, gestern war es das erste Mal seit Kriegsbeginn, dass ich wieder mal lächeln konnte, denn da ist nicht nur Victoria hierhergekommen, sondern auch meine Mutter mit Verwandten sowie meine Freundin mit zwei Kindern konnte sich hier in Sicherheit bringen. Ich konnte kaum ertragen, welche Bilder und Gefühle sie geschildert haben, die sie zuhause und unterwegs erlebt haben … Vor allem die Kinder sind stark traumatisiert.
Mein Bruder ist mit seiner Frau in der Ukraine geblieben, ebenso mein Vater und Grossvater, denn alle Männer unter 60 dürfen das Land nicht mehr verlassen, selbst wenn sie wollten. Die Entscheidung, ob man fliehen soll, muss für die Frauen sehr schwierig sein, denn sie wissen nicht, ob sie in ihr Haus zurückkehren können oder ob sie ihre Männer, Brüder wiedersehen werden.
Was sind das für Gefühle, die das in Ihnen auslöst?
Ich glaube, jede Ukrainerin und jeder Ukrainer weltweit leidet seit dem 24. Februar unter Schlafmangel und Appetitlosigkeit. Es fühlt sich an, als würde mir meine Kindheit weggenommen, unsere Geschichte, meine DNA, das, was mich ausmacht. Was ist, wenn ich in meine Lieblingsstadt Kiew zurückkomme und die Orte und Gebäude nicht mehr so sind, wie ich es kenne, wenn alles, was ich liebe, zerstört worden ist … das ist ein furchtbares Gefühl.
Besteht für Sie die Möglichkeit, aktiv etwas für ihre Familie zu tun?
Ganz allgemein kann man Geld spenden für die Ukraine, um die Bevölkerung zu unterstützen. Die Hilfsorganisationen versuchen ihr Möglichstes, um die Leute aus Gefahrenzonen in die Westukraine oder an die polnische Grenze zu bringen. Ich selber kann nicht 40 Mio. Menschen retten, also konzentriere ich mich vor allem auf die Nächsten, um ihnen zu helfen. n
Titel: Victoria Loukianetz hat Autorin Christine Brückner zitiert.