Zwei Wädenswilerinnen und ein Wädenswiler erzählen ihre persönliche
Migrationsgeschichte. Welche Bedeutung hat Wädenswil für sie? Wo liegen
ihre Heimaten?
Text und Bild: Stefan Baumgartner
Ein erster Höhepunkt der Ausstellung «eingewandert ausgewandert» der Historischen Gesellschaft ging am 3. Februar über die Bühne der Kulturgarage: Zwei Wädenswilerinnen und ein Wädenswiler erzählen ihre persönliche Migrationsgeschichte. Welche Bedeutung hat Wädenswil für sie? Wo liegen ihre Heimaten, wo ist ihr Zuhause?
Den Fragen von Christian Winkler, Präsident der «Historischen» und Co-Kurator der Ausstellung stellten sich Migmar Dhakyel, Chloe Claes und Volkan Dogu.
Volkan Dogu ist Familienvater, Versicherungsfachmann und Offizier in der Schweizerischen Armee. Seine Eltern wanderten von der Türkei als Fachkräfte der Seidenindustrie nach Wädenswil ein.
Migmar Dhakyel ist Gewerkschafterin und Tibet-Aktivistin. Ihre Grosseltern flohen aus dem besetzten Tibet. Nun setzt sie sich für die Befreiung ihrer zweiten Heimat ein.
Chloe Claes ist Juristin und zog der Arbeit ihres Mannes wegen nach Wädenswil. Die Belgierin fühlt sich heute in Wädenswil zuhause.
Volkan Dogus Geschichte ist in einigen Punkten ähnlich wie jene der Tibeterin Dhakyel: Ihre Eltern sind in Wädenswil gelandet, weil sie hier Arbeit fanden. Und doch sind die Beweggründe verschieden: Dogus Eltern wurden als Textilindustrie-Fachkräfte aus der Türkei in die Schweiz geholt, Dhakyels Grosseltern flüchteten aus dem besetzten Tibet in Nachbarländer, von wo aus ihre Eltern in die Schweiz weiterzogen. Sie fügte der Geschichte ihrer Herkunft auch an: «Es sind meist nicht so positive Gründe, wieso man sein Land verlässt.» Chloe Claes schliesslich folgte ihrem Ehemann, als dessen Firma den Sitz von Brüssel nach Zürich verlegte.
Tatsächlich hängt die Geschichte der Immigration eng mit dem Bedürfnis nach Arbeitskräften zusammen. Waren es früher die günstigen Arbeitskräfte, die zum Beispiel im Tunnelbau oder eben in den Webereien benötigt wurden, sind es heute spezialisierte und entsprechend gut bezahlte Fachkräfte, die in die Schweiz ziehen. «Die Fabrikjobs existieren heute nicht mehr, das macht die Integration schwieriger», konstatierte Dhakyel. Waren Fabriken früher Schmelztiegel der Nationen, bleiben «Expats» heute eher unter sich – auch, weil einige nur wenige Monate hier bleiben. Chloe Claes’ Familie ist hängengeblieben – und will sich integrieren. Sie habe jedoch Mühe mit dem Dialekt – und fragt auch gleich ins Publikum, ob jemand einen Tipp habe, wie man Schweizerdeutsch lernen könne.
Dhakyel befand, dass die zugezogenen Frauen von der Immigration eher profitiert hätten: Sie fanden für sich ein neues Rollenbild, indem sie arbeiten und so zum Familieneinkommen beitragen konnten (allerdings auch, weil ein Fabriklohn nicht zum Leben reichte). Dies ermöglichte auch erst progressive Familienformen, in denen sich die Elternteile die Aufgaben teilten. Auch Dogu bestätigte, dass er profitiert habe, dass tagsüber beide Elternteile zu Hause gewesen seien, da beide nachts «beim Gessner» arbeiteten.
Alle Podiumsteilnehmer haben nach wie vor einen starken Bezug zu ihrem zweiten Land, ihrem Ursprungsland. So sind Dogus Eltern wieder zurück in die Türkei gekehrt, und er schätze die warmen Sommer dort bei seinen Besuchen in den Sommerferien. Auch Claes’ Bezug zu Belgien ist nach wie vor gross, hat sie doch einen Grossteil der Familie und Freunde dort zurückgelassen. Sie sagt denn auch: «Belgien ist Heimat. In Wädenswil sind wir zuhause!» Bei Migmar Dhakyel ist die Situation speziell: «Tibet ist leider immer noch besetzt. Ich war noch nie dort. Trotz Schweizer Pass bekommen wir auch kein Visum!» Tibet sei ihre geistige Heimat, und sie ist auch überzeugt, dass sie noch zu Lebzeiten in ein befreites Tibet zurückkehren könne. Das sei ihre Form des Optimismus. So ist es auch erklärbar, dass die Tibeter in der Schweiz gut organisiert sind. «Ich musste als Schulkind jeweils am Freitagnachmittag ins Schulhaus Eidmatt zum tibetisch lernen. Damals war das sehr ‹übel›, heute bin ich dafür dankbar!» Und sie ergänzt: «Oftmals wurden wir am Wochenende um vier Uhr morgens geweckt, dann fuhren wir nach Genf zum Demonstrieren – das gehörte einfach dazu!» Auch in der türkischen Diaspora wurde den Kindern Kultur, Geschichte und Religion der Heimat beigebracht, erinnerte sich Volkan Dogu. Sie seien untereinander schon auch vernetzt gewesen. Aber viele derjenigen, die in der 60er-Jahren gekommen seien, gingen auch wieder zurück in die Türkei. «Ich aber bin hier geboren, ich bin hier zu Hause», meinte er.
Das Thema Integration wurde bei diesem Podium immer gestreift, zum Schluss hin wurde es nochmals diskutiert. Gesprächsleiter Winkler bemerkte, dass es früher weder ein Angebot noch eine Forderung zur Integration der Immigranten gab.
Dogu erwiderte, dass es sehr schwierig würde, wenn man von den damals neuzugezogenen Menschen eine Integration erwartet hätte: «Meine Eltern hatten in der Nacht gearbeitet, tagsüber wurde die Familie betreut. Freunde lernte man in der Fabrik oder in der türkischen «Community» kennen.» Er selbst sei die zweite Generation, er fühle sich integriert. Manchmal fühle er sich «voll als der Schweizer», aber dann komme ein Schweizer und hole ihn wieder runter, in dem dieser ihn daran erinnere, doch nur ein «Papierlischwiizer» zu sein. Das mache es dann auch nicht einfacher …
Migmar Dhakyel ging noch einen Schritt weiter und befand, dass es ein neues Bürgerrecht brauche. Die Ausländerquote in der Schweiz sei so hoch, weil ein Grossteil der Ausländer ausgeschlossen werde. Das Ausland sei hier sehr liberaler. Und es sei komisch, dass sie von sich selbst immer noch als Ausländerin spreche.
Chloé Claes wies darauf hin, dass vielen Expats die Lust fehle, sich zu integrieren, da diese oft wissen, dass sie nur ein, zwei Jahre in der Schweiz bleiben würden.
Die Schlussfrage – «Was bedeutet Heimat – und gibt es mehrere?» gab erwartungsgemäss ganz unterschiedliche Antworten. So sagte Migmar Dhakyel, dass sie schnell auch an anderen Orten Heimatgefühle entwickle. Aber Wädenswil sei der Ort, an den sie immer gerne zurückkehre. Volkan Dogu meinte, dass bevor er sage, dass er Schweizer sei, sage er, ein Wädenswiler zu sein. «Heimat ist für mich Wädenswil!» Chloé Claes macht einen Unterschied zwischen Heimat und «Zuhause». «Heimat ist für mich Belgien (…) – aber das Zuhause ist in Wädenswil.»
Drei ganz unterschiedliche Liebeserklärungen an die Stadt! n
Zwei Wädenswilerinnen und ein Wädenswiler erzählen ihre persönliche
Migrationsgeschichte. Welche Bedeutung hat Wädenswil für sie? Wo liegen
ihre Heimaten?
Text und Bild: Stefan Baumgartner
Ein erster Höhepunkt der Ausstellung «eingewandert ausgewandert» der Historischen Gesellschaft ging am 3. Februar über die Bühne der Kulturgarage: Zwei Wädenswilerinnen und ein Wädenswiler erzählen ihre persönliche Migrationsgeschichte. Welche Bedeutung hat Wädenswil für sie? Wo liegen ihre Heimaten, wo ist ihr Zuhause?
Den Fragen von Christian Winkler, Präsident der «Historischen» und Co-Kurator der Ausstellung stellten sich Migmar Dhakyel, Chloe Claes und Volkan Dogu.
Volkan Dogu ist Familienvater, Versicherungsfachmann und Offizier in der Schweizerischen Armee. Seine Eltern wanderten von der Türkei als Fachkräfte der Seidenindustrie nach Wädenswil ein.
Migmar Dhakyel ist Gewerkschafterin und Tibet-Aktivistin. Ihre Grosseltern flohen aus dem besetzten Tibet. Nun setzt sie sich für die Befreiung ihrer zweiten Heimat ein.
Chloe Claes ist Juristin und zog der Arbeit ihres Mannes wegen nach Wädenswil. Die Belgierin fühlt sich heute in Wädenswil zuhause.
Volkan Dogus Geschichte ist in einigen Punkten ähnlich wie jene der Tibeterin Dhakyel: Ihre Eltern sind in Wädenswil gelandet, weil sie hier Arbeit fanden. Und doch sind die Beweggründe verschieden: Dogus Eltern wurden als Textilindustrie-Fachkräfte aus der Türkei in die Schweiz geholt, Dhakyels Grosseltern flüchteten aus dem besetzten Tibet in Nachbarländer, von wo aus ihre Eltern in die Schweiz weiterzogen. Sie fügte der Geschichte ihrer Herkunft auch an: «Es sind meist nicht so positive Gründe, wieso man sein Land verlässt.» Chloe Claes schliesslich folgte ihrem Ehemann, als dessen Firma den Sitz von Brüssel nach Zürich verlegte.
Tatsächlich hängt die Geschichte der Immigration eng mit dem Bedürfnis nach Arbeitskräften zusammen. Waren es früher die günstigen Arbeitskräfte, die zum Beispiel im Tunnelbau oder eben in den Webereien benötigt wurden, sind es heute spezialisierte und entsprechend gut bezahlte Fachkräfte, die in die Schweiz ziehen. «Die Fabrikjobs existieren heute nicht mehr, das macht die Integration schwieriger», konstatierte Dhakyel. Waren Fabriken früher Schmelztiegel der Nationen, bleiben «Expats» heute eher unter sich – auch, weil einige nur wenige Monate hier bleiben. Chloe Claes’ Familie ist hängengeblieben – und will sich integrieren. Sie habe jedoch Mühe mit dem Dialekt – und fragt auch gleich ins Publikum, ob jemand einen Tipp habe, wie man Schweizerdeutsch lernen könne.
Dhakyel befand, dass die zugezogenen Frauen von der Immigration eher profitiert hätten: Sie fanden für sich ein neues Rollenbild, indem sie arbeiten und so zum Familieneinkommen beitragen konnten (allerdings auch, weil ein Fabriklohn nicht zum Leben reichte). Dies ermöglichte auch erst progressive Familienformen, in denen sich die Elternteile die Aufgaben teilten. Auch Dogu bestätigte, dass er profitiert habe, dass tagsüber beide Elternteile zu Hause gewesen seien, da beide nachts «beim Gessner» arbeiteten.
Alle Podiumsteilnehmer haben nach wie vor einen starken Bezug zu ihrem zweiten Land, ihrem Ursprungsland. So sind Dogus Eltern wieder zurück in die Türkei gekehrt, und er schätze die warmen Sommer dort bei seinen Besuchen in den Sommerferien. Auch Claes’ Bezug zu Belgien ist nach wie vor gross, hat sie doch einen Grossteil der Familie und Freunde dort zurückgelassen. Sie sagt denn auch: «Belgien ist Heimat. In Wädenswil sind wir zuhause!» Bei Migmar Dhakyel ist die Situation speziell: «Tibet ist leider immer noch besetzt. Ich war noch nie dort. Trotz Schweizer Pass bekommen wir auch kein Visum!» Tibet sei ihre geistige Heimat, und sie ist auch überzeugt, dass sie noch zu Lebzeiten in ein befreites Tibet zurückkehren könne. Das sei ihre Form des Optimismus. So ist es auch erklärbar, dass die Tibeter in der Schweiz gut organisiert sind. «Ich musste als Schulkind jeweils am Freitagnachmittag ins Schulhaus Eidmatt zum tibetisch lernen. Damals war das sehr ‹übel›, heute bin ich dafür dankbar!» Und sie ergänzt: «Oftmals wurden wir am Wochenende um vier Uhr morgens geweckt, dann fuhren wir nach Genf zum Demonstrieren – das gehörte einfach dazu!» Auch in der türkischen Diaspora wurde den Kindern Kultur, Geschichte und Religion der Heimat beigebracht, erinnerte sich Volkan Dogu. Sie seien untereinander schon auch vernetzt gewesen. Aber viele derjenigen, die in der 60er-Jahren gekommen seien, gingen auch wieder zurück in die Türkei. «Ich aber bin hier geboren, ich bin hier zu Hause», meinte er.
Das Thema Integration wurde bei diesem Podium immer gestreift, zum Schluss hin wurde es nochmals diskutiert. Gesprächsleiter Winkler bemerkte, dass es früher weder ein Angebot noch eine Forderung zur Integration der Immigranten gab.
Dogu erwiderte, dass es sehr schwierig würde, wenn man von den damals neuzugezogenen Menschen eine Integration erwartet hätte: «Meine Eltern hatten in der Nacht gearbeitet, tagsüber wurde die Familie betreut. Freunde lernte man in der Fabrik oder in der türkischen «Community» kennen.» Er selbst sei die zweite Generation, er fühle sich integriert. Manchmal fühle er sich «voll als der Schweizer», aber dann komme ein Schweizer und hole ihn wieder runter, in dem dieser ihn daran erinnere, doch nur ein «Papierlischwiizer» zu sein. Das mache es dann auch nicht einfacher …
Migmar Dhakyel ging noch einen Schritt weiter und befand, dass es ein neues Bürgerrecht brauche. Die Ausländerquote in der Schweiz sei so hoch, weil ein Grossteil der Ausländer ausgeschlossen werde. Das Ausland sei hier sehr liberaler. Und es sei komisch, dass sie von sich selbst immer noch als Ausländerin spreche.
Chloé Claes wies darauf hin, dass vielen Expats die Lust fehle, sich zu integrieren, da diese oft wissen, dass sie nur ein, zwei Jahre in der Schweiz bleiben würden.
Die Schlussfrage – «Was bedeutet Heimat – und gibt es mehrere?» gab erwartungsgemäss ganz unterschiedliche Antworten. So sagte Migmar Dhakyel, dass sie schnell auch an anderen Orten Heimatgefühle entwickle. Aber Wädenswil sei der Ort, an den sie immer gerne zurückkehre. Volkan Dogu meinte, dass bevor er sage, dass er Schweizer sei, sage er, ein Wädenswiler zu sein. «Heimat ist für mich Wädenswil!» Chloé Claes macht einen Unterschied zwischen Heimat und «Zuhause». «Heimat ist für mich Belgien (…) – aber das Zuhause ist in Wädenswil.»
Drei ganz unterschiedliche Liebeserklärungen an die Stadt! n