Richterswil

Eine Vertrauensbasis in die Politik schaffen

Die Sprache der Politik weicht gerne vom Allgemeinverständlichen ab, was vom Stimmvolk als belastend empfunden wird, und so landen die Stimmzettel oftmals ungeöffnet auf dem Papierhaufen. Ein neues Format will nun jeweils vor Abstimmungen die Bevölkerung objektiv und klar informieren, um was es bei den Vorlagen geht.

Text & Bilder: Reni Bircher

«Es darf nicht sein, dass in einem demokratischen Land das Volk bei wichtigen Entscheidungen nicht mitredet, nur weil man das Gefühl hat, man müsste vorher ein Studium absolviert haben, um den Inhalt der Abstimmungsunterlagen zu verstehen», echauffiert sich Zoe Hürlimann aus Richterswil.
Die 24-jährige Politikstudentin erlebt das hautnah in ihrem Umfeld, wo die zwischen 20 und 30 Jahre alten Bürgerinnen und Bürger ihr Stimm- und Wahlrecht kaum wahrnehmen, um so aktiv einen Teil ihrer Zukunft mitzugestalten. Hinzu kommen die klassischen Faulheitsausreden: keine Zeit, zu kompliziert, man habe ja eh keinen Einfluss darauf – also wird das Abstimmungskuvert gleich entsorgt.
Einen grossen Anteil an dieser vorzeitigen Resignation hätten aber auch die langen und schwierigen Texte, und Hürlimann sieht ein, dass sich die Leute nicht damit beschäftigen wollen, weil vieles so unklar geschrieben ist. «Wenn selbst ich als Politikstudentin ein Abstimmungsbüchlein in die Hand nehme und im Internet nach gewissen Infos zur Erklärung suchen muss, dann läuft wirklich etwas verkehrt. Mir vergeht die Lust, das durchzulesen, obwohl ich mich ja wirklich dafür interessiere. Das belastet mich», seufzt sie und gesteht: «Ich sehe ein, dass so mancher das Gefühl hat, Besseres mit seiner Zeit anzufangen, als seitenweise Gesetzesartikel zu studieren.»
In ihrem Studium musste sie wiederholt feststellen, dass diese Unklarheiten leider weit verbreitet sind, und gerade in politischen Dingen wäre es enorm wichtig, dass eine klare Sprache gesprochen wird. «Auf Gemeindeebene finde ich es schon fast ausgeprägter als auf Bundesebene, womöglich, weil hierzu die Ressourcen fehlen. Aber es braucht Leute, die einen sachlich verständlichen Text verfassen können, um dem Normalbürger die Sachen verständlich aufzuzeigen.» Die Studentin hat deshalb eine Informationsveranstaltung «Polit Info Richti» ins Leben gerufen – es fand Anfang November das dritte Mal statt–, um den Texten über kommende Abstimmungsvorlagen auf den Zahn zu fühlen und Klarheit zu schaffen.

Bis 2017 fand in Richterswil «Frauen informieren Frauen» (FiF) statt; hast Du das mal erlebt?
Meine Mutter hat bei FiF mitgemacht, ich bin also damit aufgewachsen. Ich musste dann immer den Beamer aufbauen *lacht* Es ist total schade, dass das aufgegeben werden musste, aber irgendwann fehlte der Nachwuchs. Dabei war es sehr beliebt!

Wie rechnest Du die Chance aus, dass ein solches Format wieder entstehen kann?
Ich bin überzeugt, dass es auf Gemeindeebene am einfachsten ist, die Menschen zur Teilnahme zu bewegen und zu motivieren. Wenn du im eigenen Dorf bleiben kannst, unter Leuten bist, die du kennst, dann ist es sicher einfacher über die eigene politische Meinung zu reden oder eine Frage zu stellen. Das erscheint mir sehr wichtig, da es doch sehr persönlich ist.

Was erhoffst Du Dir von der Veranstaltung?
Ich hoffe, dass sich mit der Zeit auch junge Leute dafür interessieren. Es ist jeder herzlich willkommen, der mehr über die Abstimmungen erfahren will, selbst solche, die noch kein Stimmrecht haben! Dann wünsche ich mir gute Diskussionen und dass jeder mit mehr Klarheit und mehr Verständnis für die Gegenseite nach Hause geht.

Woran liegt das Desinteresse bei den Jungen?
So genau kann ich das nicht sagen. Manchmal kommt es mir vor, als wäre ich mit meinen 24 Jahren bereits zu alt, um eine/-n 18-Jährige/-n zu erreichen. Dabei müssten gerade sie motiviert werden, ihr Stimmrecht wahrzunehmen, ihnen klarzumachen: «Du darfst jetzt, Du hast es in der Hand!» Diese Freude müsste wohl schon vorher geweckt werden. Die Schule wäre definitiv ein Ansprechpartner. In meinem Umfeld reisse ich schon mal ein Thema an und merke, dass die Leute es spannend finden; es entstehen Diskussionen, schliesslich hat jeder eine Meinung. Also ist es doch Zeit, dass jemand hin steht und in einer verständlichen Sprache erklärt, was Sache ist, damit jeder sein Stimmrecht auch wahrnimmt.
Es hat mich erschüttert festzustellen, dass viel zu wenig politische Bildung vorhanden ist. Ganz allgemein scheinen die Leute manchmal nicht zu wissen, woher die Vorlagen kommen, also was ist eine Initiative? Was ein Referendum, eine Verfassungsänderung? was für eine Bedeutung hat die Abstimmung für das Volk? Daher ist es mir wichtig, dass die Referenten dies bei der Präsentation aufzeigen.

Welche Abstimmungsvorlagen werden vorgestellt?
Vorerst behandeln wir nur die eidgenössischen Vorlagen.

Wo siehst Du die Zukunft von «Polit Info Richti»?
Das Projekt steckt noch in den Kinderschuhen. Ich lerne immer noch dazu, und inzwischen bin ich überzeugt, dass die Veranstaltung etwa zweieinhalb Wochen vor dem Abstimmungssonntag stattfinden muss, damit das Stimmkuvert nicht schon im Abfall liegt, bis es so weit ist …
Ich hoffe, dass es noch zwei, drei weitere Leute gibt, welche die Veranstaltung mit mir stemmen wollen. Und wenn noch weitere Gemeinden Interesse an einem solchen Infoabend bekunden würden, das ist Zukunftsmusik für mich.

Wie funktioniert so ein ­Infoabend?
Zu jeder Abstimmungsvorlage bereitet sich jemand vor, das Thema meinungsneutral innert 10 bis 15 Minuten zu erklären und aufzuzeigen, was passiert, wenn die Vorlage angenommen oder abgelehnt wird. Es geht also um Fakten und Aufklärung.
Nach jedem Thema dürfen Fragen gestellt werden und Diskussionen stattfinden. Super finde ich, wenn Gäste aus beiden Lagern anwesend sind.

Wer sind die Referentinnen und Referenten?
Es darf sich jeder anerbieten, dem die politische Meinungsbildung wichtig und bereit ist, sich einem Thema anzunehmen. Momentan sind das Leute aus meinem Freundes- und Studienkreis.
Es spielt keine Rolle, ob man einer Partei angehört, solange das Thema sachlich und ohne Wertung vorgelegt wird. Ich erwarte keine geübten Redner. Heuer waren es zwei Bekannte, die schon einmal Gastredner waren, und ich. Mit der Zeit wird sich hoffentlich ein gutes Netzwerk bilden.

Was erscheint Dir bei den Abstimmungen die ­grösste Hürde zu sein?
Zuhören! Man muss lernen die Gegenseite zu akzeptieren und sie zu verstehen. Das heisst nicht, dass man plötzlich eine Kehrtwendung vollzieht. Es scheint mir aber unerlässlich zu sein, den Blickwinkel zu verändern, um das ganze Ausmass einer Vorlage bzw. Diskussion nachvollziehen zu können. Das fördert die Toleranz, denn die Gegenseite hat auch gute Argumente und durchaus das Recht, so zu denken, wie sie es eben tut. Ich musste das auch lernen.

Was wünschst Du Dir in ­Bezug auf die Politik?
Es wäre schön, wenn die Gemeinden die Politik für die Bevölkerung zugänglicher machen würden. Damit sich mehr Menschen darum kümmern, was in ihrem eigenen Land geschieht. Doch es wird viel zu wenig gemacht diesbezüglich.
Es wäre sicher nicht verkehrt, wenn vermehrt promotet würde, dass es Informationsquellen gibt, die auch verständlich sind.
Und wenn Ihr zu faul seid, um den Stimmzettel in den Briefkasten zu werfen: ruft mich an, ich mache das für Euch; Hauptsache, Ihr stimmt ab!

Steckbrief Zoe Hürlimann
Ich bin Politikstudentin, mache den Bachelor, Master in Politik. Das Wirkungsfeld nach meinem Abschluss ist riesig. Mit «Kommunikation» in meinem Bachelor ist Journalismus sicher beliebt, aber es gibt beinahe in jeder Firma eine Kommunikationsstelle. Künftig will ich sicher etwas in der Kommunikation auf politischer Ebene erreichen. Mein Traum wäre ja dieses antiquierte rote Abstimmungsbüchlein abzuschaffen *lacht verschmitzt*. Die absolute Lösung für eine klare Präsentation der Texte habe ich nicht, aber es geht ganz sicher viel besser und einfacher.
Gescheit wäre es, auf Gemeindeebene anzufangen eine klare Sprache zu verwenden; schön wäre es auf Bundesebene. n

Infos zu «Polit Info Richti» auf Instagram: politinfo_richti

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