Eine Krisenzeit in den Erinnerungen des Wädenswiler Seidenfärbers Fritz Hofstetter.
Fritz Hofstetter wurde im Jahre 1904 in Wädenswil geboren, war also bei Ausbruch des Kriegs im Sommer 1914 gerade einmal zehn Jahre alt. Dennoch vermochte sich Fritz Hofstetter in seinen vielen Jahren später geschriebenen «Erinnerungen» bemerkenswert gut an die Ereignisse der Kriegszeit in seiner engeren Heimat erinnern – dies spricht für sein Gedächtnis auch als bereits älterer Mann im Jahre 1989.
Sein fabelhaftes Gedächtnis erlaubte es Fritz Hofstetter, sich in seinem autobiografischen Rückblick an viele Details zu erinnern, so auch an den eigentlichen Kriegsausbruch, den der Knabe im Kanton Graubünden in einer Ferienkolonie in Serneus-Mezzaselva (Prättigau) unter der Leitung von Primarlehrer Hans Häberling erlebte. Er hatte sich sehr auf diese abenteuerliche Ferienzeit gefreut. Am 4. August 1914 erklärte der Lehrer den erschrockenen Ferienkindern, dass Frankreich dem Deutschen Reich den Krieg erklärt habe. Das gefährliche europäische Bündnissystem hatte seine fatale Eigendynamik entwickelt, vernünftige Stimmen waren selten gewesen. Jedermann rechnete mit einem kurzen Krieg, mit einer schnellen Entscheidung für die eigene Seite.
Hamsterkäufe der Bevölkerung
Sofort nach Kriegsbeginn begannen überall in der Schweiz Hamstereinkäufe. Da auch die Nahrungsimporte aus Frankreich und aus Deutschland stockten, wurde die Ernährungslage der schweizerischen Bevölkerung bald prekär. Ab dem Jahr 1915 wurden die Sekundarschülerinnen und Sekundarschüler folglich zum Kartoffelpflanzen eingesetzt: «Trotz zeitweiser Schwielen an den Händen herrschte eine kameradschaftliche Atmosphäre. Ja, man freute sich, an – damals noch frischer – Luft und Sonne, die Schulbank zu vergessen.» Der offensichtlich etwas schulmüde Fritz Hofstetter mochte also die an sich strenge körperliche Arbeit lieber als zu lernen.
Mit Kriegsbeginn fand auch eine schleichende Militarisierung der Lebenswelt der jugendlichen Wädenswilerinnen und Wädenswiler statt, so im 120 Burschen starken Kadettenkorps, das, in drei Züge eingeteilt, über eine eigene seidene Fahne und über ein eigenes «Spiel» verfügte und einmal, unter den kritischen Augen eines vom Aktivdienst dispensierten Majors, sogar Manöver gegen Zürcher Oberländer Korps abhielt.
Während des Ersten Weltkriegs war das Aargauer Bataillon 55 in Wädenswil einquartiert. Das Verhältnis zu den Einheimischen war meistens gut, ja zeitweise sogar freundschaftlich, wie Brieffreundschaften, langjährige Kontakte und gegenseitige Besuche belegen. In zwei Fällen gab es sogar Heiraten zu vermelden.
Armee lockt mit Lebensmitteln
Das Aargauer Bataillon hatte bei einem Manöver am Etzel gegen eine Schwyzer Einheit zu bestehen. Die Buben begleiteten ihre Idole bis hinauf nach Schindellegi. Zur Belohnung durften sie eine halbe Gamelle Brühe und einen Spatz aus der Feldküche essen. Das war eine feine Mahlzeit. Bereits die Jüngeren eiferten den Soldaten und Offizieren nach, zeigten sich fasziniert von der Welt der Uniformen, der Waffen und des Militärischen. Sie spielten auch beispielsweise «Militärlis» und tranken gerne etwas Kakao oder kosteten von der Suppe von der Armeeküche. Die Armee wusste natürlich von der positiven Wirkung solcher Werbeaktionen und schenkte gerade den Bedürftigsten gerne Lebensmittel aus ihren Beständen.
Bilder des Grauens am Bahnhof
Ein weit traurigeres Kapitel spielte sich im November 1917 und auch noch 1918 in Wädenswil ab, als am Bahnhof Austauschzüge mit schwer verwundeten Soldaten anhielten. Der lokale Samariterverein unter Feldweibel Hans Häberling linderte die Not der Verletzten gemeinsam mit drei Ärzten, so gut er konnte. Der Bahnhof war jeweils militärisch abgesperrt. «Aber wir Buben konnten von der Passerelle hinab beim «Schiffli» herab in die Hurdenlager auf Dreiachswagen hinunterschauen und so Teile des Grauens beobachten: Leute mit dicken Verbänden am Kopf sowie Amputierte, von denen man nur Körperumrisse erkannte.» Später wurde auch die Passarelle von der Armee gesperrt. Nicht etwa wegen der Buben, die neugierig hinunterschauten, sondern wegen einiger Einheimischer, die den Unglücklichen ein Stück Schokolade oder Obst zuwarfen. Dies sei bei der gegenwärtigen angespannten Ernährungssituation eine pure Verschwendung.
Fritz Hofstetters Kindheit und Jugend wurden in starkem Masse vom Ersten Weltkrieg geprägt. Es war eine Zeit der Entbehrungen, Nöte, aber auch eine Zeit der Abenteuer und Entdeckungen. So verlief Fritz Hofstetters Kindheit trotz allen Misslichkeiten insgesamt erstaunlich «normal» und gelungen ab.
Fabian Brändle
Eine Krisenzeit in den Erinnerungen des Wädenswiler Seidenfärbers Fritz Hofstetter.
Fritz Hofstetter wurde im Jahre 1904 in Wädenswil geboren, war also bei Ausbruch des Kriegs im Sommer 1914 gerade einmal zehn Jahre alt. Dennoch vermochte sich Fritz Hofstetter in seinen vielen Jahren später geschriebenen «Erinnerungen» bemerkenswert gut an die Ereignisse der Kriegszeit in seiner engeren Heimat erinnern – dies spricht für sein Gedächtnis auch als bereits älterer Mann im Jahre 1989.
Sein fabelhaftes Gedächtnis erlaubte es Fritz Hofstetter, sich in seinem autobiografischen Rückblick an viele Details zu erinnern, so auch an den eigentlichen Kriegsausbruch, den der Knabe im Kanton Graubünden in einer Ferienkolonie in Serneus-Mezzaselva (Prättigau) unter der Leitung von Primarlehrer Hans Häberling erlebte. Er hatte sich sehr auf diese abenteuerliche Ferienzeit gefreut. Am 4. August 1914 erklärte der Lehrer den erschrockenen Ferienkindern, dass Frankreich dem Deutschen Reich den Krieg erklärt habe. Das gefährliche europäische Bündnissystem hatte seine fatale Eigendynamik entwickelt, vernünftige Stimmen waren selten gewesen. Jedermann rechnete mit einem kurzen Krieg, mit einer schnellen Entscheidung für die eigene Seite.
Hamsterkäufe der Bevölkerung
Sofort nach Kriegsbeginn begannen überall in der Schweiz Hamstereinkäufe. Da auch die Nahrungsimporte aus Frankreich und aus Deutschland stockten, wurde die Ernährungslage der schweizerischen Bevölkerung bald prekär. Ab dem Jahr 1915 wurden die Sekundarschülerinnen und Sekundarschüler folglich zum Kartoffelpflanzen eingesetzt: «Trotz zeitweiser Schwielen an den Händen herrschte eine kameradschaftliche Atmosphäre. Ja, man freute sich, an – damals noch frischer – Luft und Sonne, die Schulbank zu vergessen.» Der offensichtlich etwas schulmüde Fritz Hofstetter mochte also die an sich strenge körperliche Arbeit lieber als zu lernen.
Mit Kriegsbeginn fand auch eine schleichende Militarisierung der Lebenswelt der jugendlichen Wädenswilerinnen und Wädenswiler statt, so im 120 Burschen starken Kadettenkorps, das, in drei Züge eingeteilt, über eine eigene seidene Fahne und über ein eigenes «Spiel» verfügte und einmal, unter den kritischen Augen eines vom Aktivdienst dispensierten Majors, sogar Manöver gegen Zürcher Oberländer Korps abhielt.
Während des Ersten Weltkriegs war das Aargauer Bataillon 55 in Wädenswil einquartiert. Das Verhältnis zu den Einheimischen war meistens gut, ja zeitweise sogar freundschaftlich, wie Brieffreundschaften, langjährige Kontakte und gegenseitige Besuche belegen. In zwei Fällen gab es sogar Heiraten zu vermelden.
Armee lockt mit Lebensmitteln
Das Aargauer Bataillon hatte bei einem Manöver am Etzel gegen eine Schwyzer Einheit zu bestehen. Die Buben begleiteten ihre Idole bis hinauf nach Schindellegi. Zur Belohnung durften sie eine halbe Gamelle Brühe und einen Spatz aus der Feldküche essen. Das war eine feine Mahlzeit. Bereits die Jüngeren eiferten den Soldaten und Offizieren nach, zeigten sich fasziniert von der Welt der Uniformen, der Waffen und des Militärischen. Sie spielten auch beispielsweise «Militärlis» und tranken gerne etwas Kakao oder kosteten von der Suppe von der Armeeküche. Die Armee wusste natürlich von der positiven Wirkung solcher Werbeaktionen und schenkte gerade den Bedürftigsten gerne Lebensmittel aus ihren Beständen.
Bilder des Grauens am Bahnhof
Ein weit traurigeres Kapitel spielte sich im November 1917 und auch noch 1918 in Wädenswil ab, als am Bahnhof Austauschzüge mit schwer verwundeten Soldaten anhielten. Der lokale Samariterverein unter Feldweibel Hans Häberling linderte die Not der Verletzten gemeinsam mit drei Ärzten, so gut er konnte. Der Bahnhof war jeweils militärisch abgesperrt. «Aber wir Buben konnten von der Passerelle hinab beim «Schiffli» herab in die Hurdenlager auf Dreiachswagen hinunterschauen und so Teile des Grauens beobachten: Leute mit dicken Verbänden am Kopf sowie Amputierte, von denen man nur Körperumrisse erkannte.» Später wurde auch die Passarelle von der Armee gesperrt. Nicht etwa wegen der Buben, die neugierig hinunterschauten, sondern wegen einiger Einheimischer, die den Unglücklichen ein Stück Schokolade oder Obst zuwarfen. Dies sei bei der gegenwärtigen angespannten Ernährungssituation eine pure Verschwendung.
Fritz Hofstetters Kindheit und Jugend wurden in starkem Masse vom Ersten Weltkrieg geprägt. Es war eine Zeit der Entbehrungen, Nöte, aber auch eine Zeit der Abenteuer und Entdeckungen. So verlief Fritz Hofstetters Kindheit trotz allen Misslichkeiten insgesamt erstaunlich «normal» und gelungen ab.
Fabian Brändle